Eine Stadt unter Quarantäne, eine Liebe in besonderen Zeiten
Im Jahr 1962 macht sich der junge Mediziner Nikolaos Spyridakis zu einer heiklen Mission in die Eifel auf. Im Kreis Monschau sind die Pocken ausgebrochen. Nun droht Quarantäne. Doch der mächtige Chef der Rither-Werke will die Fabrik um jeden Preis offen halten. In Monschau trifft Nikolaos auf die junge Alleinerbin der Werke Vera Rither. So unterschiedlich der kretische Arzt und die reiche Vollwaise auch sind, beide kommen sich näher. Doch die Krankheitsfälle häufen sich, und das Virus nimmt sich, was es kriegen kann.
Im Jahr 1962 macht sich der junge Mediziner Nikolaos Spyridakis zu einer heiklen Mission in die Eifel auf. Im Kreis Monschau sind die Pocken ausgebrochen. Nun droht Quarantäne. Doch der mächtige Chef der Rither-Werke will die Fabrik um jeden Preis offen halten. In Monschau trifft Nikolaos auf die junge Alleinerbin der Werke Vera Rither. So unterschiedlich der kretische Arzt und die reiche Vollwaise auch sind, beide kommen sich näher. Doch die Krankheitsfälle häufen sich, und das Virus nimmt sich, was es kriegen kann.
Mit den Pocken und Miles Davis in der Eifel
Der neue Roman von Steffen Kopetzky heißt "Monschau". Er findet dort eine Vorlage für die Corona-Pandemie.
Von Rose-Maria Gropp
Die Corona-Pandemie breitet sich seit November 2019 über die ganze Welt aus. Der erste Fall einer Infektion mit dem Covid-19-Virus in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 gemeldet. Am 26. März 2020 veröffentlichte Steffen Kopetzky im "Spiegel" einen Artikel mit dem Titel "Die Attacke der gefährlichen Pocken". In dem bestens recherchierten Bericht geht es um den lokalen Ausbruch der Seuche Anfang des Jahres 1962 im Städtchen Monschau in der Eifel nahe der belgischen Grenze; die Maßnahmen, die dagegen, schließlich mit Erfolg, ergriffen wurden, sind ausführlich geschildert: Isolation der Verdachtsfälle, Quarantänen, Impfungen. Offensichtlich diente Kopetzky, wie unter einem Brennglas, die aktuelle Pandemie als Folie.
Nun erscheint mit "Monschau" sein Roman auf der Basis der damaligen Geschehnisse. Damit war er - das muss man ihm lassen - wirklich schnell. Weil die dürren Fakten für die 350 Seiten einer Fiktion naturgemäß nicht ausgereicht hätten, versieht er sie mit Nebenhandlungen und Seitensträngen und einer zarten Liebesgeschichte in Zeiten der Pocken. Einiges Personal entnimmt er der Realität, allen voran den 1962 mutig agierenden Dermatologen Günter Stüttgen. Auch der Stüttgen des Romans stellt sich der Krise gegen Widerstände nicht nur bornierter Lokalpolitiker praktisch im Alleingang; unterstützt von seinem jungen griechischen Assistenzarzt, der im Buch Nikos Spyridakis heißt und für die Dauer der Epidemie vor Ort stationiert wird. Das im Wirtschaftswunder-Deutschland vom Ausbruch der Pocken und dessen Folgen massiv bedrohte im nahen Lammersdorf ansässige Unternehmen zur Herstellung von Hochtemperaturöfen bekommt eine zentrale Rolle, als "die Rither-Werke", nun bereichert um die attraktive Alleinerbin Vera Rither, die zur Zeit der Handlung zufällig aus Paris, wo sie Journalismus studiert, angereist ist.
