Der 84-jährige Nikolaj hat sich verliebt. In Valentina. Ein ukrainisches, blondes Busenwunder. Tochter Nadia ist entgeistert, denn ihr ist schnell klar, dass die Schönheit nur an einer Aufenthaltsgenehmigung interessiert ist. Nadia informiert ihre Schwester Vera, mit der sie seit Jahren zerstritten ist, und plötzlich sind die beiden einer Meinung: Vater muss gerettet werden. Doch der schreibt derweil an einer 'Geschichte des Traktors' und bleibt uneinsichtig und schwer verliebt.
Regisseur Oliver Sturm (Demian) gelingt es, mit den Stimmen von Corinna Harfouch, Traugott Buhre u. a. die Leichtigkeit und zugleich das Tragikomische einzufangen. Ein witziges und anrührendes Familienportrait mit versteckter Gesellschaftssatire.
Regisseur Oliver Sturm (Demian) gelingt es, mit den Stimmen von Corinna Harfouch, Traugott Buhre u. a. die Leichtigkeit und zugleich das Tragikomische einzufangen. Ein witziges und anrührendes Familienportrait mit versteckter Gesellschaftssatire.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2006Eine flauschige rosa Granate
Marina Lewyckas knalliger Roman „Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch”
Die Braut heißt Valentina. Sie ist die „den Fluten entsteigende Venus von Botticelli. Du weißt schon: goldenes Haar, wunderschöne Augen, phantastischer Busen. Wenn du sie siehst, verstehst du, was ich meine”. Valentina trägt gern ultrakurze Röcke und wurstpellenenge Pullover. Sie stammt aus der Ukraine und ist 36 Jahre alt.
Der Bräutigam heißt Nikolai. Er hat eine wulstige Narbe am Hals, weil er sich mal die Kehle aufgeschlitzt hat. Nikolai isst gern geschnitzelte Äpfel, die er in einer Mikrowelle Marke Toshiba brät („Toshiba-Äpfel”). Er ist stur und oberschlau, außerdem hat er „Probleme mit Nerven. Probleme mit Baden. Probleme mit Pipi”, wieValentina später sagt, aber da läuft schon die Scheidung. Nikolai stammt auch aus der Ukraine, lebt aber schon lange in England. Er liebt Traktoren. Er ist 84 Jahre alt.
Du lebendig Toter!
Valentina heiratet Nikolai, um in England zu bleiben und ihren Sohn auf eine Privatschule zu schicken. Nikolai heiratet Valentina, weil er sich zwischen ihren Botticelli-Brüsten wieder jung fühlt. Nikolais Töchter, Nadeschda und Vera, ahnen eine Katastrophe. Sie haben recht.
Die Ausgangslage von Marina Lewyckas Roman „Kurze Geschichte des Traktor auf Ukrainisch” klingt nach einer riskanten Laborsituation: raffiniert konstruiert, aber hochexplosiv. Doch aus der trash-affinen Grundsituation entwickelt Lewycka eine bewegende Familiengeschichte und einen witzigen Zickenkrieg, einen klugen Kommentar über die Grenzen der Integrationsbereitschaft und sogar einen Abriss der ukrainischen Geschichte. Letzterer verbirgt sich in jener Traktor-Chronik, die Nikolai allen Stürmenzum Trotz niederkritzelt. Seite um Seite füllt er mit liebevollen Betrachtungen über Halbkettenantriebe, Zwillingsräder und hydraulischeGelenkverbindungen, aber auch über die Millionen Toten der Kollektivierung,über Krieg und Terror und andere Tragödien der ukrainischen Geschichte, deren Traumata Nikolais Familie nach England eingeschleppt hat wie eine hartnäckige Tropenkrankheit. Und Valentina bringt das Fieber zum Ausbruch.
Denn natürlich entpuppt sie sich als genau jene ordinäre, sinnliche, raffgierige Ost-Schlampe, die alle gefürchtet haben. Sie fordert Geld für grüne Lycra-BHs und immer größere Autos, und wenn der tattrige Ehemann keines auftreiben kann, beschimpft sie ihn: „Du lebendig Toter. Du von Friedhof entflohen.” Angesichts dieser Gegnerin, die über ihre Familie hereingebrochen ist wie eine Naturgewalt, oder, wie es Nadeschda ausdrückt, „wie eine flauschige rosa Granate”, schließen sich die beiden Schwestern – seit Jahren bis aufs Blut verfeindet – widerstrebend zusammen. Valentina lässt keinen Stein aufdem anderen, nicht mal von jenen Mauern, hinter denen sich die beiden verschanzthaben.
Marina Lewycka ist, wie ihre Erzählerin Nadeschda, ein Kind ukrainischerEmigranten. Sie hat mit diesem Roman ihr Debüt vorgelegt und wurde in Großbritannien begeistert gefeiert. Und in der Tat balanciert sie die Handlung leichthändig zwischen Slapstick und Tragödie, und bringt die betonierten Gewissheiten sozialer Milieus und politischer Haltungen so beiläufig zum Einsturz, dass sich der Leser, wie bei der zersägten Jungfrau, fragt: Was war das wieder für ein Trick?
