Ein turbulentes Jahr voller Freundschaft! Ein Buch über das Finden des eigenen Tons, über die Kraft der Sprache.Kühe, Windräder und die sonderbare Welt einer Internatsschule: Eine junge Mutter zieht mit Mann und Baby nach Westjütland, ins "Land der kurzen Sätze". Eine einfache Unterhaltung wird für sie zum Wagnis, und das Leben selbst ist auf einmal voller Hindernisse. Mutterschaft, Ehe und Fahrprüfung: alles kaum zu schaffen. Doch als sie Kummerkasten-Redakteurin bei der lokalen Zeitung wird, ändert sich ihr Leben, und der Himmel bricht auf. - Übersetzt in zahlreiche Sprachen, von Hinrich Schmidt-Henkel in ein wunderbar klingendes Deutsch. Gelesen von Caroline Peters.In Dänemark war »Meter pro Sekunde« der erfolgreichste Roman der letzten Jahre. Seine besondere Mischung aus Humor,Menschenfreundlichkeit und Sprachkunst macht es zum Buch unserer Tage.Ausgezeichnet mit dem renommierten Goldenen Lorbeer wie u.a. Karen Blixen, Tove Ditlevsen und Peter Hoeg.»Mich begeistert an dem Text die Sprache. Sprache dient der Wahrheitsfindung, ist da, um Bilder zu malen, um musikalische Entwürfe zu malen. Für das alles hat die Autorin einen großen Sinn, und das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Das hat mir total Spaß gemacht.« Caroline Peters, Schauspielerin
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2022Erwartungen an junge Mütter
Stine Pilgaards Roman "Meter pro Sekunde"
Dies ist ein Buch, in dem nahezu jeder Satz als Zitat dienen könnte, egal, ob die Protagonistin gerade eine Fahrstunde absolviert, ihr Kind bei der Tagesmutter abholt oder anderen Menschen als Kummerkasten Rat gibt - alles klingt poetisch, wortmalerisch: "Liebe Ratlose. Schau zu, dass du auf deiner eigenen Bahn bleibst, schau zu, dass du dich von Seen fernhältst. Die Natur ist nicht neutral, sie hat einen Willen, und die dänischen Seen bestehen aus blauen Montagstränen voll Mascara und aufgelöstem Puder. Sie kokettieren mit ihrer Reinheit, damit, dass sie von der Welt unberührt wären, aber wir wissen ja genau, die meisten von ihnen sind künstlich angelegt worden." Das ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Metaphern, mit denen die Protagonistin versucht, die Wirklichkeit zu erklären - sich selbst oder denen, die Rat bei ihr suchen.
Stine Pilgaard lässt in ihrem Roman "Meter pro Sekunde" eine namenlose Protagonistin sprechen. Die erzählt alles für uns nach, und ans Nacherzählen ohne jegliche Anführungszeichen bei wörtlicher Rede muss man sich zunächst einmal gewöhnen. Die stilbewusste Übersetzung aus dem Dänischen stammt von Hinrich Schmidt-Henkel, der sogar im Roman vorkommende dänische Lieder ins Deutsche übersetzt und dem Leser Vergleichsmelodien an die Hand gegeben hat. Gewöhnt man sich daran, dass Pilgaard eine subjektive Wirklichkeit aus den Augen ihrer Hauptfigur schafft - denn die indirekte Rede aller anderen Figuren wird von der Protagonistin bewertet -, liest sich das Buch sehr leicht.
