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22. Juni 1996. Drei junge Leute feiern zusammen Mittsommer. Sie tragen Kostüme des 18. Jahrhunderts und halten den Ort ihres Treffens streng geheim. Danach sind sie verschwunden. Bald stellt sich die schreckliche Gewissheit ein: Es ist ein Verbrechen geschehen. Etwa zur gleichen Zeit findet man Svedberg, Polizist in Ystad und Kollege von Kommissar Wallander, in seiner Wohnung mit zerschossenem Gesicht. Was hat das Verschwinden der drei Jugendlichen mit dem Mord an einem Polizisten zu tun? Und wer war dieser sympathisch unauffällige Svedberg eigentlich, der keine anderen Hobbies hatte als die Sterne zu betrachten und Bücher über Indianer zu lesen?…mehr

Produktbeschreibung
22. Juni 1996. Drei junge Leute feiern zusammen Mittsommer. Sie tragen Kostüme des 18. Jahrhunderts und halten den Ort ihres Treffens streng geheim. Danach sind sie verschwunden. Bald stellt sich die schreckliche Gewissheit ein: Es ist ein Verbrechen geschehen. Etwa zur gleichen Zeit findet man Svedberg, Polizist in Ystad und Kollege von Kommissar Wallander, in seiner Wohnung mit zerschossenem Gesicht. Was hat das Verschwinden der drei Jugendlichen mit dem Mord an einem Polizisten zu tun? Und wer war dieser sympathisch unauffällige Svedberg eigentlich, der keine anderen Hobbies hatte als die Sterne zu betrachten und Bücher über Indianer zu lesen?
Autorenporträt
Henning Mankell, 1948 als Sohn eines Richters in Stockholm geboren, wuchs in Härjedalen auf. Als 17-jähriger begann er am renommierten Riks-Theater in Stockholm, das Regiehandwerk zu lernen. 1972 unternahm er seine erste Afrikareise. Sieben Jahre später erschien sein erster Roman "Das Gefangenenlager, das verschwand". In den kommenden Jahren arbeitete er als Autor, Regisseur und Intendant an verschiedenen schwedischen Theatern. 1985 wurde Henning Mankell eingeladen, beim Aufbau eines Theaters in Maputo, Mosambik, zu helfen. Er begann zwischen den Kontinenten zu pendeln und entschied sich schließlich, überwiegend in Afrika zu leben. Dort ist auch der größte Teil der Wallander-Serie entstanden. Außerdem schrieb Henning Mankell Jugendbücher, von denen mehrere auch in Deutschland ausgezeichnet wurden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Der Schatten des Körpers des dicken Detektivs
Dunkel war die Mittsommernacht: Henning Mankells schwarze Anthropologie des Sozialstaats / Von Heinrich Detering

Früher, sagt der Detektiv verbittert, sei Schweden für seine Erfinder berühmt gewesen, später für den Wohlfahrtsstaat und den freien Sex. Heute kenne man es wegen seiner Mörder. Die Heiterkeit, die der Satz ganz gegen seine Absicht auslöst, ist voreilig. Zumindest hierzulande haben die Mörder den Ruhm Skandinaviens wahrhaftig gemehrt, die Mörder - und ihr unerbittlicher Verfolger Kurt Wallander. Um ihn hat sich eine Schar süchtiger Leser gesammelt, die noch immer zu wachsen scheint. Nun versorgt Henning Mankell sie mit neuem Stoff. Neue schwedische Morde, neues Elend für Wallander, und doch nur wieder alte Strickmuster. Denn spätestens mit seinen vorangegangenen Romanen "Die fünfte Frau" und "Die falsche Fährte" hat Mankell ein Schema perfektioniert, das er nun in "Mittsommermord" bis an den Rand der Selbstparodie wiederholt, von der Komposition der Handlung bis ins stilistische Detail. Dass man aber auch diesen in mehr als einer Hinsicht haarsträubenden Roman trotz seiner notorischen Mischung aus Trivialität und Larmoyanz mit noch immer steigender Spannung, am Ende sogar mit Bewunderung liest - das ist allerdings erklärungsbedürftig.

