Nur Lotto wagt es, sich Mathilde, der unnahbaren Schönheit, zu nähern. Dass sie füreinander bestimmt sind, scheint eine simple göttliche Gleichung zu sein. Sie lieben sich, sie begehren einander, sie heiraten. Ihre Partys in New York sind legendär, und irgendwann feiert Lotto Triumphe als Dramatiker. Ist das alles tatsächlich glückliche Fügung oder lenkt hier jemand die Geschicke, hält die goldenen Fäden unnachgiebig in der Hand? Und was geschieht, wenn sich ein einziges Vorzeichen im Beziehungsgefüge als Illusion herausstellt, was bleibt dann bestehen? Denn die Geschichte kann auch ganz anders erzählt werden: Während Lotto in Mathilde nur das Gute, Reine sieht, sehen wir durch Mathildes Augen die Mythen ihrer Ehe auseinanderfallen.
Ein brillanter Ehe-Roman mit einer furiosen Wendung - gelesen von Roman Knizka und Claudia Michelsen.
Ein brillanter Ehe-Roman mit einer furiosen Wendung - gelesen von Roman Knizka und Claudia Michelsen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2016Der Blutegel an meinem Bein
Lauren Groffs "Licht und Zorn" ist ein großer, abgründiger Roman über die Ehe
Die Idee der romantischen Liebe hatte bekanntlich einst zum Ziel, die Ehe als ein nach rationalen Überlegungen geschlossenes Zweckbündnis durch eine auf wahrer Leidenschaft gründende Verbindung abzulösen. Nun muss man dieses romantische Ideal freilich nicht gleich als irrwitzige Idee verwerfen, dennoch fällt immer öfter der skeptische Blick auf das institutionell besiegelte Bündnis zweier Liebender. Davon zeugen nicht allein aktuelle Scheidungsraten, sondern auch die literarischen Variationen des Themas. Glücklich darf sich schätzen, wer der beklemmenden Schmalllippigkeit des ehelichen Wohnzimmers - vom Schlafzimmer ganz zu schweigen - unversehrt entkommt. Emma Bovary und Effi Briest sind nur die bekanntesten der zumeist weiblichen Opfer der Ehe. Und nicht von ungefähr dauert ihre traurige Berühmtheit bis heute an.
Die 1978 geborene amerikanische Autorin Lauren Groff nimmt sich mithin in ihrem dritten Roman "Licht und Zorn", der im Original im Herbst 2015 erschien und für den National Book Award nominiert wurde, ein bewährtes Thema vor. Die Konstruktionsidee des Romans ist kein Novum: Die gut zweieinhalb Jahrzehnte währende Ehe von Mathilde und Lancelot, genannt Lotto, wird im ersten Teil des Romans aus seiner, im zweiten Teil aus ihrer Perspektive erzählt. Dass am Ende zwei sehr unterschiedliche Geschichten nebeneinanderstehen, verwundert kaum. Das massentaugliche Potential dieser Doppelperspektive hat unlängst Gillian Flynns "Gone Girl" unter Beweis gestellt. Der Vergleich mit der Unterhaltungsliteratur mag in Groffs Fall so fern nicht liegen. Nicht allein die biographischen Verwicklungen, die Groff ihren Figuren andichtet, sind einigermaßen abenteuerlich. Auch die Bilder und Metaphern wuchern arg ungestüm, nicht ohne sich dabei immer mal wieder zu verheddern, gerade was die Schilderungen des ehelichen Begehrens angeht.
Aber nicht allein die Emphase, die Groffs Erzählen beständig durchwogt, mag damit versöhnen. Es ist zudem die trügerische Vertrautheit, aus der die gleichermaßen anziehende wie unheimliche Kraft von Lauren Groffs Roman entsteht. Und nicht zuletzt: Groffs kluger, gänzlich moralinfreier Blick auf ihre Figuren.
Den Auftakt bildet ein romantisches Feuerwerk allererster Güte: Ein leidenschaftlicher Liebesakt am Strand besiegelt die Hochzeit von Lotto und Mathilde, die sich gerade einmal zwei Wochen kennen. Hollywoodtauglich ist, was auf den überstürzten Eheschluss folgt: Dem aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Lotto wird von seiner Mutter der Geldhahn zugedreht, weil sie die Verbindung mit Mathilde nicht gutheißen will. Den Sohn kann das nicht stoppen, zu betörend ist Mathildes Schönheit.
