»Der Motor meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit."
Alice Schwarzer 1968
Die Autorin Alice Schwarzer hat zahlreiche Porträts und Biografien geschrieben, u.a. über Gräfin Dönhoff und Romy Schneider. Ein autobiografisches Buch über ihren eigenen Lebensweg jedoch gab es bisher nicht. Nun ist es soweit. In großer Offenheit schreibt sie über das, was sie geprägt hat - und was sie daraus gemacht hat.
Über die politisierte Großmutter und den fürsorglichen Großvater, über ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter. Über ihre Kindheit auf dem Dorf und die Jugend in Wuppertal. Über beste Freundinnen und den ersten Kuss. Über Ausgrenzung und Gewalt. Über Freundschaft und Liebe.
Über Swinging Schwabing in den 60ern und die 68er-Jahre als Reporterin bei pardon. Über ihr Leben als Korrespondentin und den euphorischen Aufbruch der Pariser Frauenbewegung. Über ihre frühen feministischen Aktionen gegen den § 218 und den Skandal vom »Kleinen Unterschied« - bis hin zur EMMA-Gründung.
Es gibt wohl kaum eine Person des öffentlichen Lebens in Deutschland, die über Jahrzehnte in einem solchen Übermaß Bewunderung und Aggressionen erfahren hat und erfährt wie Alice Schwarzer. Sie ist die Stimme in Deutschland für die Rechte der Frauen. Zugleich ist sie einer der herausragendsten Journalisten und Essayisten des Landes, Autorin zahlreicher Bestseller und Blattmacherin. Ihre Leidenschaft, ihre Konfliktfähigkeit und ihr kämpferischer Elan sind Legende.
In dieser Autobiografie erfahren wir, was die Wurzeln und Prägungen von Alice Schwarzer sind und wie sich daraus die Motive ihres Lebens entwickelt haben.
Alice Schwarzer 1968
Die Autorin Alice Schwarzer hat zahlreiche Porträts und Biografien geschrieben, u.a. über Gräfin Dönhoff und Romy Schneider. Ein autobiografisches Buch über ihren eigenen Lebensweg jedoch gab es bisher nicht. Nun ist es soweit. In großer Offenheit schreibt sie über das, was sie geprägt hat - und was sie daraus gemacht hat.
Über die politisierte Großmutter und den fürsorglichen Großvater, über ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter. Über ihre Kindheit auf dem Dorf und die Jugend in Wuppertal. Über beste Freundinnen und den ersten Kuss. Über Ausgrenzung und Gewalt. Über Freundschaft und Liebe.
Über Swinging Schwabing in den 60ern und die 68er-Jahre als Reporterin bei pardon. Über ihr Leben als Korrespondentin und den euphorischen Aufbruch der Pariser Frauenbewegung. Über ihre frühen feministischen Aktionen gegen den § 218 und den Skandal vom »Kleinen Unterschied« - bis hin zur EMMA-Gründung.
Es gibt wohl kaum eine Person des öffentlichen Lebens in Deutschland, die über Jahrzehnte in einem solchen Übermaß Bewunderung und Aggressionen erfahren hat und erfährt wie Alice Schwarzer. Sie ist die Stimme in Deutschland für die Rechte der Frauen. Zugleich ist sie einer der herausragendsten Journalisten und Essayisten des Landes, Autorin zahlreicher Bestseller und Blattmacherin. Ihre Leidenschaft, ihre Konfliktfähigkeit und ihr kämpferischer Elan sind Legende.
In dieser Autobiografie erfahren wir, was die Wurzeln und Prägungen von Alice Schwarzer sind und wie sich daraus die Motive ihres Lebens entwickelt haben.
CD 1 | |||
1 | Lebenslauf | 00:04:21 | |
2 | Lebenslauf | 00:08:17 | |
3 | Lebenslauf | 00:06:54 | |
4 | Lebenslauf | 00:08:53 | |
5 | Lebenslauf | 00:06:39 | |
6 | Lebenslauf | 00:07:16 | |
7 | Lebenslauf | 00:11:12 | |
8 | Lebenslauf | 00:08:40 | |
9 | Lebenslauf | 00:07:10 | |
10 | Lebenslauf | 00:08:05 | |
11 | Lebenslauf | 00:01:08 | |
CD 2 | |||
1 | Lebenslauf | 00:06:27 | |
2 | Lebenslauf | 00:07:02 | |
3 | Lebenslauf | 00:03:54 | |
4 | Lebenslauf | 00:05:12 | |
5 | Lebenslauf | 00:06:39 | |
6 | Lebenslauf | 00:05:20 | |
7 | Lebenslauf | 00:07:05 | |
8 | Lebenslauf | 00:03:03 | |
9 | Lebenslauf | 00:06:23 | |
10 | Lebenslauf | 00:07:22 | |
11 | Lebenslauf | 00:05:56 | |
12 | Lebenslauf | 00:08:18 | |
13 | Lebenslauf | 00:04:06 | |
14 | Lebenslauf | 00:01:54 | |
CD 3 | |||
1 | Lebenslauf | 00:07:16 | |
2 | Lebenslauf | 00:04:05 | |
3 | Lebenslauf | 00:06:05 | |
4 | Lebenslauf | 00:06:49 | |
5 | Lebenslauf | 00:04:48 | |
6 | Lebenslauf | 00:03:41 | |
7 | Lebenslauf | 00:06:41 | |
8 | Lebenslauf | 00:08:23 | |
9 | Lebenslauf | 00:04:55 | |
10 | Lebenslauf | 00:04:34 | |
11 | Lebenslauf | 00:04:32 | |
12 | Lebenslauf | 00:02:33 | |
13 | Lebenslauf | 00:08:39 | |
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CD 4 | |||
1 | Lebenslauf | 00:06:53 | |
2 | Lebenslauf | 00:03:16 | |
3 | Lebenslauf | 00:09:03 | |
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7 | Lebenslauf | 00:03:45 | |
8 | Lebenslauf | 00:03:14 | |
9 | Lebenslauf | 00:09:58 | |
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CD 5 | |||
1 | Lebenslauf | 00:10:48 | |
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1 | Lebenslauf | 00:07:21 | |
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10 | Lebenslauf | 00:04:27 | |
11 | Lebenslauf | 00:09:21 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2011Alice Schwarzer lacht es weg
Feministische Ikone, bewundert und geschmäht: Die "Emma"-Verlegerin, die auch die Frauen polarisiert, schreibt ihren "Lebenslauf".
Fünfzehn glänzende Kapitel: ein getupftes Bild der Bundesrepublik und vom Paris der fünfziger bis siebziger Jahre. Eine Geschichte der beginnenden französischen und der westdeutschen, dann deutsch-deutschen Frauenbewegung. Eine berufs- und geschlechtersoziologische Studie. Das alles macht den biographischen Rückblick von Alice Schwarzer so unbedingt lesenswert, der jetzt unter dem Titel "Lebenslauf" bei Kiepenheuer & Witsch erscheint.
Geboren 1942 in Wuppertal, wächst Schwarzer, Kind einer ledigen Mutter, in einem Mehrgenerationenviereck auf. Soziale Eltern, genannt "Papa" und "Mama", sind die Großeltern. Er zärtlich, fürsorglich und voller Geschichten, sie exzentrisch, freiheitsliebend, zuweilen anstrengend - aber auch unerschrocken und von hinreißendem Gerechtigkeitssinn. Beide politische, lebhafte Geister, die sich in der Nazi-Zeit nicht anpassen. Man hört Feindsender. "Spießig" ist ein Schimpfwort.
Nachkriegsdeutschland in der Nussschale: Eine Welt der Frauenbündnisse und des frühen, unbedingten Zusammenhaltens. Vertrauen, Witz und Widerspruchsgeist zählen. Der Großvater ist der ruhende Pol. Er backt sonntags Kuchen, mit der Großmutter teilt die kleine Alice eine Leidenschaft für Mickymaus-Hefte, die in feierlichem Ritual gemeinsam gelesen werden. Die "Mama" hasst das Land, die einrückenden Amerikaner sind Befreiung, auch wenn Wuppertal nicht gleich wieder zum Wohnort werden kann. Ein GI, der die gutaussehende Mutter betrunken bedrängen will, wird standrechtlich erschossen. An die Stelle der "Kinderbande" auf dem Land treten nach der Rückkehr in die Stadt verschiedene Schulen. Das Kind, das stets viel durfte, provoziert durch Leistung wie durch Faulheit; der Wechsel auf die bessere Schule scheitert am Geld, letztlich bleibt die Handelsschule, auf die eine kaufmännische Ausbildung folgt. Über Jahre unverbrüchliche Mädchenfreundschaft mit Barbara, der anderen Rebellin in der Klasse. "Liebe Alice! Liebe Barbara!" - unter diesem Titel wurde der Briefwechsel der beiden bereits 2005 publiziert.