Tatsächlich erzählt Mankell in einer eigentümlichen Mischung aus Banalität und Raffinesse, Naivität und Schläue. Wie überdrüssig müssten wir beispielsweise dieser Helden sein! Wie oft schon war Kollege Nyberg der schlecht gelaunte Schweiger und Anna Höglund die Idealverkörperung einer Doppelrolle von tapferer Polizistin und beherzter Mutter! Wie lange erleben wie Wallander, diesen fetten, frustrierten und fehlbaren Anti-Detektiv schlechthin, als Inbegriff des "guten Polizisten", weil hier die Guten stets an ihrer Gesichtsfarbe erkennbar sind, "grau von Schlaflosigkeit"! Statt des Überdrusses aber herrscht dankbares Wiedererkennen. Dabei spielt durchaus der Reiz der puren Wiederholung mit, die Mankell früher selbstironisch persifliert hat. Bändelang ließ er da Wallanders greisen Vater seine Kaufhausbilder mit dem immer gleichen Sonnenuntergang malen: eine Selbstreflexion des Seriellen, die ihrerseits durch die permanente Wiederholung kalkuliert nervte. Das allein aber ist es nicht. Denn der zweite Blick zeigt, wie das Gesetz der Serie diskret wieder unterlaufen wird, wie die Geschichten einander durchdringen, Figuren sich wandeln, Zeit vergeht.

Als nicht minder trickreich erweist sich die Begrenztheit von Mankells stilistischem Repertoire. Wie eine Selbstpersiflage liest sich auf den ersten Seiten seine Syntax der Müdigkeit, diese erbarmungslose Parataxe. Die jeden Relativsatz durch Punkt abtrennt. Und spätestens nach sechs Wörtern Pause macht. Mit jedem Kapitel aber gewinnt dieser Erzählton an Plausibilität, bis er schließlich einen sonderbar hypnotischen Sog entwickelt. So trocken und ruhig ist dieser Ton, wie Wallander selbst redet, so müde und doch nicht unterzukriegen. Und ein wirkungsvoller Kontrast zum grausigen Geschehen, von dem er redet.

Auch der Plot bietet Kritikern noch leichter Beute als in den vorigen Romanen. Ein Serienmörder macht sich ja von vornherein auch ästhetisch verdächtig: als ein Diabolus ex machina, der für beliebte Handlungskurven und Schauereffekte verfügbar ist, ein Jack the Ripper als Jack-in-the-Box. Diesmal aber ist Mankells Killer nicht einmal als Triebtäter überzeugend. Das viel beschworene "Muster" der Mordserie erweist sich am Ende als derart verwaschen, dass es sich zwischenzeitig "ganz nahe an dem großen Geheimnis" glaubt - was er am Ende findet, ist ein Mörder, der selbst so wenig wie sein Verfolger weiß, was eigentlich mit ihm los ist; ein scheuer und ängstlicher kleiner Mann, das war es schon.

Das war es schon? Bei näherem Hinsehen erscheinen die Lücken wie kalkulierte Leerstellen. Erstaunt bemerkt man, dass der Aufdeckung der Tatmotive jetzt schon selbst das moralische Pathos fehlt, das früher die Grausamkeit der Tat schaudernd und selbstsicher als Reaktion auf zuvor erlittenes Leid erklärt. Selbst ein zaghafter Versuch, die Monstrosität mit dem Hinweis auf eine unglückliche Kindheit zu erklären, bleibt diesmal im Ansatz stecken. Vor allem aber wird dieser Trugschluss erst präsentiert, nachdem eine Reihe verlockenderer Motivationen wieder fallen gelassen worden sind. Da ist dann tatsächlich alles versammelt, was das Leserherz kennt und begehrt: eine satanische Sekte, ein esoterischer Kult, ein geheimnisvoller Geschlechterwechsel - vertraute Motive, die vorgezeigt, gemustert und dann verworfen werden. Vor diesem Katalog der Genre-Optionen aber liest der Schluss sich anders: als Kapitulation nicht vor einem überkonstruierten Fall, sondern vor der Unauflöslichkeit eines Rätsels, das sich als anthropologisches erwiesen hat.

