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Am 14. Mai 1970 verhelfen ein Mann und vier Frauen - darunter Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof - in West-Berlin mit Waffengewalt dem Strafgefangenen Andreas Baader zur Flucht. Es war die erste Aktion der Roten Armee Fraktion, die dem Staat den Krieg erklärt hatte und bis zu ihrem letzten Anschlag im Jahr 1993 die Republik immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Kompakt erzählt SPIEGEL-Autor Michael Sontheimer die Geschichte der RAF. Seine Darstellung verarbeitet neueste Erkenntnisse, beleuchtet erstmals das Kräfteverhältnis innerhalb der Gruppe und benutzt dafür exklusive Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Terrorgruppe.…mehr

Produktbeschreibung
Am 14. Mai 1970 verhelfen ein Mann und vier Frauen - darunter Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof - in West-Berlin mit Waffengewalt dem Strafgefangenen Andreas Baader zur Flucht. Es war die erste Aktion der Roten Armee Fraktion, die dem Staat den Krieg erklärt hatte und bis zu ihrem letzten Anschlag im Jahr 1993 die Republik immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Kompakt erzählt SPIEGEL-Autor Michael Sontheimer die Geschichte der RAF. Seine Darstellung verarbeitet neueste Erkenntnisse, beleuchtet erstmals das Kräfteverhältnis innerhalb der Gruppe und benutzt dafür exklusive Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Terrorgruppe.
Autorenporträt
Hahn, BerntBernt Hahn, geboren 1945, ist Sprecher zahlreicher Hörspiele, Lesungen und Rundfunkproduktionen. Er absolvierte seine Ausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Danach stand er über 30 Jahre auf der Bühne, u. a. beim Schauspiel Köln, Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspielhaus Frankfurt, Bochumer Schauspielhaus. In diversen Hörspielproduktionen und in verschiedensten Rollen bei Film und Fernsehen wirkte er mit, z.B. in den Serien »Tatort« und »Die Wache« und 1999 in dem Film »Zechenblues« von Jürgen Weber. Für die Komplettlesung von Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« wurde er 2003 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2010

Baader, Meinhof und ein Maskenmann

Ein suggestiver Verbrechensbericht, der Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion verarbeitet: Michael Sontheimer setzt in seiner kurzen Geschichte der Terrorgruppe neue Akzente.

Wer die alte Bundesrepublik noch kannte, der sieht, wenn er die Augen schließt, die Geschichte der RAF in Fotos und Filmszenen. Da ist Ulrike Meinhof mit abgeschnittenen Haaren, der tote Holger Meins, da sind schließlich Baader und Ensslin in Paris. Man sieht Lederjacken, Waffen und jede Menge zerstörter Fahrzeuge. Und dann, unter Planen, die Schemen der Leichen.

Das ganze Thema ist Teil der kollektiven Identität des deutschen Westens. Dazu passt die schiere Menge des dazu veröffentlichten Materials: Stefan Austs "Baader Meinhof Komplex" hat über achthundert Seiten, Butz Peters reißt diese Marke auch mit Leichtigkeit, und selbst Willi Winkler braucht noch über fünfhundert Seiten. Fünfzehn ehemalige Linksterroristen haben autobiographische Texte verfasst, allein über Ulrike Meinhof füllen die Werke fast ein ganzes Regal. Die Presseartikel sind gar nicht zu zählen, hinzu kommen Spielfilme, Dokumentationen, Hörspiele und Dokudramen. In der medialen Geschichte der RAF gab es alles außer Musicals.

Doch diese Fülle kann auch belasten. Denn es mehren sich die Hinweise darauf, dass das ganze Thema anders aufgearbeitet werden müsste, indem nämlich die Einflüsse sowohl der Stasi als auch der westlichen Geheimdienste mit bedacht werden. Das Verdienst des neuen Buches von Michael Sontheimer ist es nun, durch den Dschungel der populären Darstellungen, die sich oft in Details der Beschreibung zeitgenössischer Flora und Fauna verlieren, einen Pfad zu zeigen. Die Lektüre wirkt befreiend wie die Herauszoom-Funktion bei Google Earth. Wo man sich in der Tiefe dickleibiger Darstellungen leicht im kleinteiligen Zeit- und Lokalkolorit westdeutscher Großstädte der frühen siebziger Jahre verlor, verhilft er dem Leser zu einer höheren Warte. Und von der aus werden die künstlichen Grenzen sichtbar, innerhalb deren bislang das Thema erforscht wurde, zugleich ahnt man mögliche Weiterungen. Immer dort, wo sich der deutsche Linksterrorismus selbst in eine Sackgasse manövriert hatte oder an einem Scheideweg stand, tauchten bis heute rätselhafte Figuren auf, die der Sache noch einmal einen entscheidenden, und das heißt in diesem Zusammenhang immer: fatalen Schub verpassten.

Gleich zu Beginn: Am 14. Mai 1970 soll Andreas Baader befreit werden. Sontheimer sieht darin, nicht ohne bitteren Witz, ein Leitmotiv der RAF. Bis 1977 sollte es für die Terroristen Mal um Mal darum gehen, Andreas Baader, dessen mythische Dimension in Film und Fernsehen in krassem Missverhältnis zu seinen praktischen Fertigkeiten als Revolutionär stand, aus wechselnden Haftanstalten zu befreien. In Berlin war er einem V-Mann des Verfassungsschutzes auf den Leim gegangen, der angab, ihm ein altes Wehrmachts-Waffendepot zeigen zu können. Dort wartete die Polizei.

