2025. In einem erbitterten Wettlauf fördern Amerikaner und Chinesen auf dem Mond Helium-3, ein Element, mit dem die Energieversorgung der Erde gesichert scheint. Zur gleichen Zeit soll Detektiv Owen Jericho in Shanghai die untergetauchte Dissidentin Yoyo ausfindig machen. Die bildschöne Chinesin ist im Besitz streng gehüteter Geheimnisse und muss um ihr Leben bangen. Was nach Routine klingt, ist der Auftakt zu einer alptraumhaften Jagd rund um den Globus - bis zum Mond, wo eine Gruppe Weltraumtouristen einer tödlichen Bedrohung ausgesetzt ist.
Heikko Deutschmann verleiht den Zukunftsvisionen von Frank Schätzing eine Brisanz, als könnten die technischen Errungenschaften mit allen Faszinationen und Schrecken schon morgen Wirklichkeit sein.
(3 mp3-CDs, Laufzeit: 27h 54)
Heikko Deutschmann verleiht den Zukunftsvisionen von Frank Schätzing eine Brisanz, als könnten die technischen Errungenschaften mit allen Faszinationen und Schrecken schon morgen Wirklichkeit sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009Auch auf dem Mond gibt's frisches Sushi
Quarks & Co: Warum Frank Schätzings neuer Bestseller "Limit" keine Literatur ist - und warum man das Buch trotzdem mögen muss
Von Andreas Rosenfelder
Eigentlich ist das ja eine Unverschämtheit - so einen Klotz von 1328 Seiten abzuliefern, wenn man nicht gerade den "Zauberberg" geschrieben hat, und selbst der kam mit 1008 Seiten aus. Jenseits der Tausend-Seiten-Grenze beginnt das Hochgebirge der Literatur, das überlässt man den Thomas Manns, Heimito von Doderers und ausnahmsweise vielleicht einmal einem David Foster Wallace.
Mit alldem hat Frank Schätzings neuer Roman "Limit" nichts zu tun. Er ist länger als der "Ulysses", aber er besteht komplett aus Sätzen wie: "Chen blinzelte misstrauisch." Oder: "Theoretisch landen wir bei 0° auf der Kelvin-Skala, was -273° Celsius entspricht, dem absoluten Nullpunkt." Aus solchen Sätzen macht man Megaseller, aber keine Literatur. Und trotzdem ist "Limit" ein großer Spaß, wenn auch naturgemäß kein unendlicher.
Man darf eben nicht den Fehler machen, Schätzing als Literaten zu betrachten. Er trägt prollige Lederjacken, er macht Werbung für Unterhosen, er tut überhaupt alles dafür, nicht mit einem Intellektuellen verwechselt zu werden. Wie aus der Danksagung zu erfahren ist, entstand "Limit" überwiegend in der Bar "Fonda" in der Kölner Südstadt: Man kann sich den Autor vorstellen, wie er bei Tapas und Rotwein vor seinem Laptop saß, ab und zu eine Zahl ergoogelte und ansonsten schrieb, als gäbe es im Literaturbetrieb kein Tempolimit. In einer Hollywood-Komödie wäre er der etwas geckenhafte, aber trotzdem sympathische Starautor, der all den trübsinnigen Tresenphilosophen freie Drinks spendiert.
Genie der Selbstvermarktung und einsamer Rechercheur.
Wenn jedes Buch, egal wo und wann es spielt, ein verstecktes Selbstporträt des Autors enthält - dann gibt es in "Limit", im Jahr 2025 auf der Erde und dem Mond angesiedelt, gleich zwei Frank-Schätzing-Doppelgänger: zum einen den Milliardär Julian Orley, der sämtliche Energieprobleme der Menschheit gelöst hat, indem er auf dem Mond mit dem Helium-3-Abbau begann und das Edelgas mit einem Fahrstuhl aus Kohlenstoffnanoröhren zur Erde beförderte. "Er trug T-Shirt und Sakko, Jeans und Cowboystiefel. Ringe steckten an seinen Fingern." Exakt so tritt Schätzing in Talkshows auf. In dem amerikanischen Tycoon setzt sich der Autor, der spätestens seit dem Welterfolg von "Der Schwarm" als Genie der Selbstvermarktung gelten muss, ein Denkmal als Showstar: "Julian Orley geht auf keine Bühne, die Bühne folgt ihm, wo immer er ist."
