Mit den Kumpels hinter einem Glas Cola-Weinbrand in der Club-Gaststätte "Kalinka" zu hocken, bis das nächste Stück von The Cure kam: das war schon okay. Wirklich cool waren die Momente mit Sarah. Sarah war die Frau seines Lebens. Sicher würde sie das auch bald rausfinden. Solange fand Sascha sich damit ab, nur der Vollidiot zu sein, der danebenstand, während Sarah mit "Dose", dem Sänger von Productive Cough zusammenkam. Bis ihm klar wurde, dass er sein Leben nicht für die Liebe einer Unbelehrbaren wegschmeißen konnte. Dann vielleicht Doreen aus Treptow, die Ex von Olli. Irgendwann würde es ihm gelingen, hinter das Geheimnis der Frauen zu kommen. Jakob Hein erzählt die tragikomische Geschichte eines Unbeirrbaren zwischen Ostdiskos, die letzten Jahre der DDR und die Peinlichkeiten des Erwachsenwerdens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2010Das Herz hängt in der Toilettenschüssel
Was macht der The-Cure-Fan ohne weiße Schminke? Der humoristische Erzähler Jakob Hein feiert seine ewige ostdeutsche Teenager-Party weiter - diesmal im "Haus der Pioniere" im hintersten Winkel Brandenburgs.
Nein, das ist nicht schön, wenn man mit Sarah zum Konzert der Punkband "Productive Cough" nach Doberlug-Kirchhain ins hinterste Brandenburg fährt - und die Angebetete am Ende in den Armen des Sängers liegt. Und so geht es Sascha nicht nur einmal. In "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand" richtet Jakob Hein vor dem Hintergrund der agonierenden DDR ein pubertäres Liebesdesaster an. Dass ein Jugendlicher bei der Frauenverteilung zu kurz kommt, wird zwar allgemein nicht als weltbewegendes Drama anerkannt. Der tatsächliche Leidensdruck mag aber oft größer sein als bei späteren "ernsten" Lebenskrisen, wenn die Seele sich bereits passable Stoßdämpfer zugelegt hat.
Bei Sascha allerdings erweist sich das Elend als relativ - eigentlich ist der kluge Junge aus Ost-Berlin beim anderen Geschlecht überdurchschnittlich beliebt, wenn auch vorerst nur als verständnisvolle "Freundin mit Penis", bei der die Mädchen sich über (von Sascha leider nicht verschuldete) Liebesnöte ausweinen können. Mit sechzehn hat er dann unversehens Sex mit der schönen Jana, beendet die Beziehung aber selbst nach einem halben Jahr, weil Jana den falschen Musikgeschmack und eine unzumutbare Neigung zu Plüschtieren hat. Bald darauf lässt er sich von einer resoluten Bikerin abschleppen, die am Ende der Liebesnacht ihre Tätowierpistole herausholt, um seine zarten Hinterbacken zu verzieren. Und die attraktive Julia, die Männer sammelt "wie ein von der Decke hängender Klebestreifen die Obstfliegen", zeigt genug Interesse an ihm, um sich über sein scheinbares Desinteresse aufzuregen - er rechnet sich bloß keine Chancen bei ihr aus. Falsch reagiert er auch, als die bezaubernde Anette ihm am Ende einer Party fragt: "Kann ich nicht einfach bei dir schlafen?" Sie wird richtig sauer, als er ihr schüchtern die Gästecouch zuweist.
Kurz: Man vergeht nicht gerade vor Mitleid mit dem dauerverliebten Sascha. Mit den jungen Frauen hadert er zwar fürchterlich ("Sie hatten mein Herz genommen und damit Federball gespielt. Sie hatten damit die Unterkanten ihrer Toiletten gereinigt und es dann heruntergespült ..."), kann ihnen aber dauerhaft nicht böse sein. Denn eigentlich war er nur zu ungeschickt, um zu bekommen, wonach er lechzte: "Die Frauen haben es niemals gemerkt, wenn ich verliebt in sie war." Nicht verschmäht wurde er, sondern verkannt; ein feiner Unterschied.
So strahlt am Ende der Leiden des jungen Sascha die psychologische Einsicht. "Verarscht, gequält und hinters Licht geführt hast du dich selbst" - so lautet das banale Resümee des Romans aus dem Mund der anmutigen Lara. Als Sascha ihr sein Problem mitteilt, ist sie prompt bereit, mit ihm zu schlafen. Und weil es so gut geklappt hat, wiederholt Sascha seinen Offenbarungseid gleich noch bei zwei anderen Mädchen: "Die Art, wie Irene über mich herfiel, erinnerte mich an die Raubtierfütterung ..." Na bitte! Und damit auch wirklich niemand denkt, der irgendwie ja doch ein bisschen autobiographisch wirkende Sascha sei ein Ungeliebter, widmet der Erzähler zum guten Ende noch ein Hauruck-Kapitel seiner glücklichen Ehe mit Johanna. Die hat nicht nur einen "unwiderstehlichen Hintern", sie erweist sich bald auch als "großartige Mutter".