Zwei biographische Spannungen prägen diese teils vor Kräften strotzenden, teils unsicher mäandernden Jahre. Die eine ist die unterschwellige Unvereinbarkeit von unverbrüchlichen Mädchenbündnissen und der "großen Liebe" als nicht nur beiläufiger, sondern endgültiger Paarbeziehung: Wie selbstverständlich bleiben die besten Freundinnen zugunsten eines Mannes am Ende zurück. Alice Schwarzer geht nicht nur nach Paris, sondern wird mit Unterbrechungen und Pendelphasen für ein Jahrzehnt dort bleiben. Den Beginn ihrer Karriere als freie politische Journalistin und den Aufbruch der Frauenbewegung erlebt sie bis 1974 als französische Deutsche.
Die zweite Spannung ist beruflicher und indirekt auch geographischer Art. Nach frustrierenden Erfahrungen in typischen Frauenberufen meldet sich der Berufswunsch Journalistin laut und klar - aber es gilt, sich durchzuschlagen. Der Weg zum Studium führt über Abend- und Ergänzungskurse, die zur Notwendigkeit, mit den Mühen freier journalistischer Arbeit Geld zu verdienen, schlecht passen. Dazu kommt die komplexe Beziehungsgeographie mit Freund in Paris, ersten Stellen in Düsseldorf, Hamburg sowie - bereits mitten in der politischen Radikalisierung 1970 - bei "Pardon" in Frankfurt.
Ihr Taschenkalender unterscheidet die Stichworte "Linke" und "Frauen".
Letztlich sind es die Liebe, die politische Aufbruchsstimmung, vor allem aber der mit Leidenschaft bejahte Beruf der freien politischen Journalistin, die für Paris und den Schritt in die Selbständigkeit den Ausschlag geben. Die lakonischen Abschnitte der Kapitel, die zeigen, wie Alice Schwarzer sich mit großem Ernst und im Grunde in einsamer Faszination dem Medium Text verschreibt - Berichterstattung, Kommentar, Polemik, und damit der Rolle der gleichermaßen engagierten wie distanzierten Zeitzeugin und Aktivistin -, gehören zu den großartigsten des Buches.
Von 1970 an überstürzen sich die Ereignisse, die junge deutsche Journalistin, spezialisiert auf Arbeitskämpfe, aber auch lange Interviews, wirft sich in den Strudel der Pariser Frauenbewegung, und alles wird Zeitzeugenschaft: Zorn, Jubel und sprachliche Mittel entstehen, das französische Mouvement de Libération des Femmes, kurz MLF, ist von einem hinreißenden Kollektivismus. 1970 unterscheidet Schwarzers Taschenkalender zwei separate Stichworte: "Linke" und "Frauen". Letztere sind Intellektuelle, aus denen Professorinnen werden, aber auch Intellektuelle, die Stripteasetänzerinnen, Schauspielerinnen oder Aktivistinnen sind: Anne Zelensky, Christine Delphy, Margaret Stephenson, Monique Wittig, Delphine Seyrig, Annie Cohen. Dazu natürlich auch - Symbol und Freundin - Simone de Beauvoir, deren Strahlkraft Schwarzer schildert, ohne dass dem Licht der anderen etwas fehlt.
1971 bringt der "Stern", auf Schwarzers Initiative und nach französischem Vorbild, die Kampagne "Ich habe abgetrieben". Für die deutsche Leserin ergeben die Jahre, die sich anschließen, eine atemberaubende Lektüre. Alice Schwarzer wird zur in jeder Hinsicht polarisierenden Figur: als öffentlich agierende Journalistin, die in schneller Folge frauenpolitische Bestseller schreibt, eine Ärztekampagne "Wir haben abgetrieben" nachschiebt, als feministische Ikone mit Esther Vilar den geschlechterpolitischen Streit unter Frauen im Fernsehen salonfähig macht, schließlich als Gründerin der "Emma", nachdem ein bereits ausgesprochenes Stellenangebot beim "Spiegel" am Widerstand der Redakteure scheitert. Vor allem aber als Aktivistin, für die - aus Frankreich kommend - eine intensive, aber auch schwere Beziehung zur und mit der deutschen Frauenbewegung beginnt.
Sie weiß, dass im eigenen Ingrimm auch Kummer und Bitterkeit sind.
Alice Schwarzer zieht nach Berlin, trifft dort auf eine neue Liebe, eine Frau. Weiß man, wie sehr - neben anderem - das Problem des von der Bewegung eingeforderten, von Schwarzer aber stets durch Schweigen quittierten öffentlichen Bekenntnisses zur lesbischen Beziehung in den achtziger und neunziger Jahren die Szene prägte, kann die Leserin die diskrete Leichtigkeit nur bewundern, mit welcher der Lebenslauf auch dieses Thema offenlegt, anders als Beauvoir jetzt, zum selbstgewählten Zeitpunkt, erzählt und dennoch klarstellt: "Wir sind ein offenes Paar, aber kein öffentliches." Schweigen ist kein Gold, aber auch Reden ist nur Silber. Zwischen den Stühlen also abermals.
Der Kampf mit einer Doppelfront von Klischees wird zum Bauprinzip des letzten Drittels des Buches. Die Erzählerin weiß um ihr eigenes Perspektivenproblem, sie unterbricht sich verschiedentlich selbst. Die Pranke des massenmedialen Drucks ist riesig, der Lärm der antifeministischen Schmähungen ist ebenso unentrinnbar wie der moralisierte Unterton, mit welchem sich die deutsche Frauenbewegung selbst zerlegt. Wie hält eine das aus? Und wie bekommt sie - die stets kräftig zurückkeilt - ihre eigene Rolle in den Blick?
Im Zweifel ist es, neben der Fähigkeit zu lebenslangen Freundschaften, wieder der Beruf, das Riesenprojekt "Emma", an dem sie Energie findet. Stets ist Schwarzer Projektionsfläche, aber sie leistet sich auch die Freiheit, selbst Prisma zu sein: Sie kommuniziert Positionen. Sie setzt Themen. Sie will dezidiert Journalistin und weder akademische Diskutantin sein noch sich linker Kadermoral beugen. Die deutschen Versionen des Kollektiven sind ihr verdächtig - was sie als Argument vorträgt, trifft ihr zu oft auf den Vorwurf der Besserwisserei. Das schafft Brechungen, wobei ihr klar ist, dass im eigenen Ingrimm auch Kummer und Bitterkeit stecken. Die Staatssicherheit der DDR wie auch der französische Geheimdienst haben versucht, sie anzuwerben - das kann sie weglachen, wie Männerinteressen überhaupt.
Mit personalisiertem Hass, wie Frauenveranstaltungen ihn freisetzen können, ist das anders. In grelles Licht getaucht, erfährt eine, die dasteht wie sie, keine Schonung. Und sieht prompt keine authentische Alternative dazu, beim Entscheiden vielfach auf sich gestellt zu sein. Ihre Lieblingswaffe, Humor, ist zwar ein glänzendes öffentliches Werkzeug, aber für Streitformate der deutschen Frauenbewegung nur begrenzt geeignet.
Auf der Erzählebene endet der Lebenslauf in den siebziger Jahren. Die Reflexion reicht darüber hinaus. Zu den Erfolgen der frühen Kämpfe kommen die politischen Niederlagen und das Zerfallen der Bewegung. Vor allem Letzteres - Schwarzer behauptet nicht, es zu verstehen. Viel Stoff bleibt zum Nachdenken liegen. Eines aber weiß jede und weiß jeder, legt sie oder legt er das Buch nach Lektüre des Anhangs beiseite: Die "frustrierte Emanze" hat es nie gegeben. Sie ist eine lachhafte und die vermutlich erbärmlichste Erfindung der Welt.
Dieses Buch hält fest: Die Frauenbewegung war ein Fanal der Freiheit. Sie wurde von denjenigen auf den Weg gebracht und getragen, welche den unwiderstehlichen Geschmack des Freiseins (nicht zuletzt dank ihrer Mütter) bereits gekostet hatten. Welche ihn auf der Zunge haben, auf den Lippen tragen. Welche lieben, zu Aufbrüchen, zur Arbeit und zu dröhnendem Lachen sich hinreißen lassen. Und denen das Unglück der anderen immer wieder ein wortloser Auftrag ist.
PETRA GEHRING
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Feministische Ikone, bewundert und geschmäht: Die "Emma"-Verlegerin, die auch die Frauen polarisiert, schreibt ihren "Lebenslauf".