Schon vorher allerdings war Lotto - darin Mathilde in gewisser Weise ähnlich - ein verstoßener Sohn. Um ihn dem schlechten Einfluss falscher Freunde zu entziehen, hat die früh verwitwete Mutter ihn auf ein Internat gegeben, fernab der warmen Heimat Florida, worunter er anfangs hündisch leidet. Seine Mutter aber will nur das berühmte Beste für ihn, lenkt seine Geschicke von Ferne, ohne dass der Sohn dies merkt.
Die Hochzeit bringt nicht nur den finanziellen Bruch. Deprimierender noch ist, dass es mit der von Lotto avisierten Schauspielerkarriere so gar nicht klappen mag. Mathilde derweil verzichtet auf alle Selbstverwirklichung und verdient das Geld, damit die beiden einigermaßen über die Runden kommen. Diese aus geschlechterspezifischer Perspektive durchaus kritisch zu lesende, wenngleich nicht untypische Konstellation scheint einigermaßen klar. Weil Groff aber die eigentliche Erzählstimme dieses ersten Teils, jene Lottos, durch mitunter kaum durchschaubare, immer wieder auch unlogisch anmutende Verlagerungen der Perspektive aufweicht, werden die Zusammenhänge zusehends nebulöser.
Der Leser vermutet, dass in Wirklichkeit Mathilde der Erfolg der Theaterstücke geschuldet ist, auf deren Schreiben sich Lotto schließlich verlegt und die ihn schnell zum prominenten Autor avancieren lassen. Und spekulieren kann der Leser auch nur über die Wut und Verzweiflung, die sich in Mathilde doch aufstauen müssten, wenn Lotto bar jeden Selbstzweifels die eigene Genialität preist und nebenbei die Kinderlosigkeit seiner Ehe betrauert und damit, perfiderweise sogar öffentlich, Mathildes doppeltes Ungenügen herausstellt.
Gegen Ende des ersten Teils von "Licht und Zorn" scheint sich der Unwillen Mathildes Bahn zu brechen, ausgelöst durch die Erinnerung an einen Blutegel, der sich am eigenen Bein festgesaugt hat. Eine vordergründige Deutung des Bildes als Symbol dieser Ehe würde allzu simpel geraten. Bei Groff nehmen die emotionalen Verstrickungen immer mindestens drei Windungen mehr. Die Geschichte von Mathildes Kindheit und Jugend, die Groff nun entfaltet, ist auf eine so irritierende, beinahe perfide Weise überraschend, dass der Roman unversehens zu einem emotionalen Psychothriller gerät. An dieser Stelle nur so viel: Ein dunkles Geheimnis in Mathildes früher Kindheit hat ihr Leben in Gleise gelenkt, aus denen es lange Jahre kein Entkommen gab - bis sie Lotto begegnete.
Dass man nach langen Jahren der Ehe feststellen muss, sein halbes Leben an der Seite eines Fremden verbracht zu haben, mag allenfalls noch zur Floskel gereichen. Es spricht für die nicht nur dramaturgische Abgründigkeit Groffs, dass Lotto vor seinem Tod zwar zu der Einsicht kommt, sich in Mathilde getäuscht zu haben, dass aber diese Einsicht wiederum auf einem Irrtum beruht.
Das Wundersame an "Licht und Zorn" ist jedoch, dass der Roman alles andere als eine Verteufelung der Ehe ist. Im Gegenteil. Sowohl für Mathilde als auch für Lotto bedeutet der jeweils andere die Rettung, womöglich sogar, wenngleich das pathetisch klingt, die einzig mögliche Existenzbedingung. Der Roman ist die Feier einer Verbindung, die nicht nur trotz, sondern wegen der Geheimnisse und des Betrugs funktioniert. Auf befremdliche und leicht schauerliche Weise mutet der Egoismus, der bei Groff als Motor des Daseins und eben auch der Ehe fungiert, beglückend an.
WIEBKE POROMBKA
Lauren Groff: "Licht und Zorn". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2016. 432 S., geb., 24,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lauren Groffs "Licht und Zorn" ist ein großer, abgründiger Roman über die Ehe
Die Idee der romantischen Liebe hatte bekanntlich einst zum Ziel, die Ehe als ein nach rationalen Überlegungen geschlossenes Zweckbündnis durch eine auf wahrer Leidenschaft gründende Verbindung abzulösen. Nun muss man dieses romantische Ideal freilich nicht gleich als irrwitzige Idee verwerfen, dennoch fällt immer öfter der skeptische Blick auf das institutionell besiegelte Bündnis zweier Liebender. Davon zeugen nicht allein aktuelle Scheidungsraten, sondern auch die literarischen Variationen des Themas. Glücklich darf sich schätzen, wer der beklemmenden Schmalllippigkeit des ehelichen Wohnzimmers - vom Schlafzimmer ganz zu schweigen - unversehrt entkommt. Emma Bovary und Effi Briest sind nur die bekanntesten der zumeist weiblichen Opfer der Ehe. Und nicht von ungefähr dauert ihre traurige Berühmtheit bis heute an.
