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Rätselhafte Dinge geschehen im Gefängnis Isenbüttel. Während einer Theateraufführung verlassen Häftlinge ungehindert das Gelände. Und kurz darauf feiert ein idyllisches Städtchen talentierte Schauspieler - die gar keine sind. Mit dem Hereinbrechen der Kunst und angetrieben von Gefühl, Leidenschaft und Phantasie entdeckt ein ganzes Gemeinwesen seine Möglichkeiten zu Größerem.
Und niemand scheint Verdacht zu schöpfen. Oder sind alle - der Intendant der Landesbühne, der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister und die Bürger von Grünau - Teil einer grandiosen Inszenierung? Die Ausreißer selbst
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Produktbeschreibung
Rätselhafte Dinge geschehen im Gefängnis Isenbüttel. Während einer Theateraufführung verlassen Häftlinge ungehindert das Gelände. Und kurz darauf feiert ein idyllisches Städtchen talentierte Schauspieler - die gar keine sind. Mit dem Hereinbrechen der Kunst und angetrieben von Gefühl, Leidenschaft und Phantasie entdeckt ein ganzes Gemeinwesen seine Möglichkeiten zu Größerem.

Und niemand scheint Verdacht zu schöpfen. Oder sind alle - der Intendant der Landesbühne, der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister und die Bürger von Grünau - Teil einer grandiosen Inszenierung? Die Ausreißer selbst scheinen keine Ahnung zu haben. Werden Sie zurückkehren in ihre Zellen?

Turbulent geht es zu auf der Bühne des Lebens. Geradezu labyrinthisch ineinander verschlungen sind die Geschichten, die das Leben schreibt, und die der Phantasie im Roman von Siegfried Lenz, denen man so lustvoll folgt.
Autorenporträt
Siegfried Lenz, geboren 1926 in Lyck (Ostpreußen), begann nach dem Krieg in Hamburg das Studium der Literaturgeschichte, Anglistik und Philosophie. Danach wurde er Redakteur. Er zählt er zu den profiliertesten deutschen Autoren. Seit 1951 lebte Siegfried Lenz als freier Schriftsteller in Hamburg. 1988 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2004 wurde ihm der Hannelore-Greve-Preis der Hamburger Autorenvereinigung verliehen, 2009 erhielt er den Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte und 2010 wurde Siegfried Lenz mit dem Nonino International Prize ausgezeichnet. 2011 schließlich verlieh man ihm die Ehrenbürgerwürde seiner polnischen Geburtsstadt. Siegried Lenz verstarb 2014.

Burghart Klaußner, geboren 1949 in Berlin, absolvierte seine Schauspielausbildung am Max-Reinhardt- Seminar in Berlin. Es folgten Engagements an verschiedenen Bühnen. Er war in zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen zu sehen, so u. a. Good Bye, Lenin!, Die fetten Jahre sind vorbei und Requiem. 2005 wurde er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. 2006 erhielt er den Goldenen Leoparden in Locarno als bester männlicher Darsteller in Der Mann von der Botschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2010

Ende einer Sonderfahrt
Schrullige Komik: "Landesbühne" von Siegfried Lenz

Gefängnisse gehören zu den geläufigen Handlungsorten in den Werken von Siegfried Lenz. Sein berühmtester Roman "Deutschstunde" spielt in einer "Besserungsanstalt" für kriminelle Jugendliche, wo der Bilderdieb Siggi Jepsen zur Strafarbeit eingeschlossen wird; einen Aufsatz über die "Freuden der Pflicht" soll er verfassen. "Deutschstunde" gehört in eine noch zu schreibende Literaturgeschichte des Gefängnisses, die viele große Romane jener Epoche zu behandeln hätte: "Lolita", "Stiller", "Blechtrommel" - allesamt fiktive Beichten hinter Gittern. Vermutlich riefen die tektonischen Verschiebungen der gesellschaftlichen Moral damals nach solchen Szenarien.

