Immobilien-Tycoon Shah ist in Not. Der Kampf um die Filetstücke in Mumbais Boom-Bezirken wird immer härter und er ist auf der Verliererstraße. Retten könnte ihn nur der Bau einer gigantischen Luxus-Appartmentanlage doch dazu müssten die baufälligen Wohntürme der "Vishram Society" weichen. Shah macht den Bewohnern ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Alle sind glücklich, denn gerne würden sie ihr tristes Leben hinter sich lassen. Doch der Deal gilt nur, wenn alle Bewohner den Vertrag unterschreiben. Als der alte Masterji sich standhaft weigert, sein Heim zu verlassen, zieht er den tödlichen Hass aller Hausbewohner auf sich.
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1 | Letzter Mann im Turm | 00:10:36 | |
2 | Letzter Mann im Turm | 00:05:41 | |
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4 | Letzter Mann im Turm | 00:06:22 | |
5 | Letzter Mann im Turm | 00:06:17 | |
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7 | Letzter Mann im Turm | 00:05:33 | |
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9 | Letzter Mann im Turm | 00:04:56 | |
10 | Letzter Mann im Turm | 00:06:14 | |
11 | Letzter Mann im Turm | 00:05:42 | |
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CD 2 | |||
1 | Letzter Mann im Turm | 00:06:21 | |
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5 | Letzter Mann im Turm | 00:05:04 | |
6 | Letzter Mann im Turm | 00:07:55 | |
7 | Letzter Mann im Turm | 00:05:32 | |
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1 | Letzter Mann im Turm | 00:05:05 | |
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buecher-magazin.deIm Zentrum der boomenden indischen Millionenstadt Mumbai stehen zwei abbruchreife Wohntürme in bester Lage, Vishram Society. Sie sind vom Wetter gezeichnet, Strom und Wasser gibt es nur zeitweise, auch die Bewohner haben schon bessere Zeiten gesehen. Dafür aber halten sie zusammen wie zankende Geschwister, sie lieben sich - und gehen sich furchtbar auf die Nerven. Ein Investor will die Bewohner umsiedeln und einer nach dem anderen willigt in einen lukrativen Verkaufsvertrag ein - nur einer weigert sich und hält das Geschäft für alle auf: Masterji, der alte Mathematiklehrer, der an diesen alten Mauern hängt - und an den Erinnerungen darin, an seine große Liebe, seine Tochter, sein Leben.
Sprecher Sebastian Kowski liest diese farbenprächtige Geschichte des indischen Bestsellerautors Aravind Adiga ("Der weiße Tiger") voller Koloratur und Wärme - und schaltet dann auf Gänsehaut um. Denn der letzte Mann im Turm wird erst zur Zielscheibe von Spott, dann regelrecht fertiggemacht - und schließlich furchtbares Opfer der Profitgier.
© BÜCHERmagazin, Bettina Emmerich (be)
Sprecher Sebastian Kowski liest diese farbenprächtige Geschichte des indischen Bestsellerautors Aravind Adiga ("Der weiße Tiger") voller Koloratur und Wärme - und schaltet dann auf Gänsehaut um. Denn der letzte Mann im Turm wird erst zur Zielscheibe von Spott, dann regelrecht fertiggemacht - und schließlich furchtbares Opfer der Profitgier.
© BÜCHERmagazin, Bettina Emmerich (be)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2011Die Spekulanten von Bombay
Aravind Adiga kam vor drei Jahren in die Literatur gefegt wie ein frischer Wind. Jetzt legt der gefeierte junge Autor einen neuen Roman vor: "Letzter Mann im Turm".
Aravind Adiga hat 2008 für seinen Debütroman "Der weiße Tiger" den Booker Prize erhalten. In diesem mörderischen Schelmenroman stellt der 1974 geborene, an amerikanischen und englischen Nobeluniversitäten ausgebildete indische Journalist mit beeindruckender Sicherheit unter Beweis, wie genau er den Geschmack einer globalisierten Leserschaft zu treffen versteht: mit prachtvoll leuchtendem Lokalkolorit, gut verträglicher Sozialkritik, einer geradlinig und spannend erzählten Story, viel Witz, sparsam dosiertem Sex und jener Form krasser Kriminalität, die viel über die Gesellschaft aussagt, in der sie sich ereignet. Kurz, der Roman ist ein herrlicher "page-turner", bei dem auf jeder Seite die Absicht durchschimmert, dem Leser ein Bild der sozialen Problematiken des modernen Indiens zu vermitteln.
Der weiße Tiger: das ist Bahram Halwai, dem es gegen alle Wahrscheinlichkeit gelingt, sich als in einem elenden Nest geborener Sohn eines kranken Rikschafahrers zu einem angesehenen Taxiunternehmer in Bangalore emporzuarbeiten, wobei es mancher List, einer genauen Einsicht in die Herr-Knecht-Dialektik - Diderot und Hegel lassen grüßen -, eminenter Skrupellosigkeit und vor allem einiger übler Tricks bedarf, von denen der übelste derjenige ist, dass Bahram irgendwann seinem Boss die Kehle durchschneidet und sich mit dessen Geld zum Zwecke der unternehmerischen Existenzgründung davonmacht.
