Der Anfang wird beinahe zum Ende: Im letzten Moment wird David nach einem Verkehrsunfall aus einem brennenden Bus gezogen. Eine schöne junge Frau übernimmt die Erstversorgung und verschwindet in einem Auto mit deutschem Kennzeichen.
"'Ich bin kein Forscher', sagte ich,'ich habe angefangen, mich nach dir zu sehnen. Mein Leben ist kaputt. Meine Beziehung ist kaputt.'Was hätte ich ihr nicht alles über mich verraten können! Jetzt saßen sie und ich einander gegenüber, und wir sprachen in gottverflucht zivilisierten Worten, das Richtige fing falsch an und würde falsch enden, was für eine Verschwendung."Im letzten Moment wird Richard nach einem Verkehrsunfall aus einem brennenden Bus gezogen. Die Frau, die ihm einen Schluck Wasser reicht, löst in ihm eine Suche nach dem Leben und der Liebe aus ...
"'Ich bin kein Forscher', sagte ich,'ich habe angefangen, mich nach dir zu sehnen. Mein Leben ist kaputt. Meine Beziehung ist kaputt.'Was hätte ich ihr nicht alles über mich verraten können! Jetzt saßen sie und ich einander gegenüber, und wir sprachen in gottverflucht zivilisierten Worten, das Richtige fing falsch an und würde falsch enden, was für eine Verschwendung."Im letzten Moment wird Richard nach einem Verkehrsunfall aus einem brennenden Bus gezogen. Die Frau, die ihm einen Schluck Wasser reicht, löst in ihm eine Suche nach dem Leben und der Liebe aus ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2008Die Seele des Dackels im Staubsauger
Vom Nahtod zum Hochdruckleben: In Feridun Zaimoglus "Liebesbrand" wird ein Überlebender von Zuneigung übermannt - aber der Roman ist selbst eine Art Unfall.
Im August vor zwei Jahren überlebte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu mit seiner Mutter nur um ein Haar ein Busunglück. Auf der Fahrt von Ankara in einen Urlaubsort rammte der Bus einen Lastwagen und stürzte um. Der hintere Teil des Busses fing Feuer, und zwölf Menschen starben. Einundzwanzig wurden teilweise schwer verletzt. Die Zaimoglus hatten vor Fahrtbeginn ihre Plätze im hinteren Teil gegen solche in der Mitte des Fahrzeugs getauscht. Ein wenig wie ein Dankgebet für das Überleben wirkt die literarische Transformation der Unfallerfahrung in seinem jüngsten Roman "Liebesbrand".
Die namenlose Hauptfigur, ein deutscher Türke Anfang vierzig, der als Broker gearbeitet, ordentlich Geld mit der New Economy verdient und sich rechtzeitig vor dem Crash aus dem Markt zurückgezogen hat, überlebt ein derartiges Busunglück - allerdings ohne Mutter an seiner Seite. Schockreaktionen verändern die Wahrnehmung. Und so kommt ihm eine helfende Passantin, die ihm zu trinken gibt und sich ein wenig um ihn kümmert, wie eine Engelserscheinung vor. Die Nahtoderfahrung löst bei Zaimoglus Held vor allem eines aus: Leidenschaft.
Es ist Liebe auf den ersten Blick, zumindest von seiner Seite. Allerdings macht sich die umgehend Angebetete in einem Wagen mit Autokennzeichen "NI" davon. Zaimoglus Held hadert zwar zunächst kurz mit der Vorsehung: "Ist das Schicksal ein Kinderfinger, der ins heiße Kerzenwachs fährt und Löcher hineinsticht?" Aber er gelobt, die Frau seines Herzens zu suchen und zu erobern, das Kennzeichen ist schnell als nienburgerisch entschlüsselt, und bald macht sich der finanziell unabhängige Junggeselle auf den Weg - zunächst also nach Nienburg. Und nachdem er sein Liebesbrandobjekt dort tatsächlich aufgespürt hat, gesteht er ihr unverblümt: "Gleich, als ich dich sah, habe ich Lust empfunden, sagte ich, ich war halbtot, und als du dich über mich gebeugt hast, dachte ich: Sie schenkt mir Leben." Nach einer wilden Liebesnacht, die von ihrer Seite aus streng als One-Night-Stand behandelt werden soll, macht der Held sich auf eine atemberaubende Verfolgungsjagd durch Europa. In Prag und Wien ist er auf den Spuren seiner Heißbegehrten, lässt sich allerdings nicht lumpen und ist auf seiner Tour nicht gerade ein Kostverächter. Der Held mit Migrationshintergrund hat einen bemerkenswert präzisen Blick auf die Prager Touristenszene: "Die Ausländerfeinde in Prag waren willkommene Feinde, sie kamen und gingen, sie kamen und gingen, das Geld verfing sich in den ausgeworfenen Netzen, und manchmal verfing sich auch ein Feind, der im Laufe der Zeit von den Abgasen, von der Verachtung und vom Geschwätz verätzt wurde."
