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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.1999

Es ist alles ganz eitel

Nett sieht er ja aus: ein blendend weißes, verschmitztes Lächeln in einem sonnengebräunten, freundlich blickenden Gesicht, ein Goldkettchen im locker geöffneten karierten Hemd, ganz der Typ, mit dem man sich sicher gut unterhalten oder ein paar Bierchen trinken kann. Oder passender: ein paar Joints rauchen, denn laut eigenem Bekunden gibt es keinen Menschen auf der Welt, der so viele Tüten geschmaucht hat wie Howard Marks. Bereits zwei Bücher hatten sein Leben zum Thema. "High Life" hieß die aus Interviews zusammengestellte, wegen noch laufender Ermittlungen (und Deals) etwas geschönte "semioffizielle" Biographie von David Leigh; "Hunting Marco Polo" von Paul Eddy und Sara Walden rollte dann das Ganze aus der Sicht der Behörden auf, wodurch es natürlich auch zu diversen Mutmaßungen kommen musste. Nun hat Howard Marks seine Autobiographie vorgelegt, die ihn endlich zeigen soll, wie er wirklich war: "Mr. Nice", ein Knabe aus der Waliser Provinz, der in Oxford studierte, dort Ende der Sechziger zu einem langhaarigen Kiffer wurde, sein Studium aber erfolgreich absolvierte und danach sein Leben nicht nur der Legalisierung weicher Drogen weihte, sondern auch dem internationalen Handel damit (Howard Marks: "Mr. Nice". grow! Publishing, Darmstadt 1998. 476 S., br., 29,80 DM). Wir lernen ihn kennen als liebenswerten, intellektuellen Pazifisten mit hohem Ehrenkodex, der von einer ebenso unerbittlichen wie korrupten weltumspannenden Polizeiverschwörung unter Anführung der amerikanischen "Drug Enforcement Administration" (DEA) verfolgt wurde, ihr aber spitzbübisch immer wieder entwischte. Später war es dann doch so weit: Der Schmugglerring ist zerplatzt, die Anführer sitzen hinter Schloss und Riegel. Es ist alles in Butter. Marks hat gebüßt und kann nun mit allen Missverständnissen aufräumen. Inwieweit dieses Buch der Wahrheit näher kommt als die Vorgänger, weiß natürlich nur der Autor selbst. Aber das ist auch belanglos, denn die nonchalante Art, in der Marks sein von der Regenbogenpresse oftmals ausgeschmücktes Leben ganz unprätentiös und nahezu normal schildert, nimmt den Leser fast zwangsläufig für ihn ein. Die Nebenfiguren wie der unablässig fluchende IRA-Anführer Jim "The Kid" McCann, der nahezu rechtschaffene chinesische Reisebüroführer Balendo, der homosexuelle Jim Hobbs, der sich mit dem Ehelichen mehrerer Prostituierter aus Bangkok ebenso ein Zubrot verdient wie mit der Betreuung der Telefonzentrale des "Marks-Kartells" oder der exzentrische Lord Moynihan, der für die Aussicht auf einen gut zubereiteten Thunfischkiefer ganze Flugzeuge chartert - sie sind es, die dieses Buch zum Spiegel der Vielfalt des Menschlichen machen. Und zu einem farbenfrohen Reiseführer mit Hauptaugenmerk auf den Vorgehensweisen diverser Zollbehörden und dem Erstellen überzeugender Fälschungen von Einfuhrbriefen, Visa, Ausweisen. Kurz: zu einer rundum amüsanten und humorvollen Lektüre. Da verzeiht man Marks, dass seltsamerweise nahezu alle erwähnten Drogendealer kultivierte, freundliche Gewaltgegner sind, während Polizisten sich dadurch auszeichnen, dass sie dumm, übel riechend, gemein und übergewichtig sind. Man sieht ihm nach, dass er als glücklich verheirateter Familienvater zwar genauestens über fernöstliche "Massagesalons" Bescheid weiß, dort aber nur Geschäftsgespräche abgehalten haben will. Man ist versucht, ihm zu glauben, wenn er den in "Hunting Marco Polo" als sein ebenbürtiger Gegenspieler agierenden Spezialagenten Craig Lovato von der DEA als hasserfüllten Misanthropen schildert, der nicht vor der Beseitigung entlastender Beweismittel oder dem unnötigen Ausdehnen der Fehde auf Frau und Kinder des Dealers zurückschreckt. Sogar seine doch etwas voreingenommene Darstellung der amerikanischen Justiz lässt man ihm durchgehen, wo Gesetzesauslegungen wie zu den "Racketeering-Influenced Corrupt Organizations" selbst von Juristen nicht mehr durchschaut werden und wie in Arthur Millers "Hexenjagd" Geständnisse nicht begangener Verbrechen Straffreiheit bedeuten, während das Beharren auf der eigenen Unschuld unnachgiebig als verwerfliche Tat geahndet wird. Was dazu führt, dass Marks' junge Ehefrau Judy, die hin und wieder Telefongespräche entgegennahm, monatelang im Gefängnis schmorte, während ihre Kinder in der Obhut zwielichtiger Bekannter irreparablen Schaden hätten nehmen können. Aber Autobiographien zeichnen sich ja selten dadurch aus, dass Autor und Hauptdarsteller sich gegenseitig darin überbieten würden, den anderen schlecht zu machen.

THOMAS VORWERK

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