Das kleine Waisenmädchen Momo lebt in den Ruinen eines Amphitheaters. Sie besitzt nichts - nur eine außergewöhnliche Gabe: Sie ist eine wunderbare Zuhörerin und hat immer Zeit. Als eigenartige, graue Herren auftauchen, die die Menschen zum Zeitsparen überreden, ist das gesellige Leben um Momo vorbei. Plötzlich hat keiner hat mehr Zeit. Doch Momo durchschaut das falsche Spiel der grauen Herren und versucht, mit Hilfe der Schildkröte Cassiopeia die Zeitdiebe zu stoppen. Eine zeitlose Inszenierung des Klassikers von Michael Ende im WDR mit Rufus Beck, Karin Anselm, Peter Fricke u.v.a. Ab 10 Jahren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2023Und Krähen
krächzen winterkalt
Ein neues Hörspiel zeigt, wie klangvoll „Momo“ ist
„Momo“, hat Michael Ende selbst geschrieben, ist ein „Märchen-Roman“. Einst wurden Märchen mündlich weitergegeben und die Zuhörer mussten konzentriert der Geschichte lauschen, um jeder ihrer Wendungen zu folgen. Genauso wie die junge Heldin Momo, von der es heißt, dass sie der Natur, den Tieren und den Menschen „mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme“ zuhören konnte.
Hörspielbearbeitungen von Michael Endes Kinderbuchklassiker sind daher mehr als naheliegend. Zumal seine Parabel auf unsere moderne Hektomatikwelt gespickt ist mit akustischen Elementen, die nur darauf warten, zum Leben erweckt zu werden: von Momos Singsang beim Spielen über die unablässig Zigarren paffenden Zeitdiebe bis zum Nirgend-Haus von Meister Hora, vollgestellt mit Uhren jedweder Form und Größe. Schon beim Lesen meint man sie alle laut ticken und schlagen zu hören.
All das sind Steilvorlagen, die die Bearbeiterin Gudrun Hartmann, der Regisseur Robert Schoen und der Komponist Tobias Unterberg bei ihrer neuen Adaption des weltberühmten Buches natürlich zu nutzen wissen. Überdies wartet die hörenswerte, nur um einige philosophische Passagen gekürzte Produktion des Kinder- und Jugendhörbuchlabels Silberfisch mit einer Fülle an zusätzlichen klanglichen und musikalischen Ideen auf.
Sie alle fügen sich harmonisch in die Geschichte um das verstrubbelte Mädchen ein, das den Menschen die Zeit zurückbringt, die ihnen die grauen Herren geraubt haben. Auf die ausgelassene Atmosphäre zu Beginn mit fröhlichem Vogelgezwitscher folgt später ein düster gezupfter E-Bass, der die Bedrohungskulisse der zunehmend dramatischeren Geschehnisse steigert. Dazu krächzen Krähen winterkalt.
Ein besonders schönes Beispiel für die Arbeit des Hörspielteams ist die Umsetzung des dritten Buchkapitels. Darin stellen sich Momo und ihre Freunde vor, wie sie an Bord eines Zukunftsschiffs das Rätsel vom „Ewigen Taifun“ lösen. Das Kinderspiel, in dessen Verlauf ein schwerer Sturm aufzieht, wird hier fast ausschließlich über die Geräuschkulisse erzählt: Da pfeift der Wind, schlagen die Wellen, kreischen die Möwen. Um am Ende in Momos Fantasie-Gesang zu münden: „Eni meni allubeni“. Die tolle Momo-Sprecherin Paula Drescher, Jahrgang 2012, singt ihn ganz zart, nur begleitet von einer schlichten Klaviermelodie.
