Eine FLUCHT in die WAHRHEIT
Die 19-jährige Maya ist auf der Flucht. Vor ihrem trostlosen Leben in Las Vegas, der Prostitution, den Drogen, der Polizei, einer brutalen Verbrecherbande. Mit Hilfe ihrer geliebten Großmutter gelangt sie auf eine abgelegene Insel im Süden Chiles. An diesem einfachen Ort mit seinen bodenständigen Bewohnern nimmt sie Quartier bei Manuel, einem kauzigen alten Freund der Familie. Nach und nach kommt sie den verstörenden Geheimnissen ihrer Familie auf die Spur, die mit der jüngeren Geschichte des Landes eng verbunden sind. Dabei begibt Maya sich auf ihr bislang größtes Abenteuer: die Entdeckung ihrer eigenen Seele. Liebenswert und widerspenstig, verlässlich und unberechenbar, humorvoll und tieftraurig: Maya ist eine besondere Persönlichkeit und Hannah Herzsprung trifft mit ihrer Lesung den richtigen Ton, um ihr eine Stimme zu geben.
Die 19-jährige Maya ist auf der Flucht. Vor ihrem trostlosen Leben in Las Vegas, der Prostitution, den Drogen, der Polizei, einer brutalen Verbrecherbande. Mit Hilfe ihrer geliebten Großmutter gelangt sie auf eine abgelegene Insel im Süden Chiles. An diesem einfachen Ort mit seinen bodenständigen Bewohnern nimmt sie Quartier bei Manuel, einem kauzigen alten Freund der Familie. Nach und nach kommt sie den verstörenden Geheimnissen ihrer Familie auf die Spur, die mit der jüngeren Geschichte des Landes eng verbunden sind. Dabei begibt Maya sich auf ihr bislang größtes Abenteuer: die Entdeckung ihrer eigenen Seele. Liebenswert und widerspenstig, verlässlich und unberechenbar, humorvoll und tieftraurig: Maya ist eine besondere Persönlichkeit und Hannah Herzsprung trifft mit ihrer Lesung den richtigen Ton, um ihr eine Stimme zu geben.
CD 1 | |||
1 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:11 | |
2 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:25 | |
3 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:07:55 | |
4 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:02 | |
5 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:08:59 | |
6 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:10:07 | |
7 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:06:21 | |
8 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:30 | |
CD 2 | |||
1 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:50 | |
2 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:33 | |
3 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:10:26 | |
4 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:00 | |
5 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:30 | |
6 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:12:41 | |
7 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:13:26 | |
CD 3 | |||
1 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:08:45 | |
2 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:09:09 | |
3 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:07:11 | |
4 | Sommer: Januar, Februar, März | 00:07:07 | |
5 | Herbst: April, Mai | 00:09:08 | |
6 | Herbst: April, Mai | 00:08:57 | |
7 | Herbst: April, Mai | 00:11:04 | |
8 | Herbst: April, Mai | 00:07:10 | |
CD 4 | |||
1 | Herbst: April, Mai | 00:08:57 | |
2 | Herbst: April, Mai | 00:11:01 | |
3 | Herbst: April, Mai | 00:08:41 | |
4 | Herbst: April, Mai | 00:11:08 | |
5 | Herbst: April, Mai | 00:10:11 | |
6 | Herbst: April, Mai | 00:08:52 | |
7 | Herbst: April, Mai | 00:11:18 | |
CD 5 | |||
1 | Herbst: April, Mai | 00:10:25 | |
2 | Herbst: April, Mai | 00:09:55 | |
3 | Herbst: April, Mai | 00:07:53 | |
4 | Herbst: April, Mai | 00:09:42 | |
5 | Herbst: April, Mai | 00:10:07 | |
6 | Herbst: April, Mai | 00:09:27 | |
7 | Winter: Juni, Juli, August | 00:06:45 | |
8 | Winter: Juni, Juli, August | 00:07:58 | |
CD 6 | |||
1 | Winter: Juni, Juli, August | 00:11:18 | |
2 | Winter: Juni, Juli, August | 00:09:21 | |
3 | Winter: Juni, Juli, August | 00:10:20 | |
4 | Winter: Juni, Juli, August | 00:10:28 | |
