Nach dem tödlichen Unfall der Eltern schlagen sich Bianca und ihr Bruder in Rom mit schäbigen Jobs durch. Wenn die Geschwister nicht arbeiten, sitzen sie in Erwartung besserer Zeiten vor dem Fernseher. Bis eines Tages zwei Kumpane des Bruders einen Plan schmieden: Bianca soll den Tresor des erblindeten Maciste, eines einstigen Bodybuilders und Stars aus alten Gladiatorenfilmen, in seiner Villa ausfindig machen. Eine Nacht nach der anderen gibt sich Bianca dem glatzköpfigen Muskelprotz hin. Doch langsam wächst in ihr der Verdacht, dass dieser Tresor vielleicht gar nicht existiert. Schließlich sinnt Bianca auf Rache und versucht ihre Ausbeuter in eine grausame Falle zu locken ...
(2 CDs, Laufzeit: 2h 9)
(2 CDs, Laufzeit: 2h 9)
CD 1 | |||
1 | Lumpenroman | 00:00:13 | |
2 | Lumpenroman | 00:00:22 | |
3 | Lumpenroman | 00:09:44 | |
4 | Lumpenroman | 00:06:51 | |
5 | Lumpenroman | 00:10:33 | |
6 | Lumpenroman | 00:11:03 | |
7 | Lumpenroman | 00:10:41 | |
8 | Lumpenroman | 00:05:43 | |
9 | Lumpenroman | 00:03:35 | |
CD 2 | |||
1 | Lumpenroman | 00:09:42 | |
2 | Lumpenroman | 00:06:12 | |
3 | Lumpenroman | 00:06:28 | |
4 | Lumpenroman | 00:08:49 | |
5 | Lumpenroman | 00:06:42 | |
6 | Lumpenroman | 00:06:22 | |
7 | Lumpenroman | 00:09:14 | |
8 | Lumpenroman | 00:06:17 | |
9 | Lumpenroman | 00:09:41 |
Erst diese Woche wurde bekannt, dass es von Roberto Bolaño, dem vor sieben Jahren viel zu früh gestorbenen großen chilenischen Schriftsteller noch einen neuen Roman geben wird. Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet - bis auf seine Witwe vielleicht, Carolina López, die, als ihr Ehemann starb, ein Arbeitszimmer in chaotischem Zustand vorgefunden hatte: Manuskripthaufen und Ordner, Notizen und Schreibmaschinenabschriften seiner eigenen PC-Dateien türmten sich hier. Es war das Gegenteil von Ordnung.
Carolina López war es nun, die im allmählich sich lichtenden Dickicht das 300 Seiten umfassende Manuskript von "Los sinsabores del verdadero policía" ("Die Unannehmlichkeiten des echten Polizisten") gefunden hat, das sich, wie der Leiter des Anagrama-Verlags, Jorge Herralde, diese Woche gegenüber "El País" versprach, "auf demselben Niveau wie das Meisterwerk ,2666'" bewege und in dem zwei Figuren aus "2666" sogar wieder auftauchen sollen. 13 Jahre lang soll Bolaño an diesem bisher unbekannten Buch gearbeitet haben. Es entstand in der Zeit zwischen seinem Roman "Die wilden Detektive" und "2666". So schön kann Unordnung sein: Durch sie lebt Bolaño über den Tod hinaus fort und wird dabei immer neu entdeckt. Wer weiß, welche Manuskripte sich in seinem Chaos noch versteckt halten?
Jetzt gibt's aber erst mal den "Lumpenroman", das letzte Buch, an dem er zu Lebzeiten arbeitete. Wer nicht ohnehin zu den Bolaño-Verehrern gehört, für den ist diese kleine, dunkle Erzählung ein perfekter Einstieg in den Kosmos des Chilenen, weil sie - anders als der tausendseitige Riesenroman "2666" - nur hundert Seiten hat, was ja auch mal ganz angenehm ist: "Jetzt bin ich Mutter und auch eine verheiratete Frau, aber vor gar nicht langer Zeit war ich eine Kriminelle" - so beginnt der Bericht der Ich-Erzählerin, Bianca, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und die sich nun mit ihrem jüngeren Bruder in Rom durchs Leben schlägt. Die Waisenrente reicht vorne und hinten nicht, Bianca beginnt, als Friseurin zu arbeiten, ihr Bruder nimmt einen Aushilfsjob im Fitnesscenter an, die Schule schmeißen sie beide und verbringen den Rest der Zeit mit Quizshows und Pornofilmen vor dem Fernseher.
Doch beginnt die eigentliche Erzählung erst da, wo zwei Unbekannte auftauchen, zwei dunkle Kumpanen: der Bologneser und der Nordafrikaner. Der Bruder kennt sie aus dem Fitnesscenter, sie ziehen zu ihnen und spannen Bianca als Köder für die Realisierung eines lang gehegten Planes ein. Bianca soll für Maciste arbeiten (also: sich prostituieren), einen erblindeten Bodybuilder und Star aus den Gladiatorenfilmen der fünfziger Jahre, der zurückgezogen in einer riesigen Villa wohnt und einen Tresor besitzen soll. Diesen Tresor gilt es zu knacken. Das ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, die Roberto Bolaño aber natürlich nicht einlöst, das würde nicht zu ihm passen.
Stattdessen erzählt er eine Geschichte von Unterwerfung, Hingabe, Gleichgültigkeit und Berechnung. Es ist eine dunkel-erotische Erzählung vom blinden Mann und dem Mädchen, ein temporärer Grenzgang, ein Experiment, dem sich Bianca bereitwillig aussetzt, wenn sie sich in den abgedunkelten Fitnessräumen der Villa von Kopf bis Fuß eingecremt auf Holzbänken vom glatzköpfigen Muskelprotz nehmen lässt. Und am Ende ist es auch die Geschichte einer plötzlichen Wende, einer Emanzipation: Manchmal reicht ein kurzer Entschluss, um der Macht des Dunklen zu entkommen und wieder hinauszukommen ins Licht.
Julia Encke
Roberto Bolaño: "Lumpenroman". Hanser, 110 Seiten, 14,90 Euro
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