Auch viele andere prägnante Textstellen wurden in kurze Lieder verwandelt. Jeder der unvergesslichen Charaktere hat so seinen musikalischen Auftritt. Steffen Scheumann als Beppo Straßenkehrer knödelt „Schritt – Atemzug – Besenstrich“, Pascal Houdus feiert als Gigi Fremdenführer zunächst freudig das Dolce Vita und skandiert später im Chor mit den Kindern: „Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen: Lasst euch nicht mehr länger plagen!“
Die Jubiläumsproduktion „Momo – Das Hörspiel“ ist nach der gleichnamigen WDR-Produktion von 2013 die zweite Adaption von Endes Buch. Dem hochkarätigen Sprecherensemble von damals rund um Karin Anselm und Rufus Beck steht das jetzige in nichts nach. Steffen Scheumann und Pascal Houdus sind als Momos erwachsene Freunde neben Andreas Fröhlich als wunderbar altersweisem Meister Hora die männlichen Sympathieträger. Ihnen gegenüber Oliver Kraushaar als herzlos kurz angebundener Agent XYQ/384/B und Wolfgang Michael in der Rolle seines gemeingefährlichen Chefs.
Schließlich ist da noch Friedhelm Ptok, der vor Kurzem 90 Jahre alt geworden ist und als allwissender Erzähler mit ausdrucksstarker Stimme glänzt. Und eben Paula Drescher. Natürlich und ungezwungen spricht sie die kleine Momo und beeindruckt dabei mit einer stimmlichen Bandbreite, die von kindlich naiv über ängstlich und verzagt bis mutig und tapfer reicht. Die Aufgabe von uns Hörern ist es nun, sich die Zeit zu nehmen und ihnen allen so zuzuhören wie Momo ihren Freunden: „Und wer nun noch immer meint, Zuhören sei nichts Besonderes, der mag nur einmal versuchen, ob er es auch so gut kann.“
FLORIAN WELLE
Momos Singsang, das
Zigarren-Paffen der Zeitdiebe,
Meister Horas Uhren – alles tönt
Die junge Sprecherin Paula Drescher (Momo) bei der Aufnahme mit Andreas Fröhlich (Meister Hora).
Foto: Silberfisch/Anke Beims
Michael Ende: Momo – Das Hörspiel. Mit
Friedhelm Ptok,
Paula Drescher, Andreas Fröhlich u.a.. Silberfisch im Hörbuch
Hamburg Verlag,
Hamburg 2023. 3 CDs mit einer Laufzeit von 224 Minuten, 18 Euro.
Ab zehn Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
krächzen winterkalt
Ein neues Hörspiel zeigt, wie klangvoll „Momo“ ist
„Momo“, hat Michael Ende selbst geschrieben, ist ein „Märchen-Roman“. Einst wurden Märchen mündlich weitergegeben und die Zuhörer mussten konzentriert der Geschichte lauschen, um jeder ihrer Wendungen zu folgen. Genauso wie die junge Heldin Momo, von der es heißt, dass sie der Natur, den Tieren und den Menschen „mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme“ zuhören konnte.
Hörspielbearbeitungen von Michael Endes Kinderbuchklassiker sind daher mehr als naheliegend. Zumal seine Parabel auf unsere moderne Hektomatikwelt gespickt ist mit akustischen Elementen, die nur darauf warten, zum Leben erweckt zu werden: von Momos Singsang beim Spielen über die unablässig Zigarren paffenden Zeitdiebe bis zum Nirgend-Haus von Meister Hora, vollgestellt mit Uhren jedweder Form und Größe. Schon beim Lesen meint man sie alle laut ticken und schlagen zu hören.
All das sind Steilvorlagen, die die Bearbeiterin Gudrun Hartmann, der Regisseur Robert Schoen und der Komponist Tobias Unterberg bei ihrer neuen Adaption des weltberühmten Buches natürlich zu nutzen wissen. Überdies wartet die hörenswerte, nur um einige philosophische Passagen gekürzte Produktion des Kinder- und Jugendhörbuchlabels Silberfisch mit einer Fülle an zusätzlichen klanglichen und musikalischen Ideen auf.