Die 1978 geborene amerikanische Autorin Lauren Groff nimmt sich mithin in ihrem dritten Roman "Licht und Zorn", der im Original im Herbst 2015 erschien und für den National Book Award nominiert wurde, ein bewährtes Thema vor. Die Konstruktionsidee des Romans ist kein Novum: Die gut zweieinhalb Jahrzehnte währende Ehe von Mathilde und Lancelot, genannt Lotto, wird im ersten Teil des Romans aus seiner, im zweiten Teil aus ihrer Perspektive erzählt. Dass am Ende zwei sehr unterschiedliche Geschichten nebeneinanderstehen, verwundert kaum. Das massentaugliche Potential dieser Doppelperspektive hat unlängst Gillian Flynns "Gone Girl" unter Beweis gestellt. Der Vergleich mit der Unterhaltungsliteratur mag in Groffs Fall so fern nicht liegen. Nicht allein die biographischen Verwicklungen, die Groff ihren Figuren andichtet, sind einigermaßen abenteuerlich. Auch die Bilder und Metaphern wuchern arg ungestüm, nicht ohne sich dabei immer mal wieder zu verheddern, gerade was die Schilderungen des ehelichen Begehrens angeht.
Aber nicht allein die Emphase, die Groffs Erzählen beständig durchwogt, mag damit versöhnen. Es ist zudem die trügerische Vertrautheit, aus der die gleichermaßen anziehende wie unheimliche Kraft von Lauren Groffs Roman entsteht. Und nicht zuletzt: Groffs kluger, gänzlich moralinfreier Blick auf ihre Figuren.
Den Auftakt bildet ein romantisches Feuerwerk allererster Güte: Ein leidenschaftlicher Liebesakt am Strand besiegelt die Hochzeit von Lotto und Mathilde, die sich gerade einmal zwei Wochen kennen. Hollywoodtauglich ist, was auf den überstürzten Eheschluss folgt: Dem aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Lotto wird von seiner Mutter der Geldhahn zugedreht, weil sie die Verbindung mit Mathilde nicht gutheißen will. Den Sohn kann das nicht stoppen, zu betörend ist Mathildes Schönheit.
Schon vorher allerdings war Lotto - darin Mathilde in gewisser Weise ähnlich - ein verstoßener Sohn. Um ihn dem schlechten Einfluss falscher Freunde zu entziehen, hat die früh verwitwete Mutter ihn auf ein Internat gegeben, fernab der warmen Heimat Florida, worunter er anfangs hündisch leidet. Seine Mutter aber will nur das berühmte Beste für ihn, lenkt seine Geschicke von Ferne, ohne dass der Sohn dies merkt.
Die Hochzeit bringt nicht nur den finanziellen Bruch. Deprimierender noch ist, dass es mit der von Lotto avisierten Schauspielerkarriere so gar nicht klappen mag. Mathilde derweil verzichtet auf alle Selbstverwirklichung und verdient das Geld, damit die beiden einigermaßen über die Runden kommen. Diese aus geschlechterspezifischer Perspektive durchaus kritisch zu lesende, wenngleich nicht untypische Konstellation scheint einigermaßen klar. Weil Groff aber die eigentliche Erzählstimme dieses ersten Teils, jene Lottos, durch mitunter kaum durchschaubare, immer wieder auch unlogisch anmutende Verlagerungen der Perspektive aufweicht, werden die Zusammenhänge zusehends nebulöser.
Der Leser vermutet, dass in Wirklichkeit Mathilde der Erfolg der Theaterstücke geschuldet ist, auf deren Schreiben sich Lotto schließlich verlegt und die ihn schnell zum prominenten Autor avancieren lassen. Und spekulieren kann der Leser auch nur über die Wut und Verzweiflung, die sich in Mathilde doch aufstauen müssten, wenn Lotto bar jeden Selbstzweifels die eigene Genialität preist und nebenbei die Kinderlosigkeit seiner Ehe betrauert und damit, perfiderweise sogar öffentlich, Mathildes doppeltes Ungenügen herausstellt.
