Es gibt so vieles in Aarons Leben, das er lieber für immer vergessen würde: Den Suizid seines Vaters, seinen eigenen Selbstmordversuch kurz darauf, die Tatsache, dass er in einem hoffnungslosen Viertel in der Bronx aufwächst. Doch Aarons Mutter und seine Freundin Genevieve helfen ihm dabei, wieder glücklich zu werden. Als er eines Tages auf Thomas trifft und sich mit dem unbekümmerten und coolen Jungen anfreundet, entdeckt er noch eine ganz neue Art von Glück. Eine, die sein Herz höherschlagen lässt. Doch als Thomas ihm sagt, dass er seine Gefühle nicht erwidert, beschließt Aaron es endlich zu tun: Zu vergessen. Mit Hilfe einer neuartigen Gehirnmanipulation will er seine Erinnerungen an alles, was war, und alles was er ist, auslöschen lassen. Auf schmerzlichste Weise muss er lernen, dass das Herz sich erinnert, auch wenn der Verstand längst vergessen hat ... Einfühlsam liest Jonas Minthe das bewegende Debüt des SPIEGEL-Bestsellerautors und Star der queeren Jugendliteratur Adam Silvera.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2022Glückskekse in der Bronx
Zur Neuausgabe von Adam Silveras Roman „More Happy Than Not“, der 2015 erschien.
Die Geschichte des jungen Aaron, der mit seiner sexuellen Identität kämpft
VON HOLGER MOOS
Der US-amerikanische Autor Adam Silvera führt mit seinem Jugendroman über zwei todgeweihte Jugendliche „They Both Die at the End“ vier Jahre nach Erscheinen seit Monaten die New York Times-Bestsellerliste an. Auch die deutsche Übersetzung „Am Ende sterben wir sowieso“ (2018) erreichte mit dreijähriger Verspätung die Spiegel -Bestsellerliste. Zu verdanken war dieser verspätete Erfolg der Video-Plattform Tiktok, in der es die Community #booktok gibt. Dort filmten zahlreiche Jugendliche ihre zum Teil sehr emotionalen Reaktionen auf Silveras Buch. Diese Videos wurden millionenfach angeschaut. Seither gilt er als einer der meistgelesenen Autoren im Jugendbuchgenre – speziell im Bereich LGBTQ+.
Nun hat der Arctis Verlag Silveras 2015 in den USA erschienenen Debütroman „More Happy Than Not“ in der Übersetzung von Lisa Kögeböhn veröffentlicht. Mit autobiografischem Hintergrund wird von dem sechzehnjährigen Aaron Soto erzählt, der mit seiner sexuellen Identität kämpft. Wie sein Autor wächst er in der Bronx auf, einem multikulturellen Stadtteil New Yorks, etwa 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Auch Aaron kann von vielen Dingen nur träumen, so etwa von einem eigenen Zimmer. Die Mutter braucht zwei Jobs, um die Familie zu ernähren. Aarons Innenleben ist geprägt von Verunsicherung und dem traumatischen Erlebnis, dass sein Bruder und er ihren Vater tot in der Badewanne fanden. Aaron fühlt sich schuldig am Suizid des Vaters, warum weiß man am Anfang des Romans noch nicht.
Nach einem Suizidversuch versucht der Junge, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Halt gibt ihm seine Freundin Genevieve. Doch dann lernt er den ebenfalls vaterlosen Thomas kennen, einen Jungen aus der Nachbarschaft, der gerade seine Freundin verlassen hat und herausfinden möchte, was er wirklich will. Die beiden sind sich sofort nah. Und ganz im Gegensatz zu Aarons bisherigen Freunden versteht Thomas ihn zu trösten. „No homo“, sagt er immer wieder, doch in Aaron wachsen Gefühle, mit denen er nicht klarkommt.
Zentral für Silveras Buch ist auch das Versprechen der Pharmaindustrie, Menschen mittels entsprechender Pillen wieder lebensfähig oder „normal“ zu machen. In den USA ist die Hemmschwelle, Psychopharmaka einzunehmen, um besser zu funktionieren, bekanntermaßen relativ niedrig. Im Roman gibt es vor dem ersten Kapitel eine Seite mit Werbung des fiktiven Leteo-Instituts, das verspricht, Menschen von unangenehmen Erinnerungen zu befreien – der Fluss Lethe aus der griechischen Mythologie diente wohl als Namensgeber.
