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Mira fährt von Wien zu ihrer Mutter Anni nach Südkärnten. Anni soll aus dem Haus, in dem sie lebt, ausziehen. Der geplante Abriss bringt die familiären Routinen ins Wanken. Die alten, unaufgelösten Konflikte brechen auf: der frühe Tod des Vaters, das Leben als slowenische Minderheit, der soziale Aufstieg der Kinder, der von familiären, sprachlichen und kulturellen Ablöseprozessen begleitet wurde. Doch endlich werden auch die lange beschwiegenen Lebensgeschichten der Ahninnen ans Licht gebracht. Ein kraftvoller Roman über drei Generationen von Frauen, deren Entfremdung und Wiederannäherung,…mehr

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Produktbeschreibung
Mira fährt von Wien zu ihrer Mutter Anni nach Südkärnten. Anni soll aus dem Haus, in dem sie lebt, ausziehen. Der geplante Abriss bringt die familiären Routinen ins Wanken. Die alten, unaufgelösten Konflikte brechen auf: der frühe Tod des Vaters, das Leben als slowenische Minderheit, der soziale Aufstieg der Kinder, der von familiären, sprachlichen und kulturellen Ablöseprozessen begleitet wurde. Doch endlich werden auch die lange beschwiegenen Lebensgeschichten der Ahninnen ans Licht gebracht. Ein kraftvoller Roman über drei Generationen von Frauen, deren Entfremdung und Wiederannäherung, über Familie, Herkunft und Erinnerung.Ungekürzte Lesung mit Petra Morzé, Gertrud Roll1 mp3-CD ca. 9 h 23 min
Autorenporträt
Maja Haderlap wurde in Bad Eisenkappel / elezna Kapla (Kärnten) geboren. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik war sie Lehrbeauftragte an der Universität Klagenfurt und lange Jahre Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Sie veröffentlichte Lyrik in slowenischer Sprache, ehe sie für einen Auszug aus ihrem Romandebüt »Engel des Vergessens« 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Weitere renommierte Preise folgten, wie der Max Frisch-Preis 2018, der Österreichische Kunstpreis für Literatur 2019 oder der Christine Lavant Preis 2021.
Rezensionen
»Die Prosa von Maja Haderlap vereint poetische Brillanz mit politischer Brisanz.« Begründung der Jury, Max Frisch-Preis 2018

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2023

Heimat ohne
Wiederkehr
Maja Haderlap erzählt in ihrem Roman „Nachtfrauen“ von einer
Österreicherin, die ihrer slowenischen Herkunft nicht entkommt
und schreibt sich damit frei von jedem Repräsentationszwang
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Zwölf Jahre ist es her, dass Maja Haderlap bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt für einen Auszug aus ihrem Debütroman „Engel des Vergessens“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Der Roman selbst erschien dann im Herbst 2011. Haderlap, 1961 in Bad Eisenkappel in Kärnten geboren, schreibt sowohl in slowenischer als auch in deutscher Sprache. „Engel des Vergessens“ war in mehrfacher Hinsicht ein Erkundungsgang im Grenzgebiet zwischen Österreich und Slowenien; ein Territorium, in dem die Sprache Identität und zugleich Konflikte stiftet und in dem jedes Wort politisch werden kann, wenn es in der vermeintlich falschen Sprache ausgesprochen wird.
Haderlap wuchs als Angehörige der slowenischen Minderheit auf einem Bauernhof im Jauntal auf, studierte in Wien Theaterwissenschaften und kehrte 1992 als Chefdramaturgin des Theaters in Klagenfurt nach Kärnten zurück. In „Engel des Vergessens“ erzählt Haderlap eine von den politischen Umständen vergiftete Kindheitsgeschichte, die im jugoslawischen Bürgerkrieg im Jahr 1991 endet. Mit den Nachwirkungen ihres Debüts, so hat Maja Haderlap es kürzlich in einem Interview mit dem österreichischen Fernsehen erzählt, habe sie lange zu tun gehabt. Zeitweise habe sie sich als kulturpolitische Sprecherin gefühlt.
