Hamburg nach 9/11. Ein muslimischer Terrorverdächtiger ist die Schlüsselfigur im gnadenlosen Wettlauf internationaler Geheimdienste. Der neue Roman von John le Carré erzählt von einer durch den Terror veränderten Gesellschaft, in der jeder Unschuldige und Schuldige gleichermaßen Statist in einem undurchschaubaren Marionettenspiel ist.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2008An Fäden durch die Geschichte geschleift
Gibt es einen, der so viel über Deutschlands Beschaulichkeit und Verhängnisse weiß wie er? John le Carré und sein Roman „Marionetten”
Während des Kalten Krieges war Deutschland geteilt und nicht im Besitz seiner vollen Souveränitätsrechte. Das Land war einerseits machtlos, andererseits lag es in der Mitte der Weltpolitik, gewissermaßen im Auge des Orkans. Diese eigentümliche Mixtur aus Provinz und Weltbühne, aus Abseitigkeit und Zentralität hat kein Schriftsteller so prägnant erfasst wie der englische Thriller-Autor John le Carré. Der Titel eines seiner frühen Romane bringt es mit schlafwandlerischer Treffsicherheit auf den Begriff: „Eine kleine Stadt in Deutschland”. Wie viel altfränkische Verschlafenheit klingt da mit – und doch ist dieses Deutschland Hauptschauplatz des Kalten Kriegs, auch wenn andere dabei die Fäden in der Hand halten.
Damals, in den sechziger Jahren, waren die Zeiten der Großmachtsphantasien schon lange vorbei. Die Bundesrepublik war ein politischer Zwerg, der daran arbeitete, unter dem Sicherheitsschirm der USA zum wirtschaftlichen Riesen zu werden. Und doch war es dieses beschauliche Ländchen, das ganz kleine Brötchen buk, in dem die beiden Supermächte das Weiße im Auge ihres Feindes sehen konnten. Vielleicht hat es ja sogar eine tiefere Bedeutung, wenn George Smiley, John le Carrés unvergesslicher Secret-Service-Mann, während seines Studiums der Literaturwissenschaft sich besonders passioniert der deutschen Literatur des Barock widmet – mithin jener Epoche, in der Deutschland in Folge des Dreißigjährigen Krieges in die Kleinstaaterei zerfiel.
Dass der Fremde das Eigene schärfer zu erfassen vermag als man selbst, ist ein Gemeinplatz – aber man muss ihn im Falle John le Carrés erneut bemühen: Er hat das Deutschland des Kalten Krieges erzählerisch ins Bild gesetzt. Er hat in seinem berühmtesten Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam” die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam zum geographischen Sinnbild der Block-Konfrontation werden lassen, wo die Geheimdienste aus West und Ost sich zum Agentenaustausch trafen – noch heute ein Ort, an dem einen das Glück der Wiedervereinigung geradezu körperlich anspringt. Für das Pathos wie für die Beschaulichkeit der politischen Situation der beiden Deutschlands hatte John le Carré ein Gespür wie kein zweiter. Als Mitarbeiter sowohl des British Foreign Office wie des britischen Geheimdienstes lebte le Carré, der nahezu akzentfrei Deutsch spricht, Anfang der sechziger Jahre in Bonn und in Hamburg.
Unschuld des Geschundenen
In diesen Tagen hat Arte einen Film über den großen Spionage-Autor gezeigt. Da sah man John le Carré, mit seinen 77 Jahren noch immer ein blendend aussehender Gentleman, im Garten seines hinreißend zum Meer hin exponierten Hauses in Cornwall. Zu seiner Linken, die Steilküste hinunter, erstreckte sich eine große Bucht, an deren anderer Seite ein Städtchen zu sehen war: „Wie sagte Theodor Storm über Husum? ,Die graue Stadt am Meer‘. Das dort ist meine graue Stadt am Meer.”
„Marionetten” heißt sein 21. Roman, und er spielt in Hamburg. Auf Englisch heißt das Buch „A Most Wanted Man”. Aber der deutsche Titel ist gar nicht schlecht. Im Grunde greift er ein altes Motiv auf. Zwar ist Deutschland mittlerweile ein souveränes Land. Wenn es aber um den Krieg gegen den Terror geht, wird es zum Vasallen Amerikas, und seinen Geheimdiensten bleibt auf ihrem eigenen Territorium nichts anderes übrig, als die transatlantischen Kollegen walten und schalten zu lassen. Keine der „Marionetten”-Figuren vermag souverän zu handeln, immer ziehen andere an den Strippen. Im Kleist’schen Sinne anmutig sind diese Marionetten nicht. Vielmehr werden sie ohne Rücksicht auf Verluste durch die Machtkämpfe der Weltpolitik geschleift, an ihren Fäden, mit polternden Körpern.