Es bleibt eine Geschichte ohne großen Knall. Grob gesprochen, geht es darum, dass die Protagonistin mit ihrem Liebsten und dem gemeinsamen kleinen Sohn - auch die beiden bleiben namenlos - in ein dänisches Dorf zieht, in dem jeder jeden kennt. Ihr Liebster ist Lehrer, sie selbst versucht, endlich ihren Führerschein zu machen, und arbeitet nebenbei in der "Orakelindustrie", wie sie selbst ihr Geschäftsmodell als Kummerkasten für die lokale Zeitung nennt. Die an sie gerichteten Briefe und ihre Antworten darauf durchsetzen die Kapitelfolge - eine angenehme Abwechslung, weil mit den Leserbriefen doch weitere Perspektiven geboten werden, und sie dienen auch dazu, die Protagonistin besser kennenzulernen. Denn die betont zwar in ihren Antworten immer, es gehe gar nicht um sie, sondern um die Probleme des jeweiligen Lesers, und doch erzählt sie immer zuerst ein recht persönliches Beispiel. Das tut ihrer Rolle als Kummerkasten keinen Abbruch, im Gegenteil: Meist sind die Antworten komisch, und der Ratschlag ist unvorhersehbar.
Dennoch zeichnet Pilgaard nicht das Bild einer reinen guten Seele. Vielmehr geht es ihr auch darum, dass die Erzählerin gerade eine junge Mutter geworden ist und mit dieser Rolle erst einmal klarkommen muss. In jenen Kapiteln, in denen sie nicht als Orakel Tipps und Antworten gibt, erhält sie selbst immer wieder Anregungen, wie man mit einem Kleinkind umgehen soll, wie Erziehung richtig funktioniert.
In "Meter pro Sekunde" tritt auf diese Weise eine Erwartungshaltung an junge Mütter zutage, laut derer diese immer stark sein müssen und möglichst wenig Fehler machen sollen. Von ihnen wird verlangt, dass pures Mutterglück nach der Geburt zu herrschen habe - als ob sie kein Recht hätten, ihrem alten Leben hinterherzutrauern oder gar depressiv zu werden, weil sich mit dem Kind der Alltag grundlegend geändert hat.
Die depressive Stimmung der Protagonistin wird verstärkt durch die Fremde, in die sie sich begeben hat. Sie und ihr Partner sind um die dreißig, er ist etwas jünger als sie. Da er Lehrer ist, wird sie von allen stets gefragt, ob sie nicht Angst um seine Liebe habe, wo er doch den ganzen Tag mit jungen Frauen zu tun habe. Und diese Angst bekommt die Erzählerin schließlich auch, zwar recht subtil - wie alles in diesem Roman -, aber doch als regelrechte Panik, verlassen zu werden.
Ein paar Gespräche mehr, vor allem mit ihrem Liebsten, hätten der Sache gutgetan (auch dem Buch selbst übrigens). Aber ernste Themen, das lernt man hier, können unter Verwendung blumiger Metaphern in einem Leserbrief oder während der vierzigsten Fahrstunde besprochen werden. ANNA FLÖRCHINGER
Stine Pilgaard:
"Meter pro Sekunde". Roman.
Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag, Berlin 2022. 255 S., geb. 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stine Pilgaards Roman "Meter pro Sekunde"
Dies ist ein Buch, in dem nahezu jeder Satz als Zitat dienen könnte, egal, ob die Protagonistin gerade eine Fahrstunde absolviert, ihr Kind bei der Tagesmutter abholt oder anderen Menschen als Kummerkasten Rat gibt - alles klingt poetisch, wortmalerisch: "Liebe Ratlose. Schau zu, dass du auf deiner eigenen Bahn bleibst, schau zu, dass du dich von Seen fernhältst. Die Natur ist nicht neutral, sie hat einen Willen, und die dänischen Seen bestehen aus blauen Montagstränen voll Mascara und aufgelöstem Puder. Sie kokettieren mit ihrer Reinheit, damit, dass sie von der Welt unberührt wären, aber wir wissen ja genau, die meisten von ihnen sind künstlich angelegt worden." Das ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Metaphern, mit denen die Protagonistin versucht, die Wirklichkeit zu erklären - sich selbst oder denen, die Rat bei ihr suchen.