Von dieser Konstellation her erzählt Kopetzky seine Geschichte in satten Farben. Zumal er, der historisch bewanderte Autor, immer wieder geschichtliches und politisches Kolorit einfließen lässt, ein bisschen wie aus dem "Kulturfahrplan" für das Jahr 1962, von Adenauers Kalkül über Bombenanschläge in Frankreich bis zu Kennedys wenig friedlichen Absichten. Und hierzulande sind derweil alle gebannt vom ersten "Straßenfeger" im Fernsehen, dem Francis-Durbridge-Sechsteiler "Das Halstuch". Und fast alle scheinen Kettenraucher zu sein; "Peter Stuyvesant" ist die Marke der Wahl, selbst im "alten Käfer" von Stüttgen, der "Duft der großen weiten Welt", irgendwie symbolisch. Während der erbitterte Kampf der Ärzte gegen die Seuche läuft, die Furcht unter den Menschen in Monschau und Umgebung umgeht, gibt es immer wieder Exkurse in Landes- und Erdkunde: dass Monschau einst, gut eingedeutscht, beinah "Freudenberg" geheißen hätte oder dass die Maori aus Neuseeland auf der Insel Kreta, der Heimat von Spyridakis, die tapfersten Kämpfer gegen die deutschen Besatzer gewesen seien. Überhaupt ist der Zweite Weltkrieg noch omnipräsent, wie auch jene gefährlich Unverbesserlichen aus großer Zeit.
All die gutgemeinten - und auch gut geschriebenen - Nebenwege sollen der Evokation der Atmosphäre in den Nachkriegsjahren dienen, machen die Lektüre aber mitunter etwas disparat. Am Hauptweg, entlang der Ausbreitung der Pocken, gilt es festzuhalten; wobei sich doch eine Frage stellt: Wollte Kopetzky, ausgewiesen gewandter Stilist, einen Kolportageroman schreiben, was ja nicht die schlechteste Möglichkeit wäre? Dafür könnte einiges im Duktus von "Monschau" sprechen: die typenhaft karikierende Schilderung wichtigen Personals, wie eines semikorrupten Journalisten und eines verstrickten Managers der Rither-Werke; oder eine altfränkische Wortwahl wie "Lungenbrötchen", in der ironisch ein Jahrzehnte zurückliegender Sprachgebrauch aufersteht.
Oder ist Kopetzky die streckenweise Anmutung der Kolportage schlicht unterlaufen? Am schwierigsten zu entscheiden ist das bei der Liebesgeschichte, die sich zierlich zwischen dem als "schön" bezeichneten griechischen Arzt Nikos und der als "höhere Tochter" ausgewiesenen Unternehmenserbin Vera anbahnt. Vera, die auch ein Schicksal zu tragen hat, ist absolut parisienne, schwarzer Rollkragenpullover und schwarze Steghosen, die Frisur ein "erdbeerblonder Bob", Existentialistinnen-Look halt; das kann dann aus Nikos' scheuer Perspektive so klingen: "Er beugt den Kopf ein klein wenig vor, in die offene Tür. Da nahm er einen ganz eigenen, edlen Geruch wahr. Zigaretten, Hörsäle, Theaterfoyers und Bars. Parfüm war auch dabei. Eine fremde Welt. Das gefiel ihm. Und es gefiel ihm auch, wie sich das Klappern der Schreibmaschine anhörte, das sich perfekt an die Musik anschmiegte."
Das Tippen auf einer "Olympia" mit dem Cool Jazz eines Miles Davis zu synchronisieren ist nicht wirklich zwingend. Wie auch die Psychologie der Protagonisten nicht; eine Szene beim während der Seuche streng verbotenen Karneval, eine Art Klimax im Roman, nährt solche Zweifel zusätzlich. Doch im Ganzen funktioniert die Kombination von Seuchenbekämpfung, aufkeimenden Gefühlen und üblen Machenschaften Ewiggestriger durchaus - eben brandaktuell. Der Spuk in Monschau endete am 10. April 1962. Covid-19 ist noch längst nicht besiegt.
Steffen Kopetzky: "Monschau". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Erscheint am 18. März.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der neue Roman von Steffen Kopetzky heißt "Monschau". Er findet dort eine Vorlage für die Corona-Pandemie.