Und dann gibt es, als zweites Alter Ego, den Privatdetektiv Owen Jericho: einen hartgekochten Philip-Marlowe-Klon, der von Schanghai aus Datendelikte aufklärt und nebenbei einer geopolitischen Riesenverschwörung auf die Spur kommt, die quer durch fünf Kontinente führt. In Jericho verewigt sich Schätzing als der einsame Rechercheur, der Leute ausfragt und sein halbes Leben im Internet verbringt: "Er ging online und schickte den Computer auf die Suche nach den City Demons. Er präsentierte ihm einen australischen Football Club in New South Wales, einen weiteren in Neuseeland, einen Basketballverein aus Dodge City, Kansas, sowie eine vietnamesische Gothic Band."
Immerhin funktioniert die Google-Suche im Jahr 2025 offenbar noch genauso primitiv wie anno 2009 - was auch für den Rest des Internets gilt, das immer noch "World Wide Web" heißt. Auch Festplatten, E-Mail-Anhänge, Trojaner und Phishing sind noch nicht ausgestorben, ganz zu schweigen von "Second Life", wo sich die Leute nach wie vor "eine virtuelle Identität zulegen" und "Cybersex" machen. Es würde einen nicht wundern, wenn Jericho zwischen zwei Aufträgen noch schnell ein paar Moorhühner am PC jagen würde.
Ansonsten aber ist das Science-Fiction-Szenario, das Schätzing vor allem in Nebenbemerkungen entwirft, großartig - was genau daran liegt, dass er keinen Futurismus liefert, sondern unsere Gegenwart konsequent ins Übermorgen ausstülpt. Fast alles in "Limit" bezieht sich auf die Erfahrungen und Ängste der nuller Jahre - von den russischen Oligarchen, die inzwischen Daimler und Bayern München gekauft haben, über das Broadway-Musical "Nine Eleven" bis hin zum Kaffee mit Muskat, der Starbucks vor dem zwischenzeitlich drohenden Bankrott gerettet hat. Die androgynen Mando-Prog-Bands in Japan wirken wie Tokio-Hotel-Mutationen, die chinesische Popautorin Mian Mian ist zur Staatspoetin avanciert, und beim Landeanflug auf den Mond wird über Kreationismus und Darwinismus gestritten wie im guten alten Feuilletonjahr 2009.
Wie eine Pressereise mit vollem Unterhaltungsprogramm.
Sogar den Mond selbst nimmt Schätzing auf völlig selbstverständliche Weise für den Tourismus in Beschlag: Eine Reisegruppe aus Partynudeln, Medienleuten und Großinvestoren besucht auf Orleys Einladung seine Raumstation und sein Mondhotel. Es gibt Panoramafenster im All, hautenge Biosuits statt der aufgepumpten Raumanzüge der Apollo-Astronauten, und in riesigen Salzwassertanks im Boden des Mondes werden Fische fürs Hotelrestaurant gezüchtet. Im Kosmetikbeutel des bösen Verschwörers, der sich in die Reisegruppe eingeschleust hat, befinden sich neben dem obligatorischen Geheimsender auch Aftershave, Duschgel, Shampoo, Rasierschaum, Zahnbürste, Wattestäbchen und Ohrstöpsel: "Limit" bleibt in den Details auf so unspektakuläre Weise realistisch, dass man sich fragt, warum das Nachmittagsfernsehen noch keine Reportagen über dieses lunare Luxushotel gesendet hat.
Überhaupt hat die Weltraumtour, von Schätzing mit der actionreichen Detektivgeschichte auf der Erdoberfläche parallelgeführt, den Charme einer von A bis Z durchgeplanten Pressereise. Aber gerade in der Ausgestaltung kommunikativer Standardsituationen ist der ehemalige Kreativdirektor einer Kölner Werbeagentur unschlagbar. Die müden Witze beim Kennenlernen, das Rumstehen, die Grüppchenbildung, die soziale Chemie von Dinnergesprächen - diese Materie beherrscht Schätzing besser als jeder Soziologe. Er weiß, wie man ein Gespräch über Steaksaucen aufzieht, und er weiß, wann ein "Lächeln der Kategorie B" zum Einsatz kommt, "herzlich, aber unverbindlich".
So fügt man sich als Leser, wie die mitreisenden Romanfiguren, fast willenlos ins ausgetüftelte Unterhaltungsprogramm. Manchmal hört man hochinteressiert zu, manchmal dämmert man weg. Permanent ruft irgendwer: "Hey, seht euch das an!" Oder: "Erklär's einfach, Peter!" Und dann gibt es wieder einen ellenlangen Exkurs über Sonnenkollektoren an den Mondpolen, über Explosionen im luftleeren Raum oder sogar über Mies van der Rohe: "Sein Ziel war es, den chaotisch überbordenden Output der technischen Zivilisation in geordnete Strukturen zu überführen, wobei sein Ordnungsverständnis nicht auf Eingrenzung, sondern die Schaffung größtmöglicher Freiräume abzielte." Das ganze Buch ist eine Art begehbare 3D-Wikipedia.