Fünfzehn glänzende Kapitel: ein getupftes Bild der Bundesrepublik und vom Paris der fünfziger bis siebziger Jahre. Eine Geschichte der beginnenden französischen und der westdeutschen, dann deutsch-deutschen Frauenbewegung. Eine berufs- und geschlechtersoziologische Studie. Das alles macht den biographischen Rückblick von Alice Schwarzer so unbedingt lesenswert, der jetzt unter dem Titel "Lebenslauf" bei Kiepenheuer & Witsch erscheint.
Geboren 1942 in Wuppertal, wächst Schwarzer, Kind einer ledigen Mutter, in einem Mehrgenerationenviereck auf. Soziale Eltern, genannt "Papa" und "Mama", sind die Großeltern. Er zärtlich, fürsorglich und voller Geschichten, sie exzentrisch, freiheitsliebend, zuweilen anstrengend - aber auch unerschrocken und von hinreißendem Gerechtigkeitssinn. Beide politische, lebhafte Geister, die sich in der Nazi-Zeit nicht anpassen. Man hört Feindsender. "Spießig" ist ein Schimpfwort.
Nachkriegsdeutschland in der Nussschale: Eine Welt der Frauenbündnisse und des frühen, unbedingten Zusammenhaltens. Vertrauen, Witz und Widerspruchsgeist zählen. Der Großvater ist der ruhende Pol. Er backt sonntags Kuchen, mit der Großmutter teilt die kleine Alice eine Leidenschaft für Mickymaus-Hefte, die in feierlichem Ritual gemeinsam gelesen werden. Die "Mama" hasst das Land, die einrückenden Amerikaner sind Befreiung, auch wenn Wuppertal nicht gleich wieder zum Wohnort werden kann. Ein GI, der die gutaussehende Mutter betrunken bedrängen will, wird standrechtlich erschossen. An die Stelle der "Kinderbande" auf dem Land treten nach der Rückkehr in die Stadt verschiedene Schulen. Das Kind, das stets viel durfte, provoziert durch Leistung wie durch Faulheit; der Wechsel auf die bessere Schule scheitert am Geld, letztlich bleibt die Handelsschule, auf die eine kaufmännische Ausbildung folgt. Über Jahre unverbrüchliche Mädchenfreundschaft mit Barbara, der anderen Rebellin in der Klasse. "Liebe Alice! Liebe Barbara!" - unter diesem Titel wurde der Briefwechsel der beiden bereits 2005 publiziert.
Zwei biographische Spannungen prägen diese teils vor Kräften strotzenden, teils unsicher mäandernden Jahre. Die eine ist die unterschwellige Unvereinbarkeit von unverbrüchlichen Mädchenbündnissen und der "großen Liebe" als nicht nur beiläufiger, sondern endgültiger Paarbeziehung: Wie selbstverständlich bleiben die besten Freundinnen zugunsten eines Mannes am Ende zurück. Alice Schwarzer geht nicht nur nach Paris, sondern wird mit Unterbrechungen und Pendelphasen für ein Jahrzehnt dort bleiben. Den Beginn ihrer Karriere als freie politische Journalistin und den Aufbruch der Frauenbewegung erlebt sie bis 1974 als französische Deutsche.
Die zweite Spannung ist beruflicher und indirekt auch geographischer Art. Nach frustrierenden Erfahrungen in typischen Frauenberufen meldet sich der Berufswunsch Journalistin laut und klar - aber es gilt, sich durchzuschlagen. Der Weg zum Studium führt über Abend- und Ergänzungskurse, die zur Notwendigkeit, mit den Mühen freier journalistischer Arbeit Geld zu verdienen, schlecht passen. Dazu kommt die komplexe Beziehungsgeographie mit Freund in Paris, ersten Stellen in Düsseldorf, Hamburg sowie - bereits mitten in der politischen Radikalisierung 1970 - bei "Pardon" in Frankfurt.
Ihr Taschenkalender unterscheidet die Stichworte "Linke" und "Frauen".
Letztlich sind es die Liebe, die politische Aufbruchsstimmung, vor allem aber der mit Leidenschaft bejahte Beruf der freien politischen Journalistin, die für Paris und den Schritt in die Selbständigkeit den Ausschlag geben. Die lakonischen Abschnitte der Kapitel, die zeigen, wie Alice Schwarzer sich mit großem Ernst und im Grunde in einsamer Faszination dem Medium Text verschreibt - Berichterstattung, Kommentar, Polemik, und damit der Rolle der gleichermaßen engagierten wie distanzierten Zeitzeugin und Aktivistin -, gehören zu den großartigsten des Buches.
Von 1970 an überstürzen sich die Ereignisse, die junge deutsche Journalistin, spezialisiert auf Arbeitskämpfe, aber auch lange Interviews, wirft sich in den Strudel der Pariser Frauenbewegung, und alles wird Zeitzeugenschaft: Zorn, Jubel und sprachliche Mittel entstehen, das französische Mouvement de Libération des Femmes, kurz MLF, ist von einem hinreißenden Kollektivismus. 1970 unterscheidet Schwarzers Taschenkalender zwei separate Stichworte: "Linke" und "Frauen". Letztere sind Intellektuelle, aus denen Professorinnen werden, aber auch Intellektuelle, die Stripteasetänzerinnen, Schauspielerinnen oder Aktivistinnen sind: Anne Zelensky, Christine Delphy, Margaret Stephenson, Monique Wittig, Delphine Seyrig, Annie Cohen. Dazu natürlich auch - Symbol und Freundin - Simone de Beauvoir, deren Strahlkraft Schwarzer schildert, ohne dass dem Licht der anderen etwas fehlt.
1971 bringt der "Stern", auf Schwarzers Initiative und nach französischem Vorbild, die Kampagne "Ich habe abgetrieben". Für die deutsche Leserin ergeben die Jahre, die sich anschließen, eine atemberaubende Lektüre. Alice Schwarzer wird zur in jeder Hinsicht polarisierenden Figur: als öffentlich agierende Journalistin, die in schneller Folge frauenpolitische Bestseller schreibt, eine Ärztekampagne "Wir haben abgetrieben" nachschiebt, als feministische Ikone mit Esther Vilar den geschlechterpolitischen Streit unter Frauen im Fernsehen salonfähig macht, schließlich als Gründerin der "Emma", nachdem ein bereits ausgesprochenes Stellenangebot beim "Spiegel" am Widerstand der Redakteure scheitert. Vor allem aber als Aktivistin, für die - aus Frankreich kommend - eine intensive, aber auch schwere Beziehung zur und mit der deutschen Frauenbewegung beginnt.
Sie weiß, dass im eigenen Ingrimm auch Kummer und Bitterkeit sind.
Alice Schwarzer zieht nach Berlin, trifft dort auf eine neue Liebe, eine Frau. Weiß man, wie sehr - neben anderem - das Problem des von der Bewegung eingeforderten, von Schwarzer aber stets durch Schweigen quittierten öffentlichen Bekenntnisses zur lesbischen Beziehung in den achtziger und neunziger Jahren die Szene prägte, kann die Leserin die diskrete Leichtigkeit nur bewundern, mit welcher der Lebenslauf auch dieses Thema offenlegt, anders als Beauvoir jetzt, zum selbstgewählten Zeitpunkt, erzählt und dennoch klarstellt: "Wir sind ein offenes Paar, aber kein öffentliches." Schweigen ist kein Gold, aber auch Reden ist nur Silber. Zwischen den Stühlen also abermals.
Der Kampf mit einer Doppelfront von Klischees wird zum Bauprinzip des letzten Drittels des Buches. Die Erzählerin weiß um ihr eigenes Perspektivenproblem, sie unterbricht sich verschiedentlich selbst. Die Pranke des massenmedialen Drucks ist riesig, der Lärm der antifeministischen Schmähungen ist ebenso unentrinnbar wie der moralisierte Unterton, mit welchem sich die deutsche Frauenbewegung selbst zerlegt. Wie hält eine das aus? Und wie bekommt sie - die stets kräftig zurückkeilt - ihre eigene Rolle in den Blick?
Im Zweifel ist es, neben der Fähigkeit zu lebenslangen Freundschaften, wieder der Beruf, das Riesenprojekt "Emma", an dem sie Energie findet. Stets ist Schwarzer Projektionsfläche, aber sie leistet sich auch die Freiheit, selbst Prisma zu sein: Sie kommuniziert Positionen. Sie setzt Themen. Sie will dezidiert Journalistin und weder akademische Diskutantin sein noch sich linker Kadermoral beugen. Die deutschen Versionen des Kollektiven sind ihr verdächtig - was sie als Argument vorträgt, trifft ihr zu oft auf den Vorwurf der Besserwisserei. Das schafft Brechungen, wobei ihr klar ist, dass im eigenen Ingrimm auch Kummer und Bitterkeit stecken. Die Staatssicherheit der DDR wie auch der französische Geheimdienst haben versucht, sie anzuwerben - das kann sie weglachen, wie Männerinteressen überhaupt.