Der wilde Witz des Romans beruht darauf, dass Bahram all dies in sieben langen E-Mails dem auf Staatsbesuch in Indien weilenden chinesischen Premierminister erzählt, um ihm am eigenen Fall plausibel zu machen, was es bedeutet, in Indien Unternehmer zu sein. Das ist natürlich eine erzählerische Konstruktion von absurder Naivität; sie gibt Adiga, für den es eine Krise des Erzählens nie gegeben hat, die Möglichkeit, einen Ich-Erzähler mit der Direktheit des spontanen mündlichen Erzählens, in der zeitgemäßen Form der E-Mail, sein Leben rekapitulieren zu lassen.
Man muss all dies in Erinnerung rufen, um begreiflich zu machen, warum Aravind Adigas neuer Roman, "Letzter Mann im Turm", eine so herbe Enttäuschung ist; so kurzweilig das erste Werk ist, so langweilig und mühsam ist das zweite. Auch in diesem von Ilija Trojanow und Susann Urban routiniert übersetzten Roman gibt es einen weißen Tiger: Dharmen Shah, der sich aus kleinsten Verhältnissen zum mächtigen Bauunternehmer in Bombay emporgearbeitet hat. Adiga modelliert ihn als fetten Immobilienhai ("Shah grinste, massierte sich mit beiden Händen den Bauch") und so brutalen wie charmanten Gemütsmenschen, von dem der Leser glauben soll, dass er "Menschen noch viel lieber" mag als Stahl und Zement und dass er deshalb mit dem ihm eigenen "Gefühl für Fairness" so lange wie möglich "Großzügigkeit der Gewalt" vorzieht. Das ist zwar eine Charakterisierungskunst aus dem Geist der Laubsägearbeit, was aber nichts daran ändert, dass dieser Shah die eine einigermaßen interessante Figur in diesem langen Roman ist.
Dharmen Shah, dessen Gesundheit durch das Einatmen einer gewaltigen Menge an Baustaub geschwächt ist, hat es sich zum Ziel gesetzt, sein unternehmerisches Lebenswerk damit zu krönen, dass er in dem gering entwickelten und von Slums durchsetzten Stadtteil Vakola ein gewaltiges Hochhaus mit Luxuswohnungen errichtet. Dies soll auf dem Gelände der Vishram Society geschehen, die aus zwei maroden sechsstöckigen Wohntürmen besteht, die 1959 als Genossenschaftsbauten errichtet worden sind. Um deren Bewohner dazu zu bewegen, dem Abriss der beiden Türme zuzustimmen, unterbreitet er ihnen - "Gefühl für Fairness"! - ein großzügiges Kaufangebot, das weit über dem Handelswert liegt.
Hier nun kommt die zweite halbwegs interessante Figur des Romans ins Spiel. Während alle Bewohner von Turm B und die große Mehrzahl der Bewohner von Turm A sofort und begeistert das ihnen relativen Wohlstand und den Umzug in schöne neue Wohnungen bescherende Angebot annehmen, widersetzt sich ein Mann in Turm A beharrlich allen Versuchen, ihn zur Zustimmung zu bewegen: Yogesh Murthy, genannt Masterji, ein pensionierter Lehrer, der in der Vishram Society als "Gentleman" große Achtung genießt.
Und es kommt, wie es kommen muss: Unter dem Druck des großen Geldes durchläuft die Vishram Society eine bedenkliche "moralische Evolution". Je näher der Termin rückt, den Shah den Bewohnern des Turms A für die Annahme seines Angebots gestellt hat, umso stärker zerfällt die Hausgemeinschaft aus Bürgern der Mittelschicht, die bis dahin wenn auch nicht ohne Konflikte, so doch insgesamt harmonisch zusammengelebt hat. Denn jeder hat gute Gründe, das Angebot des Bauherrn anzunehmen: die Mutter, deren Sohn das Downsyndrom hat; der nette Besitzer eines schlecht besuchten Internetcafés; der undeutlichen Geschäften nachgehende Hausverwalter und so weiter durch alle sechs Stockwerke hindurch. Da die Zustimmung aller zu dem Projekt notwendig ist, wächst der Druck auf den alten Masterji kontinuierlich, wobei es bald zu einigen verdammt unschönen Szenen kommt, in denen sich zeigt, wie rasch anständige Bürger den Anstand verlieren können, wenn es ums Geld geht.
Die Gründe für den Widerstand des alten Lehrers sind so vielgestaltig, dass man von einem klaren Fall erzählerischer Übermotivierung sprechen kann, die die Konturen der Figur zerfließen lässt: die mit dem Haus verbundenen Erinnerungen an die verstorbene Frau und Tochter, der Wunsch des kleinen Mannes, dem mächtigen Immobilienhai Kontra zu geben, Altersstarrsinn und die mangelnde Bereitschaft, sich in Veränderungen zu fügen, der Sinn für menschlichen Anstand, der schon bestehende Wassermangel in Vakola und die Einsicht des Lehrers in die ökologischen Probleme der Stadt - im Klartext, den dieser Autor so liebt: "Was wurde dieser Stadt im Namen des Fortschritts bloß angetan?" Oder noch deutlicher: "Die Immobilienspekulation richtete Bombay zugrunde." Kurz: die Figur des Masterji ist vor allem ein Demonstrationsobjekt, an dem die Verluste an Moral und Menschenwürde, mit der die urbanen Veränderungen in dem sich rasant modernisierenden Mumbai erkauft sind, erzählerisch exekutiert werden.