5 | Winter: Juni, Juli, August | 00:09:23 | |
6 | Winter: Juni, Juli, August | 00:07:06 | |
7 | Winter: Juni, Juli, August | 00:08:03 | |
8 | Winter: Juni, Juli, August | 00:07:37 | |
CD 7 | |||
1 | Winter: Juni, Juli, August | 00:09:46 | |
2 | Winter: Juni, Juli, August | 00:09:23 | |
3 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:09:39 | |
4 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:10:45 | |
5 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:11:27 | |
6 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:07:42 | |
7 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:08:32 | |
8 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:07:54 | |
CD 8 | |||
1 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:07:41 | |
2 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:07:44 | |
3 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:08:28 | |
4 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:10:29 | |
5 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember | 00:09:14 | |
6 | Frühling: September, Oktober, November und ein dramatischer Dezember / Letzte Seiten | 00:11:54 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2012Angst vor Flecken in Las Vegas
Vom magischen zum schmutzigen Realismus: Zu ihrem siebzigsten Geburtstag schlüpft Isabel Allende in die literarische Rolle der jugendlichen Ausreißerin.
Als Isabel Allende 1982 ihren ersten Roman "Das Geisterhaus" veröffentlichte, wurde die chilenische Exiljournalistin mit einem Schlag als Erzählerin weltberühmt. Das autobiographisch geprägte Werk, ursprünglich als Brief am Sterbebett ihres Großvaters begonnen, faszinierte Leser in mehr als zwanzig Sprachen durch seine sprichwörtliche lateinamerikanische Erzählfreude. Für ihr Einweben phantastischer Elemente kürte man Allende zur Königin des damals so beliebten "magischen Realismus". Doch der oft angeführte Vergleich mit Gabriel García Márquez brachte der Autorin nicht nur Ruhm ein. Gerade in Lateinamerika wurde sie vielmehr als Epigonin geschmäht. Roberto Bolaño sollte von ihr sagen, sie sei "keine Schriftstellerin, sondern eine Schreibstellerin" - und zwar "ohne jegliche Scham vor dem Plagiat".
Dergleichen naserümpfende Kritik tat ihrem Schaffen eines umfassenden Romanoeuvres keinerlei Abbruch. Weniger noch ihrem Erfolg bei der Leserschaft. Wenn nun pünktlich zum heutigen siebzigsten Geburtstag Isabel Allendes jüngster Roman "Mayas Tagebuch" in deutscher Sprache erscheint, erweisen sich dergleichen Polemiken auf den ersten Blick als überholt. Kein mythisches Macondo, sondern eine fiebrige nordamerikanische Großstadtrealität prägt den Puls des Buches. Obgleich seine Ich-Erzählerin Maya Vidal die Enkelin einer chilenischen Exilantin ist, die, wie die Autorin einst, auf der Flucht vor Pinochet das Land verließ, nimmt die Handlung ihren Ausgang in Kalifornien, der Wahlheimat Isabel Allendes. In einer kunterbunten Villa in Berkeley wird die praktisch elternlose Maya verhätschelt aufgezogen durch ihre chilenische Großmutter, von der Erzählerin stets mit den Kosenamen "meine Nini" benannt, und ihren "Pop", einen afroamerikanischen Astrophysiker, Ninis Mann in zweiter Ehe.
Als der geliebte "Pop" unerwartet stirbt, bricht für die Teenagerin die fragile heile Welt der Kindheit zusammen. Noch auf der Highschool verwickelt sie sich in kriminelle Machenschaften, in Alkohol- und Drogenexzesse, kommt durch einen Unfall im Vollrausch fast ums Leben, wird durch richterliche Verfügung in ein Resozialisierungsinternat in den Wäldern Oregons eingewiesen. Von dort gelingt ihr die Flucht. Auf dem Heimweg bleibt sie in Las Vegas hängen. Als Nobel-Drogenkurierin erlebt sie einen kurzen Aufstieg in der Welt der Dealer und Fixer und landet schließlich selbst als Crack- und Heroinjunkie in der Gosse. Bei alledem wird sie unwissende Komplizin eines Falschgeldrings. So gerät Maya gleichzeitig auf die Fahndungslisten des FBI wie ins Visier der Unterweltkiller.