Die sozialpädagogische Didaktik, die der Text dagegen aufbietet, ist allerdings noch immer von derselben Einfalt, die schon in den früheren Bänden sprachlos machen konnte. Warum morden die Mörder? Weil ihnen "niemand beigebracht hat, was unrecht ist und was recht." Ja so, das erklärt natürlich jede Bestialität! Und wie lange wird das Morden weitergehen? "Solange die Gesellschaft ist, wie sie ist." Das Muster solcher Sätze ist so entwaffnend schlicht wie seine vagen Theodizeefragen: "Was ist das nur für eine Welt, in der" - und hier lässt sich daran so ziemlich alles anfügen, vom Missgeschick bis zu Desaster. Allerdings wird das Pathos durch nichts so nachhaltig dementiert wie durch die Geschichte, in der es steht. Im Unterschied zu seinen Landsleuten Sjowall und Wahlöö, deren oft überschätzte Achtundsechziger-Krimis noch für jedes Unheil eine gesellschaftliche Begründung bereithielten, interessiert sich Mankell für Unter- und Abgründe, in die keine psychoanalytischen oder sozioökonomischen Lichtstrahlen mehr hinabreichen. Seine Allerweltssoziologie formuliert nur noch eine vergebliche Aufklärungssehnsucht, die Autor und Held mit den Lesern teilen, mehr nicht.

Wo aber die Aufklärung endet, fängt die Spannung erst an. Denn auch dieser Schulterschluss des Erzählers mit dem Helden wird unterlaufen durch sein genaues Gegenteil. Die Komplizenschaft mit dem Bösen, die als Prinzip aller "suspense" genretypische Heuchelei, gewinnt in Mankells Romanen eine zunehmend bedrohliche Subversionskraft. Schon im vorigen Band liebte es der Täter, sich so lange in der Menge der Neugierigen am Tatort aufzuhalten, bis er den Polizisten vage auffiel; dann erst verschwand er im Dunkel. Diesmal steht er im nächtlichen Wald neben ihnen, zum Greifen nah und unbemerkt; und wenn er nach der Bluttat wieder zum Mann in der Menge geworden ist, lockt ihn der Übermut, seinen ahnungslosen Verfolgern zuzuwinken. Der Erzähler schildert solche Katz-und-Maus-Spiele nicht nur, sondern spielt sie im Erzählen nach.

Ihre tiefste Gemeinsamkeit aber liegt tiefer, in den Abgründen des Vorbewussten, aus denen sich auch ein wesentlicher Teil der Leselust speist: in der makabren Inszenierung des sterblichen Körpers. In der Tiefe dieses Romans lauert Urgewalt, in der "Angst" und "Ekel" eins sind. Je länger Mankell schreibt, desto weniger begnügt er sich mit gehobener Unterhaltungsliteratur aus Krimi und Schauerroman. Was er jetzt benutzt, ist "pulp fiction". Deshalb ähneln die Resultate der Körperinszenierungen, auf die bei Mankell alle Mordtaten hinauslaufen, zum Verwechseln jenen, in denen die Nachfahren H. P. Lovecrafts schwelgen.