Von Rose-Maria Gropp
Die Corona-Pandemie breitet sich seit November 2019 über die ganze Welt aus. Der erste Fall einer Infektion mit dem Covid-19-Virus in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 gemeldet. Am 26. März 2020 veröffentlichte Steffen Kopetzky im "Spiegel" einen Artikel mit dem Titel "Die Attacke der gefährlichen Pocken". In dem bestens recherchierten Bericht geht es um den lokalen Ausbruch der Seuche Anfang des Jahres 1962 im Städtchen Monschau in der Eifel nahe der belgischen Grenze; die Maßnahmen, die dagegen, schließlich mit Erfolg, ergriffen wurden, sind ausführlich geschildert: Isolation der Verdachtsfälle, Quarantänen, Impfungen. Offensichtlich diente Kopetzky, wie unter einem Brennglas, die aktuelle Pandemie als Folie.
Nun erscheint mit "Monschau" sein Roman auf der Basis der damaligen Geschehnisse. Damit war er - das muss man ihm lassen - wirklich schnell. Weil die dürren Fakten für die 350 Seiten einer Fiktion naturgemäß nicht ausgereicht hätten, versieht er sie mit Nebenhandlungen und Seitensträngen und einer zarten Liebesgeschichte in Zeiten der Pocken. Einiges Personal entnimmt er der Realität, allen voran den 1962 mutig agierenden Dermatologen Günter Stüttgen. Auch der Stüttgen des Romans stellt sich der Krise gegen Widerstände nicht nur bornierter Lokalpolitiker praktisch im Alleingang; unterstützt von seinem jungen griechischen Assistenzarzt, der im Buch Nikos Spyridakis heißt und für die Dauer der Epidemie vor Ort stationiert wird. Das im Wirtschaftswunder-Deutschland vom Ausbruch der Pocken und dessen Folgen massiv bedrohte im nahen Lammersdorf ansässige Unternehmen zur Herstellung von Hochtemperaturöfen bekommt eine zentrale Rolle, als "die Rither-Werke", nun bereichert um die attraktive Alleinerbin Vera Rither, die zur Zeit der Handlung zufällig aus Paris, wo sie Journalismus studiert, angereist ist.
Von dieser Konstellation her erzählt Kopetzky seine Geschichte in satten Farben. Zumal er, der historisch bewanderte Autor, immer wieder geschichtliches und politisches Kolorit einfließen lässt, ein bisschen wie aus dem "Kulturfahrplan" für das Jahr 1962, von Adenauers Kalkül über Bombenanschläge in Frankreich bis zu Kennedys wenig friedlichen Absichten. Und hierzulande sind derweil alle gebannt vom ersten "Straßenfeger" im Fernsehen, dem Francis-Durbridge-Sechsteiler "Das Halstuch". Und fast alle scheinen Kettenraucher zu sein; "Peter Stuyvesant" ist die Marke der Wahl, selbst im "alten Käfer" von Stüttgen, der "Duft der großen weiten Welt", irgendwie symbolisch. Während der erbitterte Kampf der Ärzte gegen die Seuche läuft, die Furcht unter den Menschen in Monschau und Umgebung umgeht, gibt es immer wieder Exkurse in Landes- und Erdkunde: dass Monschau einst, gut eingedeutscht, beinah "Freudenberg" geheißen hätte oder dass die Maori aus Neuseeland auf der Insel Kreta, der Heimat von Spyridakis, die tapfersten Kämpfer gegen die deutschen Besatzer gewesen seien. Überhaupt ist der Zweite Weltkrieg noch omnipräsent, wie auch jene gefährlich Unverbesserlichen aus großer Zeit.
All die gutgemeinten - und auch gut geschriebenen - Nebenwege sollen der Evokation der Atmosphäre in den Nachkriegsjahren dienen, machen die Lektüre aber mitunter etwas disparat. Am Hauptweg, entlang der Ausbreitung der Pocken, gilt es festzuhalten; wobei sich doch eine Frage stellt: Wollte Kopetzky, ausgewiesen gewandter Stilist, einen Kolportageroman schreiben, was ja nicht die schlechteste Möglichkeit wäre? Dafür könnte einiges im Duktus von "Monschau" sprechen: die typenhaft karikierende Schilderung wichtigen Personals, wie eines semikorrupten Journalisten und eines verstrickten Managers der Rither-Werke; oder eine altfränkische Wortwahl wie "Lungenbrötchen", in der ironisch ein Jahrzehnte zurückliegender Sprachgebrauch aufersteht.