Von magischem Realismus kann hier offenkundig kaum die Rede sein. Eher von schmutzigem Realismus. Erkennbar sind Anleihen bei der Las-Vegas-Drogenprosa Hunter S. Thompsons und dem grausamen Verismus eines Cormac McCarthy, und die finstersten Figuren des Romans scheinen ausgerechnet dem Kosmos von Allendes harschestem Kritiker Bolaño entsprungen zu sein. Etwa der Fernfahrer Roy Fedgewick, ein evangelikaler Fanatiker, dessen wenig bibelfestes Hobby darin besteht, Ausreißerinnen wie Maya mit Waffengewalt zu entführen und dann als "Bezahlung" für die Mitfahrgelegenheit nach ein paar Nasen Koks zu vergewaltigen.
Doch ein bloßer Wechsel des Paradigmas vertreibt nicht den Beigeschmack versatzstückhafter Imitation - und die geschieht ohne Collagebewusstsein oder die provokative Genre-Piraterie eines Boris Vian. Zudem fasst Allende Angst und Schrecken in Las Vegas quasi mit spitzen Fingern an, trotz aller bemühten Drastik. Der menschenverschlingende Sündenpfuhl, zusammengeklaubt aus diversen Las-Vegas-Klischees, wirkt wie eine Studiokulisse, die vor allem eine Aufgabe zu erfüllen hat: einen schwindelerregenden Blick in den Abgrund zu gewähren, ohne sich und den Leser damit allzu sehr zu beschmutzen. Angst vor Flecken in Las Vegas, stets ist klar, dass die fehlgeleitete Sünderin daraus gerettet werden soll - durch die protestantische Frauen-Power des Bibelkreises "Witwen für Jesus", die Maya aus dem verdorbenen amerikanischen Moloch der unverdorbenen Natur Chiles zuführen sollen. Denn darin besteht die Grundverabredung des Buches: Wie der Titel schon besagt, handelt es sich um ein fiktives Tagebuch, das die Heldin als Therapiemaßnahme auf der Flucht vor Verfolgern aller Couleur auf der regnerischen Insel Chiloé schreibt.
Dort taucht Maya bei Manuel unter, einem alten Freund ihrer Nini und ihres verstorbenen ersten Mannes. Zurück zu den Wurzeln ihrer Familie; hin zu einer urwüchsigen Kultur und ihrer bis heute intakten heidnischen Mythologie. Diese Konfrontation zweier konträrer Szenarien gibt den Rhythmus des Romans vor. Naturmagie und versteckte Alltagsdramen der Inselbevölkerung treten in Kontrast zu Drogenleichen und Entzugskliniken, und wenn Maya in Vollmondnächten bei einem "Hexensabbat" zu Ehren der andinen Erdgöttin Pachamama gemeinsam mit anderen nackten Frauen aller Altersklassen ihr spirituelles Erweckungserlebnis feiert, ist es plötzlich gar nicht mehr so weit zu Telekinese und prophetischen Vorahnungen aus Allendes erstem Roman. "Das Haus schloss sich wie in einer Umarmung um uns und die Tiere", schreibt Maya erlöst in ihr Tagebuch.
Woran die Konfrontation von Großstadtdschungel und vormoderner Welt allerdings krankt, ist nicht nur die Kitschgefahr, sondern vor allem die Konstruiertheit: das routinierte Kalkül, mit dem beide Szenarien zu einer Parallelmontage verstrickt werden. Kaum glaubhaft wird je das Spiel mit der Illusion, hier handele es sich um spontane Tagebuchnotizen einer Neunzehnjährigen, zumal wohl keine Autorin dieses Alters einen ähnlich professionellen Blick auf ihre Zielgruppe besitzt. Zum Verständnis einer nichtchilenischen Leserschaft werden kleine Exkurse über Kultur, Politik, Volkscharakter sowie den Militärputsch von 1973 eingestreut. Und dass ausgerechnet eine Jugendliche ihrem Tagebuch erklären muss, was Facebook ist - "von den sozialen Netzwerken das angesagteste" -, macht klar, dass Mayas eigene Altersstufe kaum die angestrebte Käuferschaft bildet.