Mit personalisiertem Hass, wie Frauenveranstaltungen ihn freisetzen können, ist das anders. In grelles Licht getaucht, erfährt eine, die dasteht wie sie, keine Schonung. Und sieht prompt keine authentische Alternative dazu, beim Entscheiden vielfach auf sich gestellt zu sein. Ihre Lieblingswaffe, Humor, ist zwar ein glänzendes öffentliches Werkzeug, aber für Streitformate der deutschen Frauenbewegung nur begrenzt geeignet.
Auf der Erzählebene endet der Lebenslauf in den siebziger Jahren. Die Reflexion reicht darüber hinaus. Zu den Erfolgen der frühen Kämpfe kommen die politischen Niederlagen und das Zerfallen der Bewegung. Vor allem Letzteres - Schwarzer behauptet nicht, es zu verstehen. Viel Stoff bleibt zum Nachdenken liegen. Eines aber weiß jede und weiß jeder, legt sie oder legt er das Buch nach Lektüre des Anhangs beiseite: Die "frustrierte Emanze" hat es nie gegeben. Sie ist eine lachhafte und die vermutlich erbärmlichste Erfindung der Welt.
Dieses Buch hält fest: Die Frauenbewegung war ein Fanal der Freiheit. Sie wurde von denjenigen auf den Weg gebracht und getragen, welche den unwiderstehlichen Geschmack des Freiseins (nicht zuletzt dank ihrer Mütter) bereits gekostet hatten. Welche ihn auf der Zunge haben, auf den Lippen tragen. Welche lieben, zu Aufbrüchen, zur Arbeit und zu dröhnendem Lachen sich hinreißen lassen. Und denen das Unglück der anderen immer wieder ein wortloser Auftrag ist.
PETRA GEHRING
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011Bis dass am Dom
das Licht ausgeht
Die Erinnerungen der Feministin Alice Schwarzer
sind ein respekteinflößender Rückblick auf die Jahre
ihres Durchbruchs Von Johan Schloemann
Im Herbst des Jahres 1967 macht Alice Schwarzer, Volontärin bei den Düsseldorfer Nachrichten, ihren Führerschein. Dass sie die Prüfung bestanden hat, findet der Fahrlehrer, das liege eher weniger an ihren Fahrkünsten. „Vielleicht“, so berichtet Schwarzer, „hatten mir ja tatsächlich Jugend und Haarfarbe plus Rocklänge beim Bestehen geholfen . . .“ In den Weihnachtstagen sitzt die Fünfundzwanzigjährige dann zum ersten Mal am Steuer der „Ente“ ihres Pariser Freundes Bruno, der sie in ihrer Heimatstadt Wuppertal besucht. Sie kommt mit der Knüppelschaltung nicht klar, rollt mit dem Wagen aus Versehen rückwärts und touchiert die Stoßstange des Autos hinter sich. „Es werden sieben Jahre vergehen, bis ich mich wieder an ein Steuer traue. (. . .) Und auch den von mir gekauften nagelneuen roten Renault 4 wird ausschließlich Bruno fahren. Ich hingegen kann bis heute alle Metro- und Buslinien in Paris auswendig.“
In dieser kurzen Szene scheint einiges auf, was für Alice Schwarzers Erinnerungsbuch „Lebenslauf“ wesentlich ist. Bemerkenswert ist, wie freimütig sie da etwas von sich erzählt, was klassische Männerwitze und Frauenklischees der Wirtschaftswunderzeit aufruft: Junge Frau bezirzt den Fahrlehrer mit weiblichen Reizen, ha ha! „Frau am Steuer, das wird teuer!“ Es gehört zu der mal gelassenen, mal demonstrativen Souveränität in Schwarzers Selbstdarstellung, dass sie locker, offen, gelegentlich gar mit einem gewissen Stolz davon berichtet, wie viel Erfahrung sie selbst mit jenen traditionellen Rollenmustern der Geschlechter gemacht hat, die es eigentlich zu überwinden gilt.
Die herkömmlichen weichen Waffen der Frau – die je nach Perspektive auf die Verführung oder auf die Reduzierung auf ein Sexualobjekt zielen –, diese Waffen können so im Rückblick auf ein gelungenes Feministinnenleben nachträglich zu harten Schwertern im Geschlechterkampf umgewidmet werden. Auf diese Weise erhalten die bereitwilligen Auskünfte der Autobiographin Alice Schwarzer darüber, wie sexy sie in den sechziger Jahren auf die Männer gewirkt habe und wie kurz ihre Röcke gewesen seien, ihren teleologischen Sinn: Es waren ganz bestimmt nicht die kurzen Röcke, die sie im Laufe der Jahre zur bedeutenden Aktivistin und Autorin gemacht und damit letztlich die Frauenbewegung als reale gesellschaftliche Kraft öffentlich etabliert haben, sondern ihre politische Energie und ihr journalistisches Talent. Aber die kurzen Röcke haben auf dem Weg dorthin auch nicht geschadet, sondern beim allmählichen Herausschreiten aus dem Patriarchat gleichsam einen guten Zweck erfüllt. Später konnten die Röcke, bequemerweise der Mode der Zeit folgend, dann auch wieder länger werden.
Doch erst kommt Ende der fünfziger Jahre der Rock ’n’ Roll nach Wuppertal und der erste Kuss mit „dem rothaarigen Volker“. Als Teenagerin in der Elberfelder Tanzschule „mutiert das staksige Mädchen Alice zur strahlenden Blondine“, und sie bemerkt erleichtert: „Die Sorge, ob sich die Jungs für mich interessieren, bin ich los.“ Anfang der sechziger Jahre lernt Schwarzer – die späterhin die „Penetration“ beim Geschlechtsakt, mit Ausnahme der reinen Fortpflanzungsfunktion, als männliches Herrschaftsinstrument verdammen wird – in einem Düsseldorfer Jazzkeller ihren ersten Freund kennen. Und als sie Ende der Sechziger mit dem Kollegen Robert Gernhardt zum Zweck einer satirischen Reportage für die Zeitschrift pardon zum Club Méditerranée nach Agadir fährt, da wird sie dort von dem Sänger Udo Jürgens ganz im Sinne des männlichen Sexmonopols heftig angebaggert, was sie genüsslich ausbreitet: Bis der Fotograf dazukommt, schreibt sie, „hüpfe ich mit ihm in den Wellen und habe reichlich Hände wegzuschieben von meinem Bikini“, und dann entstehen die Fotos von Udo Jürgens und Alice Schwarzer mit dem „Beinahe-Kuss in der Hollywoodschaukel“.
Was in der Führerschein-Episode außerdem zum Ausdruck kommt, das ist die Liebe zu Frankreich, insbesondere zur Stadt Paris einerseits – und die Liebe zu dem dort wohnenden Mann namens Bruno andererseits. Mit diesem Bruno, den sie 1964 kennenlernt („sehr intellektuell – und gleichzeitig sehr verspielt“), wird Alice Schwarzer zehn Jahre lang zusammen sein und auch mehrere Jahre zusammen wohnen. Und Paris, wo sie zunächst als Au-pair-Mädchen und Sprachschülerin und später dann, ab 1969, als freie Journalistin für deutsche Medien arbeitet, Paris wird ihr der entscheidende, lebensbestimmende Ort: der Ort der Lebensart, der literarischen und geistigen Stimulation, der Kreativität, des politisch-kulturellen Aufbruchs. „Das Infragestellen des maroden Systems hat alles erschüttert“, so beschreibt sie die Zeitstimmung, „und durch die Risse schimmert die Verheißung einer neuen Welt.“
Alice Schwarzer in Paris: Sie legt immer mal wieder eine Blume auf das Grab Heinrich Heines, sie tippt eifrig auf der hellblauen Reiseschreibmaschine, sie interviewt Jean-Paul Sartre („in einem sehr hochgerutschten sommerlichen Minikleid“), sie schwärmt für die Mode von Yves Saint Laurent, und sie hört als Teilzeit-Studentin ohne Abitur Vorlesungen bei Michel Foucault. Als sie dann an der Explosion der französischen Frauenbewegung 1970/71 teilnimmt – in Diskussionen, Festen und Aktionen; als sie immer öfter ihre neue Frauenrunde vom Mouvement de Libération des Femmes (MLF) mit nach Hause nimmt, zu welcher nicht selten auch die verehrte und bald befreundete Simone de Beauvoir gehört; als sie also begeistert beschließt: „Diesmal berichte ich nicht nur, diesmal bin ich dabei!“ – da zeigt sich Bruno interessiert und tolerant, solidarisch und sensibel.