Man könnte diese fachkundigen Ausführungen überblättern, aber das Verrückte an "Limit" ist, dass man sich gerade in den völlig unwichtigen Passagen immer wieder festliest. Man will unbedingt alles wissen über den Niedergang der Ölwirtschaft und über Fusionsreaktoren - und gähnt eher einmal, wenn der psychopathische Killer, den Owen Jericho auf der Erde jagt, zum soundsovielten Mal "buchhalterisch" seine Gedanken ordnet.
Spätestens im letzten Drittel von "Limit" kommt dann, wie bei einem überlangen Thriller im Nachtprogramm, doch eine gewisse Müdigkeit ins Spiel - obwohl Schätzing, der seine Romane wie Drehbücher anlegt, die Spannungskurve durch zwei gut plazierte Mini-Nuke-Atombomben noch einmal nach oben biegt. Man verliert den Überblick, verwechselt Namen und muss ab und zu im Personenregister nachblättern, wo dann steht: "Hoff, Edda: Projektbeauftragte, Abteilung Zentrale Sicherheit, Orley Enterprises. Blass, ausdruckslos und äußerst zuverlässig." Aber wie beim Spätfilm tröstet es, dass immerhin die Handlungsfiguren auch im größten Chaos noch logische Schlussfolgerungen ziehen können: "Wenn das Feuer auf den Lüftungsschacht übergegriffen hat, könnte der Druckabfall die Ausgänge blockieren."
Frank Schätzing ist nicht so gelehrt wie Umberto Eco, nicht so verschroben wie Stephen King und nicht so besessen wie Dan Brown. In Deutschland gibt es trotzdem keinen Zweiten wie ihn, der einfach mal einen Riesen-Science-Fiction zusammenhämmert und in den Orbit schickt. Er ähnelt diesen verrückten Milliardären, die auf eigene Rechnung Raumflugzeuge basteln. Schätzing ist kein Schriftsteller - er ist ein Erfinder.
Frank Schätzing: "Limit". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1328 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Quarks & Co: Warum Frank Schätzings neuer Bestseller "Limit" keine Literatur ist - und warum man das Buch trotzdem mögen muss
Von Andreas Rosenfelder
Eigentlich ist das ja eine Unverschämtheit - so einen Klotz von 1328 Seiten abzuliefern, wenn man nicht gerade den "Zauberberg" geschrieben hat, und selbst der kam mit 1008 Seiten aus. Jenseits der Tausend-Seiten-Grenze beginnt das Hochgebirge der Literatur, das überlässt man den Thomas Manns, Heimito von Doderers und ausnahmsweise vielleicht einmal einem David Foster Wallace.
Mit alldem hat Frank Schätzings neuer Roman "Limit" nichts zu tun. Er ist länger als der "Ulysses", aber er besteht komplett aus Sätzen wie: "Chen blinzelte misstrauisch." Oder: "Theoretisch landen wir bei 0° auf der Kelvin-Skala, was -273° Celsius entspricht, dem absoluten Nullpunkt." Aus solchen Sätzen macht man Megaseller, aber keine Literatur. Und trotzdem ist "Limit" ein großer Spaß, wenn auch naturgemäß kein unendlicher.
Man darf eben nicht den Fehler machen, Schätzing als Literaten zu betrachten. Er trägt prollige Lederjacken, er macht Werbung für Unterhosen, er tut überhaupt alles dafür, nicht mit einem Intellektuellen verwechselt zu werden. Wie aus der Danksagung zu erfahren ist, entstand "Limit" überwiegend in der Bar "Fonda" in der Kölner Südstadt: Man kann sich den Autor vorstellen, wie er bei Tapas und Rotwein vor seinem Laptop saß, ab und zu eine Zahl ergoogelte und ansonsten schrieb, als gäbe es im Literaturbetrieb kein Tempolimit. In einer Hollywood-Komödie wäre er der etwas geckenhafte, aber trotzdem sympathische Starautor, der all den trübsinnigen Tresenphilosophen freie Drinks spendiert.
Genie der Selbstvermarktung und einsamer Rechercheur.