Issa, ein junger Moslem, gelangt illegal nach Deutschland. Annabel Richter, Tochter aus bester deutscher Juristen-Familie, arbeitet für die Organisation Fluchthafen, die politischen Flüchtlingen dabei hilft, ihren Aufenthalt in Deutschland zu legalisieren. Mit Issa hat sie einen schwierigen Fall. Er gibt sich als Tschetschene aus, spricht aber nur Russisch. Seine Frömmigkeit stellt er umständlich zur Schau, aber manchmal wirkt sie gerade deshalb wie zwielichtiges Kasperltheater. Er hat geradezu heiligenmäßige Züge kindlicher Unschuld. Dann wieder wirkt er mit seiner gestelzten Ausdrucksweise wie von allen guten Geistern verlassen. Sein Körper jedenfalls weist Spuren von Folter auf.
Die Geschichte, die Issa seiner Anwältin Annabel auftischt, ist haarsträubend: Sein Vater sei ein russischer Oberst der Roten Armee gewesen, der wie nur je ein grausiger Warlord in Tschetschenien gewütet habe. Er habe seine tschetschenische Mutter vergewaltigt, sich dabei aber in sie und damit auch in seinen Bastard-Sohn verliebt. Seine Mutter sei wegen der Schande von ihrer eigenen Familie getötet worden, während sein Vater ihn auf einem russischen Internat habe großziehen lassen.
Issa hasst seinen Vater und verehrt seine tote Mutter. Seine Loyalität gehört dem geschundenen tschetschenischen Volk. Der russische Geheimdienst hält ihn für einen gefährlichen Islamisten und hatte ihn hinter Gitter gebracht. Aber Issa gelang die Flucht. Und jetzt steht er nicht mit leeren Händen da. Von seinem Vater soll er ein gewaltiges Vermögen geerbt haben. Es ist schmutziges Geld, das weiß Issa, er möchte es deshalb islamischen Wohltätigkeitsorganisationen vermachen. Aber Hamburg ist auch die Stadt von Mohammed Atta, einem der 9/11-Attentäter. Da hatte der Verfassungsschutz des Stadtstaats auf ganzer Linie versagt. Entsprechend nervös sind jetzt alle. Der Erfolgsdruck bei den Geheimdiensten ist hoch. Die Briten, die Amerikaner sind anwesend und pfuschen den deutschen Diensten ins Spiel.
„Marionetten” erzählt davon, wie eine Politik, die mit der Angst spielt, ihre rechtsstaatliche Balance verliert. John le Carré hat während der Recherchen Murat Kurnaz interviewt, der nach Guantanamo verschleppt wurde. Die Terror-Paranoia schafft sich unter Umständen ihre eigenen Geschöpfe. Wenn die Agenten in „Marionetten” die Lage beschreiben, dann reden sie von den „verschlungenen Pfaden des Dschihadismus”. Dieser Roman führt meisterhaft vor, wie sich um ein Schlagwort eine ganze Sicherheits-Bürokratie bildet, ja, sich aus dem Begriff heraus eine eigene Handlungslogik entfaltet. In dieser Logik hat ein gläubiger Tschetschene, der uns wie Murat Kurnaz fremd und deshalb fanatisch vorkommt, keine Chance auf eine faire Beweisaufnahme. Im Zweifel für den Angeklagten – dieser Rechtsgrundsatz ist im Bann der Terrorangst aufgehoben.
Aber die Wege des Dschihadismus sind ja tatsächlich verschlungen; und le Carré ist niemand, der die Gefahr des Terrorismus unterschätzt. Was es mit Issa wirklich auf sich hat, das weiß auch sein Erfinder nicht. Klar ist nur, dass die Logik der Geheimdienste keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Man klappt dies Buch stöhnend zu und möchte eine Welt, unsere Welt weit von sich weisen, in der es keine Möglichkeit gibt, sauber durchzukommen. IJOMA MANGOLD
JOHN LE CARRÉ: Marionetten. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein Verlag, Berlin 2008. 368 S., 22,90 Euro.
