Vor 200 Jahren, am 2. April 1805, wurde Hans Christian Andersen geboren. Das Jahr 2005 wird ein Andersen-Jahr. Anlass genug für ein Hörbuch mit einer Auswahl der schönsten Märchen, vorgelesen von Fritzi Haberlandt und Christiane Paul. Einige der Märchen liest Nikolaus Heidelbach, der sich hier nicht nur als genialer Illustrator, sondern auch als begnadeter Vorleser erweist.
Zeitgleich erscheint bei Beltz&Gelberg ein Prachtband mit 43 der bekanntesten Andersen-Märchen, grandios bebildert von Nikolaus Heidelbach. Selten wurde Andersen so hintergründig genau illustriert wie in diesem neuen Werk. Mit Heidelbachs Bildern entsteht eine neue Andersen-Welt. Auch die Übersetzung von Albrecht Leonhardt kommt der eigenwilligen Erzählweise des Dichters auf besondere Weise nahe.So sind Andersens Märchen auch im 21. Jahrhundert neu zu erleben - für Kinder, Erwachsene und Kenner - ein Genuss für Augen und Ohren!
Zeitgleich erscheint bei Beltz&Gelberg ein Prachtband mit 43 der bekanntesten Andersen-Märchen, grandios bebildert von Nikolaus Heidelbach. Selten wurde Andersen so hintergründig genau illustriert wie in diesem neuen Werk. Mit Heidelbachs Bildern entsteht eine neue Andersen-Welt. Auch die Übersetzung von Albrecht Leonhardt kommt der eigenwilligen Erzählweise des Dichters auf besondere Weise nahe.So sind Andersens Märchen auch im 21. Jahrhundert neu zu erleben - für Kinder, Erwachsene und Kenner - ein Genuss für Augen und Ohren!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1999Das schreibwütige Entlein
Hans Christian Andersens kleine Geschichte der Herzensbildung · Von Eberhard Rathgeb
Dryaden sind Baumnymphen. Und Baumnymphen sind halbgöttliche Wesen. Und halbgöttliche Wesen sind Wesen, die nicht ganz von dieser Welt und also noch von woanders her sind. Ein Mensch nun aber, der nicht ganz von dieser Welt ist, der ist nicht ganz bei Trost. Doch er ist damit noch lange keine Baumnymphe, sondern vielleicht einer, der aller Welt Geschichten von Baumnymphen erzählt. Warum macht man das? Damit sich alle Welt an den Kopf schlägt und sich fragt, ob man denn bei Trost sei, wenn man sich nicht vor den Kopf schlagen und fragen würde, ob man denn bei Trost sei. Im neunzehnten Jahrhundert gab es vor allem einen, der sich vor aller Welt ständig an den Kopf schlug und dadurch schließlich in der ganzen Welt berühmt wurde. Das war Hans Christian Andersen aus Kopenhagen.
In London hatte im Jahr 1849 ein Mann seine Zelte aufgeschlagen, der seinen Mitmenschen schon einigen Ärger verursacht hatte und später noch, nach seinem Tod, einen noch größeren, einen weltweiten Ärger hervorrufen würde. Der Mann hieß Karl Marx und saß lange Tage und Nächte über Büchern und verbrachte tausende von Stunden in der Bibliothek und brütete vor sich hin. Dann erschien 1867 endlich der erste Band eines Buches, das später gar ein Bestseller werden sollte. Es war "Das Kapital". Nur wenige Proletarier lasen das Buch. Dafür steckten Intellektuelle ihre Nase hinein. Wenn sie auch nicht durch die über zweitausend Seiten kamen, so ackerten sie doch im ersten Band herum und dort vor allem und immer wieder durch das schön schwierige Kapitel über den Fetischcharakter der Ware, weil einem dort ja die Augen erst auf- und dann übergingen über den Gebrauchswert und den Mehrwert einer Ware.