Wenn jedes Buch, egal wo und wann es spielt, ein verstecktes Selbstporträt des Autors enthält - dann gibt es in "Limit", im Jahr 2025 auf der Erde und dem Mond angesiedelt, gleich zwei Frank-Schätzing-Doppelgänger: zum einen den Milliardär Julian Orley, der sämtliche Energieprobleme der Menschheit gelöst hat, indem er auf dem Mond mit dem Helium-3-Abbau begann und das Edelgas mit einem Fahrstuhl aus Kohlenstoffnanoröhren zur Erde beförderte. "Er trug T-Shirt und Sakko, Jeans und Cowboystiefel. Ringe steckten an seinen Fingern." Exakt so tritt Schätzing in Talkshows auf. In dem amerikanischen Tycoon setzt sich der Autor, der spätestens seit dem Welterfolg von "Der Schwarm" als Genie der Selbstvermarktung gelten muss, ein Denkmal als Showstar: "Julian Orley geht auf keine Bühne, die Bühne folgt ihm, wo immer er ist."
Und dann gibt es, als zweites Alter Ego, den Privatdetektiv Owen Jericho: einen hartgekochten Philip-Marlowe-Klon, der von Schanghai aus Datendelikte aufklärt und nebenbei einer geopolitischen Riesenverschwörung auf die Spur kommt, die quer durch fünf Kontinente führt. In Jericho verewigt sich Schätzing als der einsame Rechercheur, der Leute ausfragt und sein halbes Leben im Internet verbringt: "Er ging online und schickte den Computer auf die Suche nach den City Demons. Er präsentierte ihm einen australischen Football Club in New South Wales, einen weiteren in Neuseeland, einen Basketballverein aus Dodge City, Kansas, sowie eine vietnamesische Gothic Band."
Immerhin funktioniert die Google-Suche im Jahr 2025 offenbar noch genauso primitiv wie anno 2009 - was auch für den Rest des Internets gilt, das immer noch "World Wide Web" heißt. Auch Festplatten, E-Mail-Anhänge, Trojaner und Phishing sind noch nicht ausgestorben, ganz zu schweigen von "Second Life", wo sich die Leute nach wie vor "eine virtuelle Identität zulegen" und "Cybersex" machen. Es würde einen nicht wundern, wenn Jericho zwischen zwei Aufträgen noch schnell ein paar Moorhühner am PC jagen würde.
Ansonsten aber ist das Science-Fiction-Szenario, das Schätzing vor allem in Nebenbemerkungen entwirft, großartig - was genau daran liegt, dass er keinen Futurismus liefert, sondern unsere Gegenwart konsequent ins Übermorgen ausstülpt. Fast alles in "Limit" bezieht sich auf die Erfahrungen und Ängste der nuller Jahre - von den russischen Oligarchen, die inzwischen Daimler und Bayern München gekauft haben, über das Broadway-Musical "Nine Eleven" bis hin zum Kaffee mit Muskat, der Starbucks vor dem zwischenzeitlich drohenden Bankrott gerettet hat. Die androgynen Mando-Prog-Bands in Japan wirken wie Tokio-Hotel-Mutationen, die chinesische Popautorin Mian Mian ist zur Staatspoetin avanciert, und beim Landeanflug auf den Mond wird über Kreationismus und Darwinismus gestritten wie im guten alten Feuilletonjahr 2009.
Wie eine Pressereise mit vollem Unterhaltungsprogramm.
Sogar den Mond selbst nimmt Schätzing auf völlig selbstverständliche Weise für den Tourismus in Beschlag: Eine Reisegruppe aus Partynudeln, Medienleuten und Großinvestoren besucht auf Orleys Einladung seine Raumstation und sein Mondhotel. Es gibt Panoramafenster im All, hautenge Biosuits statt der aufgepumpten Raumanzüge der Apollo-Astronauten, und in riesigen Salzwassertanks im Boden des Mondes werden Fische fürs Hotelrestaurant gezüchtet. Im Kosmetikbeutel des bösen Verschwörers, der sich in die Reisegruppe eingeschleust hat, befinden sich neben dem obligatorischen Geheimsender auch Aftershave, Duschgel, Shampoo, Rasierschaum, Zahnbürste, Wattestäbchen und Ohrstöpsel: "Limit" bleibt in den Details auf so unspektakuläre Weise realistisch, dass man sich fragt, warum das Nachmittagsfernsehen noch keine Reportagen über dieses lunare Luxushotel gesendet hat.
Überhaupt hat die Weltraumtour, von Schätzing mit der actionreichen Detektivgeschichte auf der Erdoberfläche parallelgeführt, den Charme einer von A bis Z durchgeplanten Pressereise. Aber gerade in der Ausgestaltung kommunikativer Standardsituationen ist der ehemalige Kreativdirektor einer Kölner Werbeagentur unschlagbar. Die müden Witze beim Kennenlernen, das Rumstehen, die Grüppchenbildung, die soziale Chemie von Dinnergesprächen - diese Materie beherrscht Schätzing besser als jeder Soziologe. Er weiß, wie man ein Gespräch über Steaksaucen aufzieht, und er weiß, wann ein "Lächeln der Kategorie B" zum Einsatz kommt, "herzlich, aber unverbindlich".