Und solche Modellfiguren sind, im verkleinerten Maßstab, auch die anderen Figuren des Romans. Shahs Maxime "Ein Bauherr ist der einzige Mann in Bombay, der nie einen Kampf verliert" geht auch deshalb auf, weil er weiß, dass in einer Stadt, in der alles käuflich ist - Politik, Polizei, Justiz, Presse, Adiga lässt hier zu Recht nichts aus -, ein unbestechlicher "schwacher Mann" zur "gefährlichsten Sache der Welt" werden kann. Er überlässt deshalb die Beseitigung dieser Gefahr der Hausgemeinschaft selbst, und diese erledigt ihre Aufgabe denn auch auf mörderische Weise.
Erzählerische Subtilität war schon im "Weißen Tiger" Adigas Sache nicht, aber dort verlieh ein abgebrühter Ich-Erzähler dem Roman Witz und Drive. In dem nach Tagen gegliederten "Letzten Mann im Turm" aber hat Adiga mit einer erzählerischen Polyperspektivität zu kämpfen; er springt innerhalb seiner Tagesabschnitte vom Bauherrn Schah zum Lehrer Masterji und von dort zu den Problemen der anderen Mitglieder der Vishram Society, was seinen Roman einerseits kurz-, andererseits langatmig werden lässt.
Zum einen kann man kein rechtes Interesse an den einzelnen Figuren entwickeln, die wie auf dem Reißbrett entworfen erscheinen, zum anderen wird alles doppelt und dreifach und mit hohem Sinn für Überdeutlichkeit erzählt, so dass auch der Leser irgendwann eine unschöne "moralische Evolution" durchläuft und am liebsten selbst den starrsinnigen Masterji aus dem Wege schaffen möchte, nur damit die Sache ein Ende hat. Dies auch deshalb, weil Adiga, je weiter der Roman voranrückt, umso hemmungsloser seiner Neigung zum Sozialkitsch nachgibt: "Die schuftenden Arbeiter sahen in diesem Licht wie Symbole aus: Hieroglyphen einer Zukunft, einer gewaltigen Zukunft. Masterji blickte in das Licht hinter den Gebäuden. Es sah aus wie ein anderes Bombay, das darauf wartete, geboren zu werden. Aber vorerst mussten sie alle darum kämpfen." Was es mit dieser "gewaltigen Zukunft" auf sich hat, lässt die vage Sozialkritik des Romans im Unbestimmten. Seine utopische Substanz bleibt die der Trivialliteratur: "Diese Jungen werden in einer besseren Welt leben." Möge sie auch bessere Romane hervorbringen.
ERNST OSTERKAMP
Aravind Adiga: "Letzter Mann im Turm". Roman.
Aus dem Englischen von Susann Urban und Ilija Trojanow. C.H. Beck Verlag, München 2011. 515 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aravind Adiga kam vor drei Jahren in die Literatur gefegt wie ein frischer Wind. Jetzt legt der gefeierte junge Autor einen neuen Roman vor: "Letzter Mann im Turm".
Aravind Adiga hat 2008 für seinen Debütroman "Der weiße Tiger" den Booker Prize erhalten. In diesem mörderischen Schelmenroman stellt der 1974 geborene, an amerikanischen und englischen Nobeluniversitäten ausgebildete indische Journalist mit beeindruckender Sicherheit unter Beweis, wie genau er den Geschmack einer globalisierten Leserschaft zu treffen versteht: mit prachtvoll leuchtendem Lokalkolorit, gut verträglicher Sozialkritik, einer geradlinig und spannend erzählten Story, viel Witz, sparsam dosiertem Sex und jener Form krasser Kriminalität, die viel über die Gesellschaft aussagt, in der sie sich ereignet. Kurz, der Roman ist ein herrlicher "page-turner", bei dem auf jeder Seite die Absicht durchschimmert, dem Leser ein Bild der sozialen Problematiken des modernen Indiens zu vermitteln.
Der weiße Tiger: das ist Bahram Halwai, dem es gegen alle Wahrscheinlichkeit gelingt, sich als in einem elenden Nest geborener Sohn eines kranken Rikschafahrers zu einem angesehenen Taxiunternehmer in Bangalore emporzuarbeiten, wobei es mancher List, einer genauen Einsicht in die Herr-Knecht-Dialektik - Diderot und Hegel lassen grüßen -, eminenter Skrupellosigkeit und vor allem einiger übler Tricks bedarf, von denen der übelste derjenige ist, dass Bahram irgendwann seinem Boss die Kehle durchschneidet und sich mit dessen Geld zum Zwecke der unternehmerischen Existenzgründung davonmacht.