Sie alle fügen sich harmonisch in die Geschichte um das verstrubbelte Mädchen ein, das den Menschen die Zeit zurückbringt, die ihnen die grauen Herren geraubt haben. Auf die ausgelassene Atmosphäre zu Beginn mit fröhlichem Vogelgezwitscher folgt später ein düster gezupfter E-Bass, der die Bedrohungskulisse der zunehmend dramatischeren Geschehnisse steigert. Dazu krächzen Krähen winterkalt.
Ein besonders schönes Beispiel für die Arbeit des Hörspielteams ist die Umsetzung des dritten Buchkapitels. Darin stellen sich Momo und ihre Freunde vor, wie sie an Bord eines Zukunftsschiffs das Rätsel vom „Ewigen Taifun“ lösen. Das Kinderspiel, in dessen Verlauf ein schwerer Sturm aufzieht, wird hier fast ausschließlich über die Geräuschkulisse erzählt: Da pfeift der Wind, schlagen die Wellen, kreischen die Möwen. Um am Ende in Momos Fantasie-Gesang zu münden: „Eni meni allubeni“. Die tolle Momo-Sprecherin Paula Drescher, Jahrgang 2012, singt ihn ganz zart, nur begleitet von einer schlichten Klaviermelodie.
Auch viele andere prägnante Textstellen wurden in kurze Lieder verwandelt. Jeder der unvergesslichen Charaktere hat so seinen musikalischen Auftritt. Steffen Scheumann als Beppo Straßenkehrer knödelt „Schritt – Atemzug – Besenstrich“, Pascal Houdus feiert als Gigi Fremdenführer zunächst freudig das Dolce Vita und skandiert später im Chor mit den Kindern: „Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen: Lasst euch nicht mehr länger plagen!“
Die Jubiläumsproduktion „Momo – Das Hörspiel“ ist nach der gleichnamigen WDR-Produktion von 2013 die zweite Adaption von Endes Buch. Dem hochkarätigen Sprecherensemble von damals rund um Karin Anselm und Rufus Beck steht das jetzige in nichts nach. Steffen Scheumann und Pascal Houdus sind als Momos erwachsene Freunde neben Andreas Fröhlich als wunderbar altersweisem Meister Hora die männlichen Sympathieträger. Ihnen gegenüber Oliver Kraushaar als herzlos kurz angebundener Agent XYQ/384/B und Wolfgang Michael in der Rolle seines gemeingefährlichen Chefs.
Schließlich ist da noch Friedhelm Ptok, der vor Kurzem 90 Jahre alt geworden ist und als allwissender Erzähler mit ausdrucksstarker Stimme glänzt. Und eben Paula Drescher. Natürlich und ungezwungen spricht sie die kleine Momo und beeindruckt dabei mit einer stimmlichen Bandbreite, die von kindlich naiv über ängstlich und verzagt bis mutig und tapfer reicht. Die Aufgabe von uns Hörern ist es nun, sich die Zeit zu nehmen und ihnen allen so zuzuhören wie Momo ihren Freunden: „Und wer nun noch immer meint, Zuhören sei nichts Besonderes, der mag nur einmal versuchen, ob er es auch so gut kann.“
FLORIAN WELLE
Momos Singsang, das
Zigarren-Paffen der Zeitdiebe,
Meister Horas Uhren – alles tönt
Die junge Sprecherin Paula Drescher (Momo) bei der Aufnahme mit Andreas Fröhlich (Meister Hora).
Foto: Silberfisch/Anke Beims
Michael Ende: Momo – Das Hörspiel. Mit
Friedhelm Ptok,
Paula Drescher, Andreas Fröhlich u.a.. Silberfisch im Hörbuch
Hamburg Verlag,
Hamburg 2023. 3 CDs mit einer Laufzeit von 224 Minuten, 18 Euro.
Ab zehn Jahren.
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