Oder ist Kopetzky die streckenweise Anmutung der Kolportage schlicht unterlaufen? Am schwierigsten zu entscheiden ist das bei der Liebesgeschichte, die sich zierlich zwischen dem als "schön" bezeichneten griechischen Arzt Nikos und der als "höhere Tochter" ausgewiesenen Unternehmenserbin Vera anbahnt. Vera, die auch ein Schicksal zu tragen hat, ist absolut parisienne, schwarzer Rollkragenpullover und schwarze Steghosen, die Frisur ein "erdbeerblonder Bob", Existentialistinnen-Look halt; das kann dann aus Nikos' scheuer Perspektive so klingen: "Er beugt den Kopf ein klein wenig vor, in die offene Tür. Da nahm er einen ganz eigenen, edlen Geruch wahr. Zigaretten, Hörsäle, Theaterfoyers und Bars. Parfüm war auch dabei. Eine fremde Welt. Das gefiel ihm. Und es gefiel ihm auch, wie sich das Klappern der Schreibmaschine anhörte, das sich perfekt an die Musik anschmiegte."
Das Tippen auf einer "Olympia" mit dem Cool Jazz eines Miles Davis zu synchronisieren ist nicht wirklich zwingend. Wie auch die Psychologie der Protagonisten nicht; eine Szene beim während der Seuche streng verbotenen Karneval, eine Art Klimax im Roman, nährt solche Zweifel zusätzlich. Doch im Ganzen funktioniert die Kombination von Seuchenbekämpfung, aufkeimenden Gefühlen und üblen Machenschaften Ewiggestriger durchaus - eben brandaktuell. Der Spuk in Monschau endete am 10. April 1962. Covid-19 ist noch längst nicht besiegt.
Steffen Kopetzky: "Monschau". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Erscheint am 18. März.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021Mit den Pocken und Miles Davis in der Eifel
Der neue Roman von Steffen Kopetzky heißt "Monschau". Er findet dort eine Vorlage für die Corona-Pandemie.
Von Rose-Maria Gropp
Die Corona-Pandemie breitet sich seit November 2019 über die ganze Welt aus. Der erste Fall einer Infektion mit dem Covid-19-Virus in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 gemeldet. Am 26. März 2020 veröffentlichte Steffen Kopetzky im "Spiegel" einen Artikel mit dem Titel "Die Attacke der gefährlichen Pocken". In dem bestens recherchierten Bericht geht es um den lokalen Ausbruch der Seuche Anfang des Jahres 1962 im Städtchen Monschau in der Eifel nahe der belgischen Grenze; die Maßnahmen, die dagegen, schließlich mit Erfolg, ergriffen wurden, sind ausführlich geschildert: Isolation der Verdachtsfälle, Quarantänen, Impfungen. Offensichtlich diente Kopetzky, wie unter einem Brennglas, die aktuelle Pandemie als Folie.
Nun erscheint mit "Monschau" sein Roman auf der Basis der damaligen Geschehnisse. Damit war er - das muss man ihm lassen - wirklich schnell. Weil die dürren Fakten für die 350 Seiten einer Fiktion naturgemäß nicht ausgereicht hätten, versieht er sie mit Nebenhandlungen und Seitensträngen und einer zarten Liebesgeschichte in Zeiten der Pocken. Einiges Personal entnimmt er der Realität, allen voran den 1962 mutig agierenden Dermatologen Günter Stüttgen. Auch der Stüttgen des Romans stellt sich der Krise gegen Widerstände nicht nur bornierter Lokalpolitiker praktisch im Alleingang; unterstützt von seinem jungen griechischen Assistenzarzt, der im Buch Nikos Spyridakis heißt und für die Dauer der Epidemie vor Ort stationiert wird. Das im Wirtschaftswunder-Deutschland vom Ausbruch der Pocken und dessen Folgen massiv bedrohte im nahen Lammersdorf ansässige Unternehmen zur Herstellung von Hochtemperaturöfen bekommt eine zentrale Rolle, als "die Rither-Werke", nun bereichert um die attraktive Alleinerbin Vera Rither, die zur Zeit der Handlung zufällig aus Paris, wo sie Journalismus studiert, angereist ist.