Doch zu dem Zeitpunkt, als die rastlose Alice Schwarzer an der Schwelle dazu steht, von einer feministischen Publizistin und Aktivistin zu der zentralen öffentlichen Figur der Frauenbewegung in Deutschland zu werden – im Jahr 1974 –, da verlässt sie nicht bloß Paris, sondern trennt sich auch von Bruno. Sie verliebt sich stattdessen in eine Frau, eine Mitstreiterin, mit der sie nach Berlin zieht. Ursprünglich hatte sie schon konkret geplant, mit Bruno ein Kind aufzuziehen (Wunschgeschlecht: Mädchen, Wunscherziehung: Odenwaldschule), und noch ursprünglicher hatte sie Bruno sogar heiraten wollen. Sie verhehlt nicht, dass der Abschied sie „schmerzlich zerrissen“ habe: „Also stürze ich mich in die Arbeit.“
„Eine Lebensbeziehung wie die mit Bruno“, schreibt Schwarzer heute mit in dieser Sache ganz ungekannter Offenheit, „gehe ich erst elf Jahre später wieder ein. Diesmal mit einer Frau. Mit ihr lebe ich bis heute weitgehend mein Beziehungsideal: Freiheit in Vertrautheit. (. . .) Wir sind ein offenes Paar, aber kein öffentliches. Und so wird es bleiben.“ Da wäre es also, das Outing,das die lesbischen Kampfbünde aus privat-politischen Gründen immer gefordert haben und das auch Bascha Mika mit ihrer unautorisierten Schwarzer-Biographie (1998) provozieren wollte. Und warum dieses späte Bekenntnis? „Ich habe bis heute zu alldem geschwiegen, weil ich mich nicht von der Frauenbewegung distanzieren wollte, schon gar nicht von den Lesben; und weil ich mich vor den – meist heterosexuellen – GegnerInnen der Bewegung nicht rechtfertigen wollte. Denn die wollen die angebliche oder tatsächliche Homosexualität von Feministinnen nur benutzen zur Diffamierung. (. . .) Aber jetzt ist es Zeit für meine Wahrheit.“
Doch erst einmal zurück nach Wuppertal-Elberfeld. Da beginnt am 3. Dezember 1942, mitten im Krieg, das Leben der Alice Schwarzer, und da beginnt auch dieses Erinnerungsbuch, im geübten, zugänglichen Magazinstil geschrieben ist.
Man – aber eher nicht Alice Schwarzer – könnte diese Erzählung folgendermaßen anfangen: Ihre Mutter hat nicht abgetrieben. Denn Schwarzers Mutter wurde mit 22 Jahren ungewollt schwanger, es war „das Resultat eines Flirts mit einem Soldaten auf Heimaturlaub“. Und trotzdem brachte sie Alice zur Welt. Der Vater war verschwunden, die Mutter reisend und unstet, und so wurde Alice von Großvater und Großmutter aufgezogen, genannt „Papa“ und „Mama“. Unter den beiden galt „Rollenumkehrung“: Es war eher der Großvater für die mütterlichen Aufgaben zuständig. Ihre Familie bildet ein kritisch denkendes, unkonventionelles Umfeld, das schlimmste Schimpfwort ist „spießig!“. Das Bewusstsein der Familie, erzählt Schwarzer, sei eher bürgerlich gewesen, die wirtschaftliche Lage aber nah am Existenzminimum.
Es ist streckenweise aufregend zu lesen, wie Alice Schwarzer sich trotz sehr einfacher Verhältnisse binnen weniger Jahre durchschlägt und freistrampelt – selbstbewusst, autodidaktisch und mit untrüglichem Gespür für Sackgassen in die Langeweile. 1943/44 nach zerstörerischer Bombennacht aufs fränkische Dorf ausquartiert. Zum Überleben: Hamsterfahrten und Schwarzhandel. Sommer 1949 zurück nach Wuppertal. Eine Art Abenteuerspielplatz, zu Hause „Chaos“. Mit zwölf lässt sie sich evangelisch taufen, die Familie spottet: „Bitte, wenn das Kind das will.“ In der Schule heißt es: „hochintelligent, aber faul“.
Und so geht es von Station zu Station, auf wahrlich unsicherer Bahn als in der Wuppertaler Schwebebahn: Schwarzer landet „aus Ratlosigkeit“ auf einer Handelsschule. Vier ihrer fünf Freundinnen in der Mädchenclique sind vaterlos – Töchter von Kriegerwitwen. Sie fängt an zu arbeiten: in der Buchhaltung eines Auto-Zulieferers. Im Marktforschungsinstitut in Düsseldorf. In der Werbeabteilung des Nymphenburger Verlags in München . . . Am 29. April 1964 um 13:50 Uhr fährt der Zug nach Paris – „das Ende meiner Jugend“. Von Paris aus veröffentlicht sie ihren ersten journalistischen Text im Wuppertaler Generalanzeiger – über die angeblich an Paris verlorenen deutschen Töchter, die sich nicht gegen französische Freier zu wehren wüssten. Ihre Bewerbung bei der Münchner Journalistenschule scheitert, wegen ihrer „noch zur großen Wissenslücken“. Doch sie lässt nicht locker. So wird es weitergehen: Ohne Kampf erreicht man nichts.
Historisch interessant ist an der Schilderung der neu entstehenden Frauenbewegungen das Ineinandergreifen von individueller Mitwirkung, eigener Betroffenheit, öffentlicher Verstärkung und allgemeinen sozialen Veränderungen. Das Verhältnis von Sein und Bewusstsein ist da nur zirkulär zu beschreiben. Oder als Knäuel. Als tendenziell linke Journalistin treibt Alice Schwarzer zunächst so dies und das. Sie macht fröhlich und genussfreudig mit beim Zweifel an den Autoritäten; als Beobachterin verspürt sie zugleich durchaus schon etwas Distanz zu Sektierertum und Macho-Marxisten. Sie berichtet zwar auch schon mal über benachteiligte Frauen und ihre Arbeitsbedingungen, und 1966 taucht in ihrer Korrespondenz erstmals der Name Simone de Beauvoir auf; aber diese Dinge sind noch Teil der gesellschaftskritischen Atmosphäre der Zeit.
Alice Schwarzers feministische Erweckung kommt also keineswegs aus dem Nichts – aber eine Erweckung ist es dann doch. „Wie im Rausch“ erlebt sie neue Formen der weiblichen Gemeinschaft, und dazu gehört jetzt eine spezifische Haltung, eine Richtung, ja eine Lehre: „Da sind sie also. Endlich! Die Feministinnen. Und das mit Wucht. Der Stamm der Analysen der Neuen Frauenbewegung ist hier, in der Stunde null, bereits da: die Konstruktion von Weiblichkeit, die nicht Natur ist, sondern Kultur; der strukturelle Sexismus, der kein individuelles Problem ist, sondern ein gesellschaftliches;die im Patriarchat für Frauen repressive Funktion von Liebe und Sexualität; die Gratisarbeit der Frauen in Haushalt und Erziehung sowie der Skandal des Abtreibungsverbotes.“
Nun geht alles sehr schnell mit der eigenen, vom marxistischen Klassenkampf unabhängigen Frauenbewegung. Das Intimste muss öffentlich werden. Schwarzer schließt sich den strikten Universalistinnen und Antibiologistinnen an: einem Konstruktivismus des Geschlechts, dem sie gegen alle Soziobiologie und gegen alle Muttergefühle bis heute treu bleibt. Am 5. April 1971 erscheint ein kollektives Bekenntnis zum Schwangerschaftsabbruch im Nouvel Ob s. Bis zum 6. Juni 1971 hat Schwarzer die gleiche Aktion in Deutschland gestemmt, nämlich den Stern -Titel „Wir haben abgetrieben“.
