Gott gründet eine Familie, aber natürlich nicht so, wie normale Leute das tun. Kevin absolviert in den ersten neun Monaten seines Lebens ein sogenanntes Uterus-Studium. Ein Staubsauger fliegt um die halbe Welt, um eine Staubsaugerin kennenzulernen. Gelbe Astern lachen den Herbst aus. Fünf Freunde wollen Formel 1 Grand Prix fahren, haben aber keine passenden Autos. Eines Tages ruft der Bundeskanzler an und will im Garten zelten. Sabrina erklärt, dass sie an gesellschaftlichen Diskussionen überhaupt nicht mehr teilnehmen wolle, weil ihr die Gesellschaft zu doof sei. So wunderbar heitere, absurde und tiefsinnige Geschichten hat man lange nicht gelesen. Hier erfahren Sie viel über das Leben, und zwar direkt vom Leben selbst.
CD | |||
1 | Guten Abend | 00:00:20 | |
2 | Ein schräger Vogel | 00:03:53 | |
3 | Die Hinterlist | 00:01:44 | |
4 | Die Geschichte der Arbeit | 00:05:06 | |
5 | Adjektive | 00:01:40 | |
6 | Die Liebe | 00:00:43 | |
7 | Die Harmonie | 00:00:17 | |
8 | Neues von Gott | 00:04:25 | |
9 | Der Dienstagsclub | 00:06:14 | |
10 | Lass mich | 00:04:23 | |
11 | Schwalben erwünscht | 00:05:59 | |
12 | Was so passiert | 00:04:01 | |
13 | Der Weltcup | 00:04:44 | |
14 | Sexualkunde | 00:04:32 | |
15 | Oleandertag | 00:03:57 | |
16 | Mein liebstes Hobby | 00:04:33 | |
17 | Der Ankermann | 00:00:58 | |
18 | Bohnen | 00:02:11 | |
19 | Slums | 00:05:34 | |
20 | Für Cat Stevens | 00:00:40 | |
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21 | Vater und Sohn | 00:02:55 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2004Das Land unter dem Apfelbaum
Funny van Dannen teilt Deutschland: entweder man liebt ihn, oder man kennt ihn nicht. Jetzt hat er seinen ersten Bestseller geschrieben
Ich war noch nie in diesem Café, aber ich kenne es schon sehr gut. Ich weiß, daß der Wirt ein alter Bulgare ist, daß "Plunder, Ikonen, blaue Püppchen und Madonnen" ("Stuttgarter Zeitung") beziehungsweise "Kunsthandwerk im vergoldeten Rokoko-Rahmen aus Pappmaché" ("Tagesspiegel") an den Wänden hängen, daß aber auch echte Leute hier Kaffee trinken, nicht bloß Künstler. Mindestens vier Kollegen sind schon hierhergepilgert ins "Wiener Café" in Berlin-Tempelhof, um den Liedermacher Funny van Dannen zu treffen.
Für Journalisten natürlich ideal: Wer hier keine Atmo-Eindrücke aufschnappt, keine kleinen Beobachtungen, die den Schlüssel zum komplexen Werk des Künstlers liefern, hat den Job verfehlt. Und die Ausgangslage für so einen Text ist schwer genug: Man kennt sowohl die, die van Dannen und seine Songs ("Als Willy Brandt Bundeskanzler war", "Nana Mouskouri", "Gutes tun") schon seit Jahren in- und auswendig kennen, als auch andere, die den Namen noch nie gehört haben. Funny van Dannen ist Leitkultur in einer Parallelgesellschaft.
Andererseits macht es einem dieses Café auch zu einfach. Kaum hat man Platz genommen, beginnt der womöglich bulgarische Wirt - er trägt dunkle Samtpantoffeln mit einer bunten Stickerei - mit einem alten Mann einen Austausch über das "Lebben", das man eben "lebben müsse", sonst sei es keins. Kein Lebben. Später wird ein Gast in tiefem und vor allem lautem Berliner Brustton verkünden, daß Puten häßlicher sind als Gänse, und daraus wieder seine Schlüsse ziehen.
Und hier, in diesem Café, das selbst schon fast Legende ist, sitzt Funny van Dannen und grinst und scheint das alles nicht zu hören. Er rührt in seiner Schokolade. Später wird er behaupten, es gebe halt kein anderes Café in seiner Nähe, und dabei auf das "Café Fantasie" zeigen, das auf der anderen Straßenseite liegt: "Oder würden Sie lieber in so was gehen?" Man kann auf den ersten Blick gar keinen Unterschied zwischen beiden Lokalen erkennen.