Nehmen wir Nadeschda, Nikolais jüngere Tochter, eine Soziologie-Professorin Ende 40, die sich in schwarzen Oxfam-Plunder kleidet. Nadeschda ist tolerant, feministisch, sie war sogar mal marxistisch. Dann kam Valentina. „Bislang stand ich allem, was mit Immigration zu tun hatte, liberal gegenüber”, schreibt Nadeschda: „Ich fand, jeder Mensch sollte sich selbst aussuchen können, wo er leben will. Doch jetzt stelle ich mir Horden von Valentinas vor, die in Ramsgate, Felixstowe, Dover und Newhaven an Land gehen, die Zoll- und Passkontrollen überrennen, zielstrebig, unaufhaltsam, wahnsinnig.” Dass Nadeschdas Vater der flauschigen rosa Granate verfällt und Nadeschdas Mann dafür sogar Verständnis aufbringt, ist angesichts jahrzehntelanger feministischer Erziehungsbemühungen in der eigenen Familieniederschmetternd; dass Valentina sie als „Flachbrust-Luder” schmäht, unverzeihlich. Weibliche Solidarität? Wurde immer schon überschätzt.
Fahrlässige Illusionen
Das Schöne aber ist, dass niemand in diesem Buch eine ganz weiße Weste hat – und niemand eine ganz schwarze. Die Killer-Granate, die den liebeskranken Traktor-Freund aussaugt, bis er nur noch Haut und Knochen ist, folgt demselben Überlebensinstinkt, der einst Nikolai antrieb. Und Nadeschda erkauft sich ihr Gutmenschentum durch eine Naivität, die ihre Schwester Vera zur Raserei bringt. Vera, die elegante, aber brettharte Schwester, hat als Kind ein Nazi-Lager überlebt. Seitdem betrachtet sie jede Illusion über die Abgründe der menschlichen Natur als sentimentale Fahrlässigkeit. „Wieso weißt du eigentlich immer solche Sachen, Vera?”, fragt Nadeschda. „Wieso weißt du sie nicht, Nadia?”
Und so ist dieses sympathische, hochunterhaltsame Buch ein sanftes Plädoyer für größere Nachsicht mit familiär bedingten Kriegsschäden und vererbte Verhaltensauffälligkeiten. Sehr frei nach Tolstoi könnte man sagen: Alle unglücklichen Familien haben ihren eigenen Dachschaden. Alle glücklichen Familien haben gelernt, ihn nicht zu ernst zu nehmen.
SONJA ZEKRI
MARINA LEWYCKA: Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch. Deutsch von Elfi Hartenstein. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 360 Seiten, 14 Euro.
Ukrainischer Zickenkrieg zwischen ordinärer Ost-Schlampe und etabliertem Flachbrust-Luder
Foto: plainpicture
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Marina Lewyckas knalliger Roman „Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch”
Die Braut heißt Valentina. Sie ist die „den Fluten entsteigende Venus von Botticelli. Du weißt schon: goldenes Haar, wunderschöne Augen, phantastischer Busen. Wenn du sie siehst, verstehst du, was ich meine”. Valentina trägt gern ultrakurze Röcke und wurstpellenenge Pullover. Sie stammt aus der Ukraine und ist 36 Jahre alt.
Der Bräutigam heißt Nikolai. Er hat eine wulstige Narbe am Hals, weil er sich mal die Kehle aufgeschlitzt hat. Nikolai isst gern geschnitzelte Äpfel, die er in einer Mikrowelle Marke Toshiba brät („Toshiba-Äpfel”). Er ist stur und oberschlau, außerdem hat er „Probleme mit Nerven. Probleme mit Baden. Probleme mit Pipi”, wieValentina später sagt, aber da läuft schon die Scheidung. Nikolai stammt auch aus der Ukraine, lebt aber schon lange in England. Er liebt Traktoren. Er ist 84 Jahre alt.
Du lebendig Toter!
Valentina heiratet Nikolai, um in England zu bleiben und ihren Sohn auf eine Privatschule zu schicken. Nikolai heiratet Valentina, weil er sich zwischen ihren Botticelli-Brüsten wieder jung fühlt. Nikolais Töchter, Nadeschda und Vera, ahnen eine Katastrophe. Sie haben recht.