Von dieser Konstellation her erzählt Kopetzky seine Geschichte in satten Farben. Zumal er, der historisch bewanderte Autor, immer wieder geschichtliches und politisches Kolorit einfließen lässt, ein bisschen wie aus dem "Kulturfahrplan" für das Jahr 1962, von Adenauers Kalkül über Bombenanschläge in Frankreich bis zu Kennedys wenig friedlichen Absichten. Und hierzulande sind derweil alle gebannt vom ersten "Straßenfeger" im Fernsehen, dem Francis-Durbridge-Sechsteiler "Das Halstuch". Und fast alle scheinen Kettenraucher zu sein; "Peter Stuyvesant" ist die Marke der Wahl, selbst im "alten Käfer" von Stüttgen, der "Duft der großen weiten Welt", irgendwie symbolisch. Während der erbitterte Kampf der Ärzte gegen die Seuche läuft, die Furcht unter den Menschen in Monschau und Umgebung umgeht, gibt es immer wieder Exkurse in Landes- und Erdkunde: dass Monschau einst, gut eingedeutscht, beinah "Freudenberg" geheißen hätte oder dass die Maori aus Neuseeland auf der Insel Kreta, der Heimat von Spyridakis, die tapfersten Kämpfer gegen die deutschen Besatzer gewesen seien. Überhaupt ist der Zweite Weltkrieg noch omnipräsent, wie auch jene gefährlich Unverbesserlichen aus großer Zeit.
All die gutgemeinten - und auch gut geschriebenen - Nebenwege sollen der Evokation der Atmosphäre in den Nachkriegsjahren dienen, machen die Lektüre aber mitunter etwas disparat. Am Hauptweg, entlang der Ausbreitung der Pocken, gilt es festzuhalten; wobei sich doch eine Frage stellt: Wollte Kopetzky, ausgewiesen gewandter Stilist, einen Kolportageroman schreiben, was ja nicht die schlechteste Möglichkeit wäre? Dafür könnte einiges im Duktus von "Monschau" sprechen: die typenhaft karikierende Schilderung wichtigen Personals, wie eines semikorrupten Journalisten und eines verstrickten Managers der Rither-Werke; oder eine altfränkische Wortwahl wie "Lungenbrötchen", in der ironisch ein Jahrzehnte zurückliegender Sprachgebrauch aufersteht.
Oder ist Kopetzky die streckenweise Anmutung der Kolportage schlicht unterlaufen? Am schwierigsten zu entscheiden ist das bei der Liebesgeschichte, die sich zierlich zwischen dem als "schön" bezeichneten griechischen Arzt Nikos und der als "höhere Tochter" ausgewiesenen Unternehmenserbin Vera anbahnt. Vera, die auch ein Schicksal zu tragen hat, ist absolut parisienne, schwarzer Rollkragenpullover und schwarze Steghosen, die Frisur ein "erdbeerblonder Bob", Existentialistinnen-Look halt; das kann dann aus Nikos' scheuer Perspektive so klingen: "Er beugt den Kopf ein klein wenig vor, in die offene Tür. Da nahm er einen ganz eigenen, edlen Geruch wahr. Zigaretten, Hörsäle, Theaterfoyers und Bars. Parfüm war auch dabei. Eine fremde Welt. Das gefiel ihm. Und es gefiel ihm auch, wie sich das Klappern der Schreibmaschine anhörte, das sich perfekt an die Musik anschmiegte."