Funny van Dannen wurde durch Auftritte und seine CDs ("Herzscheiße", "Uruguay") mit präzisen, skurrilen und hochpoetischen Songs bekannt. Nun ist er seit einigen Wochen und zum allerersten Mal ein Bestsellerautor. Sein Buch "Neues von Gott" hält sich wacker auf der "Spiegel-Liste", zur Zeit Platz 14, das ist gar nicht schlecht und eine echte Überraschung. Und an diesem Vormittag sogar für ihn: Ach, sei das Buch da immer noch, in der Liste da, fragt er, nicht kokett, aufrichtig interessiert. Gut, einmal, in der ersten Woche, da habe er sich sogar den "Spiegel" gekauft, um mal nachzusehen, weil man ihm schon angekündigt hatte, "Neues von Gott" sei in den Charts. Aber daß es sich da immer noch hält, das wußte er nicht. Es gibt Kollegen, nicht mal die allergierigsten, die Bücher geschrieben haben und ihre Listenplazierung nahezu stündlich abfragen.
Warum hat er jetzt diesen Erfolg. Es gibt da mehrere denkbare Antworten. Van Dannen selbst sagt, es habe mit seinem Auftritt in der Radio-Bremen-Talkshow "III nach Neun" zu tun, am 24. September. Seitdem sei der Bucherfolg da. Der Erfolg in dieser Sendung, der verdankt sich nicht allein der ansteckenden Begeisterung von Amelie Fried oder den Lachanfällen der Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen nach den van Dannenschen Äußerungen, er beruht, soweit man das im nachhinein beurteilen kann, auf einem Satz, einem Hammer-Satz in Zeiten von Hartz, und, später, einer wohlplazierten Gemeinheit. Es war eine Steigerung: Als Amelie Fried van Dannen fragt, welchen Beruf er angibt, wenn er sich irgendwo anmeldet, sagt er, leicht bedauernd: "Ich hab' keinen Beruf. Eigentlich nicht. Ich wär' gern Wissenschaftler geworden, aber die Schule hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht", und das war keine Pose, sondern einfach die Wahrheit. Aber der entscheidende Satz kommt etwas später, als Antwort auf die Bemerkung, so, wie er sich anstelle, könne er doch kaum darauf hoffen, eines Tages berühmt zu werden. Darauf van Dannen: "Ich will gar nicht berühmt werden. Ich sitz' supergern unterm Apfelbaum und denke nichts."
Heftiger Applaus und anerkennendes Nicken bei den anderen Talkgästen für dieses wohlpazierte anachronistische Statement, mit dem die Alternative klar benannt ist: Es gibt das Deutschland von Dieter Bohlen, Hans-Olaf Henkel und Jürgen Schrempp, und dann gibt es das Land des Funny van Dannen. Und daß er nicht nur weise und milde ist, das zeigte er mit einer Frage zum Film "Der Untergang". Heino Ferch war auch geladen, hatte aber die Talkrunde früher verlassen. "Galt denn Albert Speer nicht immer als Intellektueller? Ich wollt' nichts sagen, weil der ja so nett ist. Aber: Ist denn der Heino Ferch da nicht komplett fehlbesetzt?" Die Heiterkeit im Saal will gar nicht mehr abklingen.
Das war ein lustiger Auftritt, und die Zuschauer mögen es mittlerweile ganz gerne, wenn jemand nicht mehr den Niedergang der ökonomischen Kraft des Landes bejammert, sondern das Leben nach dem beziehungsweise ohne das Geld schon einmal vorlebt und damit sehr gut den Status quo in Berlin repräsentiert, wo nur noch zwanzig Prozent der Einwohner von ihrem Arbeitseinkommen leben.
Aber das allein kann es nicht sein. Das Buch muß auch einen eigenen Reiz entfalten. Es könnte sein, daß die Leute eben gerne mal wieder was "Neues von Gott" hören möchten. Wenn man den Titel wörtlich nimmt, dann hat van Dannen damit das neueste Testament vorgelegt und sich die Rolle eines Propheten angemaßt. Angst vor Blasphemievorwürfen fundamentalistischer Leser hat er nicht: "Ich finde, Gott kommt bei mir sehr gut weg", sagt er und lacht gar nicht.