Der wilde Witz des Romans beruht darauf, dass Bahram all dies in sieben langen E-Mails dem auf Staatsbesuch in Indien weilenden chinesischen Premierminister erzählt, um ihm am eigenen Fall plausibel zu machen, was es bedeutet, in Indien Unternehmer zu sein. Das ist natürlich eine erzählerische Konstruktion von absurder Naivität; sie gibt Adiga, für den es eine Krise des Erzählens nie gegeben hat, die Möglichkeit, einen Ich-Erzähler mit der Direktheit des spontanen mündlichen Erzählens, in der zeitgemäßen Form der E-Mail, sein Leben rekapitulieren zu lassen.
Man muss all dies in Erinnerung rufen, um begreiflich zu machen, warum Aravind Adigas neuer Roman, "Letzter Mann im Turm", eine so herbe Enttäuschung ist; so kurzweilig das erste Werk ist, so langweilig und mühsam ist das zweite. Auch in diesem von Ilija Trojanow und Susann Urban routiniert übersetzten Roman gibt es einen weißen Tiger: Dharmen Shah, der sich aus kleinsten Verhältnissen zum mächtigen Bauunternehmer in Bombay emporgearbeitet hat. Adiga modelliert ihn als fetten Immobilienhai ("Shah grinste, massierte sich mit beiden Händen den Bauch") und so brutalen wie charmanten Gemütsmenschen, von dem der Leser glauben soll, dass er "Menschen noch viel lieber" mag als Stahl und Zement und dass er deshalb mit dem ihm eigenen "Gefühl für Fairness" so lange wie möglich "Großzügigkeit der Gewalt" vorzieht. Das ist zwar eine Charakterisierungskunst aus dem Geist der Laubsägearbeit, was aber nichts daran ändert, dass dieser Shah die eine einigermaßen interessante Figur in diesem langen Roman ist.
Dharmen Shah, dessen Gesundheit durch das Einatmen einer gewaltigen Menge an Baustaub geschwächt ist, hat es sich zum Ziel gesetzt, sein unternehmerisches Lebenswerk damit zu krönen, dass er in dem gering entwickelten und von Slums durchsetzten Stadtteil Vakola ein gewaltiges Hochhaus mit Luxuswohnungen errichtet. Dies soll auf dem Gelände der Vishram Society geschehen, die aus zwei maroden sechsstöckigen Wohntürmen besteht, die 1959 als Genossenschaftsbauten errichtet worden sind. Um deren Bewohner dazu zu bewegen, dem Abriss der beiden Türme zuzustimmen, unterbreitet er ihnen - "Gefühl für Fairness"! - ein großzügiges Kaufangebot, das weit über dem Handelswert liegt.
Hier nun kommt die zweite halbwegs interessante Figur des Romans ins Spiel. Während alle Bewohner von Turm B und die große Mehrzahl der Bewohner von Turm A sofort und begeistert das ihnen relativen Wohlstand und den Umzug in schöne neue Wohnungen bescherende Angebot annehmen, widersetzt sich ein Mann in Turm A beharrlich allen Versuchen, ihn zur Zustimmung zu bewegen: Yogesh Murthy, genannt Masterji, ein pensionierter Lehrer, der in der Vishram Society als "Gentleman" große Achtung genießt.
Und es kommt, wie es kommen muss: Unter dem Druck des großen Geldes durchläuft die Vishram Society eine bedenkliche "moralische Evolution". Je näher der Termin rückt, den Shah den Bewohnern des Turms A für die Annahme seines Angebots gestellt hat, umso stärker zerfällt die Hausgemeinschaft aus Bürgern der Mittelschicht, die bis dahin wenn auch nicht ohne Konflikte, so doch insgesamt harmonisch zusammengelebt hat. Denn jeder hat gute Gründe, das Angebot des Bauherrn anzunehmen: die Mutter, deren Sohn das Downsyndrom hat; der nette Besitzer eines schlecht besuchten Internetcafés; der undeutlichen Geschäften nachgehende Hausverwalter und so weiter durch alle sechs Stockwerke hindurch. Da die Zustimmung aller zu dem Projekt notwendig ist, wächst der Druck auf den alten Masterji kontinuierlich, wobei es bald zu einigen verdammt unschönen Szenen kommt, in denen sich zeigt, wie rasch anständige Bürger den Anstand verlieren können, wenn es ums Geld geht.
Die Gründe für den Widerstand des alten Lehrers sind so vielgestaltig, dass man von einem klaren Fall erzählerischer Übermotivierung sprechen kann, die die Konturen der Figur zerfließen lässt: die mit dem Haus verbundenen Erinnerungen an die verstorbene Frau und Tochter, der Wunsch des kleinen Mannes, dem mächtigen Immobilienhai Kontra zu geben, Altersstarrsinn und die mangelnde Bereitschaft, sich in Veränderungen zu fügen, der Sinn für menschlichen Anstand, der schon bestehende Wassermangel in Vakola und die Einsicht des Lehrers in die ökologischen Probleme der Stadt - im Klartext, den dieser Autor so liebt: "Was wurde dieser Stadt im Namen des Fortschritts bloß angetan?" Oder noch deutlicher: "Die Immobilienspekulation richtete Bombay zugrunde." Kurz: die Figur des Masterji ist vor allem ein Demonstrationsobjekt, an dem die Verluste an Moral und Menschenwürde, mit der die urbanen Veränderungen in dem sich rasant modernisierenden Mumbai erkauft sind, erzählerisch exekutiert werden.