Mit Heiterkeit erinnert sich der Lenz-Leser auch an "Lehmanns Erzählungen", einen launigen Bericht von der Herrlichkeit des Schwarzmarkts, an dessen Ende Lehmann in einem schäbigen Untersuchungsgefängnis landet. Auch hier herrschen eher belletristische Haftbedingungen. Dank vorzüglicher Verbindungen kann der Schwarzhändler die Anstalt verschönern und aufwerten, so dass der glückliche Direktor seinem Mäzen eine besondere Auszeichnung anbietet: "Ehreninsasse auf Lebenszeit".

Solche leicht schrullige Komik kehrt nun in "Landesbühne" wieder. Es beginnt im "festen Haus" von Isenbüttel. Als Ich-Erzähler figuriert ein zu vier Jahren verurteilter Germanistikprofessor, bei dem es für hübsche, aber lernschwache Studentinnen prima Examen gegen Liebe gab. Er teilt sich die Zelle mit dem schläfrigen, aber philosophisch veranlagten Strafzettelbetrüger Hannes, der mit einer unberechtigt geschwenkten Polizeikelle eingeschüchterte Verkehrsteilnehmer abkassierte. Auch ein Heiratsschwindler und ein bestechlicher Schiedsrichter gehören zum Kreis der Insassen.

Kultur wird im Isenbütteler Gefängnis, geleitet vom noblen Direktor Tauber, großgeschrieben: Die "Landesbühne" hat sich angekündigt. Sie führt eine Komödie über zwei liebenswürdige alte Schachteln auf, die ein Karton-Labyrinth besitzen, in dem sie unliebsame Zeitgenossen zum Verschwinden bringen können. Verschwunden sind bald auch Hannes und seine Freunde: Die Pause der Vorstellung nutzen sie, um im Tourbus der Theatertruppe die Biege zu machen. Anstatt aber möglichst schnell Land zu gewinnen, bleiben die Ausreißer schon im Nachbarkaff Grünau hängen, wo gerade das traditionelle Nelkenfest gefeiert wird. Die "Spaßmacher von der Landesbühne" sind da hochwillkommen - passend zur Häftlingskluft bilden die Herren spontan einen Gefängnischor und machen Eindruck mit Volksliedern wie "Ein Jäger aus Kurpfalz" und "Wem Gott will rechte Gunst erweisen".

Die Verwechslungskomödie nimmt ihren Lauf. "Wir können es nicht hoch genug schätzen, dass sich die Kultur hierher verirrt hat", meint der Bürgermeister euphorisch. Die Grünauer Weiblichkeit nimmt sich der Gäste an, für den Professor erklärt sich die füllig-gutmütige Hedwig zuständig, und angesichts des herzlichen Empfangs denken die Ersten schon daran, sich in Grünau eine Zukunft zu schaffen. Hannes plant ein Heimatmuseum ("Kommt her und lasst euch zeigen! So habt ihr gelebt!"); den Professor hat er ins Auge gefasst für eine in Grünau erst zu gründende Volkshochschule.

Dem Einwand, dass zu viel Aufmerksamkeit für die Ausbrecher ein Risiko darstelle, begegnet Hannes gewitzt: "Das sicherste Versteck ist die Öffentlichkeit." Das klingt so, als würde eine in anderen Zusammenhängen durchaus plausible Feststellung in einen Kontext verschoben, der ihr nicht ganz angemessen ist - ein Trick, den Lenz in dieser Erzählung immer wieder anwendet, wenn er sentenzenhafte Lebensweisheiten auf merkwürdig verrutschte Weise ins Spiel bringt. Es wäre übertrieben, wenn man der Erzählung kafkaesken Traumcharakter attestieren würde. Aber etwas von romantischer Halbschlaflogik hat sie zweifellos. Wieso sitzt unter den elf Zuhörern des Professors seine ehedem schlechteste Studentin Isolde Bromfeld - Isolde mit den "müden Augen und dem immer offenen Mund" - und lauscht seinem Vortrag über den Sturm und Drang, den er im Rahmen der "Grünauer Kulturwoche" hält? Wird sie nun, als Redakteurin des "Grünauer Tageblatts", Rache nehmen fürs gescheiterte Examen? Und wieso kommt nach dem Vortrag ausgerechnet Gefängnisdirektor Tauber auf den Redner zu und dankt ihm schmunzelnd und mit "kräftigem Handschlag" für die "augenöffnende Darstellung"?