Gegen Ende des ersten Teils von "Licht und Zorn" scheint sich der Unwillen Mathildes Bahn zu brechen, ausgelöst durch die Erinnerung an einen Blutegel, der sich am eigenen Bein festgesaugt hat. Eine vordergründige Deutung des Bildes als Symbol dieser Ehe würde allzu simpel geraten. Bei Groff nehmen die emotionalen Verstrickungen immer mindestens drei Windungen mehr. Die Geschichte von Mathildes Kindheit und Jugend, die Groff nun entfaltet, ist auf eine so irritierende, beinahe perfide Weise überraschend, dass der Roman unversehens zu einem emotionalen Psychothriller gerät. An dieser Stelle nur so viel: Ein dunkles Geheimnis in Mathildes früher Kindheit hat ihr Leben in Gleise gelenkt, aus denen es lange Jahre kein Entkommen gab - bis sie Lotto begegnete.
Dass man nach langen Jahren der Ehe feststellen muss, sein halbes Leben an der Seite eines Fremden verbracht zu haben, mag allenfalls noch zur Floskel gereichen. Es spricht für die nicht nur dramaturgische Abgründigkeit Groffs, dass Lotto vor seinem Tod zwar zu der Einsicht kommt, sich in Mathilde getäuscht zu haben, dass aber diese Einsicht wiederum auf einem Irrtum beruht.
Das Wundersame an "Licht und Zorn" ist jedoch, dass der Roman alles andere als eine Verteufelung der Ehe ist. Im Gegenteil. Sowohl für Mathilde als auch für Lotto bedeutet der jeweils andere die Rettung, womöglich sogar, wenngleich das pathetisch klingt, die einzig mögliche Existenzbedingung. Der Roman ist die Feier einer Verbindung, die nicht nur trotz, sondern wegen der Geheimnisse und des Betrugs funktioniert. Auf befremdliche und leicht schauerliche Weise mutet der Egoismus, der bei Groff als Motor des Daseins und eben auch der Ehe fungiert, beglückend an.
WIEBKE POROMBKA
Lauren Groff: "Licht und Zorn". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2016. 432 S., geb., 24,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2016Die Umarmung des Vampirtintenfischs
Lauren Groff erzählt in „Licht und Zorn“ die Geschichte einer gescheiterten Beziehung gleich zweimal.
Dem altbekannten Genre des Eheromans gewinnt die amerikanische Autorin überraschende Einsichten ab
VON KARIN JANKER
Was könnte konventioneller sein als ein Roman über eine Ehe, die 24 Jahre lang halbwegs glücklich verläuft, mit Höhen und Tiefen, versteht sich? Eine Ehe, in der er die ganze Zeit das Gefühl hat, sie habe ihn zu einem besseren Menschen gemacht, während sie sich bei ihm endlich angekommen fühlt. Liebe auf den ersten Blick, aufregender Sex und Milchkaffee, den er ihr jeden Morgen ans Bett bringt – klingt reichlich trivial und wird kaum besser durch die Ankündigung, dass der Roman in zwei Teile gegliedert ist: erst wird seine Geschichte erzählt, dann ihre. Und doch ist Lauren Groffs „Licht und Zorn“ ein subtil subversives Buch, das von tiefer Einsamkeit erzählt und von den unbekannten Seiten des Menschen, den wir am besten zu kennen glauben.
Zunächst also die Geschichte von Lancelot, genannt Lotto. Weiß, reich, begabt. Ein „Goldjunge“, von seiner Mutter so sehr geliebt, dass sie ihn nie loslassen können wird. Ein geborener Geschichtenerzähler, der als Schauspieler zwar scheitert – aber nur, um als Dramatiker Erfolge zu feiern. Einer, der sich in der Bewunderung anderer sonnt und den umgekehrt, „von seinem Charme bezirzt“, alle für besser halten, als er tatsächlich ist. Lotto hatte zahllose Frauen und könnte noch mehr haben, aber er entscheidet sich für Mathilde: schön, kühl und geheimnisvoll. Ihr wird er sein Leben lang treu bleiben, in dem Glauben, dass er der erste war, mit dem sie geschlafen hat. Mathilde ist für ihn „eine Heilige“, der reinste Mensch, der ihm je begegnet ist. Ganz geblendet ist er von seinem Glück, sie aber „lächelte, wusste, dass Glück eine Illusion war“. Zwei Wochen nach ihrem Kennenlernen heiraten sie. Der Beginn eine Ehe, in der niemand Mathilde je ohne ihr Lächeln sehen wird. Auch ihr Mann soll nie erfahren, wie viel Dunkelheit sie in sich trägt.