Und solche Modellfiguren sind, im verkleinerten Maßstab, auch die anderen Figuren des Romans. Shahs Maxime "Ein Bauherr ist der einzige Mann in Bombay, der nie einen Kampf verliert" geht auch deshalb auf, weil er weiß, dass in einer Stadt, in der alles käuflich ist - Politik, Polizei, Justiz, Presse, Adiga lässt hier zu Recht nichts aus -, ein unbestechlicher "schwacher Mann" zur "gefährlichsten Sache der Welt" werden kann. Er überlässt deshalb die Beseitigung dieser Gefahr der Hausgemeinschaft selbst, und diese erledigt ihre Aufgabe denn auch auf mörderische Weise.
Erzählerische Subtilität war schon im "Weißen Tiger" Adigas Sache nicht, aber dort verlieh ein abgebrühter Ich-Erzähler dem Roman Witz und Drive. In dem nach Tagen gegliederten "Letzten Mann im Turm" aber hat Adiga mit einer erzählerischen Polyperspektivität zu kämpfen; er springt innerhalb seiner Tagesabschnitte vom Bauherrn Schah zum Lehrer Masterji und von dort zu den Problemen der anderen Mitglieder der Vishram Society, was seinen Roman einerseits kurz-, andererseits langatmig werden lässt.
Zum einen kann man kein rechtes Interesse an den einzelnen Figuren entwickeln, die wie auf dem Reißbrett entworfen erscheinen, zum anderen wird alles doppelt und dreifach und mit hohem Sinn für Überdeutlichkeit erzählt, so dass auch der Leser irgendwann eine unschöne "moralische Evolution" durchläuft und am liebsten selbst den starrsinnigen Masterji aus dem Wege schaffen möchte, nur damit die Sache ein Ende hat. Dies auch deshalb, weil Adiga, je weiter der Roman voranrückt, umso hemmungsloser seiner Neigung zum Sozialkitsch nachgibt: "Die schuftenden Arbeiter sahen in diesem Licht wie Symbole aus: Hieroglyphen einer Zukunft, einer gewaltigen Zukunft. Masterji blickte in das Licht hinter den Gebäuden. Es sah aus wie ein anderes Bombay, das darauf wartete, geboren zu werden. Aber vorerst mussten sie alle darum kämpfen." Was es mit dieser "gewaltigen Zukunft" auf sich hat, lässt die vage Sozialkritik des Romans im Unbestimmten. Seine utopische Substanz bleibt die der Trivialliteratur: "Diese Jungen werden in einer besseren Welt leben." Möge sie auch bessere Romane hervorbringen.
ERNST OSTERKAMP
Aravind Adiga: "Letzter Mann im Turm". Roman.
Aus dem Englischen von Susann Urban und Ilija Trojanow. C.H. Beck Verlag, München 2011. 515 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011Auf Dreck gebaut
Aravind Adiga erzählt von der Gentrifizierung Mumbais
Wer am Flughafen in Mumbai ankommt, muss, um ins Zentrum dieses krakenhaften 14-Millionen-Molochs zu gelangen, zuerst den Slum durchqueren, illegal errichtete Behausungen und Müllberge, die bis zum Rollfeld hin das Land in Besitz nehmen. Doch schon beim nächsten Besuch könnten sich aus dem Schutt, dem Kot und dem Müll gläserne Luxustürme erhoben haben. Der indische Autor Aravind Adiga vergleicht Mumbai mit einem Yogameister, der sich um sich selbst faltet, indem es sein Zentrum von Süden, wo es sich nicht mehr ausbreiten könne, in die sumpfige Gegend in der Nähe des Flughafens verlagert habe. „Jeden Monat machten neue Finanzgebäude auf. Und der Mammon schmolz wie Butter auf einer Herdplatte und tröpfelte in die Slums, machte einige Slumbewohner reich und vernichtete andere.“ So beschreibt Adiga den Kampf um Land und Geld in Mumbai, den Stoff für seinen neuen Roman „Letzter Mann im Turm“.
Ein Zeitungsartikel sensibilisierte Aravind Adiga für das Thema: In Mumbai sollte ein Wohnblock „saniert“ werden, ein beschönigendes Wort für dessen Abbruch. In dieser eng bebauten und vom Meer begrenzten Stadt ein typisches Phänomen. Der Unternehmer bot einen Kaufpreis dreihundert Prozent über dem Marktwert. Da es sich aber um eine Genossenschaft handelte, musste jeder Einzelne dem Plan zustimmen. Ein alter Mann jedoch lehnte ab. In einem weiteren Artikel sagte dieser, „man kann mit Leuten vierzig Jahre zusammenleben, und doch weiß man nicht, wer sie sind, bis Geld ins Spiel kommt.“ Das Thema habe ihn gefesselt, sagt Adiga in einem BBC-Interview, weil er selbst nicht wisse, wen er unterstützen würde. Neben diesem Mann sei die Stadt selbst der andere Protagonist, ja, der Hauptcharakter.