John le Carré in seiner Londoner Wohnung Foto: Kirsty Wigglesworth/AP
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Gibt es einen, der so viel über Deutschlands Beschaulichkeit und Verhängnisse weiß wie er? John le Carré und sein Roman „Marionetten”
Während des Kalten Krieges war Deutschland geteilt und nicht im Besitz seiner vollen Souveränitätsrechte. Das Land war einerseits machtlos, andererseits lag es in der Mitte der Weltpolitik, gewissermaßen im Auge des Orkans. Diese eigentümliche Mixtur aus Provinz und Weltbühne, aus Abseitigkeit und Zentralität hat kein Schriftsteller so prägnant erfasst wie der englische Thriller-Autor John le Carré. Der Titel eines seiner frühen Romane bringt es mit schlafwandlerischer Treffsicherheit auf den Begriff: „Eine kleine Stadt in Deutschland”. Wie viel altfränkische Verschlafenheit klingt da mit – und doch ist dieses Deutschland Hauptschauplatz des Kalten Kriegs, auch wenn andere dabei die Fäden in der Hand halten.
Damals, in den sechziger Jahren, waren die Zeiten der Großmachtsphantasien schon lange vorbei. Die Bundesrepublik war ein politischer Zwerg, der daran arbeitete, unter dem Sicherheitsschirm der USA zum wirtschaftlichen Riesen zu werden. Und doch war es dieses beschauliche Ländchen, das ganz kleine Brötchen buk, in dem die beiden Supermächte das Weiße im Auge ihres Feindes sehen konnten. Vielleicht hat es ja sogar eine tiefere Bedeutung, wenn George Smiley, John le Carrés unvergesslicher Secret-Service-Mann, während seines Studiums der Literaturwissenschaft sich besonders passioniert der deutschen Literatur des Barock widmet – mithin jener Epoche, in der Deutschland in Folge des Dreißigjährigen Krieges in die Kleinstaaterei zerfiel.
Dass der Fremde das Eigene schärfer zu erfassen vermag als man selbst, ist ein Gemeinplatz – aber man muss ihn im Falle John le Carrés erneut bemühen: Er hat das Deutschland des Kalten Krieges erzählerisch ins Bild gesetzt. Er hat in seinem berühmtesten Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam” die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam zum geographischen Sinnbild der Block-Konfrontation werden lassen, wo die Geheimdienste aus West und Ost sich zum Agentenaustausch trafen – noch heute ein Ort, an dem einen das Glück der Wiedervereinigung geradezu körperlich anspringt. Für das Pathos wie für die Beschaulichkeit der politischen Situation der beiden Deutschlands hatte John le Carré ein Gespür wie kein zweiter. Als Mitarbeiter sowohl des British Foreign Office wie des britischen Geheimdienstes lebte le Carré, der nahezu akzentfrei Deutsch spricht, Anfang der sechziger Jahre in Bonn und in Hamburg.
Unschuld des Geschundenen
In diesen Tagen hat Arte einen Film über den großen Spionage-Autor gezeigt. Da sah man John le Carré, mit seinen 77 Jahren noch immer ein blendend aussehender Gentleman, im Garten seines hinreißend zum Meer hin exponierten Hauses in Cornwall. Zu seiner Linken, die Steilküste hinunter, erstreckte sich eine große Bucht, an deren anderer Seite ein Städtchen zu sehen war: „Wie sagte Theodor Storm über Husum? ,Die graue Stadt am Meer‘. Das dort ist meine graue Stadt am Meer.”
„Marionetten” heißt sein 21. Roman, und er spielt in Hamburg. Auf Englisch heißt das Buch „A Most Wanted Man”. Aber der deutsche Titel ist gar nicht schlecht. Im Grunde greift er ein altes Motiv auf. Zwar ist Deutschland mittlerweile ein souveränes Land. Wenn es aber um den Krieg gegen den Terror geht, wird es zum Vasallen Amerikas, und seinen Geheimdiensten bleibt auf ihrem eigenen Territorium nichts anderes übrig, als die transatlantischen Kollegen walten und schalten zu lassen. Keine der „Marionetten”-Figuren vermag souverän zu handeln, immer ziehen andere an den Strippen. Im Kleist’schen Sinne anmutig sind diese Marionetten nicht. Vielmehr werden sie ohne Rücksicht auf Verluste durch die Machtkämpfe der Weltpolitik geschleift, an ihren Fäden, mit polternden Körpern.