Da schlug man sich schon beim Lesen an den Kopf, weil man in seinem ganzen langen oder auch nur kurzen nachdenklichen, auf jeden Fall aber vom Warenfetischismus verdunkelten Leben vor diesem handlichen, einem ein helles Licht aufsteckenden vierten Abschnitt im ersten Kapitel des ersten Bandes blind vor all den Waren gewesen ist. Denn man hatte bis zu diesen Seiten hin nicht gesehen, was es mit der Wirklichkeit der Wirklichkeit, was es also mit der Ware auf sich hatte, die eben nicht nur einen Gebrauchswert hat, sondern auch etwas anderes, also einen Mehrwert. Die Ware war das Baumnymphchen der Ökonomie.
Im Jahrhundert des Kapitals machten auch die Romane des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen ihren Weg hinaus und brachten dem Autor einiges Geld und mehr Ruhm zurück. Er war, wie der Herausgeber einer neuen Andersen-Anthologie, Johan de Mylius, feststellt, "von Russland bis Amerika" als Romanautor damals schon berühmt. In den fünfziger Jahren, also einige Jahre darauf, sattelte Andersen um und schrieb von nun an mehr Märchen, und zwar nicht nur für Kinder. Ihm wurde das Märchen, so Johan de Mylius, "zum Inbegriff der Dichtung". "Unsere Zeit", erklärte Andersen 1868, ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bandes des "Kapitals", sei "die große, wunderbare Zeit des Märchens", und schlug sich vor den Kopf.
Was ist die Wirklichkeit der Wirklichkeit? Der seelensezierende Sören Kierkegaard hatte Andersen früh schon vorgeworfen, er, Andersen, würde nicht in "die Geschichte der Herzen" hineinblicken, sondern lieber in einer Postkutsche in Europa durch die Gegend fahren, aus dem Wagenfenster mal links, mal rechts schauen und sich zerstreuen lassen. Für eine Geschichte der Herzen, wie sie Kierkegaard vorschwebte, wird sich Andersen aber herzlich wenig interessiert haben. Herzlich viel dagegen lag Andersen an einer wenn auch kleinen, wenn auch unvollständigen "Geschichte der Herzensbildung" in seinem kapitalgetriebenen Jahrhundert.
Andersens "Ware" war "das Leben", das durch das neunzehnte Jahrhundert und also immer tiefer hinein in die technische Zivilisation und also immer weiter weg von einer heimatlichen und menschlichen Natur wanderte, weil es dorthin nun wandern mußte. Diese Ware hatte einen Gebrauchswert, und das waren die Konventionen, die alles Menschliche oberflächlich regelten und am geschäftigen Laufen hielten. Und sie hatte auch einen Mehrwert, und das war ein Herz auf dem rechten Fleck. Dieser "Ware" widmete Andersen nicht nur ein Kapitel, sondern hunderte von Geschichten, seine berühmten Märchen.
Wer nun also ein Märchen von Hans Christian Andersen las, der sollte sich dabei oder spätestens danach vor den Kopf schlagen, weil er in seinem Gebrauchswertleben immer nur ganz bei Trost und also immer nur ganz mit von der Partie der konventionellen Wirklichkeit gewesen war, während doch ein menschliches Herz darunter anrührend und heimatlich und eben mehrwertig schlug. Damit war "das Leben" zum Baumnymphchen der Literatur geworden. Und damit war das neunzehnte mit dem zwanzigsten Jahrhundert verbunden, das ja in den ersten Jahrzehnten sich den Kopf über das "Leben" zerbrach, nicht zuletzt auch Thomas Mann.