Überall geht es voran mit der Sisterhood: Mit Büchern in der Edition Suhrkamp, Frauenparty in der Mensa der TU Berlin, Reportagen und Flugblättern, Bundesfrauenkongress, „Frauenkalender“, Frauensommerlager in Dänemark, Arbeitsgruppe „Sexualität und Herrschaft“ an der Evangelischen Akademie Loccum . . . Und 1975 wird Alice Schwarzer dann berühmt. Ihr Streitgespräch in der ARD mit „Streichelkätzchen“ Esther Vilar wird zur „Fernsehschlacht der Jahres“ (Bild) , und es erscheint ihr berühmtestes Buch, „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“. 1976/77 gründet Schwarzer in Köln die Zeitschrift Emma, die sie bis heute verantwortet. Zur ersten, vierköpfigen Redaktionstruppe heißt es: „Abends gehen alle drei nach Hause zu ihren Lebensgefährten – und ich bleibe da. Meistens arbeite ich, bis am Dom das Licht ausgeht.“
All dies erzählt Alice Schwarzer zwar immer mal wieder differenziert, auch mit der Fähigkeit zur Distanz zu sich selbst, aber letztlich doch als Erfolgsgeschichte. Nicht in dem Sinne, dass der Feminismus alle seine Ziele erreicht hätte. Nein, der Erfolg der Paradoxie Alice Schwarzer – nämlich eine Führungsfigur der Schwesterlichkeit zu sein – liegt in der Anstrengung, mehrere gleichzeitig wirkende Ambivalenzen dauerhaft auszuhalten. Diese Ambivalenzen sind: Männerliebe/Frauenliebe; Frankreich/Deutschland; Aktivismus/Journalismus, innere Anfeindung/äußere Anfeindung.
Zu den amüsantesten Passagen des Buches gehören die Beschreibungen des stilistischen Kulturschocks, den Schwarzer beim Wechsel von der französischen in die deutsche Frauenbewegung empfindet. Hier Phantasie, dort Geschäftsordnungen. „Dieses ewige Stricken und das Ironie-Verbot“, „Kollektivdruck“ von „ewigen Spaßbremsen“. Ein geplanter Rowohlt-Sammelband mit Texten nach französischem Vorbild erweist sich wegen seminaristischen Funktionärsjargons als undruckbar: „Die Frauen sind nett, aber die Texte sind ein Desaster.“
Zu den unangenehmsten Passagen aber gehören die Schilderungen der Angriffe, denen die Protagonistin seit Mitte der Siebziger ausgesetzt war. Gewiss, sie hat die Benachteiligung der Frau radikal kritisiert, sie hat selber gut ausgeteilt, und über ihre Theorie der Sexualität lässt sich füglich streiten. Aber sie hat auch kraftvoll und wirkungsvoll auf Probleme hingewiesen, die heute noch debattiert werden: von der Gewalt gegen Frauen bis zur Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt bei mangelnder staatlicher Kinderbetreuung. Trotzdem wurde Alice Schwarzer immer wieder im chauvinistischen Ton als hässliche, frigide Hexe diffamiert; die Zeit sprach seinerzeit von der „bisher längsten und perfidesten journalistischen Menschenjagd in der Geschichte der Bundesrepublik“. Und zugleich hatte sie sich innerhalb der Frauenbewegung gegen Neiderinnen und verbissene Ideologinnen zu behaupten. Wer sich diese ganze Geschichte vor Augen führt, wird sich über Tendenzen zur Dogmatisierung ebenso wenig wundern wie über die bisweilen allzu offensive Vorführung von Humor, Weltläufigkeit und rheinischer Gelassenheit.
Die Erinnerungen in dem Buch „Lebenslauf“ reichen nur bis zum Ende der siebziger Jahre (ein zweiter Teil ist für „irgendwann“ in Aussicht gestellt), und das gereicht der Autorin, die im nächsten Jahr siebzig wird, zum Vorteil. Denn für alle diejenigen, die die Privatfernsehen-, Quizshow-, Klüngel-, Talkshow-, Kachelmann- und Bild- Schwarzer als Nervensäge wahrnehmen, ist dieses Buch ein zeithistorisch aufschlussreicher Rückblick auf die Jahre ihres Durchbruchs, der Respekt und Interesse verdient – und der vielleicht auch manches an ihrem Auftreten aus den genannten Ambivalenzen heraus verständlicher macht.
Bleibt die Frage: Wie verhalten sich persönliche und gesellschaftliche Bilanz zueinander? Die emanzipiertesten Männer, die sich nicht als Unterdrücker fühlen, und die selbstbewusstesten Frauen, die sich nicht unterdrückt fühlen, finden heute das, wofür Alice Schwarzer steht, anstrengend. Doch dann merken sie, dass das, was sie in der Praxis des Lebens miteinander auszuhandeln haben, aufgrund ihrer Ansprüche an sich selbst und ans andere Geschlecht nicht unbedingt weniger anstrengend ist als Alice Schwarzer. Und das wiederum ist ein Erfolg von Alice Schwarzer.
Alice Schwarzer
Lebenslauf
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 461 Seiten, 22,99 Euro.
„Die Sorge, ob sich die
Jungs für mich interessieren,
bin ich los.“
In der Schule heißt es:
„hochintelligent,
aber faul“
Wie im Rausch erlebt
sie neue Formen der
weiblichen Gemeinschaft
Wen die Talkshow-Schwarzer
nervt, der sollte dieses
aufschlussreiche Buch lesen
Da kam einiges ins Wanken: 1967 war Alice Schwarzer auf Urlaubsreise mit ihrem langjährigen Freund Bruno, den sie eigentlich sogar heiraten und mit dem sie auch ein Kind kriegen wollte, in Pisa (Bild oben). Das Minikleid war von Marimekko. Zehn Jahre später trifft man sie in Köln bei der Redaktion der ersten Ausgabe der Emma an, der „Zeitschrift für Frauen von Frauen“ (unteres Bild). Abbildungen aus dem besprochenen Band
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das Licht ausgeht
Die Erinnerungen der Feministin Alice Schwarzer
sind ein respekteinflößender Rückblick auf die Jahre
ihres Durchbruchs Von Johan Schloemann
Im Herbst des Jahres 1967 macht Alice Schwarzer, Volontärin bei den Düsseldorfer Nachrichten, ihren Führerschein. Dass sie die Prüfung bestanden hat, findet der Fahrlehrer, das liege eher weniger an ihren Fahrkünsten. „Vielleicht“, so berichtet Schwarzer, „hatten mir ja tatsächlich Jugend und Haarfarbe plus Rocklänge beim Bestehen geholfen . . .“ In den Weihnachtstagen sitzt die Fünfundzwanzigjährige dann zum ersten Mal am Steuer der „Ente“ ihres Pariser Freundes Bruno, der sie in ihrer Heimatstadt Wuppertal besucht. Sie kommt mit der Knüppelschaltung nicht klar, rollt mit dem Wagen aus Versehen rückwärts und touchiert die Stoßstange des Autos hinter sich. „Es werden sieben Jahre vergehen, bis ich mich wieder an ein Steuer traue. (. . .) Und auch den von mir gekauften nagelneuen roten Renault 4 wird ausschließlich Bruno fahren. Ich hingegen kann bis heute alle Metro- und Buslinien in Paris auswendig.“
In dieser kurzen Szene scheint einiges auf, was für Alice Schwarzers Erinnerungsbuch „Lebenslauf“ wesentlich ist. Bemerkenswert ist, wie freimütig sie da etwas von sich erzählt, was klassische Männerwitze und Frauenklischees der Wirtschaftswunderzeit aufruft: Junge Frau bezirzt den Fahrlehrer mit weiblichen Reizen, ha ha! „Frau am Steuer, das wird teuer!“ Es gehört zu der mal gelassenen, mal demonstrativen Souveränität in Schwarzers Selbstdarstellung, dass sie locker, offen, gelegentlich gar mit einem gewissen Stolz davon berichtet, wie viel Erfahrung sie selbst mit jenen traditionellen Rollenmustern der Geschlechter gemacht hat, die es eigentlich zu überwinden gilt.
Die herkömmlichen weichen Waffen der Frau – die je nach Perspektive auf die Verführung oder auf die Reduzierung auf ein Sexualobjekt zielen –, diese Waffen können so im Rückblick auf ein gelungenes Feministinnenleben nachträglich zu harten Schwertern im Geschlechterkampf umgewidmet werden. Auf diese Weise erhalten die bereitwilligen Auskünfte der Autobiographin Alice Schwarzer darüber, wie sexy sie in den sechziger Jahren auf die Männer gewirkt habe und wie kurz ihre Röcke gewesen seien, ihren teleologischen Sinn: Es waren ganz bestimmt nicht die kurzen Röcke, die sie im Laufe der Jahre zur bedeutenden Aktivistin und Autorin gemacht und damit letztlich die Frauenbewegung als reale gesellschaftliche Kraft öffentlich etabliert haben, sondern ihre politische Energie und ihr journalistisches Talent. Aber die kurzen Röcke haben auf dem Weg dorthin auch nicht geschadet, sondern beim allmählichen Herausschreiten aus dem Patriarchat gleichsam einen guten Zweck erfüllt. Später konnten die Röcke, bequemerweise der Mode der Zeit folgend, dann auch wieder länger werden.