So fügt man sich als Leser, wie die mitreisenden Romanfiguren, fast willenlos ins ausgetüftelte Unterhaltungsprogramm. Manchmal hört man hochinteressiert zu, manchmal dämmert man weg. Permanent ruft irgendwer: "Hey, seht euch das an!" Oder: "Erklär's einfach, Peter!" Und dann gibt es wieder einen ellenlangen Exkurs über Sonnenkollektoren an den Mondpolen, über Explosionen im luftleeren Raum oder sogar über Mies van der Rohe: "Sein Ziel war es, den chaotisch überbordenden Output der technischen Zivilisation in geordnete Strukturen zu überführen, wobei sein Ordnungsverständnis nicht auf Eingrenzung, sondern die Schaffung größtmöglicher Freiräume abzielte." Das ganze Buch ist eine Art begehbare 3D-Wikipedia.
Man könnte diese fachkundigen Ausführungen überblättern, aber das Verrückte an "Limit" ist, dass man sich gerade in den völlig unwichtigen Passagen immer wieder festliest. Man will unbedingt alles wissen über den Niedergang der Ölwirtschaft und über Fusionsreaktoren - und gähnt eher einmal, wenn der psychopathische Killer, den Owen Jericho auf der Erde jagt, zum soundsovielten Mal "buchhalterisch" seine Gedanken ordnet.
Spätestens im letzten Drittel von "Limit" kommt dann, wie bei einem überlangen Thriller im Nachtprogramm, doch eine gewisse Müdigkeit ins Spiel - obwohl Schätzing, der seine Romane wie Drehbücher anlegt, die Spannungskurve durch zwei gut plazierte Mini-Nuke-Atombomben noch einmal nach oben biegt. Man verliert den Überblick, verwechselt Namen und muss ab und zu im Personenregister nachblättern, wo dann steht: "Hoff, Edda: Projektbeauftragte, Abteilung Zentrale Sicherheit, Orley Enterprises. Blass, ausdruckslos und äußerst zuverlässig." Aber wie beim Spätfilm tröstet es, dass immerhin die Handlungsfiguren auch im größten Chaos noch logische Schlussfolgerungen ziehen können: "Wenn das Feuer auf den Lüftungsschacht übergegriffen hat, könnte der Druckabfall die Ausgänge blockieren."
Frank Schätzing ist nicht so gelehrt wie Umberto Eco, nicht so verschroben wie Stephen King und nicht so besessen wie Dan Brown. In Deutschland gibt es trotzdem keinen Zweiten wie ihn, der einfach mal einen Riesen-Science-Fiction zusammenhämmert und in den Orbit schickt. Er ähnelt diesen verrückten Milliardären, die auf eigene Rechnung Raumflugzeuge basteln. Schätzing ist kein Schriftsteller - er ist ein Erfinder.
Frank Schätzing: "Limit". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1328 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein flaues Gefühl und die Frage, warum es diesmal nicht so fesselnd wie beim letzten Mal war, hinterlässt der neue Science-Fiction-Roman von Frank Schätzing bei Rezensent Mathias Greffrath. Gut, das Buch sei solide und mit suspense-steigernden Schnitten gebaut, es gebe hyperpräzise Bedienungsanleitungen für innovative Geräte und physikalisch korrekte Schwerelosigkeitsspäße. Sogar den 85-jährigen David Bowie treffe man auf dem halben Weg zum Mond, wo man im Jahr 2025 um die Energie der Zukunft kämpfe. Kann sein, versucht Greffrath sich an einer Analyse seines flauen Post-Schätzing-Gefühls, dass der Autor auch in diesem Buch mit seinem Fortschrittsoptimismis der neuesten Stimmung knapp voraus sei. Doch gerade vor diesem Hintergrund liest sich "Limit", wenn wir den Rezensenten richtig verstehen, dann doch eher wie "die ins Technoinfernale gesteigerte Aufklärung eines Falls von lunarer Werksabotage", während auf Erden alles beim Alten bleibe. Für einen Roman dieses Genres offensichtlich nicht genug.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»[...] ein unterhaltsames und verfilmungsträchtiges Buch, in dessen Subtext eine Parabel der Unterhaltungsindustrie aufscheint.« Hendrik Werner Die Welt
"Einfach atemberaubend."