Nun ist ihr zweiter Roman erschienen. „Nachtfrauen“ beweist eindrucksvoll, dass Haderlap sich freigedacht und freigeschrieben hat von jeder Art von Repräsentationszwang. Es ist ein dichtes, beeindruckendes Buch geworden, unter dessen Erzähloberfläche Traumata, Erinnerungen, Missverständnisse und uralte Konflikte gegeneinander arbeiten, miteinander ringen. Maja Haderlap geht es nicht um den großen historischen Zugriff, sondern um individuelle Erfahrungen, die sie – auch in der Erzähltechnik – mosaikartig zu einem zersplitterten Porträt einer Landschaft, deren Geschichte und der Menschen darin zusammensetzt.
Mira heißt die Hauptfigur des Romans, zu der Haderlap in der Distanz der dritten Person bleibt. Sie ist im fiktiven Jaundorf in Südkärnten aufgewachsen, hat dann einen Milieuwechsel vollzogen, in Wien studiert und arbeitet dort nun als Fachreferentin für Bildungs- und Frauenfragen. Für zwei Wochen, so ihr Plan, will Mira nach Jaundorf fahren, um ihrer dort lebenden Mutter Anni eine Nachricht zu überbringen: Anni muss aus dem Haus, in dem sie seit den 1970er-Jahren lebt, ausziehen. Miras Cousin, der Eigentümer des Hauses, will es verkaufen.
Anni bleibt nur noch der Weg in ein Altersheim. Dass das Studium eine Flucht und die Stadt für Mira eine Rettung war, zeigt sich im Umkehrschluss an der Art und Weise, wie sie das Dorf ihrer Kindheit betrachtet – als einen retraumatisierenden Ort, der atmet und die Rückkehrerin einsaugt, seinen Platz in ihr beansprucht; das Dorf „wuchs und schrumpfte, es glühte und dunkelte. Es gehörte zu Miras Gesicht und alterte mit ihr. Zuweilen erschien es ihr fern wie ein Himmelskörper und ließ sie doch in den Nächten nicht schlafen.“
Derlei Beschreibungen, die poetisch funkeln und doch zugleich einen konkreten Zugriff auf die Dingwelt haben, finden sich überall in diesem Buch. „Nachtfrauen“ ist voll von Sätzen, die man gerne zitieren möchte für ihre Genauigkeit, mit der sie Räume, Seelenlagen oder Naturphänomene beschreiben. All das stellt Maja Haderlap so zwingend wie unauffällig in einen kausalen Zusammenhang, dass es nicht mehr zu trennen ist.
Die ersten slowenischen Worte, die Mira mit ihrer Mutter wechselt, „kratzten in ihrem Hals“. Anni ist zu Beginn der 1970er-Jahre aus Slowenien nach Kärnten gezogen. Nach dem Tod ihres Mannes musste sie sich als ungelernte Arbeiterin in einer Fabrik verdingen, um sich und ihre beiden Kinder durchzubringen. Der Unfalltod von Miras Vater ist einer der vielen Glutkerne, die unter dem dichten Erzählteppich schwelen: Anni macht Mira für den Verlust verantwortlich; Mira wiederum muss seit Jahrzehnten mit ihren Schuldgefühlen leben.
Ihr Ausbruch aus dem Dorf war notwendig und selbstverletzend zugleich. Miras Versuch, sich der Sprache als Politikum zu entziehen, hat ihr die Verachtung vieler Dorfbewohner eingebracht. Der Assimilationsdruck, dem die slowenische Minderheit in Kärnten ausgesetzt war, hatte in Mira einen inneren Abwehrreflex ausgelöst: „Das Slowenische war eine Sprache des Bekenntnisses“, resümiert Mira, und zu einem solchen war sie als junge Erwachsene nicht bereit. Die Politik wirkt auf die Psyche. Mira lebt mit depressiven Schüben und Panikattacken.
Alles steht in jenen Tagen ihrer Rückkehr auf dem Prüfstand – das Verhältnis zu ihrer Mutter ebenso wie ihre ohnehin fragile Ehe mit dem Lehrer Martin in Wien. Bei ihrem Weggang war Mira der Sonderfall, ausgebrochen aus einem Automatismus, der Frauen als reines Erbgut begreift, das mit dem Grund und Boden wie selbstverständlich weitergegeben wird. Frauen, so heißt es einmal, arbeiten nicht für ihr eigenes Fortkommen, sondern für das Weiterbestehen der Verhältnisse.