Wenn dem Roman auf halber Strecke schließlich eine Liebesgeschichte aufgezwungen wird, verliert er sich in den Untiefen des Arztromans. "Wo soll ich hin mit so viel Glück? Mir läuft das Herz über!", seufzt Maya berückt. "Mein Magen krampft sich erschrocken zusammen", "in meinem Kopf schwirrt es wie Kolibris". Doch Teenagerliebe ist nicht nur abgedroschen, sondern auch reaktionär. An der Brust ihres Liebhabers Daniel erkennt Maya: "Man kann sich in der Weite der Schultern verlieren, die so gut dafür geeignet sind, Lasten und Kummer zu tragen, und in den harten Muskel der Arme, die die Welt halten sollen." Der Mann trägt als Atlas die Welt, die Frau sülzt sie mit Schnulzenprosa voll: Dass dies Geschlechterbild so undistanziert - Rollenspiel hin oder her - von der einstigen Begründerin der ersten feministischen Zeitschrift Chiles in die Welt gesetzt wird, ist eine kuriose Ironie.
Allerdings ist sie symptomatisch für die biedere Ideologie von "Mayas Tagebuch". Selbst wenn darin hundert Jahre alte Chilotinnen heimlich in ihrem Kräutergarten Marihuanabäume anbauen, die Figuren aus idyllisch bisexuellen und bikulturellen Patchworkfamilien stammen, Maya den Pakt des Schweigens über die Verbrechen der Militärdiktatur an ihren Angehörigen bricht, der Roman also angestrengt aufklärerischen Geist unter Beweis zu stellen sucht, verströmt er einen muffig moralinsauren Geruch. Und den vermag auch der reichlich versprühte Veilchenduft nicht zu übertönen.
FLORIAN BORCHMEYER
Isabel Allende: "Mayas Tagebuch". Roman.
Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom magischen zum schmutzigen Realismus: Zu ihrem siebzigsten Geburtstag schlüpft Isabel Allende in die literarische Rolle der jugendlichen Ausreißerin.
Als Isabel Allende 1982 ihren ersten Roman "Das Geisterhaus" veröffentlichte, wurde die chilenische Exiljournalistin mit einem Schlag als Erzählerin weltberühmt. Das autobiographisch geprägte Werk, ursprünglich als Brief am Sterbebett ihres Großvaters begonnen, faszinierte Leser in mehr als zwanzig Sprachen durch seine sprichwörtliche lateinamerikanische Erzählfreude. Für ihr Einweben phantastischer Elemente kürte man Allende zur Königin des damals so beliebten "magischen Realismus". Doch der oft angeführte Vergleich mit Gabriel García Márquez brachte der Autorin nicht nur Ruhm ein. Gerade in Lateinamerika wurde sie vielmehr als Epigonin geschmäht. Roberto Bolaño sollte von ihr sagen, sie sei "keine Schriftstellerin, sondern eine Schreibstellerin" - und zwar "ohne jegliche Scham vor dem Plagiat".