Zur Befreiung Baaders taten sich die militanten Linken unter Führung Gudrun Ensslins zusammen, aber es war noch ein Mann dabei, dessen Identität bis heute ungeklärt ist. Der Plan war bekanntlich, Baader aus dem Lesesaal des "Zentralinstituts für soziale Fragen" zu befreien, wo er, so die Legende für die Justizverwaltung, mit der damals noch legal wirkenden Ulrike Meinhof an einem Buchprojekt arbeiten wollte. Doch die Befreiung wurde gewalttätiger als gedacht, weil der maskierte Mann gleich zu Beginn zwei Schüsse auf einen Institutsmitarbeiter abgab. Das führte zu einer umfassenderen Schießerei und bewog Ulrike Meinhof, die eigentlich als ahnungslose Überraschte sitzen bleiben sollte, zu ihrem fatalen Sprung in die Illegalität. Dieser maskierte Mann ist also eine Schlüsselfigur der RAF-Geschichte. Aber wer war es?

In einer Veranstaltung zur Vorstellung von Michael Sontheimers Buch hat das ehemalige RAF-Mitglied Astrid Proll gesagt, es habe sich um einen "angeheuerten Profi" gehandelt, der den Novizen im wahrsten Sinne "Schützenhilfe" geben sollte. Auch die verwendeten Waffen weisen in eine seltsame Richtung. Bei der ursprünglichen Waffenbeschaffung ist Baader dem westlichen Dienst in die Falle gegangen. Dann versuchte es Gudrun Ensslin selbst und besuchte, so Sontheimer, die "Wolfsschanze", einen "schummrigen Treffpunkt von Nazis und Kriminellen in Berlin-Charlottenburg". Dort kauften sie einem aus der DDR freigekauften Zuchthäusler für 2000 Mark zwei Pistolen ab, die dann bei der Baader-Befreiung zum Einsatz kamen. Nun stellt sich die Frage, ob die von Sontheimer erst für einen späteren Zeitpunkt festgestellte "Verstrickung der RAF in der Schattenwelt der Geheimdienste" nicht schon von Anfang an bestand und ob es sich bei dem brutalen Schützen nicht um einen agent provocateur dieser oder jener Seite gehandelt hat.

Sontheimer verfügt offenbar über gute Kontakte in die Kreise der RAF-Veteranen. Immer wieder findet sich im Buch das kritische Urteil der Älteren zu Aktionen, die immer blutiger werden, je mehr sich die Linksterroristen im "großen Spiel" der Geheimdienste des späten Kalten Krieges verheddern. Doch auch der Autor selbst markiert eine sehr deutliche Distanz zum blutigen Treiben. Von dem melancholisch-romantischen Blick etwa eines Stefan Aust auf die pervertierten Idealisten ist da nichts mehr zu erkennen. Zu dem nur knapp gescheiterten Anschlag auf einen Bus mit russischen Juden im Dezember 1991 in Budapest stellt Sontheimer fest: "Tiefer als Horst Meyer kann man als deutscher Linker nicht sinken."

Im Schlusskapitel beleuchtet Sontheimer umfassend die Fragen, die sich aktuell bei der Aufarbeitung des RAF-Terrors stellen. Er vermeidet dabei die bei anderen Autoren so beliebte Pose des ewigen Bescheidwissers und schildert mit Bewunderung die Aufklärungsarbeit Michael Bubacks, der wegen seiner Hartnäckigkeit "endgültig zum Albtraum für Generalbundesanwältin Monika Harms und ihre Kollegen wurde". Die mangelhafte juristische Aufarbeitung der RAF-Taten illustriert Sontheimer aber noch an anderen Fällen als an dem von Michael Buback untersuchten Mord an seinem Vater, dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Viele Personen aus dem RAF-Umfeld wurden nur aufgrund sehr fragwürdiger Zeugenaussagen oder der Angaben von V-Leuten verurteilt, andere, sogenannte Sympathisanten, saßen manchmal jahrelang in Untersuchungshaft.

Somit hält auch Sontheimer, wie der ehemalige RAF-Mann Knut Folkerts, die Justiz für kaum geeignet, wirkliche Aufklärung zu betreiben. Aber auch die ehemaligen RAF-Leute schweigen, zum Teil, weil sie noch strafrechtliche Verfolgung zu befürchten haben. Sontheimer schließt sich daher der Idee der Autorin Carolin Emcke an, eine Art Verständigungsforum einzurichten, in dem, kurz gefasst, Amnestie gegen Wahrheit getauscht würde.

Man liest Sontheimers aufklärerisches Buch mit einem Gewinn, der aber nicht bloß historische oder politische Fragen betrifft. Es bleiben auch all die kurzen Geschichten im Sinn, all die gescheiterten Leben, die durch den Kontakt mit dem Linksterror unabänderlich beschädigt wurden, ob es um die damals dramatisch unvorbereiteten Polizisten geht oder um verlorene Jugendliche, die gleich von der Schule oder dem Erziehungsheim für die Revolution gecastet wurden. Sie hingen, wie es Corinna Ponto treffend formulierte, an Fäden, deren Ende sie nicht übersehen konnten.

NILS MINKMAR.

Michael Sontheimer: "Natürlich kann geschossen werden". Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion. DVA, München 2010. 217 S., geb., 19,95 [Euro].

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