[Vorab: Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]
Das Ende ist das Problem so manchen Buches; das Problem von „Nackt über Berlin“ ist dabei nicht, wie es endet, sondern dass es endet. Selten war ich so enttäuscht von einem Roman, dass er
vorbei und ausgelesen war wie in diesem Fall. Ja, das Hauptthema der Lehrersentführung bzw.…mehr[Vorab: Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]
Das Ende ist das Problem so manchen Buches; das Problem von „Nackt über Berlin“ ist dabei nicht, wie es endet, sondern dass es endet. Selten war ich so enttäuscht von einem Roman, dass er vorbei und ausgelesen war wie in diesem Fall. Ja, das Hauptthema der Lehrersentführung bzw. Lehrerseinsperrung war letztlich auserzählt, aber zum Schluss war ich erst recht (aber so schön und nicht so beklemmend-schrecklich wie zuvor der Schuldirektor Lamprecht) gefangen in diesem Jannik-Erzählflow und hätte einfach gerne weiterhin von ihm berichtet bekommen, wie es ihm nun zukünftig ergangen war.
Anfangs, das in Gefangenschaft nehmen des Rektors, wirkte noch wie ein schriller Roadmovie, nur ohne großes Road-Stück, auch wenn der Lamprecht von einer Straße aufgelesen wird, gepaart mit einem Hauch Kunstfilm. Wie ein Stück, das einen die Figuren innerlich zur Räson rufen lässt: „Schluss mit der Albernheit, zurück zum Ernst!“
Aber dieser Eindruck zerfließt, weil er schon an der Quelle eher dürftig aufsprudelte: Jannik (der zunächst als „Janni“ genannte Figur eingeführt wird und Seite um Seite seine kindliche Unbedarftheit verliert und sich schließlich in die Rolle eines sehr viel reiferen und selbstbewussteren JanniK einfindet) liebt klassische Musik und weiß zu jeder Situation einen zu ihr passenden Komponisten mit einem passenden Stück: Da er über weite Strecken des Buchs als Erzähler fungiert, ist man als Leser immer mit der Musik um ihn herum, und sei es, dass sie nur in seinem Kopf spielt, konfrontiert und die ist hier so explizit dargestellt, dass man von Anfang an damit rechnet, dass die Erzählung in die Tiefe gehen wird. Denn welcher Autor, der einfach nur oberflächliche Unterhaltung bieten will, würde schon so sehr „ausufern“ anstelle nur mal nebenher zu erwähnen, dass mal Bach oder mal Mozart gehört wird? Eben. Gut, vielleicht würde das auch der ein oder andere Autor tun, der seiner Erzählung einfach nur einen kulturelleren Anstrich verleihen wollte, aber: Die klassische Musik, seine alten russischen Lieblingskomponisten, sind der eine große Punkt, in dem Jannik von vornherein völlig selbstverständlich und absolut selbstsicher auftritt; er wirkt viel zu authentisch als dass seine Leidenschaft für die Klassik angedichtet wirken würde. Da merkt man: Der Autor kennt sich aus, entweder mit klassischer Musik, oder auch nur damit, wie eine extrem gründliche Recherche vonstatten geht.
An anderer Stelle hatte ich bereits erwähnt, dass ich nach dem halbfertig gelesenen Roman den Eindruck hatte, diese Geschichte sei eine als Liebeserklärung an Tchaikovsky getarnte Liebeserklärung an Rachmaninoff. So intensiv ist Janniks Liebe zur Klassik dargestellt!
In der zweiten Buchhälfte ging dieser Eindruck jedoch etwas unter: Immer häufiger kommt ein externer Erzähler zu Wort, der von und über Jens Lamprecht erzählt und dessen Gefühlsleben sowie (vergangene) Verhaltensweisen präsentiert und klar wird, was Tai antreibt, den Direktor so zu foltern… und je schlechter es Lamprecht geht, desto schlechter fühlt sich auch Jannik, der in Tai weniger den heimlich geliebten, tollen Schwarm zu sehen beginnt, sondern mehr und mehr einen Tyrann, der, nahezu im wahrsten Sinne des Wortes, auch bereit wäre, über Leichen zu gehen. Aber Verknalltheit lässt sich halt auch nicht so einfach abstellen, ebenso wenig wie die Loyalität unter besten Freunden.
„Nackt über Berlin“ ist ein sehr, sehr toller Roman; dass Jannik schwul ist, ist letztlich so nebensächlich wie es in der realen Welt auch egal sein sollte, wer nun welche sexuelle Orientierung hat. Er ist halt in Tai verliebt; ja und? Ein mögliches Coming-out, das schließlich auch stattfindet, wird ebenso wenig auffällig in den Vordergrund gerückt; es spielt auch keine große Rolle: In erster Linie ist dies ein Coming-of-Age-Roman; und wenn Liebesroman, dann Tragödie!