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Autorenporträt
Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Er studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel, wo er seither als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist arbeitet. Er war Kolumnist für das Zeit-Magazin und schreibt für die Welt, die Frankfurter Rundschau, Die Zeit und die FAZ. 2002 erhielt er den Hebbel-Preis, 2003 den Preis der Jury beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt und 2004 den Adelbert-von-Chamisso-Preis. 2005 war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Im selben Jahr erhielt er den Hugo-Ball-Preis, 2007 den Grimmelshausen-Preis und 2010 den Jakob-Wassermann-Literaturpreis. 2012 wurde Feridun Zaimoglu mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet, außerdem mit dem Berliner Literaturpreis 2016 der Stiftung Preußische Seehandlung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2002

Rhetorik der Grasnarbe
Dicker Hals: Feridun Zaimoglu hat eine schöne Kragenweite

Die Straße gilt gemeinhin als der Kanal, auf dem nur der echte Sound gespielt wird - ganz gleich, ob es um Musik geht oder um Sprache. Auch Feridun Zaimoglu, der literarische Wortführer der "Kanak Sprak", sucht den wahren Wortschatz unter dem Pflaster und horcht die Reden der bodennahen Milieus und Szenen ab. Ein Klartextfanatiker allerdings war Zaimoglu nie. Im Gegenteil bewies er immer ein Gespür für die poetischen Verdichtungen knapp über der Asphaltdecke. Im Einleitungskapitel seiner Textsammlung streicht der Kieler Autor diese Verwandtschaft von Slang und Sprachkunst heraus: "Kanak Sprak meint Bilderflut, sie bringt Fitneß in die Modalitäten, sie stemmt Frische in die Branche." Nichts anderes versuchte freilich gut zweitausend Jahre lang die Branche der Rhetorik: Auch hier versprach man sich vom Einsatz uneigentlicher Rede ein bißchen Abwechslung. Ohne ein Mindestmaß an Verfremdung kam kein mitreißender Vortrag aus: Zumindest in dieser Hinsicht war die Redekunst seit den frühen Skandalauftritten der Sophisten eine Art Ghettokultur.

Eines der ältesten Kunststücke der Rhetorik ist das Sprechen durch die Maske: Der Redner leiht Gott und der Welt seine Stimme, führt lange Gespräche mit toten Dichtern, liefert Fragen und Antworten im Doppelpack. Zaimoglu übt sich in "Kopf und Kragen" immer wieder in der Fertigkeit der Zungenrede. Einen Großteil der versammelten Texte bilden fingierte Interviews, geführt von einem undurchsichtigen Organ namens "Galaxy". Ein glitzernder Kosmos von Berühmt- und Verrücktheiten darf in den Zwiegesprächen rhetorisch funkeln, und hinter den Decknamen der Gesprächspartner läßt sich unschwer Prominenz ausmachen. Benjamin von Stuckrath-Barre heißt Tassilo von Talkau-Marl, im Klatschkolumnisten Johann-Christian Wegner erahnt man den legendären Franz-Josef Wagner, und die Illustrierte "Lunte" ist unschwer zu demaskieren. Sogar seine eigene verfremdete Medienversion befragt Zaimoglu im Gespräch mit dem türkischen Literaten "Herr Zett", der entschieden für Assimilation durch Nasenchirurgie plädiert.

Tatsächlich beruht Zaimoglus Interviewtechnik auf der ausgeprägten Fähigkeit zur Mimikry an anderen Profilen, zur Anverwandlung fremden Geredes. Im Namen des Berufssatirikers Iglaf Borste, lies: Wiglaf Droste, gibt er in treffender Tonwahl zu Protokoll: "Humor ist ein Essential des sozialdemokratischen Parteistatuts." Die Parade der sprechenden Köpfe verwischt wirkungsvoll die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem, doch letztlich legt der Autor allen Rollenmasken die gleiche hochironische Diktion in den Mund: "Es freut mich, wenn ich der gelangweilten Klasse zu etwas Salonaufregung verhelfen kann", so ergeht sich da selbst der Boulevardberichterstatter in Abgeklärtheit. So viel Durchblickerei macht das aufwendige Puppenspiel mitunter fast langweilig - denn letztlich spielt sich immer wieder der fingerfertige Diskurs-Jockey in den Vordergrund.

Natürlich geht es Zaimoglu ohnehin weniger um die vorgeführten Zelebritäten als um die Zelebration des sprachlichen Wildwuchses, das Dauerfeuer der Bilder und Vergleiche. Der Verbrauch schmückender Beiwörter erreicht homerische Dimensionen, ob sie den "ochsenäugigen Papagallo" oder den "würdelosen Mustafa" verunzieren. Auch die alte Technik der anderen Benennung, also der Ersetzung eines Eigennamens durch eine Eigenschaft, kommt zu neuen Ehren - der Popliterat wird als "Jungmannanzugsträger" eingeführt, der Journalist als "oberster Darmdramatiker der Asphaltpresse" und der Satiriker als "dickleibiges Gipsklößchen". Zaimoglus Königsdisziplin ist freilich die Umschreibung. Trug sie in der klassischen Redekunst noch die Aufgabe, Peinlichkeiten zu umschiffen, so dient sie hier gerade dazu, unangenehme Berührungen mit dem Bekannten herbeizuführen - etwa wenn die aus dem Hemd quellende Brustbehaarung als "Türkenkresse" bezeichnet wird.

Zaimoglus Erfindungsreichtum auf dem Feld der überraschenden Wendungen ist nach wie vor eindrucksvoll: Vor allem diese rhetorische Phantasie macht die Lektüre der Interviews und kurzen Erzählungen, die häufig schon in Tageszeitungen oder Magazinen erschienen sind, zur kurzweiligen Sache. "Sami legte seinen schweren Kalbskopf in den Nacken, verschränkte die Hände und ließ die Finger in Moll knacken" - allein ein Satz dieser Art verwandelt die Skizze eines Kieler Spätsommernachmittags in ein griffiges Halbrelief. Nein, ein "Kanak-Kultur-Kompendium", wie der Untertitel wohl eher aus Gründen des Markenzeichens verspricht, gibt der Band nicht an die Hand - als Blütenlese befremdlicher Rede aber kann man ihn mit Gewinn lesen.

ANDREAS ROSENFELDER

Feridun Zaimoglu: "Kopf und Kragen". Kanak-Kultur-Kompendium. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 192 S., br., 12 ,- [Euro].

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