Doch erst kommt Ende der fünfziger Jahre der Rock ’n’ Roll nach Wuppertal und der erste Kuss mit „dem rothaarigen Volker“. Als Teenagerin in der Elberfelder Tanzschule „mutiert das staksige Mädchen Alice zur strahlenden Blondine“, und sie bemerkt erleichtert: „Die Sorge, ob sich die Jungs für mich interessieren, bin ich los.“ Anfang der sechziger Jahre lernt Schwarzer – die späterhin die „Penetration“ beim Geschlechtsakt, mit Ausnahme der reinen Fortpflanzungsfunktion, als männliches Herrschaftsinstrument verdammen wird – in einem Düsseldorfer Jazzkeller ihren ersten Freund kennen. Und als sie Ende der Sechziger mit dem Kollegen Robert Gernhardt zum Zweck einer satirischen Reportage für die Zeitschrift pardon zum Club Méditerranée nach Agadir fährt, da wird sie dort von dem Sänger Udo Jürgens ganz im Sinne des männlichen Sexmonopols heftig angebaggert, was sie genüsslich ausbreitet: Bis der Fotograf dazukommt, schreibt sie, „hüpfe ich mit ihm in den Wellen und habe reichlich Hände wegzuschieben von meinem Bikini“, und dann entstehen die Fotos von Udo Jürgens und Alice Schwarzer mit dem „Beinahe-Kuss in der Hollywoodschaukel“.
Was in der Führerschein-Episode außerdem zum Ausdruck kommt, das ist die Liebe zu Frankreich, insbesondere zur Stadt Paris einerseits – und die Liebe zu dem dort wohnenden Mann namens Bruno andererseits. Mit diesem Bruno, den sie 1964 kennenlernt („sehr intellektuell – und gleichzeitig sehr verspielt“), wird Alice Schwarzer zehn Jahre lang zusammen sein und auch mehrere Jahre zusammen wohnen. Und Paris, wo sie zunächst als Au-pair-Mädchen und Sprachschülerin und später dann, ab 1969, als freie Journalistin für deutsche Medien arbeitet, Paris wird ihr der entscheidende, lebensbestimmende Ort: der Ort der Lebensart, der literarischen und geistigen Stimulation, der Kreativität, des politisch-kulturellen Aufbruchs. „Das Infragestellen des maroden Systems hat alles erschüttert“, so beschreibt sie die Zeitstimmung, „und durch die Risse schimmert die Verheißung einer neuen Welt.“
Alice Schwarzer in Paris: Sie legt immer mal wieder eine Blume auf das Grab Heinrich Heines, sie tippt eifrig auf der hellblauen Reiseschreibmaschine, sie interviewt Jean-Paul Sartre („in einem sehr hochgerutschten sommerlichen Minikleid“), sie schwärmt für die Mode von Yves Saint Laurent, und sie hört als Teilzeit-Studentin ohne Abitur Vorlesungen bei Michel Foucault. Als sie dann an der Explosion der französischen Frauenbewegung 1970/71 teilnimmt – in Diskussionen, Festen und Aktionen; als sie immer öfter ihre neue Frauenrunde vom Mouvement de Libération des Femmes (MLF) mit nach Hause nimmt, zu welcher nicht selten auch die verehrte und bald befreundete Simone de Beauvoir gehört; als sie also begeistert beschließt: „Diesmal berichte ich nicht nur, diesmal bin ich dabei!“ – da zeigt sich Bruno interessiert und tolerant, solidarisch und sensibel.
Doch zu dem Zeitpunkt, als die rastlose Alice Schwarzer an der Schwelle dazu steht, von einer feministischen Publizistin und Aktivistin zu der zentralen öffentlichen Figur der Frauenbewegung in Deutschland zu werden – im Jahr 1974 –, da verlässt sie nicht bloß Paris, sondern trennt sich auch von Bruno. Sie verliebt sich stattdessen in eine Frau, eine Mitstreiterin, mit der sie nach Berlin zieht. Ursprünglich hatte sie schon konkret geplant, mit Bruno ein Kind aufzuziehen (Wunschgeschlecht: Mädchen, Wunscherziehung: Odenwaldschule), und noch ursprünglicher hatte sie Bruno sogar heiraten wollen. Sie verhehlt nicht, dass der Abschied sie „schmerzlich zerrissen“ habe: „Also stürze ich mich in die Arbeit.“
„Eine Lebensbeziehung wie die mit Bruno“, schreibt Schwarzer heute mit in dieser Sache ganz ungekannter Offenheit, „gehe ich erst elf Jahre später wieder ein. Diesmal mit einer Frau. Mit ihr lebe ich bis heute weitgehend mein Beziehungsideal: Freiheit in Vertrautheit. (. . .) Wir sind ein offenes Paar, aber kein öffentliches. Und so wird es bleiben.“ Da wäre es also, das Outing,das die lesbischen Kampfbünde aus privat-politischen Gründen immer gefordert haben und das auch Bascha Mika mit ihrer unautorisierten Schwarzer-Biographie (1998) provozieren wollte. Und warum dieses späte Bekenntnis? „Ich habe bis heute zu alldem geschwiegen, weil ich mich nicht von der Frauenbewegung distanzieren wollte, schon gar nicht von den Lesben; und weil ich mich vor den – meist heterosexuellen – GegnerInnen der Bewegung nicht rechtfertigen wollte. Denn die wollen die angebliche oder tatsächliche Homosexualität von Feministinnen nur benutzen zur Diffamierung. (. . .) Aber jetzt ist es Zeit für meine Wahrheit.“
Doch erst einmal zurück nach Wuppertal-Elberfeld. Da beginnt am 3. Dezember 1942, mitten im Krieg, das Leben der Alice Schwarzer, und da beginnt auch dieses Erinnerungsbuch, im geübten, zugänglichen Magazinstil geschrieben ist.
Man – aber eher nicht Alice Schwarzer – könnte diese Erzählung folgendermaßen anfangen: Ihre Mutter hat nicht abgetrieben. Denn Schwarzers Mutter wurde mit 22 Jahren ungewollt schwanger, es war „das Resultat eines Flirts mit einem Soldaten auf Heimaturlaub“. Und trotzdem brachte sie Alice zur Welt. Der Vater war verschwunden, die Mutter reisend und unstet, und so wurde Alice von Großvater und Großmutter aufgezogen, genannt „Papa“ und „Mama“. Unter den beiden galt „Rollenumkehrung“: Es war eher der Großvater für die mütterlichen Aufgaben zuständig. Ihre Familie bildet ein kritisch denkendes, unkonventionelles Umfeld, das schlimmste Schimpfwort ist „spießig!“. Das Bewusstsein der Familie, erzählt Schwarzer, sei eher bürgerlich gewesen, die wirtschaftliche Lage aber nah am Existenzminimum.
Es ist streckenweise aufregend zu lesen, wie Alice Schwarzer sich trotz sehr einfacher Verhältnisse binnen weniger Jahre durchschlägt und freistrampelt – selbstbewusst, autodidaktisch und mit untrüglichem Gespür für Sackgassen in die Langeweile. 1943/44 nach zerstörerischer Bombennacht aufs fränkische Dorf ausquartiert. Zum Überleben: Hamsterfahrten und Schwarzhandel. Sommer 1949 zurück nach Wuppertal. Eine Art Abenteuerspielplatz, zu Hause „Chaos“. Mit zwölf lässt sie sich evangelisch taufen, die Familie spottet: „Bitte, wenn das Kind das will.“ In der Schule heißt es: „hochintelligent, aber faul“.
Und so geht es von Station zu Station, auf wahrlich unsicherer Bahn als in der Wuppertaler Schwebebahn: Schwarzer landet „aus Ratlosigkeit“ auf einer Handelsschule. Vier ihrer fünf Freundinnen in der Mädchenclique sind vaterlos – Töchter von Kriegerwitwen. Sie fängt an zu arbeiten: in der Buchhaltung eines Auto-Zulieferers. Im Marktforschungsinstitut in Düsseldorf. In der Werbeabteilung des Nymphenburger Verlags in München . . . Am 29. April 1964 um 13:50 Uhr fährt der Zug nach Paris – „das Ende meiner Jugend“. Von Paris aus veröffentlicht sie ihren ersten journalistischen Text im Wuppertaler Generalanzeiger – über die angeblich an Paris verlorenen deutschen Töchter, die sich nicht gegen französische Freier zu wehren wüssten. Ihre Bewerbung bei der Münchner Journalistenschule scheitert, wegen ihrer „noch zur großen Wissenslücken“. Doch sie lässt nicht locker. So wird es weitergehen: Ohne Kampf erreicht man nichts.