Das Tippen auf einer "Olympia" mit dem Cool Jazz eines Miles Davis zu synchronisieren ist nicht wirklich zwingend. Wie auch die Psychologie der Protagonisten nicht; eine Szene beim während der Seuche streng verbotenen Karneval, eine Art Klimax im Roman, nährt solche Zweifel zusätzlich. Doch im Ganzen funktioniert die Kombination von Seuchenbekämpfung, aufkeimenden Gefühlen und üblen Machenschaften Ewiggestriger durchaus - eben brandaktuell. Der Spuk in Monschau endete am 10. April 1962. Covid-19 ist noch längst nicht besiegt.
Steffen Kopetzky: "Monschau". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Erscheint am 18. März.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der neue Roman von Steffen Kopetzky heißt "Monschau". Er findet dort eine Vorlage für die Corona-Pandemie.
Von Rose-Maria Gropp
Die Corona-Pandemie breitet sich seit November 2019 über die ganze Welt aus. Der erste Fall einer Infektion mit dem Covid-19-Virus in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 gemeldet. Am 26. März 2020 veröffentlichte Steffen Kopetzky im "Spiegel" einen Artikel mit dem Titel "Die Attacke der gefährlichen Pocken". In dem bestens recherchierten Bericht geht es um den lokalen Ausbruch der Seuche Anfang des Jahres 1962 im Städtchen Monschau in der Eifel nahe der belgischen Grenze; die Maßnahmen, die dagegen, schließlich mit Erfolg, ergriffen wurden, sind ausführlich geschildert: Isolation der Verdachtsfälle, Quarantänen, Impfungen. Offensichtlich diente Kopetzky, wie unter einem Brennglas, die aktuelle Pandemie als Folie.
Nun erscheint mit "Monschau" sein Roman auf der Basis der damaligen Geschehnisse. Damit war er - das muss man ihm lassen - wirklich schnell. Weil die dürren Fakten für die 350 Seiten einer Fiktion naturgemäß nicht ausgereicht hätten, versieht er sie mit Nebenhandlungen und Seitensträngen und einer zarten Liebesgeschichte in Zeiten der Pocken. Einiges Personal entnimmt er der Realität, allen voran den 1962 mutig agierenden Dermatologen Günter Stüttgen. Auch der Stüttgen des Romans stellt sich der Krise gegen Widerstände nicht nur bornierter Lokalpolitiker praktisch im Alleingang; unterstützt von seinem jungen griechischen Assistenzarzt, der im Buch Nikos Spyridakis heißt und für die Dauer der Epidemie vor Ort stationiert wird. Das im Wirtschaftswunder-Deutschland vom Ausbruch der Pocken und dessen Folgen massiv bedrohte im nahen Lammersdorf ansässige Unternehmen zur Herstellung von Hochtemperaturöfen bekommt eine zentrale Rolle, als "die Rither-Werke", nun bereichert um die attraktive Alleinerbin Vera Rither, die zur Zeit der Handlung zufällig aus Paris, wo sie Journalismus studiert, angereist ist.
Von dieser Konstellation her erzählt Kopetzky seine Geschichte in satten Farben. Zumal er, der historisch bewanderte Autor, immer wieder geschichtliches und politisches Kolorit einfließen lässt, ein bisschen wie aus dem "Kulturfahrplan" für das Jahr 1962, von Adenauers Kalkül über Bombenanschläge in Frankreich bis zu Kennedys wenig friedlichen Absichten. Und hierzulande sind derweil alle gebannt vom ersten "Straßenfeger" im Fernsehen, dem Francis-Durbridge-Sechsteiler "Das Halstuch". Und fast alle scheinen Kettenraucher zu sein; "Peter Stuyvesant" ist die Marke der Wahl, selbst im "alten Käfer" von Stüttgen, der "Duft der großen weiten Welt", irgendwie symbolisch. Während der erbitterte Kampf der Ärzte gegen die Seuche läuft, die Furcht unter den Menschen in Monschau und Umgebung umgeht, gibt es immer wieder Exkurse in Landes- und Erdkunde: dass Monschau einst, gut eingedeutscht, beinah "Freudenberg" geheißen hätte oder dass die Maori aus Neuseeland auf der Insel Kreta, der Heimat von Spyridakis, die tapfersten Kämpfer gegen die deutschen Besatzer gewesen seien. Überhaupt ist der Zweite Weltkrieg noch omnipräsent, wie auch jene gefährlich Unverbesserlichen aus großer Zeit.