Im jüngsten Fall sieht das zum Beispiel so aus: Drei junge Leute werden im schwedischen Waldidyll, in dem sie zur Mittsommernacht ein heimliches Maskenfest feiern, ermordet und vergraben, nach sieben Wochen dann halb verwest wieder ans Licht gezogen und nun von ihrem Mörder wieder genauso drapiert, wie sie damals feierten; was die in Rokoko-Kostüme gekleideten Kadaver in ihren verfaulten Händen halten, sind frisch gefüllte Weingläser. Die mit perverser Umständlichkeit konstruierte Szene liest sich wie eine Allegorie für Mankells eigene Erzählweise, ihrer Kombination des literarisch Kultivierten mit dem bis zur Vulgarität Primitiven, der intellektuellen Raffinesse mit der eindringlichen Vermittlung äußerster physischer Roheit. Sie läuft hinaus auf den einen, elementaren Kontrast zwischen den Insignien verfeinerter Kultur und der Verwesung, zwischen den sozialen Kostümierungen und dem unbeherrschbaren Eigenwillen der Körper, zwischen dem Parfüm und dem Todesgeruch allen Fleisches.

Wer diese physische Brutalität nur als Effekt abtun will, übersieht ihren ganz unscheinbaren, aber allgegenwärtigen Doppelgänger. Und das sind die physischen Martern des Detektivs selbst. Denn eigentlich ist ja nichts an diesen Romanen so auffallend und absonderlich wie die Penetranz, mit der nicht allein die peinigende Müdigkeit, sondern überhaupt die kleinsten körperlichen Zustände Wallanders registriert werden. Dass er neuerdings an Diabetes leidet, ist da schon fast ein pathetischer Zug; auch ohnedies waren wir schon über jeden Kopfschmerz, jede Übelkeit und jedes Wasserlassen detailliert im Bilde. Das unablässige physische Unwohlsein ist der Generalbass, der alle Gedanken und Taten des Helden begleitet. Nicht minder befremdlich ist die von Band zu Band zunehmende Reduktion dieser körperlichen Symptome auf die Zeichen des Alterns und Verfalls. Nirgends ist Wallander so konsequent als Gegenbild seiner detektivischen Vorfahren gezeichnet wie hier.

Die penetrant wiederholten Symptome dieser Körperlichkeit bilden hier das alltägliche Äquivalent jener Elementarerfahrung, die in den misshandelten Leichnamen nur obszön zur Schau gestellt wird. Diabetes, Übelkeit, Harndrang - in solchen banalen Qualen drängt sich durch die Kostümierung des Polizisten dieselbe unkontrollierbare Körperlichkeit hervor wie in den albtraumhaft drapierten Mordopfern. Einmal nennt der Erzähler den von Krankheit und Schlafmangel erschöpften Polizisten "nur noch die Hülle eines Organismus". In diesem fast beiläufigen Bild blitzt auf, was den Aufklärer der Morde mit deren Opfern, die verwesenden Toten und die lebenden Leichname verbindet.

Nein, nicht mit der genreüblichen Gewalt der Triebe begnügen sich Mankells Romane oder mit jenen dunklen Leidenschaften, die bei Kollegen wie Thomas Harris ihr Unwesen treiben. Dergleichen blicken Wallander und die Seinen durchaus gefasst ins Auge. Das erst postmortal aufgedeckte homosexuelle Doppelleben des langjährigen Kollegen etwa behandeln sie mit derselben aufgeklärt-achselzuckenden Nüchternheit wie die transvestitischen Vorlieben des Mörders; dies für skandalös zu halten, bleibt einer Nebenfigur überlassen, die dafür kurz als reaktionär gerüffelt wird. Mankell will tiefer hinab, in den Urgrund der Angst: die elementare Erfahrung des unkontrollierbaren, sich entziehenden Körpers. Die letzte Tiefenschicht, in die er vorstößt, ist die Reduktion auf eine animalische Physis, in deren Todesnacht alle Katzen grau sind und die Grenzen zwischen Täter, Opfer und Jäger verschwimmen.

