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Es ist mehrmals um die Welt gereist, hat für Könige und Bürger gespielt, in Kathedralen, Schlössern und modernen Philharmonien. Es hat 300 Jahre auf dem Buckel, klingt wie am ersten Tag und hat seinen Namen von dem berüchtigten Virtuosen Mara, dessen Eskapaden im 18. Jahrhundert für Gesprächsstoff sorgten. Ein Cello erzählt seine Geschichte.

Produktbeschreibung
Es ist mehrmals um die Welt gereist, hat für Könige und Bürger gespielt, in Kathedralen, Schlössern und modernen Philharmonien. Es hat 300 Jahre auf dem Buckel, klingt wie am ersten Tag und hat seinen Namen von dem berüchtigten Virtuosen Mara, dessen Eskapaden im 18. Jahrhundert für Gesprächsstoff sorgten. Ein Cello erzählt seine Geschichte.
Autorenporträt
Wolf Wondratschek wuchs in Karlsruhe auf. Von 1962 bis 1967 studierte er Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Seit 1967 lebte er als freier Schriftsteller zunächst in München. In den Jahren 1970 und 1971 lehrte er als Gastdozent an der University of Warwick, Ende der 1980er-Jahre unternahm er ausgedehnte Reisen unter anderem in die USA und nach Mexiko. Er lebt seit 1996 in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Ein Himmel voller Geigen
Wolf Wondratschek, klangkörperlich / Von Rose-Maria Gropp

Es ist der Gestus der Bescheidenheit, einer veritablen captatio benevolentiae, mit dem diese Erzählung anhebt: "Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, meine Geschichte, wenn ich das darf, die Geschichte eines Cellos. Denn das bin ich, ein Violoncello." Dieses Cello heißt Mara, "The Mara", und ist eines der berühmtesten der wirklichen Welt, auf diese gekommen im Jahr 1711 in der Werkstatt des Meisters Antonio Stradivari in Cremona.

Aber was Wolf Wondratschek dann erzählt, ist weitaus mehr als die Historie eines Musikinstruments. Es ist die Geschichte der Sensationen eines Korpus unter verschiedenen Händen, in vielfachen Schwingungen, eines hölzernen Resonanzkörpers. Der Trick ist nahezu genial: Weil sich Wondratschek immer wieder auf die der menschlichen Sterblichkeit entzogene Existenz des Cellos zurückziehen kann, vermag er gleichzeitig die Position des Beobachters und des Handelnden - im Wortsinn eigentlich des Behandelten - durch die Zeitläufte einzunehmen.

"Mara" also: der? die? das? Für das Neutrum des Instruments "von Vaters Hand" hat sich Wondratschek entschieden. Mit der Gabe der Sprache, die er dem Cello verleiht, kann er auch die Worte aus dem Repertoire der Liebe abhandeln, ohne sich darin verstricken zu müssen. Da ist das "Geheimnis" der kostbaren Geige, an dessen Grund das Handwerk glänzt: "Was man brauchte, lag griffbereit herum, die Zeichnungen, Schnitte, Pläne, die Hobel, Zwingen, Raspeln, in kleinen Flaschen oder in Schalen die Öle, Harze, Schleifmittel, die verschiedenen (und verschieden gemischten) Polituren und Pigmente, Weingeist, Leinölfirnis, Kaliumpermanganat, die Schachteln mit den Intarsien, dem Kork, den Keilen, Stegen, den Stimmstöcken - mein Gott, all das Zeug, was in einer Werkstatt eben so herumliegt."

Oder die "Seele": "Meine Landsleute haben dem Stimmstock, jenem kleinen, zylindrisch geformten Stückchen Fichtenholz, eingepaßt hinter dem rechten Stegfuß zwischen Decke und Boden, einen Ehrentitel verliehen, sie nennen ihn anima, Seele. Nun ja, überaus originell ist das nicht, aber wer weiß schon, wo sich die Seele herumtreibt, was sie ist, wer sie ist und wo sie sich versteckt? Ja, wo? In Unterröcken? Einem Teller Spaghetti? Im Bauch einer Schwangeren? In der Zahlenreihe eines Mathematikers? Ist die Seele nicht einfach das, was morgens nie aus dem Bett kommt und weiterschlafen will?" Wie dem auch sei: "Seele, das klingt immer gut, und aus dem Mund eines Italieners ganz nach einem Volltreffer." Ist doch Mara von italienischer Geburt und darf sich deshalb heimlich nach einem Russen sehnen. In der Gegenwart wird Mara übrigens von dem österreichischen Cellisten und Dirigenten Heinrich Schiff gespielt, der sich außerdem "Sleeping Beauty" widmet, gebaut 1739 vom Venetianer Domenico Montagnana; womit er Mara ein wenig eifersüchtig machen dürfte.