Im Gegenzug hat Mira ihre wissenschaftliche Abschlussarbeit als Untersuchung über die Erwerbstätigkeit ungelernter Frauen angelegt. Die Karteikarten und die verschriftlichten Interviews dazu findet sie beim Ausräumen des Hauses auf dem Speicher. Diese getippten Seiten sind als Erinnerungsauslöser innerhalb des Romans markiert. „Nachtfrauen“ ist ein leises, sich in den Empfindungen der Figuren vorantastendes, aber dennoch wuchtiges und vor allem vielschichtiges Buch: Die Last der Herkunft und das Nachbeben des Krieges sind allgegenwärtig und manifestieren sich in einer bleiernen Sprachlosigkeit, mit der alte und neue Konflikte allseits beschwiegen werden. Das Schweigen hier, so sagt es Anni einmal, sei in Stein gemeißelt.
Eine zweite Ausbruchsfigur, Annis Schwester Dragica, hat im Zweiten Weltkrieg aufseiten der slowenischen Partisanen gekämpft und ist nach Kriegsende in Slowenien geblieben. Ihre und Annis Eltern wurden von den Nationalsozialisten ermordet. So gräbt Maja Haderlap sich vorsichtig Tiefenschicht um Tiefenschicht voran – um im letzten Drittel des Romans noch einmal einen überraschenden kompositorischen Bruch zu vollziehen: Haderlap bleibt in der dritten Person, doch ist nun nicht mehr eng an Miras Seite, sondern an der von Anni. Dieser zunächst irritierende Wechsel ist tatsächlich raffiniert und vor allem nötig, weil er der alten Anni die Hoheit über ihr Leben zurückgibt und eine Würde, die aus ihr selbst kommt und nicht von außen an sie herangeschrieben wird.
Erscheint beispielsweise die Religion aus Miras Perspektive als Unterdrückungs- und Züchtigungsinstrument, wird sie im zweiten Teil für Anni zu einem spirituellen Flucht- und Erlösungsort; zu einem Raum aus Trost und Schönheit. „Wie schade“, denkt Anni, „dass Mira sich den wichtigsten Sprachen verweigert hatte, der slowenischen Schriftsprache und dem Beten.“ Einige Erzählfäden bleiben am Ende von „Nachtfrauen“ unverknüpft. Nicht alles wird auserzählt, nichts rundet sich, und das ist nur konsequent. Maja Haderlap folgt in „Nachtfrauen“ einer eigenen, intuitiv erfassbaren, aber zwingenden Logik. Auch darin bestehen die Schönheit und die Klugheit dieses Romans.
Die Sprache der Schuld und
des Betens versucht die Heldin
zu verweigern
Maja Haderlap:
Nachtfrauen. Roman.
Suhrkamp, Berlin 2023.
294 Seiten, 24 Euro.
Maja Haderlap ist bereits eine Klassikerin der Kärntner slowenischen Literatur, dabei ist "Nachtfrauen" erst ihr zweiter Roman. Sie ist außerdem Lyrikerin und Übersetzerin.
Foto: Heike Steinweg/Suhrkamp
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die schwierige Situation der slowenischen Minderheit in Kärnten hat Maja Haderlap schon in vorherigen Büchern beschrieben, weiß Rezensent Alexander Kosenina, hier steht die junge Mira im Vordergrund, die in ihr (fiktives) Kärtner Heimatdorf zurückkehrt, um den Umzug ihrer Mutter ins Altersheim vorzubereiten. Dort muss sie sich mit den Erinnerungen ihrer Mutter an traumatische und schuldbehaftete Ereignisse unter anderem aus den Jugoslawienkriegen auseinandersetzen, erfahren wir, die von der Sprecherin Petra Morzé zunächst etwas zu behäbig vorgelesen werden. Die Erzählperspektive wechselt nach einem Unfall von Mira zu ihrer Mutter Anni, auch die Stimme wechselt zu Gertrud Roll, die Kosenina "ausdrucksvoll und sensibel" findet. Die Spannungen zwischen deutsch- und slowenischsprachigen Kärtnern und zwischen jenen Erinnerungen, die einen Platz im Leben haben dürfen und denen, die verborgen bleiben müssen, werden in diesem Text "leise und sprachlich fein gearbeitet" greifbar, befindet der Kritiker abschließend.

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»... ein Roman von hoher zeithistorischer Relevanz und literarischer Qualität.« ORF 20231101