Auf Deutsch erschienen ist „Licht und Zorn“ in der Übersetzung von Stefanie Jacobs, die Groffs jähe Wechsel der sprachlichen Register kongenial unverfroren nachvollzieht und zum Glück nichts geglättet hat. 2015 nannte Barack Obama diesen Roman sein Lieblingsbuch des Jahres, außerdem stand es auf der Shortlist des National Book Award. Für Lauren Groff war dieser dritte Roman ihr Durchbruch in den USA. Dass ihr dies mit einem Eheroman gelungen ist, liegt daran, wie geschickt sie mit den Erwartungen ihrer Leser spielt.
Während der erste Teil über Lotto den Titel „Licht“ trägt, ist die zweite Hälfte „Zorn“, die sich Mathilde zuwendet, keineswegs die Abrechnung einer enttäuschten Ehefrau. Obwohl sie es immerhin ertragen muss, dass ihr Mann, der berühmte Dramatiker, auf einer Podiumsdiskussion vollmundig behauptet: „Mathilde hat zum Beispiel vor Jahren ihren Job aufgegeben, um mir den Rücken frei zu halten. Sie kocht für ihr Leben gern, und es macht sie glücklich, das Haus sauber zu halten und meine Arbeiten zu redigieren.“
Doch „Zorn“ führt die Eskalation viel weiter, als sich der Leser zunächst vorzustellen vermag. Selbst nach dieser Podiumsdiskussion ist Mathilde nicht wütend auf Lotto, sie sagt nur: „Du glaubst, du weißt so viel über mich.“ Daraufhin holt sie ihm ein Glas Wasser, und alles scheint wieder gut zu sein. Groff etabliert die Erzählstimme als eine Instanz, die Informationen nicht nur manipuliert, sondern kontrolliert und vorenthält, so wie Mathilde ihre Vergangenheit.
Genau wie seine Geschichte beginnt auch ihre mit der Kindheit. In Lottos Fall ist es eine klassische Coming-of-AgeGeschichte, genretypische Adoleszenz voller Sex und Drogen. Die andere, die weibliche Geschichte dagegen bricht mit diesem Genre, denn Mathilde scheint nie jung gewesen zu sein. Aufgewachsen bei einer Prostituierten, die ihre eigene Großmutter war, und so einsam, dass sie einen Blutegel eine Woche lang an der Innenseite ihres Oberschenkels leben ließ und weinte, als er abfiel. Ihre Jugend verkaufte sie an einen Mann, der ihr dafür das College bezahlte. Lotto ist für sie der Ausweg aus dieser Misere, eine Art Erlöser. Und er beschließt, sie nicht um mehr zu bitten, als sie ihm freiwillig mitteilt aus dieser Vergangenheit.
Doch Lotto, der Geschichtenerzähler, missbraucht sie auf seine Art: Er entwendet ihr die Erinnerung an den Blutegel und macht sie zu seiner eigenen, erzählt sie bei einem Radiointerview. An diesem Abend schläft Mathilde schon, als er zu ihr ins Bett kommt, zumindest tut sie so, als würde sie schlafen. Besonders stark ist der Roman in diesen reflektierenden Passagen über den Stellenwert von Fiktion und Realität, von Dichtung und Wahrheit. Wenn sich am Ende der ersten Hälfte eine Party in eine Dramenszene mit Dialogen und Regieanweisungen verwandelt, überschrieben mit „Das Ende“, verschwimmt die Grenze zwischen Bühnenfigur und Darsteller für einen Moment, und es wird klar, dass eine Ehe nicht mehr ist als die Fiktion, die man von sich als Paar geschaffen hat. Ein „gemeinsamer Geschichtenfundus“.
„Licht und Zorn“ schildert die kleinen, aber nicht minder dramatischen Abgründe im Alltag. Wie Lotto nach 18 Jahren Ehe der Ausdruck „meine Frau“ eher in den Sinn kommt als ihr Name Mathilde und wie sich beide im grausamen mittleren Alter des Lebens voneinander entfernen: „Seit einiger Zeit blieb er nach dem Weckerklingeln einfach liegen und wartete, bis Mathilde zum Joggen aufgebrochen war oder zu ihrem Yogakurs oder einer ihrer ausgedehnten Radtouren, damit er sich noch einmal umdrehen und weiterschlafen konnte.“ Es geht nicht um das Zerbrechen dieser Ehe, sondern um das Ausharren in ihr.