Als unter der Schlagzeile "Große Tage in Grünau" das Lokalblatt die Landesbühne samt Porträtfotos der Mitglieder ganzseitig feiert, wird den Ausbrechern mulmig zumute: "Es wird heiß, man kennt unsere Gesichter, man hat erfahren, dass eine ganze Busladung Isenbüttel verlassen hat, man ist uns bestimmt schon auf den Fersen." Schon? Jedenfalls schlägt Hannes vor, den Bus umzutaufen und als "Sonderfahrt" die Flucht fortzusetzen. Kurzum: Diese Ausbrechergeschichte bietet mehr Skurrilität als Suspense. Wer bei Lenz gerade die kleineren, schelmisch-humoristischen Stücke mag, wo der bodenständige Realismus luftig wird und sich ins Märchenhafte wendet, der wird an der "Landesbühne" seine Freude haben. Am Ende schlägt das Biedermeierliche um ins Existentialistische. Hannes und seine Freunde werden ins Gefängnis zurückverfrachtet. Die Stimmung verdüstert sich, der Heiratsschwindler wird erhängt in seiner Zelle aufgefunden, und als die Landesbühne ein weiteres Mal hinter Gittern aufspielt, steht Becketts "Godot" auf dem Programm, von Direktor Tauber allerdings angekündigt als Stück, in dem es "um Herzenswärme in den Niederungen des Lebens" geht.

Die Novelle ist in beschwingt-feierlichem, gewollt glattgescheiteltem Ton erzählt. "Der Vertreter des Bürgermeisters nickte heftig und scheute sich nicht, einen abgestandenen Zwischenruf zu riskieren: ,Phantasie an die Macht!', rief er, ,auch in Grünau muss Phantasie an die Macht.'" Die Parole der Achtundsechziger-Revolte mit ihrem Sponti-Beigeschmack im Mund des Bürgermeister-Stellvertreters - auch das gehört zu den skurrilen Echos, an denen "Landesbühne" so reich ist wie an kleinen Reprisen früherer Werke: Zu Lenz-Motiven wie "Gefängnis" und "Heimatmuseum" kommt das melancholische Bild des Seemanns auf großer Fahrt (Hedwigs Gatte, der nur als Foto präsent ist) und die Passion der Fußballbeschreibung, der Lenz vor vier Jahrzehnten in "Die Mannschaft" frönte.

Was setzt der Autor ins Gleichnis? Das heikle Verhältnis von Literatur und Leben? Die Rettung aus dem Daseins-Gefängnis in die Kunst? Die Zirkelhaftigkeit aller menschlichen Bemühungen? Oder die Neigung, sich falsche Bilder von den anderen zu machen? Von alldem ist etwas in der Novelle, ohne dass sich eine Interpretationsschablone über den Text legen ließe. Als Sinnbild steht am Ende der Kunstbaum aus der Godot-Aufführung in der Gefängniszelle. Mit getrockneten Blättern erwecken Hannes und der Professor das dürre Geäst zum Leben - "ein botanisches Wunder".

Es gibt Romane, die zur Vorlage von Computerspielen wurden. Nach Maßgabe dieses wunderlich-wundersamen Spätwerks ließe sich eher ein solides Brettspiel anfertigen. Hier die Haftanstalt, dort das Nelkenstädtchen Grünau mit Volkshochschule, Heimatmuseum und holzgeschnitzten Damenfiguren. Und dazwischen der Bus der Landesbühne. Wer falsch würfelt, muss zurück nach Isenbüttel.

WOLFGANG SCHNEIDER

Siegfried Lenz: "Landesbühne". Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009. 120 S., geb., 17,- [Euro].

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