Wie bei Lovecraft vollzieht sich der Abstieg ins Archaische auch hier als Rückweg in die Stammesgeschichte, als Expedition ins Tierreich. Die finale Verfolgungsjagd stattet Mankell mit sämtlichen Requisiten des Horrors aus, einschließlich Blutrunst, wolkenverhangenem Mondschein und knackenden Zweigen im Unterholz - und treibt das lächerlich Überzeichnete, realistisch Unmögliche derart auf die Spitze, dass es umkippt ins archetypische Bild. Der verwundete Polizist, der das schützende Auto verlassen, das Mobiltelefon vergessen, die Waffe verloren hat, der solchermaßen der Zivilisation entledigt durch den nächtlichen Wald irrt und endlich, mit nichts als einer brüchigen Planke bewaffnet, den Killer stellt: er regrediert mit jedem Schritt zum Urzeitjäger, der sich gegen die Wildnis behauptet und den Wolf erlegt. Es bedarf annähernd sechshundertseitiger Vorkehrungen, um diese Schlussszenen halbwegs glaubhaft zu machen, um in einem dicht besiedelten Landstrich Europas die Steinzeit zu inszenieren. Und es ist keine ganz kleine Leistung, dass Mankell dieses Wagestück gelingt - mit Genre-Utensilien, die mindestens so morsch sind wie Wallanders Planke.

Der Opfermut und die treuherzige Moral dieser guten Polizisten verteidigen nicht mehr Recht gegen Unrecht, sondern nur das dünne Gewebe der Zivilisation gegen die eruptiven Kräfte von Körperangst und exzessiver Gewalt, die es jederzeit zerreißen können. Die karge Syntax, die moralischen Platitüden, die Mechanismen der Serialität erfüllen dieselbe Funktion: einen Schutzraum zu erzeugen, von dem aus man hinabschauen darf ins Dunkel. Der Erzähler Mankell ist auf seine Weise nicht weniger naiv und tapfer als seine Helden - ein Hobbes, der auf Wolfsjagd gehen will.

Am Ende, zur Belohnung für alle Entbehrungen, darf Wallander seinen erschöpften Körper übrigens endlich zur Ruhe betten. Auf dem Fußboden seines Büros. Es ist das Höchste, was dieser Held unserer Zeit erreichen kann.

Henning Mankell: "Mittsommermord". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Paul. Zsolnay Verlag, Wien 2000. 603 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2000