Hans Christian Andersen aber wurde zum Märchenonkel für Kinder. Diese Einschätzung änderte sich erst in den vergangenen Jahren, als man den literarischen Einflüssen Andersens auf die moderne Literatur nachspürte und man seine Geschichten neu übersetzte. Einen anderen, einen Andersen für Erwachsene möchte nun auch die Textauswahl von Johan de Mylius vorstellen. Also nahm man unbekannte Texte oder übersetzte bekannte Texte neu, und zusammengenommen sollen sie nun ein vollständiges Bild Hans Christian Andersens ergeben. So wird aus dem Märchenplauderer Andersen ein Zeitgenosse seines Jahrhunderts, der sich für Seele und Technik, Wissenschaft und Poesie, Glauben und Wissen, soziale Erfahrungen und politische Missstände mehr interessierte, als man lange angenommen hatte.
Hans Christian Andersen: "Märchen, Geschichten, Briefe". Ausgewählt und kommentiert von Johan de Mylius. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 432 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Christian Andersens kleine Geschichte der Herzensbildung · Von Eberhard Rathgeb
Dryaden sind Baumnymphen. Und Baumnymphen sind halbgöttliche Wesen. Und halbgöttliche Wesen sind Wesen, die nicht ganz von dieser Welt und also noch von woanders her sind. Ein Mensch nun aber, der nicht ganz von dieser Welt ist, der ist nicht ganz bei Trost. Doch er ist damit noch lange keine Baumnymphe, sondern vielleicht einer, der aller Welt Geschichten von Baumnymphen erzählt. Warum macht man das? Damit sich alle Welt an den Kopf schlägt und sich fragt, ob man denn bei Trost sei, wenn man sich nicht vor den Kopf schlagen und fragen würde, ob man denn bei Trost sei. Im neunzehnten Jahrhundert gab es vor allem einen, der sich vor aller Welt ständig an den Kopf schlug und dadurch schließlich in der ganzen Welt berühmt wurde. Das war Hans Christian Andersen aus Kopenhagen.
In London hatte im Jahr 1849 ein Mann seine Zelte aufgeschlagen, der seinen Mitmenschen schon einigen Ärger verursacht hatte und später noch, nach seinem Tod, einen noch größeren, einen weltweiten Ärger hervorrufen würde. Der Mann hieß Karl Marx und saß lange Tage und Nächte über Büchern und verbrachte tausende von Stunden in der Bibliothek und brütete vor sich hin. Dann erschien 1867 endlich der erste Band eines Buches, das später gar ein Bestseller werden sollte. Es war "Das Kapital". Nur wenige Proletarier lasen das Buch. Dafür steckten Intellektuelle ihre Nase hinein. Wenn sie auch nicht durch die über zweitausend Seiten kamen, so ackerten sie doch im ersten Band herum und dort vor allem und immer wieder durch das schön schwierige Kapitel über den Fetischcharakter der Ware, weil einem dort ja die Augen erst auf- und dann übergingen über den Gebrauchswert und den Mehrwert einer Ware.
Da schlug man sich schon beim Lesen an den Kopf, weil man in seinem ganzen langen oder auch nur kurzen nachdenklichen, auf jeden Fall aber vom Warenfetischismus verdunkelten Leben vor diesem handlichen, einem ein helles Licht aufsteckenden vierten Abschnitt im ersten Kapitel des ersten Bandes blind vor all den Waren gewesen ist. Denn man hatte bis zu diesen Seiten hin nicht gesehen, was es mit der Wirklichkeit der Wirklichkeit, was es also mit der Ware auf sich hatte, die eben nicht nur einen Gebrauchswert hat, sondern auch etwas anderes, also einen Mehrwert. Die Ware war das Baumnymphchen der Ökonomie.
Im Jahrhundert des Kapitals machten auch die Romane des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen ihren Weg hinaus und brachten dem Autor einiges Geld und mehr Ruhm zurück. Er war, wie der Herausgeber einer neuen Andersen-Anthologie, Johan de Mylius, feststellt, "von Russland bis Amerika" als Romanautor damals schon berühmt. In den fünfziger Jahren, also einige Jahre darauf, sattelte Andersen um und schrieb von nun an mehr Märchen, und zwar nicht nur für Kinder. Ihm wurde das Märchen, so Johan de Mylius, "zum Inbegriff der Dichtung". "Unsere Zeit", erklärte Andersen 1868, ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bandes des "Kapitals", sei "die große, wunderbare Zeit des Märchens", und schlug sich vor den Kopf.