Die Ausgangslage von Marina Lewyckas Roman „Kurze Geschichte des Traktor auf Ukrainisch” klingt nach einer riskanten Laborsituation: raffiniert konstruiert, aber hochexplosiv. Doch aus der trash-affinen Grundsituation entwickelt Lewycka eine bewegende Familiengeschichte und einen witzigen Zickenkrieg, einen klugen Kommentar über die Grenzen der Integrationsbereitschaft und sogar einen Abriss der ukrainischen Geschichte. Letzterer verbirgt sich in jener Traktor-Chronik, die Nikolai allen Stürmenzum Trotz niederkritzelt. Seite um Seite füllt er mit liebevollen Betrachtungen über Halbkettenantriebe, Zwillingsräder und hydraulischeGelenkverbindungen, aber auch über die Millionen Toten der Kollektivierung,über Krieg und Terror und andere Tragödien der ukrainischen Geschichte, deren Traumata Nikolais Familie nach England eingeschleppt hat wie eine hartnäckige Tropenkrankheit. Und Valentina bringt das Fieber zum Ausbruch.
Denn natürlich entpuppt sie sich als genau jene ordinäre, sinnliche, raffgierige Ost-Schlampe, die alle gefürchtet haben. Sie fordert Geld für grüne Lycra-BHs und immer größere Autos, und wenn der tattrige Ehemann keines auftreiben kann, beschimpft sie ihn: „Du lebendig Toter. Du von Friedhof entflohen.” Angesichts dieser Gegnerin, die über ihre Familie hereingebrochen ist wie eine Naturgewalt, oder, wie es Nadeschda ausdrückt, „wie eine flauschige rosa Granate”, schließen sich die beiden Schwestern – seit Jahren bis aufs Blut verfeindet – widerstrebend zusammen. Valentina lässt keinen Stein aufdem anderen, nicht mal von jenen Mauern, hinter denen sich die beiden verschanzthaben.
Marina Lewycka ist, wie ihre Erzählerin Nadeschda, ein Kind ukrainischerEmigranten. Sie hat mit diesem Roman ihr Debüt vorgelegt und wurde in Großbritannien begeistert gefeiert. Und in der Tat balanciert sie die Handlung leichthändig zwischen Slapstick und Tragödie, und bringt die betonierten Gewissheiten sozialer Milieus und politischer Haltungen so beiläufig zum Einsturz, dass sich der Leser, wie bei der zersägten Jungfrau, fragt: Was war das wieder für ein Trick?
Nehmen wir Nadeschda, Nikolais jüngere Tochter, eine Soziologie-Professorin Ende 40, die sich in schwarzen Oxfam-Plunder kleidet. Nadeschda ist tolerant, feministisch, sie war sogar mal marxistisch. Dann kam Valentina. „Bislang stand ich allem, was mit Immigration zu tun hatte, liberal gegenüber”, schreibt Nadeschda: „Ich fand, jeder Mensch sollte sich selbst aussuchen können, wo er leben will. Doch jetzt stelle ich mir Horden von Valentinas vor, die in Ramsgate, Felixstowe, Dover und Newhaven an Land gehen, die Zoll- und Passkontrollen überrennen, zielstrebig, unaufhaltsam, wahnsinnig.” Dass Nadeschdas Vater der flauschigen rosa Granate verfällt und Nadeschdas Mann dafür sogar Verständnis aufbringt, ist angesichts jahrzehntelanger feministischer Erziehungsbemühungen in der eigenen Familieniederschmetternd; dass Valentina sie als „Flachbrust-Luder” schmäht, unverzeihlich. Weibliche Solidarität? Wurde immer schon überschätzt.
Fahrlässige Illusionen
Das Schöne aber ist, dass niemand in diesem Buch eine ganz weiße Weste hat – und niemand eine ganz schwarze. Die Killer-Granate, die den liebeskranken Traktor-Freund aussaugt, bis er nur noch Haut und Knochen ist, folgt demselben Überlebensinstinkt, der einst Nikolai antrieb. Und Nadeschda erkauft sich ihr Gutmenschentum durch eine Naivität, die ihre Schwester Vera zur Raserei bringt. Vera, die elegante, aber brettharte Schwester, hat als Kind ein Nazi-Lager überlebt. Seitdem betrachtet sie jede Illusion über die Abgründe der menschlichen Natur als sentimentale Fahrlässigkeit. „Wieso weißt du eigentlich immer solche Sachen, Vera?”, fragt Nadeschda. „Wieso weißt du sie nicht, Nadia?”
Und so ist dieses sympathische, hochunterhaltsame Buch ein sanftes Plädoyer für größere Nachsicht mit familiär bedingten Kriegsschäden und vererbte Verhaltensauffälligkeiten. Sehr frei nach Tolstoi könnte man sagen: Alle unglücklichen Familien haben ihren eigenen Dachschaden. Alle glücklichen Familien haben gelernt, ihn nicht zu ernst zu nehmen.
SONJA ZEKRI
MARINA LEWYCKA: Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch. Deutsch von Elfi Hartenstein. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 360 Seiten, 14 Euro.
Ukrainischer Zickenkrieg zwischen ordinärer Ost-Schlampe und etabliertem Flachbrust-Luder
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