"Die Spuren der DDR würden verschwinden. Als hätte es sie nie gegeben. Auch hier nicht. Als hätte sich hier nie jemand angestrengt, einen Salon einzurichten. Es genauso toll zu haben wie im Westen. Oder toller. Der Versuch, die Schrankwand ebenso gut zu machen, war umsonst gewesen. (....) Es war ein Wartezimmer. Dieser Salon im Gästehaus. Orange-braunbeige gestreifte Sessel. Für sie war es richtig, in einem Wartezimmer gelandet zu sein. In einem Wartezimmer, das auf Abbruch wartete..." Lore - 51jährige Journalistin aus Wien, geschieden, kinderlos - sitzt in dem ehemaligen Gästehaus der DDR am Majakowskiring in Berlin und zieht Bilanz. Ihr Freund hat sie verlassen, wieder einer. Sie denkt an die Vergangenheit, ihre persönliche und die der DDR. Schließlich läßt sie ihren Koffer in Berlin, genauer in einer Berliner Mülltonne, stehen und bricht zum Flughafen auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2000Örtlich betäubt
Gestrandetes Leben: "Majakowskiring" von Marlene Streeruwitz
Drei der Betonplatten auf dem Weg zum Bungalow haben einen Sprung, an den Rändern kommen Grasbüschel durch. Über den Funktionärsvillen am Pankower Majakowskiring liegt jetzt die Einflugschneise. Die Nachbarschaft klumpt zusammen zu sonntäglichen Familienfeiern und spazierenden Hundehaltern; eine ältere Dame irrt als hilflose Person umher. Die Putzfrau kommt täglich.
Endlos dehnt sich der Nachmittag, allein der Schatten des Magnolienbaums sorgt dafür, daß die Zeit vergeht. Ein Literaturhaus hat, bis auf weiteres, seine Veranstaltungen und Autoren in der Villa untergebracht, die früher Gäste des DDR-Außenministeriums beherbergte. Das Mobiliar ist zerschlissen, der Teppichboden hat ein wolkiges Muster, dem sich Altersund Schmutzspuren ideal anpassen konnten. Hier wurden "die Befehlsketten der internationalen Freundschaft aufgefrischt", denkt Leonore. Bei kleinen Konspirationen, Lauschangriffen, Gelagen und Orgien womöglich? Nicht einmal mit Schmuddelphantasien ist die muffige Langeweile zu vertreiben.
Nicht im mindesten gibt sich Marlene Streeruwitz' Erzählung autobiographisch oder auch nur insiderisch. Aufschlüsse über die Berliner "LiteraturWerkstatt" sucht man vergeblich. Wie und warum die Wirtschaftsjournalistin Leonore in die Gästewohnung am Majakowskiring gelangt sein mag, bleibt unklar. Um so spürbarer wird, wie der lähmende Autismus des Ortes auf sie übergeht. "Sie sollte nichts versäumen", souffliert sich die Zweiundfünfzigjährige. Schließlich ist Mai, und die Stadt wallt vor Hitze. Vielleicht einen Callboy nehmen oder wenigstens einmal um den Block spazieren. Unterdessen gibt sie den Erinnerungsfetzen nach, die sich in ihre Einsamkeit drängen. An Richard, mit dem sie verheiratet war; an Paul, der nie hatte zu ihr ziehen wollen; an den stets eifersüchtigen Polen schließlich, den sie durch ein falsches Geständnis verlor. Die Leonore-Figur hat Schaden genommen, und ihre Erzählung muß ihn aushalten. Oft ist der Satzbau lückenhaft, manchmal zu einem abgehackten Stammeln verkürzt, als lohnten ihre Selbstgespräche der Mühe nicht mehr.
Die Männer, die in diesem trüben Bewußtseinsstrom vorbeiziehen, sind keine ausgesucht unangenehmen Exemplare ihrer Art. Aber sie füllen den Raum aus, sind achtlose Verdränger seelischen Volumens, während die Frau immer Platz macht. Ihre Geschichte lebt allein noch vom Strandgut der anderen. Zerbrochen, gesprungen, zerschlissen auch sie; aber immer noch bewohnt.