Das Risiko einer radikalen Darstellung des peinlich-peinigenden Teenager-Sexualelends ist Jakob Hein nicht eingegangen; er ist kein Houellebecq der Pubertät und erst recht kein Scharfmacher im Geschlechterkampf. Stattdessen präsentiert er einen humorigen Anekdotenreigen, garniert mit Reminiszenzen an die mauerdurchdringende Popkultur der achtziger Jahre: Party im "Haus der Pioniere". Zwar wirkt die Poproman-Masche mit dem Auflisten von (unerreichbaren) Markenprodukten und der Lieblingsmusik der jungen Jahre inzwischen reichlich abgestanden. In diesem Fall sind einige der Ostjugend-Erlebnisse aber nicht ohne Reiz.
Wir erfahren, dass der Fan von "The Cure" in der DDR, wo weiße Schminke nicht zu bekommen war, auf medizinische Zinksalbe zurückgriff. Amüsant ist es auch, vom Pop-Transfer via Großeltern zu lesen. Die Senioren genossen ja Reisefreiheit, und so wurden sie von ihren Enkeln beauftragt, aus West-Berlin für mühsam erspartes Geld die angesagten Platten und Accessoires zu beschaffen. Das führte bisweilen zu Familiendramen gleich hinterm Grenzübergang, wenn statt The Clash Johnny Cash in der Tüte war oder statt der gewünschten schwarzen Basketballstiefel jene Sportschuhe, die Oma selbst am besten gefallen hatten.
Im Hauptberuf ist der 1971 geborene Jakob Hein Oberarzt an der Berliner Charité, dazu als Väterbeauftragter der Klinik ein geschlechterpolitischer Pionier. Seit 2001 hat er nicht weniger als zehn Bücher veröffentlicht. Literatur liegt beim Sohn Christoph Heins in der Familie; das Schreiben geht ihm offenbar leicht und nebenbei von der Hand. Sein Erzählen ist geprägt von der Lesebühnenkultur: Themen und Tücken des Alltags, schnelldrehende Witzigkeit. Das wirkt oft einfach so dahingeplauscht; stilistisch ist dieser Roman alles andere als ein Ereignis. Vielleicht sollte sich Jakob Hein mit seinem nächsten Buch einfach mal mehr Zeit lassen.
WOLFGANG SCHNEIDER
Jakob Hein: "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand". Roman. Piper Verlag, München 2009. 174 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was macht der The-Cure-Fan ohne weiße Schminke? Der humoristische Erzähler Jakob Hein feiert seine ewige ostdeutsche Teenager-Party weiter - diesmal im "Haus der Pioniere" im hintersten Winkel Brandenburgs.
Nein, das ist nicht schön, wenn man mit Sarah zum Konzert der Punkband "Productive Cough" nach Doberlug-Kirchhain ins hinterste Brandenburg fährt - und die Angebetete am Ende in den Armen des Sängers liegt. Und so geht es Sascha nicht nur einmal. In "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand" richtet Jakob Hein vor dem Hintergrund der agonierenden DDR ein pubertäres Liebesdesaster an. Dass ein Jugendlicher bei der Frauenverteilung zu kurz kommt, wird zwar allgemein nicht als weltbewegendes Drama anerkannt. Der tatsächliche Leidensdruck mag aber oft größer sein als bei späteren "ernsten" Lebenskrisen, wenn die Seele sich bereits passable Stoßdämpfer zugelegt hat.
Bei Sascha allerdings erweist sich das Elend als relativ - eigentlich ist der kluge Junge aus Ost-Berlin beim anderen Geschlecht überdurchschnittlich beliebt, wenn auch vorerst nur als verständnisvolle "Freundin mit Penis", bei der die Mädchen sich über (von Sascha leider nicht verschuldete) Liebesnöte ausweinen können. Mit sechzehn hat er dann unversehens Sex mit der schönen Jana, beendet die Beziehung aber selbst nach einem halben Jahr, weil Jana den falschen Musikgeschmack und eine unzumutbare Neigung zu Plüschtieren hat. Bald darauf lässt er sich von einer resoluten Bikerin abschleppen, die am Ende der Liebesnacht ihre Tätowierpistole herausholt, um seine zarten Hinterbacken zu verzieren. Und die attraktive Julia, die Männer sammelt "wie ein von der Decke hängender Klebestreifen die Obstfliegen", zeigt genug Interesse an ihm, um sich über sein scheinbares Desinteresse aufzuregen - er rechnet sich bloß keine Chancen bei ihr aus. Falsch reagiert er auch, als die bezaubernde Anette ihm am Ende einer Party fragt: "Kann ich nicht einfach bei dir schlafen?" Sie wird richtig sauer, als er ihr schüchtern die Gästecouch zuweist.