Issa, ein junger Moslem, gelangt illegal nach Deutschland. Annabel Richter, Tochter aus bester deutscher Juristen-Familie, arbeitet für die Organisation Fluchthafen, die politischen Flüchtlingen dabei hilft, ihren Aufenthalt in Deutschland zu legalisieren. Mit Issa hat sie einen schwierigen Fall. Er gibt sich als Tschetschene aus, spricht aber nur Russisch. Seine Frömmigkeit stellt er umständlich zur Schau, aber manchmal wirkt sie gerade deshalb wie zwielichtiges Kasperltheater. Er hat geradezu heiligenmäßige Züge kindlicher Unschuld. Dann wieder wirkt er mit seiner gestelzten Ausdrucksweise wie von allen guten Geistern verlassen. Sein Körper jedenfalls weist Spuren von Folter auf.
Die Geschichte, die Issa seiner Anwältin Annabel auftischt, ist haarsträubend: Sein Vater sei ein russischer Oberst der Roten Armee gewesen, der wie nur je ein grausiger Warlord in Tschetschenien gewütet habe. Er habe seine tschetschenische Mutter vergewaltigt, sich dabei aber in sie und damit auch in seinen Bastard-Sohn verliebt. Seine Mutter sei wegen der Schande von ihrer eigenen Familie getötet worden, während sein Vater ihn auf einem russischen Internat habe großziehen lassen.
Issa hasst seinen Vater und verehrt seine tote Mutter. Seine Loyalität gehört dem geschundenen tschetschenischen Volk. Der russische Geheimdienst hält ihn für einen gefährlichen Islamisten und hatte ihn hinter Gitter gebracht. Aber Issa gelang die Flucht. Und jetzt steht er nicht mit leeren Händen da. Von seinem Vater soll er ein gewaltiges Vermögen geerbt haben. Es ist schmutziges Geld, das weiß Issa, er möchte es deshalb islamischen Wohltätigkeitsorganisationen vermachen. Aber Hamburg ist auch die Stadt von Mohammed Atta, einem der 9/11-Attentäter. Da hatte der Verfassungsschutz des Stadtstaats auf ganzer Linie versagt. Entsprechend nervös sind jetzt alle. Der Erfolgsdruck bei den Geheimdiensten ist hoch. Die Briten, die Amerikaner sind anwesend und pfuschen den deutschen Diensten ins Spiel.
„Marionetten” erzählt davon, wie eine Politik, die mit der Angst spielt, ihre rechtsstaatliche Balance verliert. John le Carré hat während der Recherchen Murat Kurnaz interviewt, der nach Guantanamo verschleppt wurde. Die Terror-Paranoia schafft sich unter Umständen ihre eigenen Geschöpfe. Wenn die Agenten in „Marionetten” die Lage beschreiben, dann reden sie von den „verschlungenen Pfaden des Dschihadismus”. Dieser Roman führt meisterhaft vor, wie sich um ein Schlagwort eine ganze Sicherheits-Bürokratie bildet, ja, sich aus dem Begriff heraus eine eigene Handlungslogik entfaltet. In dieser Logik hat ein gläubiger Tschetschene, der uns wie Murat Kurnaz fremd und deshalb fanatisch vorkommt, keine Chance auf eine faire Beweisaufnahme. Im Zweifel für den Angeklagten – dieser Rechtsgrundsatz ist im Bann der Terrorangst aufgehoben.
Aber die Wege des Dschihadismus sind ja tatsächlich verschlungen; und le Carré ist niemand, der die Gefahr des Terrorismus unterschätzt. Was es mit Issa wirklich auf sich hat, das weiß auch sein Erfinder nicht. Klar ist nur, dass die Logik der Geheimdienste keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Man klappt dies Buch stöhnend zu und möchte eine Welt, unsere Welt weit von sich weisen, in der es keine Möglichkeit gibt, sauber durchzukommen. IJOMA MANGOLD
JOHN LE CARRÉ: Marionetten. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein Verlag, Berlin 2008. 368 S., 22,90 Euro.
John le Carré in seiner Londoner Wohnung Foto: Kirsty Wigglesworth/AP
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