Der Erzählung eignet eine leise, figurennahe Sprachkunst und die Fähigkeit der bedeutenden Auslassung. Über weite Strecken versieht Streeruwitz die Perspektive ihrer Protagonistin mit einem niedrig eingepegelten ironischen Ton und verpflichtet sie auf präzise Beschreibungen. Die Erinnerung an einen Flughafen namens "Berlin-Schöneberg" sollte sie freilich überdenken. Jedenfalls tut Leonore, als sie am Ende Ort und Text ergebnislos verläßt, gut daran, ihr Taxi zum Flughafen Tegel zu dirigieren.
ALEXANDER HONOLD.
Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring". Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 112 S., br., 18,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gestrandetes Leben: "Majakowskiring" von Marlene Streeruwitz
Drei der Betonplatten auf dem Weg zum Bungalow haben einen Sprung, an den Rändern kommen Grasbüschel durch. Über den Funktionärsvillen am Pankower Majakowskiring liegt jetzt die Einflugschneise. Die Nachbarschaft klumpt zusammen zu sonntäglichen Familienfeiern und spazierenden Hundehaltern; eine ältere Dame irrt als hilflose Person umher. Die Putzfrau kommt täglich.
Endlos dehnt sich der Nachmittag, allein der Schatten des Magnolienbaums sorgt dafür, daß die Zeit vergeht. Ein Literaturhaus hat, bis auf weiteres, seine Veranstaltungen und Autoren in der Villa untergebracht, die früher Gäste des DDR-Außenministeriums beherbergte. Das Mobiliar ist zerschlissen, der Teppichboden hat ein wolkiges Muster, dem sich Altersund Schmutzspuren ideal anpassen konnten. Hier wurden "die Befehlsketten der internationalen Freundschaft aufgefrischt", denkt Leonore. Bei kleinen Konspirationen, Lauschangriffen, Gelagen und Orgien womöglich? Nicht einmal mit Schmuddelphantasien ist die muffige Langeweile zu vertreiben.
Nicht im mindesten gibt sich Marlene Streeruwitz' Erzählung autobiographisch oder auch nur insiderisch. Aufschlüsse über die Berliner "LiteraturWerkstatt" sucht man vergeblich. Wie und warum die Wirtschaftsjournalistin Leonore in die Gästewohnung am Majakowskiring gelangt sein mag, bleibt unklar. Um so spürbarer wird, wie der lähmende Autismus des Ortes auf sie übergeht. "Sie sollte nichts versäumen", souffliert sich die Zweiundfünfzigjährige. Schließlich ist Mai, und die Stadt wallt vor Hitze. Vielleicht einen Callboy nehmen oder wenigstens einmal um den Block spazieren. Unterdessen gibt sie den Erinnerungsfetzen nach, die sich in ihre Einsamkeit drängen. An Richard, mit dem sie verheiratet war; an Paul, der nie hatte zu ihr ziehen wollen; an den stets eifersüchtigen Polen schließlich, den sie durch ein falsches Geständnis verlor. Die Leonore-Figur hat Schaden genommen, und ihre Erzählung muß ihn aushalten. Oft ist der Satzbau lückenhaft, manchmal zu einem abgehackten Stammeln verkürzt, als lohnten ihre Selbstgespräche der Mühe nicht mehr.
Die Männer, die in diesem trüben Bewußtseinsstrom vorbeiziehen, sind keine ausgesucht unangenehmen Exemplare ihrer Art. Aber sie füllen den Raum aus, sind achtlose Verdränger seelischen Volumens, während die Frau immer Platz macht. Ihre Geschichte lebt allein noch vom Strandgut der anderen. Zerbrochen, gesprungen, zerschlissen auch sie; aber immer noch bewohnt.
Der Erzählung eignet eine leise, figurennahe Sprachkunst und die Fähigkeit der bedeutenden Auslassung. Über weite Strecken versieht Streeruwitz die Perspektive ihrer Protagonistin mit einem niedrig eingepegelten ironischen Ton und verpflichtet sie auf präzise Beschreibungen. Die Erinnerung an einen Flughafen namens "Berlin-Schöneberg" sollte sie freilich überdenken. Jedenfalls tut Leonore, als sie am Ende Ort und Text ergebnislos verläßt, gut daran, ihr Taxi zum Flughafen Tegel zu dirigieren.
ALEXANDER HONOLD.
Marlene Streeruwitz: "Majakowskiring". Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 112 S., br., 18,- DM.
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"Marlene Streeruwitz ist eine virtuose, mit allen Wassern der Erzähltechnik gewaschene Autorin." (Berliner Morgenpost) "Ein schmaler Band, ein großer Wurf." (Die Morgenzeitung)