All die gutgemeinten - und auch gut geschriebenen - Nebenwege sollen der Evokation der Atmosphäre in den Nachkriegsjahren dienen, machen die Lektüre aber mitunter etwas disparat. Am Hauptweg, entlang der Ausbreitung der Pocken, gilt es festzuhalten; wobei sich doch eine Frage stellt: Wollte Kopetzky, ausgewiesen gewandter Stilist, einen Kolportageroman schreiben, was ja nicht die schlechteste Möglichkeit wäre? Dafür könnte einiges im Duktus von "Monschau" sprechen: die typenhaft karikierende Schilderung wichtigen Personals, wie eines semikorrupten Journalisten und eines verstrickten Managers der Rither-Werke; oder eine altfränkische Wortwahl wie "Lungenbrötchen", in der ironisch ein Jahrzehnte zurückliegender Sprachgebrauch aufersteht.
Oder ist Kopetzky die streckenweise Anmutung der Kolportage schlicht unterlaufen? Am schwierigsten zu entscheiden ist das bei der Liebesgeschichte, die sich zierlich zwischen dem als "schön" bezeichneten griechischen Arzt Nikos und der als "höhere Tochter" ausgewiesenen Unternehmenserbin Vera anbahnt. Vera, die auch ein Schicksal zu tragen hat, ist absolut parisienne, schwarzer Rollkragenpullover und schwarze Steghosen, die Frisur ein "erdbeerblonder Bob", Existentialistinnen-Look halt; das kann dann aus Nikos' scheuer Perspektive so klingen: "Er beugt den Kopf ein klein wenig vor, in die offene Tür. Da nahm er einen ganz eigenen, edlen Geruch wahr. Zigaretten, Hörsäle, Theaterfoyers und Bars. Parfüm war auch dabei. Eine fremde Welt. Das gefiel ihm. Und es gefiel ihm auch, wie sich das Klappern der Schreibmaschine anhörte, das sich perfekt an die Musik anschmiegte."
Das Tippen auf einer "Olympia" mit dem Cool Jazz eines Miles Davis zu synchronisieren ist nicht wirklich zwingend. Wie auch die Psychologie der Protagonisten nicht; eine Szene beim während der Seuche streng verbotenen Karneval, eine Art Klimax im Roman, nährt solche Zweifel zusätzlich. Doch im Ganzen funktioniert die Kombination von Seuchenbekämpfung, aufkeimenden Gefühlen und üblen Machenschaften Ewiggestriger durchaus - eben brandaktuell. Der Spuk in Monschau endete am 10. April 1962. Covid-19 ist noch längst nicht besiegt.
Steffen Kopetzky: "Monschau". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 352 S., geb., 22,- [Euro].
Erscheint am 18. März.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Jörg Magenau schwärmt für die Lebensfreude und Warmherzigkeit in Steffen Kopetzkys Roman. Und für die gekonnte, an erzählerischen Einfällen und Empathie mit den Figuren reiche Verquickung von Realgeschehen (Pockenepidemie in der Eifel 1962), zarter Liebesgeschichte und Abenteuerroman. Dass Kopetzky außerdem keine Angst vor Kolportage hat und alles schön nach Gut und Böse ordnet, scheint Magenau ausnahmsweise den Reiz der Lektüre noch zu erhöhen. Ach ja, wie der Autor das aktuelle Pandemie-Geschehen und seine gesellschaftlichen Effekte im historischen Brennglas zeigt, ist für den Rezensenten ein weiteres Schmankerl des an Schmankerln überreichen Romans.
© Perlentaucher Medien GmbH
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In satten Farben erzählt ... Brandaktuell. Rose-Maria Gropp Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210313