Der Glücksmörder
Krimi mit Moral: Henning Mankells „Mittsommermord”
Henning Mankell ist der gute Mensch, der die Geschichten böser Menschen erzählt. Sein Medium ist der Zweifler Wallander. Und das ist Mankells Trick. Kommissar Wallander protzt nicht, er gibt nicht den Bizepsmann, sondern zottelt, von seiner Frau verlassen, melancholisch und arbeitsbesessen durch sein Leben. Wallander ist sterblich, obwohl er nach dem Gesetz der Krimiserie überlebt. Wallander ist ein übergewichtiges Durchschnittswrack, sein Herz ist angegriffen, er ist permanent übermüdet, trinkt Wasser wie ein Pferd, muss fortwährend pinkeln, ernährt sich falsch und hat Angst. Angst davor, dass das Leben mit Fünfzig fast vorbei sei und der „Abpfiff” jeden Augenblick bevorstehen könnte.
Henning Mankell schleppt diesen knapp fünfzig Jahre alten diabetes- und herzinfarktgefährdeten Kommissar nun schon seit neun Büchern mit sich herum und verdient mit ihm ein Vermögen, denn Wallander macht Bestseller. Wallander ist Henning Mankells Mrs. Marple. Doch dieser schwedische Kommissar ist weder komisch noch skurril, sondern mit seinen vielen Fehlern, seinen einfachen Fragen, seinem unspektakulären Draufgängertum, so sympathisch, dass man mit ihm durch Dick und Dünn gehen will, sechshundert Seiten und der Rest der Welt bleibt anderswo.
Henning Mankell ist ein verführerischer Erzähler. Nie reißerisch brutal oder schadenfroh ordinär. Ein grüblerischer anständiger Kerl erzählt Geschichten von Serienmördern. Mankell erzählt ausführlich und dramaturgisch geschickt. Manchmal gibt er uns die Chance, klüger als Kommissar Wallander zu sein, heizt den Detektivblick und die Aufmerksamkeit an, um uns an der nächsten Ecke abblitzen zu lassen.
Ein schwedischer Schriftsteller im Dunstkreis von Strindbergs Fräulein Julie kann kein prominenteres Datum finden: In der Mittsommernacht ermordet ein Mann in einem Naturreservat drei junge Leute, die sich mit Kostümen aus der Zeit des lebenshungrigen Rokokodichters Carl Michael Bellman verkleidet hatten. Niemandem macht ihr plötzliches Verschwinden besondere Sorgen, denn die jungen Leute schicken Postkarten aus europäischen Hauptstädten nach Hause. Nur Astrids Mutter ist beunruhigt, aber beunruhigte Mütter sind kein Fall für die Kripo. Als man den Kollegen Svedberg erschossen in seiner durchwühlten Wohnung findet und Spaziergänger die Leichen der verkleideten Jugendlichen entdecken, ist Kommissar Wallanders Ruhe dahin.
Sorgen um die Gesellschaft
Henning Mankell, der zweiundfünfzigjährige Schriftsteller mit dem traurigen Blick, hat ein Sendungsbewusstsein. Er schreibt, sagt er, Krimis, um die Gesellschaft zu zeigen. Die Eltern, die keine Beziehung zu ihren Kindern haben, die Städte, auch wenn sie, wie Mankells Kulisse, das südschwedische Seebad Ystad, Kleinstädte sind, in denen die Menschen aneinander vorbei leben, wie die Kollegen, die tagtäglich zwölf Stunden zusammen sind und doch keine Ahnung von einander haben. Einmal trifft Kommissar Wallander unterwegs eine Frau, sie macht ihm im Rasthaus, obwohl schon alles geschlossen ist, etwas zu essen und ein Zimmer mit einem Notbett zurecht. Soviel Menschlichkeit, sagt er sich versonnen.
Und dann macht Henning Mankell doch einen Fehler. Nicht in der grausamen Mordgeschichte, nicht in der Choreographie der bis zum letzten Kapitel ansteigenden Spannungskurve, nicht im Zweikampf, den Wallander besteht, aber im Epilog. Da reicht der um sein Land besorgte Schriftsteller Mankell, der die meiste Zeit des Jahres als Theaterregisseur in Mosambiks Hauptstadt Maputo lebt, ein rührendes Psychogramm des Mörders nach. Der Mörder, das geschundene und zurückgesetzte Kind, „das nie etwas anderes gelernt hatte als die Kunst, sich zu verstecken und zu entkommen”. Der Mörder ist ein Mensch, der keine glücklichen Menschen erträgt, weil er selbst nie glücklich gewesen ist. „Immer mehr Menschen”, prognostiziert Wallander, „die nicht gebraucht wurden, würden zu einer unwürdigen Existenz in erbarmungslosen Randzonen verurteilt sein. ”
Wallanders Sorge gilt der schwedischen Gesellschaft, die Gefahr läuft „ganz und gar” auseinander zu brechen. Dann fährt der Kommissar an die Schären, klettert auf eine Felshöhe, sieht das Meer und denkt: „Polizist zu sein bedeutet eigentlich nur eins. Widerstand zu leisten. ” Der vorbildliche Mankell, erschreibt sich einen vorbildlichen Kommissar und ein gutes Gewissen. Auch ein Bestsellerautor hat Schwächen, seine Allwetterpredigten muss man nachsichtig verzeihen. Denn Henning Mankell ist ein ungewöhnlich sicherer, ruhiger Erzähler und ein präzise arbeitender Konstrukteur des bildhaften Grauens. Es kann passieren, dass man während des Mittsommermords Frau, Mann, Kind, Büro, Hund, Katze, Vogel und sogar das Telefon vergisst.
VERENA AUFFERMANN
HENNING MANKELL: Mittsommermord. Roman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000. 602 Seiten, 45 Mark.
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