Was ist die Wirklichkeit der Wirklichkeit? Der seelensezierende Sören Kierkegaard hatte Andersen früh schon vorgeworfen, er, Andersen, würde nicht in "die Geschichte der Herzen" hineinblicken, sondern lieber in einer Postkutsche in Europa durch die Gegend fahren, aus dem Wagenfenster mal links, mal rechts schauen und sich zerstreuen lassen. Für eine Geschichte der Herzen, wie sie Kierkegaard vorschwebte, wird sich Andersen aber herzlich wenig interessiert haben. Herzlich viel dagegen lag Andersen an einer wenn auch kleinen, wenn auch unvollständigen "Geschichte der Herzensbildung" in seinem kapitalgetriebenen Jahrhundert.
Andersens "Ware" war "das Leben", das durch das neunzehnte Jahrhundert und also immer tiefer hinein in die technische Zivilisation und also immer weiter weg von einer heimatlichen und menschlichen Natur wanderte, weil es dorthin nun wandern mußte. Diese Ware hatte einen Gebrauchswert, und das waren die Konventionen, die alles Menschliche oberflächlich regelten und am geschäftigen Laufen hielten. Und sie hatte auch einen Mehrwert, und das war ein Herz auf dem rechten Fleck. Dieser "Ware" widmete Andersen nicht nur ein Kapitel, sondern hunderte von Geschichten, seine berühmten Märchen.
Wer nun also ein Märchen von Hans Christian Andersen las, der sollte sich dabei oder spätestens danach vor den Kopf schlagen, weil er in seinem Gebrauchswertleben immer nur ganz bei Trost und also immer nur ganz mit von der Partie der konventionellen Wirklichkeit gewesen war, während doch ein menschliches Herz darunter anrührend und heimatlich und eben mehrwertig schlug. Damit war "das Leben" zum Baumnymphchen der Literatur geworden. Und damit war das neunzehnte mit dem zwanzigsten Jahrhundert verbunden, das ja in den ersten Jahrzehnten sich den Kopf über das "Leben" zerbrach, nicht zuletzt auch Thomas Mann.
Hans Christian Andersen aber wurde zum Märchenonkel für Kinder. Diese Einschätzung änderte sich erst in den vergangenen Jahren, als man den literarischen Einflüssen Andersens auf die moderne Literatur nachspürte und man seine Geschichten neu übersetzte. Einen anderen, einen Andersen für Erwachsene möchte nun auch die Textauswahl von Johan de Mylius vorstellen. Also nahm man unbekannte Texte oder übersetzte bekannte Texte neu, und zusammengenommen sollen sie nun ein vollständiges Bild Hans Christian Andersens ergeben. So wird aus dem Märchenplauderer Andersen ein Zeitgenosse seines Jahrhunderts, der sich für Seele und Technik, Wissenschaft und Poesie, Glauben und Wissen, soziale Erfahrungen und politische Missstände mehr interessierte, als man lange angenommen hatte.
Hans Christian Andersen: "Märchen, Geschichten, Briefe". Ausgewählt und kommentiert von Johan de Mylius. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 432 S., geb., 49,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Rezensent Martin Halter findet diese Einlesung von Andersen-Märchen "so brav und ordentlich", dass man sie jedem Kind unbedenklich zum Einschlafen geben könne. Und das ist kein Kompliment. Denn die Märchen illustrieren für den Rezensenten viele Schattenseiten des Dichters, der unter Depressionen, hypochondrischen Neurosen und Ängsten gelitten habe. Halter zufolge war Andersen selbst das hässliche Entlein, der Mann ohne Schatten oder das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Seine Märchen seien daher nur für Kinder erzählt, jedoch für Erwachsene gedacht gewesen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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