Zaimoglu schreibt - wie immer - enorm sprachgenau, rhythmisch und humorvoll. Auskadenzierte und gleichzeitig grell-skurrile Sätze sind auch in Zaimoglus neuem Buch zu genießen. Etwa wenn eine Frau in einer trostlosen Kneipe beschrieben wird: "Über ihr hing ein Gratiskalender an der Wand, und sie streichelte einen kaputten Tischstaubsauger neben sich auf der Bank, in den, wie die Tschechin mir erklärte, die Seele ihres vor Jahren verstorbenen Dackels hineingefahren war." Feridun Zaimoglu hat ein großes Talent für die Schilderung seltsamer und eigentlich unbedeutender Details.
Aber gegenüber Zaimoglus letzten Büchern wirkt "Liebesbrand" trotz des sprachlichen Hochdrucks, der wohldosiert durch die Seiten treibt, ein bisschen konventionell. Die Dimension der bedingungslosen Liebe wird zwar raffiniert ausgeleuchtet, tändelt aber auch orientierungslos mit den einschlägigen Klischees. Das Pathos, das Zaimoglu bisweilen erzeugt, kommt meist wie gewohnt unpeinlich daher. "Ich liebe und will geliebt werden": Das ist der klare Entschluss des Helden, dem der Leser wohlwollend 375 Seiten lang über die Schulter schaut. Sein bester Freund Gabriel warnt: "Mein armer trauriger Freund, sagte Gabriel grinsend, pass auf, dass es dich nicht zerquetscht." Aber so gefährlich ist die Affäre denn doch nicht: Weil die Angebetete lieber eine Doktorarbeit zu Ende bringen will, tröstet sich der Held mit einer anderen Frau, der attraktiven Fremdenführerin aus Prag.
Der Zaimoglu-Verehrer, der auch diesmal in verschiedener Hinsicht zufriedengestellt wird, hat dennoch ein beklommenes Gefühl, einen flauen Nachgeschmack. Hat sich der Autor ein kleines, schnelles Buch - gleichsam zur Erholung - vorgenommen? Hat der traumatische reale Hintergrund das Buch eingetrübt? Unbestreitbar ist, dass schon die letzten Bücher von Feridun Zaimoglu stromlinienförmiger, publikumsträchtiger geworden sind. Dabei gibt ihnen der kommerzielle Erfolg nicht unbedingt recht. Der heitere Anarchismus bei Zaimoglu ist einer existentiellen Romantik gewichen, das manische Wühlen im Sprachmaterial zur wohlgesetzten Pathetik, die manchmal unerbittliche Sprachanalytik zur "schönen Stelle".
Das ist ein anderes, vielleicht ebenso respektables Projekt, aber der Bewunderer der frühen weitausgreifenden, kontrastreichen Spracharabesken ist doch ein wenig melancholisch angesichts der Stilentwicklung des Autors. Schon der Titel "Liebesbrand" ist eine ziemlich pathetische Geste, fast schon nach "Brigitte"-Leserinnen schielend. Von der halbstarken Tonlage hebt sich die leicht softpornohafte Metaphorik merkwürdig ab. Kurz, der Leser hat den Eindruck, dass Feridun Zaimoglus literarische Entwicklung in eine talmihafte Richtung führen könnte, die unter Umständen seine Begabung hindern könnte.
MARIUS MELLER
Feridun Zaimoglu: "Liebesbrand". Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2008. 375 Seiten, geb., 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Nahtod zum Hochdruckleben: In Feridun Zaimoglus "Liebesbrand" wird ein Überlebender von Zuneigung übermannt - aber der Roman ist selbst eine Art Unfall.
Im August vor zwei Jahren überlebte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu mit seiner Mutter nur um ein Haar ein Busunglück. Auf der Fahrt von Ankara in einen Urlaubsort rammte der Bus einen Lastwagen und stürzte um. Der hintere Teil des Busses fing Feuer, und zwölf Menschen starben. Einundzwanzig wurden teilweise schwer verletzt. Die Zaimoglus hatten vor Fahrtbeginn ihre Plätze im hinteren Teil gegen solche in der Mitte des Fahrzeugs getauscht. Ein wenig wie ein Dankgebet für das Überleben wirkt die literarische Transformation der Unfallerfahrung in seinem jüngsten Roman "Liebesbrand".
Die namenlose Hauptfigur, ein deutscher Türke Anfang vierzig, der als Broker gearbeitet, ordentlich Geld mit der New Economy verdient und sich rechtzeitig vor dem Crash aus dem Markt zurückgezogen hat, überlebt ein derartiges Busunglück - allerdings ohne Mutter an seiner Seite. Schockreaktionen verändern die Wahrnehmung. Und so kommt ihm eine helfende Passantin, die ihm zu trinken gibt und sich ein wenig um ihn kümmert, wie eine Engelserscheinung vor. Die Nahtoderfahrung löst bei Zaimoglus Held vor allem eines aus: Leidenschaft.