Kurz: Man vergeht nicht gerade vor Mitleid mit dem dauerverliebten Sascha. Mit den jungen Frauen hadert er zwar fürchterlich ("Sie hatten mein Herz genommen und damit Federball gespielt. Sie hatten damit die Unterkanten ihrer Toiletten gereinigt und es dann heruntergespült ..."), kann ihnen aber dauerhaft nicht böse sein. Denn eigentlich war er nur zu ungeschickt, um zu bekommen, wonach er lechzte: "Die Frauen haben es niemals gemerkt, wenn ich verliebt in sie war." Nicht verschmäht wurde er, sondern verkannt; ein feiner Unterschied.
So strahlt am Ende der Leiden des jungen Sascha die psychologische Einsicht. "Verarscht, gequält und hinters Licht geführt hast du dich selbst" - so lautet das banale Resümee des Romans aus dem Mund der anmutigen Lara. Als Sascha ihr sein Problem mitteilt, ist sie prompt bereit, mit ihm zu schlafen. Und weil es so gut geklappt hat, wiederholt Sascha seinen Offenbarungseid gleich noch bei zwei anderen Mädchen: "Die Art, wie Irene über mich herfiel, erinnerte mich an die Raubtierfütterung ..." Na bitte! Und damit auch wirklich niemand denkt, der irgendwie ja doch ein bisschen autobiographisch wirkende Sascha sei ein Ungeliebter, widmet der Erzähler zum guten Ende noch ein Hauruck-Kapitel seiner glücklichen Ehe mit Johanna. Die hat nicht nur einen "unwiderstehlichen Hintern", sie erweist sich bald auch als "großartige Mutter".
Das Risiko einer radikalen Darstellung des peinlich-peinigenden Teenager-Sexualelends ist Jakob Hein nicht eingegangen; er ist kein Houellebecq der Pubertät und erst recht kein Scharfmacher im Geschlechterkampf. Stattdessen präsentiert er einen humorigen Anekdotenreigen, garniert mit Reminiszenzen an die mauerdurchdringende Popkultur der achtziger Jahre: Party im "Haus der Pioniere". Zwar wirkt die Poproman-Masche mit dem Auflisten von (unerreichbaren) Markenprodukten und der Lieblingsmusik der jungen Jahre inzwischen reichlich abgestanden. In diesem Fall sind einige der Ostjugend-Erlebnisse aber nicht ohne Reiz.
Wir erfahren, dass der Fan von "The Cure" in der DDR, wo weiße Schminke nicht zu bekommen war, auf medizinische Zinksalbe zurückgriff. Amüsant ist es auch, vom Pop-Transfer via Großeltern zu lesen. Die Senioren genossen ja Reisefreiheit, und so wurden sie von ihren Enkeln beauftragt, aus West-Berlin für mühsam erspartes Geld die angesagten Platten und Accessoires zu beschaffen. Das führte bisweilen zu Familiendramen gleich hinterm Grenzübergang, wenn statt The Clash Johnny Cash in der Tüte war oder statt der gewünschten schwarzen Basketballstiefel jene Sportschuhe, die Oma selbst am besten gefallen hatten.
Im Hauptberuf ist der 1971 geborene Jakob Hein Oberarzt an der Berliner Charité, dazu als Väterbeauftragter der Klinik ein geschlechterpolitischer Pionier. Seit 2001 hat er nicht weniger als zehn Bücher veröffentlicht. Literatur liegt beim Sohn Christoph Heins in der Familie; das Schreiben geht ihm offenbar leicht und nebenbei von der Hand. Sein Erzählen ist geprägt von der Lesebühnenkultur: Themen und Tücken des Alltags, schnelldrehende Witzigkeit. Das wirkt oft einfach so dahingeplauscht; stilistisch ist dieser Roman alles andere als ein Ereignis. Vielleicht sollte sich Jakob Hein mit seinem nächsten Buch einfach mal mehr Zeit lassen.
WOLFGANG SCHNEIDER
Jakob Hein: "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand". Roman. Piper Verlag, München 2009. 174 S., br., 14,95 [Euro].
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