Im Buch ist es der korrupte Immobilienhai Dharmen Shah – einst barfuß und ohne Geld aus der Provinz in Mumbai angekommen, der als Krönung seines Erfolgs einen luxuriösen Glasturm im neuen Finanzzentrum Mumbais plant. „Neogotischer, italienischer, indischer Stil, Jugendstil, alles in einem Haus. Meine ganze Lebensgeschichte steckt da drin“, erklärt der fettleibige Unternehmer seiner jungen Geliebten Rosie. Weil Mumbai aus Dreck und Müll gewachsen ist, baut er genau darauf sein Lebensglück in dieser Stadt auf. Das allein ist seine Wahrheit, sein Leitmotiv.
Und so bietet Shah den Bewohnern der Vishram-Society, des Wohnhauses, das zugunsten des neuen Luxusturms weichen muss, viel Geld, damit sie einem Abriss zustimmen. Doch Yogesh Anantha Murthy, Shahs lethargischer Gegenspieler, zeigt sich von dem Angebot unbeeindruckt. „Ein Mann, der nichts will, einer, der keine verborgenen Winkel in seinem Herzen hat, in die man noch ein bisschen mehr Geld stopfen könnte, was für ein Mann ist das denn?“, fragt sich Dharmen Shah bestürzt. Aravind Adiga lässt seinen Protagonisten Murthy, den seine Mitbewohner respektvoll Masterji nennen, aus der Fülle der Figuren nur langsam hervortreten. Masterji lebt allein. Seine Frau Purnima ist kürzlich gestorben, seine Tochter stürzte vor Jahren aus einem der überfüllten Pendlerzüge.
Sein ganzes Leben steckt in diesem maroden Haus, so wie das Leben seines Gegners Dharmen Shah sich in einem neuen, luxuriösen Glasturm manifestieren soll. Er ist der letzte Mann im Turm. Doch damit läuft Masterji Gefahr, genauso zu enden wie der räudige, kranke Hund, der sich oft ins Treppenhaus schleicht. Der liegt später in einer Pfütze aus klebrigem Blut. Dabei gleicht Masterji eher einer typisierten Figur aus der antiken Tragödie als dem Helden eines modernen Romans. Fehlt nur noch der Chor, der seine Tragödie kommentiert.
Aravind Adiga emigrierte als 16-Jähriger mit seiner Familie nach Sydney und studierte später englische Literatur in New York. Heute lebt der menschenscheue Autor als Journalist und Autor in Mumbai. Sein Held Masterji dagegen hat Indien nie verlassen. Und doch blickt er mit analytischem Scharfsinn aus der Perspektive des Außenstehenden auf seine korrupte und chaotische Stadt. Anfangs vergleichen ihn seine Nachbarn noch mit einem „englischen Gentleman“. Zum Verhängnis wird ihm die feine englische Art, weil seine Prinzipien und Manieren im von Geldgier geprägten Mumbai nutzlos sind. So nutzlos wie die Geschichten über ferne Planeten, die er seinen Schülern erzählt. Alle Figuren stecken tief in ihrer eigenen kleinen Welt fest. Aber sie scheinen viel zu wissen über das Leben und über Indien, auch wenn sie es nicht schaffen, weise zu handeln, sondern nur pragmatisch.
Das unschlagbare Angebot von Dharmen Shah zerstört die eingeschworene Hausgemeinschaft. Plötzlich fragen sich Masterjis Nachbarn, „warum haben wir ihn blindlings respektiert?“ Vom großen Geld gelockt, will nun jeder das Beste für sich herausholen: die alleinerziehende Sozialarbeiterin Georgina Rego mit ihren beiden Kindern Sunil und Sarah; der pensionierte Buchhalter der Britannica Biscuit Company, Albert Pinto mit seiner blinden Frau Shelley, deren Kinder ihr Glück in Amerika suchen, aber nicht finden. Sajiv Puri und seine Frau Sangeeta mit ihrem Sohn Ramesh, der das Downsyndrom hat. „Der sich nicht entwickelt und dennoch immerzu Neues aufschnappt – ganz wie die Stadt, in der er lebt.“ Und Ibrahim Kudwa mit seiner Familie, der ein Internetcafé betreibt.
Dharmen Shah will also das schmutzige Mumbai in ein luxuriös-leuchtendes, sauberes Shanghai verwandeln, das in Indien für Erfolg und Struktur steht. „Diese Chinesen haben die gesamte Willenskraft der Welt gepachtet. Und wir hier haben seit der Unabhängigkeit nicht mal zehn Minuten lang Willenskraft aufgebracht“, sagt der todkranke Baulöwe zu seinem Arzt. Nur gegen den giftigen Staub in seinen Lungen kommt auch Shahs Wille nicht an. Er ist korrupt, und doch kann man ihn nicht verteufeln, weil auch er nur ein winziges Elementarteilchen Mumbais ist, auf der verzweifelten Suche nach dem Glück. Doch stattdessen findet er nur immer noch mehr Geld.
Adiga hat für sein Debüt, den gesellschaftskritischen Briefroman „Der weiße Tiger“, für den er 2008 überraschend den Booker-Preis erhielt, im eigenen Land viel Kritik geerntet. Sein neuer Roman spiele auch deshalb nicht mehr im Milieu der untersten Gesellschaftsschicht, sagte Adiga der BBC. Hier seien Lehrer, Buchhalter, Makler und Sozialarbeiter die Protagonisten. Der Vorwurf, der Journalist und Autor sei nicht solidarisch mit seinem Land, sondern geißele nur Armut und Korruption, traf ihn schwer. Und so ist „Letzter Mann im Turm“ konventioneller konzipiert, auch sprachlich. Adiga kommt nicht mehr so sarkastisch und schelmenhaft daher. Trotzdem sei sein Buch radikal, sagt er, weil die Geschichte in der soliden Mittelklasse Mumbais spielt, weil es genau um die Leute geht, die sein Buch auch kaufen würden.