Historisch interessant ist an der Schilderung der neu entstehenden Frauenbewegungen das Ineinandergreifen von individueller Mitwirkung, eigener Betroffenheit, öffentlicher Verstärkung und allgemeinen sozialen Veränderungen. Das Verhältnis von Sein und Bewusstsein ist da nur zirkulär zu beschreiben. Oder als Knäuel. Als tendenziell linke Journalistin treibt Alice Schwarzer zunächst so dies und das. Sie macht fröhlich und genussfreudig mit beim Zweifel an den Autoritäten; als Beobachterin verspürt sie zugleich durchaus schon etwas Distanz zu Sektierertum und Macho-Marxisten. Sie berichtet zwar auch schon mal über benachteiligte Frauen und ihre Arbeitsbedingungen, und 1966 taucht in ihrer Korrespondenz erstmals der Name Simone de Beauvoir auf; aber diese Dinge sind noch Teil der gesellschaftskritischen Atmosphäre der Zeit.
Alice Schwarzers feministische Erweckung kommt also keineswegs aus dem Nichts – aber eine Erweckung ist es dann doch. „Wie im Rausch“ erlebt sie neue Formen der weiblichen Gemeinschaft, und dazu gehört jetzt eine spezifische Haltung, eine Richtung, ja eine Lehre: „Da sind sie also. Endlich! Die Feministinnen. Und das mit Wucht. Der Stamm der Analysen der Neuen Frauenbewegung ist hier, in der Stunde null, bereits da: die Konstruktion von Weiblichkeit, die nicht Natur ist, sondern Kultur; der strukturelle Sexismus, der kein individuelles Problem ist, sondern ein gesellschaftliches;die im Patriarchat für Frauen repressive Funktion von Liebe und Sexualität; die Gratisarbeit der Frauen in Haushalt und Erziehung sowie der Skandal des Abtreibungsverbotes.“
Nun geht alles sehr schnell mit der eigenen, vom marxistischen Klassenkampf unabhängigen Frauenbewegung. Das Intimste muss öffentlich werden. Schwarzer schließt sich den strikten Universalistinnen und Antibiologistinnen an: einem Konstruktivismus des Geschlechts, dem sie gegen alle Soziobiologie und gegen alle Muttergefühle bis heute treu bleibt. Am 5. April 1971 erscheint ein kollektives Bekenntnis zum Schwangerschaftsabbruch im Nouvel Ob s. Bis zum 6. Juni 1971 hat Schwarzer die gleiche Aktion in Deutschland gestemmt, nämlich den Stern -Titel „Wir haben abgetrieben“.
Überall geht es voran mit der Sisterhood: Mit Büchern in der Edition Suhrkamp, Frauenparty in der Mensa der TU Berlin, Reportagen und Flugblättern, Bundesfrauenkongress, „Frauenkalender“, Frauensommerlager in Dänemark, Arbeitsgruppe „Sexualität und Herrschaft“ an der Evangelischen Akademie Loccum . . . Und 1975 wird Alice Schwarzer dann berühmt. Ihr Streitgespräch in der ARD mit „Streichelkätzchen“ Esther Vilar wird zur „Fernsehschlacht der Jahres“ (Bild) , und es erscheint ihr berühmtestes Buch, „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“. 1976/77 gründet Schwarzer in Köln die Zeitschrift Emma, die sie bis heute verantwortet. Zur ersten, vierköpfigen Redaktionstruppe heißt es: „Abends gehen alle drei nach Hause zu ihren Lebensgefährten – und ich bleibe da. Meistens arbeite ich, bis am Dom das Licht ausgeht.“
All dies erzählt Alice Schwarzer zwar immer mal wieder differenziert, auch mit der Fähigkeit zur Distanz zu sich selbst, aber letztlich doch als Erfolgsgeschichte. Nicht in dem Sinne, dass der Feminismus alle seine Ziele erreicht hätte. Nein, der Erfolg der Paradoxie Alice Schwarzer – nämlich eine Führungsfigur der Schwesterlichkeit zu sein – liegt in der Anstrengung, mehrere gleichzeitig wirkende Ambivalenzen dauerhaft auszuhalten. Diese Ambivalenzen sind: Männerliebe/Frauenliebe; Frankreich/Deutschland; Aktivismus/Journalismus, innere Anfeindung/äußere Anfeindung.
Zu den amüsantesten Passagen des Buches gehören die Beschreibungen des stilistischen Kulturschocks, den Schwarzer beim Wechsel von der französischen in die deutsche Frauenbewegung empfindet. Hier Phantasie, dort Geschäftsordnungen. „Dieses ewige Stricken und das Ironie-Verbot“, „Kollektivdruck“ von „ewigen Spaßbremsen“. Ein geplanter Rowohlt-Sammelband mit Texten nach französischem Vorbild erweist sich wegen seminaristischen Funktionärsjargons als undruckbar: „Die Frauen sind nett, aber die Texte sind ein Desaster.“
Zu den unangenehmsten Passagen aber gehören die Schilderungen der Angriffe, denen die Protagonistin seit Mitte der Siebziger ausgesetzt war. Gewiss, sie hat die Benachteiligung der Frau radikal kritisiert, sie hat selber gut ausgeteilt, und über ihre Theorie der Sexualität lässt sich füglich streiten. Aber sie hat auch kraftvoll und wirkungsvoll auf Probleme hingewiesen, die heute noch debattiert werden: von der Gewalt gegen Frauen bis zur Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt bei mangelnder staatlicher Kinderbetreuung. Trotzdem wurde Alice Schwarzer immer wieder im chauvinistischen Ton als hässliche, frigide Hexe diffamiert; die Zeit sprach seinerzeit von der „bisher längsten und perfidesten journalistischen Menschenjagd in der Geschichte der Bundesrepublik“. Und zugleich hatte sie sich innerhalb der Frauenbewegung gegen Neiderinnen und verbissene Ideologinnen zu behaupten. Wer sich diese ganze Geschichte vor Augen führt, wird sich über Tendenzen zur Dogmatisierung ebenso wenig wundern wie über die bisweilen allzu offensive Vorführung von Humor, Weltläufigkeit und rheinischer Gelassenheit.
Die Erinnerungen in dem Buch „Lebenslauf“ reichen nur bis zum Ende der siebziger Jahre (ein zweiter Teil ist für „irgendwann“ in Aussicht gestellt), und das gereicht der Autorin, die im nächsten Jahr siebzig wird, zum Vorteil. Denn für alle diejenigen, die die Privatfernsehen-, Quizshow-, Klüngel-, Talkshow-, Kachelmann- und Bild- Schwarzer als Nervensäge wahrnehmen, ist dieses Buch ein zeithistorisch aufschlussreicher Rückblick auf die Jahre ihres Durchbruchs, der Respekt und Interesse verdient – und der vielleicht auch manches an ihrem Auftreten aus den genannten Ambivalenzen heraus verständlicher macht.
Bleibt die Frage: Wie verhalten sich persönliche und gesellschaftliche Bilanz zueinander? Die emanzipiertesten Männer, die sich nicht als Unterdrücker fühlen, und die selbstbewusstesten Frauen, die sich nicht unterdrückt fühlen, finden heute das, wofür Alice Schwarzer steht, anstrengend. Doch dann merken sie, dass das, was sie in der Praxis des Lebens miteinander auszuhandeln haben, aufgrund ihrer Ansprüche an sich selbst und ans andere Geschlecht nicht unbedingt weniger anstrengend ist als Alice Schwarzer. Und das wiederum ist ein Erfolg von Alice Schwarzer.
Alice Schwarzer
Lebenslauf
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 461 Seiten, 22,99 Euro.
„Die Sorge, ob sich die
Jungs für mich interessieren,
bin ich los.“
In der Schule heißt es:
„hochintelligent,
aber faul“
Wie im Rausch erlebt
sie neue Formen der
weiblichen Gemeinschaft
Wen die Talkshow-Schwarzer
nervt, der sollte dieses
aufschlussreiche Buch lesen
Da kam einiges ins Wanken: 1967 war Alice Schwarzer auf Urlaubsreise mit ihrem langjährigen Freund Bruno, den sie eigentlich sogar heiraten und mit dem sie auch ein Kind kriegen wollte, in Pisa (Bild oben). Das Minikleid war von Marimekko. Zehn Jahre später trifft man sie in Köln bei der Redaktion der ersten Ausgabe der Emma an, der „Zeitschrift für Frauen von Frauen“ (unteres Bild). Abbildungen aus dem besprochenen Band
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»Nicht nur eine Biografie, sondern ein Panorama dieses Landes, das diese Frau [...] auf den Kopf gestellt hat wie keine zweite - gegen alle, auch politische Widerstände.« Adam Soboczynski Die Zeit 20111201