Nachdem Aaron mit Genevieve Schluss gemacht hat, Thomas seine Homosexualität und schließlich seine Liebe gesteht, die dieser aber nicht erwidert, ist Aaron so verzweifelt, dass er sich im Leteo-Institut „behandeln“ lassen will. Doch dann eskalieren die Spannungen mit seinen bisherigen Freunden, die mit Aarons Homosexualität nicht umgehen können und ihn krankenhausreif prügeln. Dieses äußerst gewaltsame Erlebnis führt zu einer dramatischen Wendung und für Aaron zu einem ganz neuen Problem in der Auseinandersetzung mit Erinnerung. „Glück kommt wieder, wenn du es zulässt“, sagt Thomas einmal. Und dieser Spruch, der aus einem chinesischen Glückskeks stammen könnte, öffnet Aaron am Ende die Augen. Er weiß nun, was zu tun ist.
Auch Adam Silvera empfand, dass noch was zu tun ist. Für die Neuausgabe des Buchs im Jahr 2020 schrieb er ein neues Ende, ein Happy End, mit dem er „Aaron unbedingt zu einem längst überfälligen Durchbruch verhelfen“ wollte.
Der Roman ist für Jugendliche geschrieben, also stilistisch „fucking“ authentisch. Ob die deutsche Übersetzung das schafft, ist schwer einzuschätzen. Wenn etwa ein „dude-liker“ als ein „Auf-Typen-Steher“ bezeichnet wird, im Englischen hört sich ja vieles cooler an. In jedem Fall versteht es Silvera, sehr viele Themen in lockerer Sprache zu erzählen und der Geschichte nicht nur eine überraschende Wendung, sondern auch viele Facetten zu geben. (ab 14 und junge Erwachsene)
Adam Silvera: More Happy Than Not. Aus dem Englischen von Lisa Kögeböhn. Arctis, Zürich 2022. 409 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zur Neuausgabe von Adam Silveras Roman „More Happy Than Not“, der 2015 erschien.
Die Geschichte des jungen Aaron, der mit seiner sexuellen Identität kämpft
VON HOLGER MOOS
Der US-amerikanische Autor Adam Silvera führt mit seinem Jugendroman über zwei todgeweihte Jugendliche „They Both Die at the End“ vier Jahre nach Erscheinen seit Monaten die New York Times-Bestsellerliste an. Auch die deutsche Übersetzung „Am Ende sterben wir sowieso“ (2018) erreichte mit dreijähriger Verspätung die Spiegel -Bestsellerliste. Zu verdanken war dieser verspätete Erfolg der Video-Plattform Tiktok, in der es die Community #booktok gibt. Dort filmten zahlreiche Jugendliche ihre zum Teil sehr emotionalen Reaktionen auf Silveras Buch. Diese Videos wurden millionenfach angeschaut. Seither gilt er als einer der meistgelesenen Autoren im Jugendbuchgenre – speziell im Bereich LGBTQ+.
Nun hat der Arctis Verlag Silveras 2015 in den USA erschienenen Debütroman „More Happy Than Not“ in der Übersetzung von Lisa Kögeböhn veröffentlicht. Mit autobiografischem Hintergrund wird von dem sechzehnjährigen Aaron Soto erzählt, der mit seiner sexuellen Identität kämpft. Wie sein Autor wächst er in der Bronx auf, einem multikulturellen Stadtteil New Yorks, etwa 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Auch Aaron kann von vielen Dingen nur träumen, so etwa von einem eigenen Zimmer. Die Mutter braucht zwei Jobs, um die Familie zu ernähren. Aarons Innenleben ist geprägt von Verunsicherung und dem traumatischen Erlebnis, dass sein Bruder und er ihren Vater tot in der Badewanne fanden. Aaron fühlt sich schuldig am Suizid des Vaters, warum weiß man am Anfang des Romans noch nicht.