MICHAELA METZ
ARAVIND ADIGA: Letzter Mann im Turm. Roman. Aus dem Englischen von Susann Urban und Ilija Trojanow. Verlag C. H. Beck, München 2011, 515 Seiten, 19,95 Euro.
„Der Mammon schmolz
wie Butter auf einer Herdplatte
und tröpfelte in die Slums“
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Aravind Adiga erzählt von der Gentrifizierung Mumbais
Wer am Flughafen in Mumbai ankommt, muss, um ins Zentrum dieses krakenhaften 14-Millionen-Molochs zu gelangen, zuerst den Slum durchqueren, illegal errichtete Behausungen und Müllberge, die bis zum Rollfeld hin das Land in Besitz nehmen. Doch schon beim nächsten Besuch könnten sich aus dem Schutt, dem Kot und dem Müll gläserne Luxustürme erhoben haben. Der indische Autor Aravind Adiga vergleicht Mumbai mit einem Yogameister, der sich um sich selbst faltet, indem es sein Zentrum von Süden, wo es sich nicht mehr ausbreiten könne, in die sumpfige Gegend in der Nähe des Flughafens verlagert habe. „Jeden Monat machten neue Finanzgebäude auf. Und der Mammon schmolz wie Butter auf einer Herdplatte und tröpfelte in die Slums, machte einige Slumbewohner reich und vernichtete andere.“ So beschreibt Adiga den Kampf um Land und Geld in Mumbai, den Stoff für seinen neuen Roman „Letzter Mann im Turm“.
Ein Zeitungsartikel sensibilisierte Aravind Adiga für das Thema: In Mumbai sollte ein Wohnblock „saniert“ werden, ein beschönigendes Wort für dessen Abbruch. In dieser eng bebauten und vom Meer begrenzten Stadt ein typisches Phänomen. Der Unternehmer bot einen Kaufpreis dreihundert Prozent über dem Marktwert. Da es sich aber um eine Genossenschaft handelte, musste jeder Einzelne dem Plan zustimmen. Ein alter Mann jedoch lehnte ab. In einem weiteren Artikel sagte dieser, „man kann mit Leuten vierzig Jahre zusammenleben, und doch weiß man nicht, wer sie sind, bis Geld ins Spiel kommt.“ Das Thema habe ihn gefesselt, sagt Adiga in einem BBC-Interview, weil er selbst nicht wisse, wen er unterstützen würde. Neben diesem Mann sei die Stadt selbst der andere Protagonist, ja, der Hauptcharakter.
Im Buch ist es der korrupte Immobilienhai Dharmen Shah – einst barfuß und ohne Geld aus der Provinz in Mumbai angekommen, der als Krönung seines Erfolgs einen luxuriösen Glasturm im neuen Finanzzentrum Mumbais plant. „Neogotischer, italienischer, indischer Stil, Jugendstil, alles in einem Haus. Meine ganze Lebensgeschichte steckt da drin“, erklärt der fettleibige Unternehmer seiner jungen Geliebten Rosie. Weil Mumbai aus Dreck und Müll gewachsen ist, baut er genau darauf sein Lebensglück in dieser Stadt auf. Das allein ist seine Wahrheit, sein Leitmotiv.
Und so bietet Shah den Bewohnern der Vishram-Society, des Wohnhauses, das zugunsten des neuen Luxusturms weichen muss, viel Geld, damit sie einem Abriss zustimmen. Doch Yogesh Anantha Murthy, Shahs lethargischer Gegenspieler, zeigt sich von dem Angebot unbeeindruckt. „Ein Mann, der nichts will, einer, der keine verborgenen Winkel in seinem Herzen hat, in die man noch ein bisschen mehr Geld stopfen könnte, was für ein Mann ist das denn?“, fragt sich Dharmen Shah bestürzt. Aravind Adiga lässt seinen Protagonisten Murthy, den seine Mitbewohner respektvoll Masterji nennen, aus der Fülle der Figuren nur langsam hervortreten. Masterji lebt allein. Seine Frau Purnima ist kürzlich gestorben, seine Tochter stürzte vor Jahren aus einem der überfüllten Pendlerzüge.
Sein ganzes Leben steckt in diesem maroden Haus, so wie das Leben seines Gegners Dharmen Shah sich in einem neuen, luxuriösen Glasturm manifestieren soll. Er ist der letzte Mann im Turm. Doch damit läuft Masterji Gefahr, genauso zu enden wie der räudige, kranke Hund, der sich oft ins Treppenhaus schleicht. Der liegt später in einer Pfütze aus klebrigem Blut. Dabei gleicht Masterji eher einer typisierten Figur aus der antiken Tragödie als dem Helden eines modernen Romans. Fehlt nur noch der Chor, der seine Tragödie kommentiert.