Dergleichen naserümpfende Kritik tat ihrem Schaffen eines umfassenden Romanoeuvres keinerlei Abbruch. Weniger noch ihrem Erfolg bei der Leserschaft. Wenn nun pünktlich zum heutigen siebzigsten Geburtstag Isabel Allendes jüngster Roman "Mayas Tagebuch" in deutscher Sprache erscheint, erweisen sich dergleichen Polemiken auf den ersten Blick als überholt. Kein mythisches Macondo, sondern eine fiebrige nordamerikanische Großstadtrealität prägt den Puls des Buches. Obgleich seine Ich-Erzählerin Maya Vidal die Enkelin einer chilenischen Exilantin ist, die, wie die Autorin einst, auf der Flucht vor Pinochet das Land verließ, nimmt die Handlung ihren Ausgang in Kalifornien, der Wahlheimat Isabel Allendes. In einer kunterbunten Villa in Berkeley wird die praktisch elternlose Maya verhätschelt aufgezogen durch ihre chilenische Großmutter, von der Erzählerin stets mit den Kosenamen "meine Nini" benannt, und ihren "Pop", einen afroamerikanischen Astrophysiker, Ninis Mann in zweiter Ehe.
Als der geliebte "Pop" unerwartet stirbt, bricht für die Teenagerin die fragile heile Welt der Kindheit zusammen. Noch auf der Highschool verwickelt sie sich in kriminelle Machenschaften, in Alkohol- und Drogenexzesse, kommt durch einen Unfall im Vollrausch fast ums Leben, wird durch richterliche Verfügung in ein Resozialisierungsinternat in den Wäldern Oregons eingewiesen. Von dort gelingt ihr die Flucht. Auf dem Heimweg bleibt sie in Las Vegas hängen. Als Nobel-Drogenkurierin erlebt sie einen kurzen Aufstieg in der Welt der Dealer und Fixer und landet schließlich selbst als Crack- und Heroinjunkie in der Gosse. Bei alledem wird sie unwissende Komplizin eines Falschgeldrings. So gerät Maya gleichzeitig auf die Fahndungslisten des FBI wie ins Visier der Unterweltkiller.
Von magischem Realismus kann hier offenkundig kaum die Rede sein. Eher von schmutzigem Realismus. Erkennbar sind Anleihen bei der Las-Vegas-Drogenprosa Hunter S. Thompsons und dem grausamen Verismus eines Cormac McCarthy, und die finstersten Figuren des Romans scheinen ausgerechnet dem Kosmos von Allendes harschestem Kritiker Bolaño entsprungen zu sein. Etwa der Fernfahrer Roy Fedgewick, ein evangelikaler Fanatiker, dessen wenig bibelfestes Hobby darin besteht, Ausreißerinnen wie Maya mit Waffengewalt zu entführen und dann als "Bezahlung" für die Mitfahrgelegenheit nach ein paar Nasen Koks zu vergewaltigen.
Doch ein bloßer Wechsel des Paradigmas vertreibt nicht den Beigeschmack versatzstückhafter Imitation - und die geschieht ohne Collagebewusstsein oder die provokative Genre-Piraterie eines Boris Vian. Zudem fasst Allende Angst und Schrecken in Las Vegas quasi mit spitzen Fingern an, trotz aller bemühten Drastik. Der menschenverschlingende Sündenpfuhl, zusammengeklaubt aus diversen Las-Vegas-Klischees, wirkt wie eine Studiokulisse, die vor allem eine Aufgabe zu erfüllen hat: einen schwindelerregenden Blick in den Abgrund zu gewähren, ohne sich und den Leser damit allzu sehr zu beschmutzen. Angst vor Flecken in Las Vegas, stets ist klar, dass die fehlgeleitete Sünderin daraus gerettet werden soll - durch die protestantische Frauen-Power des Bibelkreises "Witwen für Jesus", die Maya aus dem verdorbenen amerikanischen Moloch der unverdorbenen Natur Chiles zuführen sollen. Denn darin besteht die Grundverabredung des Buches: Wie der Titel schon besagt, handelt es sich um ein fiktives Tagebuch, das die Heldin als Therapiemaßnahme auf der Flucht vor Verfolgern aller Couleur auf der regnerischen Insel Chiloé schreibt.