Nach einem Suizidversuch versucht der Junge, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Halt gibt ihm seine Freundin Genevieve. Doch dann lernt er den ebenfalls vaterlosen Thomas kennen, einen Jungen aus der Nachbarschaft, der gerade seine Freundin verlassen hat und herausfinden möchte, was er wirklich will. Die beiden sind sich sofort nah. Und ganz im Gegensatz zu Aarons bisherigen Freunden versteht Thomas ihn zu trösten. „No homo“, sagt er immer wieder, doch in Aaron wachsen Gefühle, mit denen er nicht klarkommt.
Zentral für Silveras Buch ist auch das Versprechen der Pharmaindustrie, Menschen mittels entsprechender Pillen wieder lebensfähig oder „normal“ zu machen. In den USA ist die Hemmschwelle, Psychopharmaka einzunehmen, um besser zu funktionieren, bekanntermaßen relativ niedrig. Im Roman gibt es vor dem ersten Kapitel eine Seite mit Werbung des fiktiven Leteo-Instituts, das verspricht, Menschen von unangenehmen Erinnerungen zu befreien – der Fluss Lethe aus der griechischen Mythologie diente wohl als Namensgeber.
Nachdem Aaron mit Genevieve Schluss gemacht hat, Thomas seine Homosexualität und schließlich seine Liebe gesteht, die dieser aber nicht erwidert, ist Aaron so verzweifelt, dass er sich im Leteo-Institut „behandeln“ lassen will. Doch dann eskalieren die Spannungen mit seinen bisherigen Freunden, die mit Aarons Homosexualität nicht umgehen können und ihn krankenhausreif prügeln. Dieses äußerst gewaltsame Erlebnis führt zu einer dramatischen Wendung und für Aaron zu einem ganz neuen Problem in der Auseinandersetzung mit Erinnerung. „Glück kommt wieder, wenn du es zulässt“, sagt Thomas einmal. Und dieser Spruch, der aus einem chinesischen Glückskeks stammen könnte, öffnet Aaron am Ende die Augen. Er weiß nun, was zu tun ist.
Auch Adam Silvera empfand, dass noch was zu tun ist. Für die Neuausgabe des Buchs im Jahr 2020 schrieb er ein neues Ende, ein Happy End, mit dem er „Aaron unbedingt zu einem längst überfälligen Durchbruch verhelfen“ wollte.
Der Roman ist für Jugendliche geschrieben, also stilistisch „fucking“ authentisch. Ob die deutsche Übersetzung das schafft, ist schwer einzuschätzen. Wenn etwa ein „dude-liker“ als ein „Auf-Typen-Steher“ bezeichnet wird, im Englischen hört sich ja vieles cooler an. In jedem Fall versteht es Silvera, sehr viele Themen in lockerer Sprache zu erzählen und der Geschichte nicht nur eine überraschende Wendung, sondern auch viele Facetten zu geben. (ab 14 und junge Erwachsene)
Adam Silvera: More Happy Than Not. Aus dem Englischen von Lisa Kögeböhn. Arctis, Zürich 2022. 409 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kritikerin Elisa Schüler vermag sich nicht recht für den vielfach gelobten Jugendroman von Adam Silvera zu begeistern: Der schwule Jugendliche Adam unterzieht sich einer chirurgischen Elimination seiner schlimmen, belastenden Erinnerungen, vom Suizid des Vaters bis zu homophoben Attacken, ohne dass dabei erklärt würde, wie diese Operation genau funktioniert und, der größte Kritikpunkt Schülers, ohne dass besonders viel Wert auf das Innenleben des Protagonisten gelegt würde. Die Chance, diese Art der Konversionstherapie in ihre problematischen gesellschaftlichen Zusammenhänge einzuordnen, lässt der Autor für die Kritikerin zugunsten einer allzu rapiden Handlungsentwicklung vorüberziehen. Zu viel Identitätspolitik, zu wenig innere Abwägung, resümiert sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein wunderschönes Debüt, das anspruchsvolle Themen wie Sexualität, Identitätsfindung, Traumata und Klassenunterschiede auf sensible Weise miteinander verwebt [...] Eine Pflichtlektüre.« The New York Times Book Review