Stine Pilgaard lässt in ihrem Roman "Meter pro Sekunde" eine namenlose Protagonistin sprechen. Die erzählt alles für uns nach, und ans Nacherzählen ohne jegliche Anführungszeichen bei wörtlicher Rede muss man sich zunächst einmal gewöhnen. Die stilbewusste Übersetzung aus dem Dänischen stammt von Hinrich Schmidt-Henkel, der sogar im Roman vorkommende dänische Lieder ins Deutsche übersetzt und dem Leser Vergleichsmelodien an die Hand gegeben hat. Gewöhnt man sich daran, dass Pilgaard eine subjektive Wirklichkeit aus den Augen ihrer Hauptfigur schafft - denn die indirekte Rede aller anderen Figuren wird von der Protagonistin bewertet -, liest sich das Buch sehr leicht.
Es bleibt eine Geschichte ohne großen Knall. Grob gesprochen, geht es darum, dass die Protagonistin mit ihrem Liebsten und dem gemeinsamen kleinen Sohn - auch die beiden bleiben namenlos - in ein dänisches Dorf zieht, in dem jeder jeden kennt. Ihr Liebster ist Lehrer, sie selbst versucht, endlich ihren Führerschein zu machen, und arbeitet nebenbei in der "Orakelindustrie", wie sie selbst ihr Geschäftsmodell als Kummerkasten für die lokale Zeitung nennt. Die an sie gerichteten Briefe und ihre Antworten darauf durchsetzen die Kapitelfolge - eine angenehme Abwechslung, weil mit den Leserbriefen doch weitere Perspektiven geboten werden, und sie dienen auch dazu, die Protagonistin besser kennenzulernen. Denn die betont zwar in ihren Antworten immer, es gehe gar nicht um sie, sondern um die Probleme des jeweiligen Lesers, und doch erzählt sie immer zuerst ein recht persönliches Beispiel. Das tut ihrer Rolle als Kummerkasten keinen Abbruch, im Gegenteil: Meist sind die Antworten komisch, und der Ratschlag ist unvorhersehbar.
Dennoch zeichnet Pilgaard nicht das Bild einer reinen guten Seele. Vielmehr geht es ihr auch darum, dass die Erzählerin gerade eine junge Mutter geworden ist und mit dieser Rolle erst einmal klarkommen muss. In jenen Kapiteln, in denen sie nicht als Orakel Tipps und Antworten gibt, erhält sie selbst immer wieder Anregungen, wie man mit einem Kleinkind umgehen soll, wie Erziehung richtig funktioniert.
In "Meter pro Sekunde" tritt auf diese Weise eine Erwartungshaltung an junge Mütter zutage, laut derer diese immer stark sein müssen und möglichst wenig Fehler machen sollen. Von ihnen wird verlangt, dass pures Mutterglück nach der Geburt zu herrschen habe - als ob sie kein Recht hätten, ihrem alten Leben hinterherzutrauern oder gar depressiv zu werden, weil sich mit dem Kind der Alltag grundlegend geändert hat.
Die depressive Stimmung der Protagonistin wird verstärkt durch die Fremde, in die sie sich begeben hat. Sie und ihr Partner sind um die dreißig, er ist etwas jünger als sie. Da er Lehrer ist, wird sie von allen stets gefragt, ob sie nicht Angst um seine Liebe habe, wo er doch den ganzen Tag mit jungen Frauen zu tun habe. Und diese Angst bekommt die Erzählerin schließlich auch, zwar recht subtil - wie alles in diesem Roman -, aber doch als regelrechte Panik, verlassen zu werden.
Ein paar Gespräche mehr, vor allem mit ihrem Liebsten, hätten der Sache gutgetan (auch dem Buch selbst übrigens). Aber ernste Themen, das lernt man hier, können unter Verwendung blumiger Metaphern in einem Leserbrief oder während der vierzigsten Fahrstunde besprochen werden. ANNA FLÖRCHINGER
Stine Pilgaard:
"Meter pro Sekunde". Roman.
Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag, Berlin 2022. 255 S., geb. 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Das Buch des Jahres. Ein absolut sagenhafter Roman darüber, sich im Nirgendwo auf die Mitte des Lebenseinzulassen.« Jyllands-Posten