Doch dann stülpt sich die Geschichte „wie ein Vampirtintenfisch“ einmal komplett um. Das Heimliche in Mathilde wird zum Unheimlichen. Es offenbart sich, was die Erzählstimme „das Paradox der Ehe“ nennt: „Man kennt jemanden nie ganz und kennt ihn doch in- und auswendig.“ Hier, in der Mitte des Romans glüht ein Punkt, auf den alles zuläuft und von dem aus es sich wieder ausbreitet: Denn im Alter von 46 Jahren endet für Mathilde ihr Leben mit Lotto. Danach ist nichts mehr wie es vorher war: „Die nackte Mathilde ignorierte die Türklingel, wachte auf der falschen Bettseite auf und suchte dort nach Wärme, die nicht mehr da war, ließ das Essen auf der Veranda vergammeln, ließ die Blumen auf der Veranda vergammeln, sah den Hund mitten in die Küche pinkeln und briet dem Tier ein Rührei, als kein Trockenfutter mehr da war, dann gab sie ihm das letzte Gemüse-Chili, das Lotto gekocht hatte, und sah zu, wie sich der Hund den Po leckte, der von den Gewürzen brannte.“
In Mathilde brennt kein Licht, sondern Rache – nicht an ihrem Mann, sondern an denen, die schuld sind, dass er sie für immer verlassen hat. Die Geschichte „von der Frau, die einen anderen braucht, der ihren Schaltkreis schließt und sie in ihrem hellsten Licht erstrahlen lässt“, erzählt Groff nur zum Schein. Die zweite Hälfte des Romans nämlich bietet sich als Dekonstruktion der ersten an. Beide Teile schieben sich wie Lamellen ineinander und ergeben zusammen ein Gemälde in Chiaroscuro.
Groffs Erzählstimme, die in der ersten Hälfte in ihrer ungestümen Metaphorik stellenweise unglaubwürdig war – wobei sie zu gut erzählt, als dass man denken könnte, diese Fehler seien ihr einfach unterlaufen –, schildert im zweiten Teil vielschichtig, wie die Trauer in Mathilde wütet. Wie in ihrer Kindheit wird ihre Einsamkeit so groß, „dass sie die Gestalt des oberen Flurs annahm, dunkel und voller verschlossener Türen“.
„Licht und Zorn“ erzählt also viel mehr als die Geschichte einer Ehe aus zwei Blickwinkeln. Der Roman erzählt zwei komplett andere Geschichten. Denn die Ehe besteht am Ende nicht darin, dass zwei Menschen sich unterschiedlich an das gleiche Leben erinnern, sondern dass sie sich an unterschiedliche Leben erinnern.
Schlimmer als das Zerbrechen
der Ehe von Lotto und Mathilde
ist das Ausharren in ihr
In der zweiten Hälfte
des Romans wird die Wahrheit
der ersten infrage gestellt
Als der Mann, der sie erstrahlen lässt, Mathilde verlässt, treten ihre dunklen Seiten zutage.
Foto: Regine Schmeken
Lauren Groff: Licht und Zorn. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, München 2016. 432 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Lauren Groff erzählt in „Licht und Zorn“ die Geschichte einer gescheiterten Beziehung gleich zweimal.
Dem altbekannten Genre des Eheromans gewinnt die amerikanische Autorin überraschende Einsichten ab
VON KARIN JANKER
Was könnte konventioneller sein als ein Roman über eine Ehe, die 24 Jahre lang halbwegs glücklich verläuft, mit Höhen und Tiefen, versteht sich? Eine Ehe, in der er die ganze Zeit das Gefühl hat, sie habe ihn zu einem besseren Menschen gemacht, während sie sich bei ihm endlich angekommen fühlt. Liebe auf den ersten Blick, aufregender Sex und Milchkaffee, den er ihr jeden Morgen ans Bett bringt – klingt reichlich trivial und wird kaum besser durch die Ankündigung, dass der Roman in zwei Teile gegliedert ist: erst wird seine Geschichte erzählt, dann ihre. Und doch ist Lauren Groffs „Licht und Zorn“ ein subtil subversives Buch, das von tiefer Einsamkeit erzählt und von den unbekannten Seiten des Menschen, den wir am besten zu kennen glauben.