Aravind Adiga emigrierte als 16-Jähriger mit seiner Familie nach Sydney und studierte später englische Literatur in New York. Heute lebt der menschenscheue Autor als Journalist und Autor in Mumbai. Sein Held Masterji dagegen hat Indien nie verlassen. Und doch blickt er mit analytischem Scharfsinn aus der Perspektive des Außenstehenden auf seine korrupte und chaotische Stadt. Anfangs vergleichen ihn seine Nachbarn noch mit einem „englischen Gentleman“. Zum Verhängnis wird ihm die feine englische Art, weil seine Prinzipien und Manieren im von Geldgier geprägten Mumbai nutzlos sind. So nutzlos wie die Geschichten über ferne Planeten, die er seinen Schülern erzählt. Alle Figuren stecken tief in ihrer eigenen kleinen Welt fest. Aber sie scheinen viel zu wissen über das Leben und über Indien, auch wenn sie es nicht schaffen, weise zu handeln, sondern nur pragmatisch.
Das unschlagbare Angebot von Dharmen Shah zerstört die eingeschworene Hausgemeinschaft. Plötzlich fragen sich Masterjis Nachbarn, „warum haben wir ihn blindlings respektiert?“ Vom großen Geld gelockt, will nun jeder das Beste für sich herausholen: die alleinerziehende Sozialarbeiterin Georgina Rego mit ihren beiden Kindern Sunil und Sarah; der pensionierte Buchhalter der Britannica Biscuit Company, Albert Pinto mit seiner blinden Frau Shelley, deren Kinder ihr Glück in Amerika suchen, aber nicht finden. Sajiv Puri und seine Frau Sangeeta mit ihrem Sohn Ramesh, der das Downsyndrom hat. „Der sich nicht entwickelt und dennoch immerzu Neues aufschnappt – ganz wie die Stadt, in der er lebt.“ Und Ibrahim Kudwa mit seiner Familie, der ein Internetcafé betreibt.
Dharmen Shah will also das schmutzige Mumbai in ein luxuriös-leuchtendes, sauberes Shanghai verwandeln, das in Indien für Erfolg und Struktur steht. „Diese Chinesen haben die gesamte Willenskraft der Welt gepachtet. Und wir hier haben seit der Unabhängigkeit nicht mal zehn Minuten lang Willenskraft aufgebracht“, sagt der todkranke Baulöwe zu seinem Arzt. Nur gegen den giftigen Staub in seinen Lungen kommt auch Shahs Wille nicht an. Er ist korrupt, und doch kann man ihn nicht verteufeln, weil auch er nur ein winziges Elementarteilchen Mumbais ist, auf der verzweifelten Suche nach dem Glück. Doch stattdessen findet er nur immer noch mehr Geld.
Adiga hat für sein Debüt, den gesellschaftskritischen Briefroman „Der weiße Tiger“, für den er 2008 überraschend den Booker-Preis erhielt, im eigenen Land viel Kritik geerntet. Sein neuer Roman spiele auch deshalb nicht mehr im Milieu der untersten Gesellschaftsschicht, sagte Adiga der BBC. Hier seien Lehrer, Buchhalter, Makler und Sozialarbeiter die Protagonisten. Der Vorwurf, der Journalist und Autor sei nicht solidarisch mit seinem Land, sondern geißele nur Armut und Korruption, traf ihn schwer. Und so ist „Letzter Mann im Turm“ konventioneller konzipiert, auch sprachlich. Adiga kommt nicht mehr so sarkastisch und schelmenhaft daher. Trotzdem sei sein Buch radikal, sagt er, weil die Geschichte in der soliden Mittelklasse Mumbais spielt, weil es genau um die Leute geht, die sein Buch auch kaufen würden.
MICHAELA METZ
ARAVIND ADIGA: Letzter Mann im Turm. Roman. Aus dem Englischen von Susann Urban und Ilija Trojanow. Verlag C. H. Beck, München 2011, 515 Seiten, 19,95 Euro.
„Der Mammon schmolz
wie Butter auf einer Herdplatte
und tröpfelte in die Slums“
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bitter enttäuscht zeigt sich Ernst Osterkamp von diesem zweiten Roman Aravind Adigas - dabei hatte ihm der mit dem Booker-Preis gefeierte Erstling noch sehr gut gefallen. Von der Fülle, dem Witz, dem Drive, der das erste Buch "Der weiße Tiger" ausmachte, ist zu seinem Bedauern wenig geblieben. Dafür habe sich der Hang des Autors zur "Überdeutlichkeit", der gelegentlich vorher schon störte, nun außerordentlich deutlich ausgeprägt. Erzählt wird hier die Geschichte eines störrischen alten Mannes, der gegen den seinen Mitbewohnern nur zu genehmen und wohlbezahlten Auszug aus zum Abriss stehenden Wohntürmen opponiert. Er wird so zur Gegenfigur eines Immobilienhais - und so schematisch, wie sich das anhört, hat es Ernst Osterkamp auch gefunden. Lang ist der Roman außerdem und irgendwann habe er sich nur noch gewünscht, seufzt der Rezensent, der störrische alte Mann möge sterben, damit es vorbei ist mit der zusehends quälenden Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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