Für die Wirkungen der Musik muß Wolf Wondratschek nicht zurückgreifen auf die heilige Cäcilie (was immer nur schlechter Kleist werden kann!), sondern er läßt Expressionismus, ja schieres Dada klangmalen: "Es wird nicht mehr komponiert, um Schneiderrechnungen zu zahlen. Es tagt das Weltgericht. Die Schöpfung schrumpft, dem Adler gehn im Flug die Federn flöten, es plumpst der Himmel unters Mikroskop. Sprengsätze gehen hoch in Spieldosen. Ein Schmetterling zeigt seine Krallen. Wenn ich jetzt nicht alles verwechsle, ist das spannend. Fliegt fort! Versucht, die Sonne zu fassen! Hört Ihr den Lärm, den die Rosen machen mit ihren Dornen. Wie laut das Innere aus den Bäumen bricht, und wie der Saft spritzt. Tod, schreit die Seele, sauf! Es dreht ein Fluch die Maulwürfe um unter der Erde. Es fallen Äste, die Schäfer erschlagen und Liebespaare, die da doch eben noch in ihrem reichen Schatten ruhten; das Publikum, zu Grabe getragen von Fröschen in Karnevalshüten." Maras Schicksal und Bestimmung ist Zeitgenossenschaft und deren Musik im nun dritten Jahrhundert; Glanz und - nicht Elend, sondern - Langeweile begleiten sein Dasein, das freilich auch die totale Dekonstruktion übersteht.

Denn im Jahr 1963 säuft Mara während einer Tournee in Südamerika ab mit einer Fähre auf dem Rio de la Plata und taucht in Einzelteilen wieder auf. Im Kern gehorcht die Erzählung der klassischen Novellenform, sie läuft auf die unerhörte Begebenheit zu, die physische Zerstörung Maras. Aber über dem Geschehen schwebt längst keine heilsgeschichtliche Ordnung mehr, sondern es gelten die Gesetze von Materialität, Geschicklichkeit, Können und, auch das, Kommerz. Maras buchstäbliche Synthese nach dem Unfall, der das Cello am Ufer des Flusses in eine kleine aufregende Deliranz fallen ließ, gelingt perfekt.

Nun ist jedes Ich der Moderne, das etwas auf sich hält, in angemessener Zersplitterung schon einmal wenn nicht vor die Fische, so jedenfalls vor die Hunde gegangen. Unter der Tarnkappe der Naivität entwirft Wondratschek eine Typologie des künstlerischen Subjekts. Er behauptet die Souveränität des begabten, des begnadeten Individuums, in Maras Holz inkarniert: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker; sofern ich nicht aus billiger Fichte gebaut bin.

Mit seiner Sprachbeherrschung kann Wondratschek mehr Sinnlichkeit generieren als andere mit ganzen Kaskaden anverwandelter Bildlichkeit. Die disjecta membra einer jeden Rede von der Liebe - Kopf und Leib, Hirn und Rausch, Treue und Verrat, Ichsucht und Verausgabung - sammelt er mit spielerischer Leichtigkeit ein. In "Mara" läßt er an die Stelle der katastrophischen Triade, die alles Begehren zur Bedingung hat, das Cello als dritten Körper treten: Sein Holzleib kann sich nicht verletzend zwischen zwei Menschen drängen, Eifersucht erzeugen gleichwohl. Wenn Wondratschek davon erzählt, wie Maras vorübergehender Besitzer Carlos Tornquist seiner Geliebten Maria (deren Namen doch nur ein einziger Buchstabe vom Cello trennt!) verfällt, wie da alle Geschlechterfallen zuschnappen, dann funkelt Ironie in den feinsten Facetten ohne jede Denunziation.

Schließlich kennt auch Mara die Einwirkungen besitzergreifender Physis; "ich weiß, wie das ist, wenn einer von keiner Umarmung genug kriegen kann": "Daß ich mit Männern Erfahrung habe - und zwar mit dem ganzen Mann, nicht nur mit seiner Wange und den fünf Fingern seiner linken Hand. Irgendwie färbt das ab, finde ich. Da hört die Schönheit auf, diskret zu sein." Wondratscheks kleines Buch bleibt keusch. Ein Cello quatscht nicht aus dem Nähkästchen, sondern ruht in seinem Kasten, dem vielleicht Erinnerungen in eroticis mitgegeben sind. Ein Cello erfindet den Sex nicht neu, sondern ist dabei, wenn das Vorspiel seinen Lauf nimmt.

Diese Erzählung ist weich, warm und geduldig wie ein perfekter Liebhaber. In ihr finden Form und Inhalt - die eminente Musikalität des Autors und der Gegenstand seiner (Selbst-)Betrachtung - aufs Zierlichste zueinander. Maras, vorerst, letzte Gedanken gehören einer Frau: "Ob es etwas Schöneres gibt als Musik? Vielleicht nicht, vielleicht ihr Lachen." Da ist es wieder, das Lachen einer Frau. Ihm gehört wohl für immer Wolf Wondratscheks tiefste Leidenschaft. Wahrhaftig gibt es schlechtere Passionen als Musik und das Lachen einer Frau.

Wolf Wondratschek: "Mara". Eine Erzählung. Hanser Verlag, München 2003. 200 S., geb., 17,90 [Euro].

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