Es ist Liebe auf den ersten Blick, zumindest von seiner Seite. Allerdings macht sich die umgehend Angebetete in einem Wagen mit Autokennzeichen "NI" davon. Zaimoglus Held hadert zwar zunächst kurz mit der Vorsehung: "Ist das Schicksal ein Kinderfinger, der ins heiße Kerzenwachs fährt und Löcher hineinsticht?" Aber er gelobt, die Frau seines Herzens zu suchen und zu erobern, das Kennzeichen ist schnell als nienburgerisch entschlüsselt, und bald macht sich der finanziell unabhängige Junggeselle auf den Weg - zunächst also nach Nienburg. Und nachdem er sein Liebesbrandobjekt dort tatsächlich aufgespürt hat, gesteht er ihr unverblümt: "Gleich, als ich dich sah, habe ich Lust empfunden, sagte ich, ich war halbtot, und als du dich über mich gebeugt hast, dachte ich: Sie schenkt mir Leben." Nach einer wilden Liebesnacht, die von ihrer Seite aus streng als One-Night-Stand behandelt werden soll, macht der Held sich auf eine atemberaubende Verfolgungsjagd durch Europa. In Prag und Wien ist er auf den Spuren seiner Heißbegehrten, lässt sich allerdings nicht lumpen und ist auf seiner Tour nicht gerade ein Kostverächter. Der Held mit Migrationshintergrund hat einen bemerkenswert präzisen Blick auf die Prager Touristenszene: "Die Ausländerfeinde in Prag waren willkommene Feinde, sie kamen und gingen, sie kamen und gingen, das Geld verfing sich in den ausgeworfenen Netzen, und manchmal verfing sich auch ein Feind, der im Laufe der Zeit von den Abgasen, von der Verachtung und vom Geschwätz verätzt wurde."
Zaimoglu schreibt - wie immer - enorm sprachgenau, rhythmisch und humorvoll. Auskadenzierte und gleichzeitig grell-skurrile Sätze sind auch in Zaimoglus neuem Buch zu genießen. Etwa wenn eine Frau in einer trostlosen Kneipe beschrieben wird: "Über ihr hing ein Gratiskalender an der Wand, und sie streichelte einen kaputten Tischstaubsauger neben sich auf der Bank, in den, wie die Tschechin mir erklärte, die Seele ihres vor Jahren verstorbenen Dackels hineingefahren war." Feridun Zaimoglu hat ein großes Talent für die Schilderung seltsamer und eigentlich unbedeutender Details.
Aber gegenüber Zaimoglus letzten Büchern wirkt "Liebesbrand" trotz des sprachlichen Hochdrucks, der wohldosiert durch die Seiten treibt, ein bisschen konventionell. Die Dimension der bedingungslosen Liebe wird zwar raffiniert ausgeleuchtet, tändelt aber auch orientierungslos mit den einschlägigen Klischees. Das Pathos, das Zaimoglu bisweilen erzeugt, kommt meist wie gewohnt unpeinlich daher. "Ich liebe und will geliebt werden": Das ist der klare Entschluss des Helden, dem der Leser wohlwollend 375 Seiten lang über die Schulter schaut. Sein bester Freund Gabriel warnt: "Mein armer trauriger Freund, sagte Gabriel grinsend, pass auf, dass es dich nicht zerquetscht." Aber so gefährlich ist die Affäre denn doch nicht: Weil die Angebetete lieber eine Doktorarbeit zu Ende bringen will, tröstet sich der Held mit einer anderen Frau, der attraktiven Fremdenführerin aus Prag.
Der Zaimoglu-Verehrer, der auch diesmal in verschiedener Hinsicht zufriedengestellt wird, hat dennoch ein beklommenes Gefühl, einen flauen Nachgeschmack. Hat sich der Autor ein kleines, schnelles Buch - gleichsam zur Erholung - vorgenommen? Hat der traumatische reale Hintergrund das Buch eingetrübt? Unbestreitbar ist, dass schon die letzten Bücher von Feridun Zaimoglu stromlinienförmiger, publikumsträchtiger geworden sind. Dabei gibt ihnen der kommerzielle Erfolg nicht unbedingt recht. Der heitere Anarchismus bei Zaimoglu ist einer existentiellen Romantik gewichen, das manische Wühlen im Sprachmaterial zur wohlgesetzten Pathetik, die manchmal unerbittliche Sprachanalytik zur "schönen Stelle".
Das ist ein anderes, vielleicht ebenso respektables Projekt, aber der Bewunderer der frühen weitausgreifenden, kontrastreichen Spracharabesken ist doch ein wenig melancholisch angesichts der Stilentwicklung des Autors. Schon der Titel "Liebesbrand" ist eine ziemlich pathetische Geste, fast schon nach "Brigitte"-Leserinnen schielend. Von der halbstarken Tonlage hebt sich die leicht softpornohafte Metaphorik merkwürdig ab. Kurz, der Leser hat den Eindruck, dass Feridun Zaimoglus literarische Entwicklung in eine talmihafte Richtung führen könnte, die unter Umständen seine Begabung hindern könnte.
MARIUS MELLER
Feridun Zaimoglu: "Liebesbrand". Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2008. 375 Seiten, geb., 19,90 Euro.
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