Zunächst also die Geschichte von Lancelot, genannt Lotto. Weiß, reich, begabt. Ein „Goldjunge“, von seiner Mutter so sehr geliebt, dass sie ihn nie loslassen können wird. Ein geborener Geschichtenerzähler, der als Schauspieler zwar scheitert – aber nur, um als Dramatiker Erfolge zu feiern. Einer, der sich in der Bewunderung anderer sonnt und den umgekehrt, „von seinem Charme bezirzt“, alle für besser halten, als er tatsächlich ist. Lotto hatte zahllose Frauen und könnte noch mehr haben, aber er entscheidet sich für Mathilde: schön, kühl und geheimnisvoll. Ihr wird er sein Leben lang treu bleiben, in dem Glauben, dass er der erste war, mit dem sie geschlafen hat. Mathilde ist für ihn „eine Heilige“, der reinste Mensch, der ihm je begegnet ist. Ganz geblendet ist er von seinem Glück, sie aber „lächelte, wusste, dass Glück eine Illusion war“. Zwei Wochen nach ihrem Kennenlernen heiraten sie. Der Beginn eine Ehe, in der niemand Mathilde je ohne ihr Lächeln sehen wird. Auch ihr Mann soll nie erfahren, wie viel Dunkelheit sie in sich trägt.
Auf Deutsch erschienen ist „Licht und Zorn“ in der Übersetzung von Stefanie Jacobs, die Groffs jähe Wechsel der sprachlichen Register kongenial unverfroren nachvollzieht und zum Glück nichts geglättet hat. 2015 nannte Barack Obama diesen Roman sein Lieblingsbuch des Jahres, außerdem stand es auf der Shortlist des National Book Award. Für Lauren Groff war dieser dritte Roman ihr Durchbruch in den USA. Dass ihr dies mit einem Eheroman gelungen ist, liegt daran, wie geschickt sie mit den Erwartungen ihrer Leser spielt.
Während der erste Teil über Lotto den Titel „Licht“ trägt, ist die zweite Hälfte „Zorn“, die sich Mathilde zuwendet, keineswegs die Abrechnung einer enttäuschten Ehefrau. Obwohl sie es immerhin ertragen muss, dass ihr Mann, der berühmte Dramatiker, auf einer Podiumsdiskussion vollmundig behauptet: „Mathilde hat zum Beispiel vor Jahren ihren Job aufgegeben, um mir den Rücken frei zu halten. Sie kocht für ihr Leben gern, und es macht sie glücklich, das Haus sauber zu halten und meine Arbeiten zu redigieren.“
Doch „Zorn“ führt die Eskalation viel weiter, als sich der Leser zunächst vorzustellen vermag. Selbst nach dieser Podiumsdiskussion ist Mathilde nicht wütend auf Lotto, sie sagt nur: „Du glaubst, du weißt so viel über mich.“ Daraufhin holt sie ihm ein Glas Wasser, und alles scheint wieder gut zu sein. Groff etabliert die Erzählstimme als eine Instanz, die Informationen nicht nur manipuliert, sondern kontrolliert und vorenthält, so wie Mathilde ihre Vergangenheit.
Genau wie seine Geschichte beginnt auch ihre mit der Kindheit. In Lottos Fall ist es eine klassische Coming-of-AgeGeschichte, genretypische Adoleszenz voller Sex und Drogen. Die andere, die weibliche Geschichte dagegen bricht mit diesem Genre, denn Mathilde scheint nie jung gewesen zu sein. Aufgewachsen bei einer Prostituierten, die ihre eigene Großmutter war, und so einsam, dass sie einen Blutegel eine Woche lang an der Innenseite ihres Oberschenkels leben ließ und weinte, als er abfiel. Ihre Jugend verkaufte sie an einen Mann, der ihr dafür das College bezahlte. Lotto ist für sie der Ausweg aus dieser Misere, eine Art Erlöser. Und er beschließt, sie nicht um mehr zu bitten, als sie ihm freiwillig mitteilt aus dieser Vergangenheit.