Dort taucht Maya bei Manuel unter, einem alten Freund ihrer Nini und ihres verstorbenen ersten Mannes. Zurück zu den Wurzeln ihrer Familie; hin zu einer urwüchsigen Kultur und ihrer bis heute intakten heidnischen Mythologie. Diese Konfrontation zweier konträrer Szenarien gibt den Rhythmus des Romans vor. Naturmagie und versteckte Alltagsdramen der Inselbevölkerung treten in Kontrast zu Drogenleichen und Entzugskliniken, und wenn Maya in Vollmondnächten bei einem "Hexensabbat" zu Ehren der andinen Erdgöttin Pachamama gemeinsam mit anderen nackten Frauen aller Altersklassen ihr spirituelles Erweckungserlebnis feiert, ist es plötzlich gar nicht mehr so weit zu Telekinese und prophetischen Vorahnungen aus Allendes erstem Roman. "Das Haus schloss sich wie in einer Umarmung um uns und die Tiere", schreibt Maya erlöst in ihr Tagebuch.
Woran die Konfrontation von Großstadtdschungel und vormoderner Welt allerdings krankt, ist nicht nur die Kitschgefahr, sondern vor allem die Konstruiertheit: das routinierte Kalkül, mit dem beide Szenarien zu einer Parallelmontage verstrickt werden. Kaum glaubhaft wird je das Spiel mit der Illusion, hier handele es sich um spontane Tagebuchnotizen einer Neunzehnjährigen, zumal wohl keine Autorin dieses Alters einen ähnlich professionellen Blick auf ihre Zielgruppe besitzt. Zum Verständnis einer nichtchilenischen Leserschaft werden kleine Exkurse über Kultur, Politik, Volkscharakter sowie den Militärputsch von 1973 eingestreut. Und dass ausgerechnet eine Jugendliche ihrem Tagebuch erklären muss, was Facebook ist - "von den sozialen Netzwerken das angesagteste" -, macht klar, dass Mayas eigene Altersstufe kaum die angestrebte Käuferschaft bildet.
Wenn dem Roman auf halber Strecke schließlich eine Liebesgeschichte aufgezwungen wird, verliert er sich in den Untiefen des Arztromans. "Wo soll ich hin mit so viel Glück? Mir läuft das Herz über!", seufzt Maya berückt. "Mein Magen krampft sich erschrocken zusammen", "in meinem Kopf schwirrt es wie Kolibris". Doch Teenagerliebe ist nicht nur abgedroschen, sondern auch reaktionär. An der Brust ihres Liebhabers Daniel erkennt Maya: "Man kann sich in der Weite der Schultern verlieren, die so gut dafür geeignet sind, Lasten und Kummer zu tragen, und in den harten Muskel der Arme, die die Welt halten sollen." Der Mann trägt als Atlas die Welt, die Frau sülzt sie mit Schnulzenprosa voll: Dass dies Geschlechterbild so undistanziert - Rollenspiel hin oder her - von der einstigen Begründerin der ersten feministischen Zeitschrift Chiles in die Welt gesetzt wird, ist eine kuriose Ironie.
Allerdings ist sie symptomatisch für die biedere Ideologie von "Mayas Tagebuch". Selbst wenn darin hundert Jahre alte Chilotinnen heimlich in ihrem Kräutergarten Marihuanabäume anbauen, die Figuren aus idyllisch bisexuellen und bikulturellen Patchworkfamilien stammen, Maya den Pakt des Schweigens über die Verbrechen der Militärdiktatur an ihren Angehörigen bricht, der Roman also angestrengt aufklärerischen Geist unter Beweis zu stellen sucht, verströmt er einen muffig moralinsauren Geruch. Und den vermag auch der reichlich versprühte Veilchenduft nicht zu übertönen.
FLORIAN BORCHMEYER
Isabel Allende: "Mayas Tagebuch". Roman.
Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die inzwischen 70-jährige Isabel Allende hat sichtlich Vergnügen am aufgekratzten Görenton ihrer Ich-Erzählerin, und dieses Vergnügen teilt sich dem Leser dieses Unterhaltungsromans mit.« Denis Scheck ARD 20120827
»Mayas Tagebuch ist womöglich Allendes bester Roman seit langem, schafft sie es doch, eine schöne Balance zwischen Literarizität und Gefühligkeit zu halten und dabei unterschiedlichste Lebenswelten auszuleuchten.«