Doch Lotto, der Geschichtenerzähler, missbraucht sie auf seine Art: Er entwendet ihr die Erinnerung an den Blutegel und macht sie zu seiner eigenen, erzählt sie bei einem Radiointerview. An diesem Abend schläft Mathilde schon, als er zu ihr ins Bett kommt, zumindest tut sie so, als würde sie schlafen. Besonders stark ist der Roman in diesen reflektierenden Passagen über den Stellenwert von Fiktion und Realität, von Dichtung und Wahrheit. Wenn sich am Ende der ersten Hälfte eine Party in eine Dramenszene mit Dialogen und Regieanweisungen verwandelt, überschrieben mit „Das Ende“, verschwimmt die Grenze zwischen Bühnenfigur und Darsteller für einen Moment, und es wird klar, dass eine Ehe nicht mehr ist als die Fiktion, die man von sich als Paar geschaffen hat. Ein „gemeinsamer Geschichtenfundus“.
„Licht und Zorn“ schildert die kleinen, aber nicht minder dramatischen Abgründe im Alltag. Wie Lotto nach 18 Jahren Ehe der Ausdruck „meine Frau“ eher in den Sinn kommt als ihr Name Mathilde und wie sich beide im grausamen mittleren Alter des Lebens voneinander entfernen: „Seit einiger Zeit blieb er nach dem Weckerklingeln einfach liegen und wartete, bis Mathilde zum Joggen aufgebrochen war oder zu ihrem Yogakurs oder einer ihrer ausgedehnten Radtouren, damit er sich noch einmal umdrehen und weiterschlafen konnte.“ Es geht nicht um das Zerbrechen dieser Ehe, sondern um das Ausharren in ihr.
Doch dann stülpt sich die Geschichte „wie ein Vampirtintenfisch“ einmal komplett um. Das Heimliche in Mathilde wird zum Unheimlichen. Es offenbart sich, was die Erzählstimme „das Paradox der Ehe“ nennt: „Man kennt jemanden nie ganz und kennt ihn doch in- und auswendig.“ Hier, in der Mitte des Romans glüht ein Punkt, auf den alles zuläuft und von dem aus es sich wieder ausbreitet: Denn im Alter von 46 Jahren endet für Mathilde ihr Leben mit Lotto. Danach ist nichts mehr wie es vorher war: „Die nackte Mathilde ignorierte die Türklingel, wachte auf der falschen Bettseite auf und suchte dort nach Wärme, die nicht mehr da war, ließ das Essen auf der Veranda vergammeln, ließ die Blumen auf der Veranda vergammeln, sah den Hund mitten in die Küche pinkeln und briet dem Tier ein Rührei, als kein Trockenfutter mehr da war, dann gab sie ihm das letzte Gemüse-Chili, das Lotto gekocht hatte, und sah zu, wie sich der Hund den Po leckte, der von den Gewürzen brannte.“
In Mathilde brennt kein Licht, sondern Rache – nicht an ihrem Mann, sondern an denen, die schuld sind, dass er sie für immer verlassen hat. Die Geschichte „von der Frau, die einen anderen braucht, der ihren Schaltkreis schließt und sie in ihrem hellsten Licht erstrahlen lässt“, erzählt Groff nur zum Schein. Die zweite Hälfte des Romans nämlich bietet sich als Dekonstruktion der ersten an. Beide Teile schieben sich wie Lamellen ineinander und ergeben zusammen ein Gemälde in Chiaroscuro.
Groffs Erzählstimme, die in der ersten Hälfte in ihrer ungestümen Metaphorik stellenweise unglaubwürdig war – wobei sie zu gut erzählt, als dass man denken könnte, diese Fehler seien ihr einfach unterlaufen –, schildert im zweiten Teil vielschichtig, wie die Trauer in Mathilde wütet. Wie in ihrer Kindheit wird ihre Einsamkeit so groß, „dass sie die Gestalt des oberen Flurs annahm, dunkel und voller verschlossener Türen“.
„Licht und Zorn“ erzählt also viel mehr als die Geschichte einer Ehe aus zwei Blickwinkeln. Der Roman erzählt zwei komplett andere Geschichten. Denn die Ehe besteht am Ende nicht darin, dass zwei Menschen sich unterschiedlich an das gleiche Leben erinnern, sondern dass sie sich an unterschiedliche Leben erinnern.
Schlimmer als das Zerbrechen
der Ehe von Lotto und Mathilde
ist das Ausharren in ihr
In der zweiten Hälfte
des Romans wird die Wahrheit
der ersten infrage gestellt
Als der Mann, der sie erstrahlen lässt, Mathilde verlässt, treten ihre dunklen Seiten zutage.
Foto: Regine Schmeken
Lauren Groff: Licht und Zorn. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, München 2016. 432 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro.
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