Es gibt da diese eine Geschichte, in der ein guter Mann namens Karsten Tewes, der sich als Künstler Sven Fowler genannt hatte, nach seinem Ableben vor der Himmelstür steht und abgewiesen wird, weil der Himmel voll ist: zu viele Meerschweinchen. Alle Seelen sind gleich wichtig, und "so liebe Tierchen wie Meerschweinchen müssen natürlich in den Himmel kommen, da gibt es nichts zu kritisieren". Dennoch macht sich langsam Unmut breit unter den Wartenden auf den Goldenen Stufen vor der Himmelspforte, schließlich erscheint Gott. Er ist riesig, die Leute sind ergriffen, denn so riesig hatten sie sich ihn nicht vorgestellt. Gott "trug unzählige Pelz- und Fellmäntel übereinander und sprach über die kosmische Kälte, er verfluchte sie sogar (. . .) Gott beschrieb die kosmische Kälte zwischen den Flüchen unglaublich gut, und irgendwann stimmten die Menschen in die Flüche ein, während sich Gott langsam in Bewegung setzte, und er brachte sie durch einen Hintereingang in den Himmel. Seitdem freuen sie sich über jedes neue Meerschweinchen, auch Sven Fowler."
Funny van Dannen spricht viel von seiner Kindheit und Jugend in Tüddern, ganz im westlichsten Westen der Republik, der sich in den Beschreibungen allerdings schon wieder anhört wie ein kultureller Osten. Eine katholische Enklave an der Grenze zu den Niederlanden ist das, wo man einen eigenen Dialekt pflegt und früher viel zur Gitarre sang. Volksmusik, weder Folk noch Stadl. So richtig nach ländlicher Idylle hört es sich aber nicht an, wenn er davon erzählt, wie es in seiner Kindheit war. Asthma habe er gehabt und Neurodermitis, daher freut er sich heute über einen Tag, an dem er ohne Schmerzen atmen kann.
Die Erzähltechniken der biblischen Geschichten sind ihm vertraut, und er nutzt sie: Tiere sprechen, Autos verwandeln sich in Oleandersträucher, und gelbe Astern sind gar nicht so nett, wie man immer glaubt, "Hau ab Du braune Trauersau" rufen sie etwa dem Herbst hinterher. Religiös kann man sein Werk dennoch nicht wirklich nennen, es ist eher kosmologisch, weil selbst Küchenmesser dort eine Seele und eine Stimme haben. Es ist romantisch, weil es vom poetischen Blick auf das Detail im Alltag lebt. Und es ist existentialistisch, weil hier das Subjekt etwas ist, dem etwas zustößt. Und sei es ein Anruf des Bundeskanzlers, der im Hinterhof zelten möchte, wenn nicht, in einer anderen Geschichte, der Erzähler überraschend selbst zum Kanzler gewählt wird. Erst erschrickt er, resümiert aber später: "Ich bin mit Hilfe meiner Frau an der Aufgabe gewachsen, und ich kann andere nur ermutigen: Falls es sie auch mal trifft, nur zu, so eine Chance kriegt man selten zweimal!"
Die spezifische van Dannensche Art, sich in der Welt zu bewegen, setzt etwas voraus, es ist eine seiner Lieblingseigenschaften: Leichtigkeit. Er hat eine Ode an Kartons verfaßt, in der er den Wunsch äußert, mal in einem solchen bestattet zu werden, im Gedenken an die "geliebte Leichtigkeit". Und es gibt ein Lied, in dem er sich ein Haus aus Styropor baut, das ihm zwar auch nicht so toll gefällt, aber es ist eben so schön leicht.
Doch man muß es auch verstehen, das Leben mit leichten Stoffen auszukleiden, und daß man gerade das, das Wichtigste also, in der Schule nicht lernt und auch sonst zu wenig für die viele Zeit, die man noch verbringen wird, darüber kann sich der Vater von vier Söhnen schwer erregen. Funny van Dannens Werk lebt vom Ausblenden des Mainstreams und der autonomen Neuordnung des Verhältnisses von Alltagswelt und Transzendenz in der Suche nach Leichtigkeit, aber auch das ist eine Kulturtechnik, die vermittelt werden kann, in einer postindustriellen Gesellschaft dringender denn je. Eines freilich kommt dabei zu kurz, das Geldverdienen. Aber auch dazu gibt es einen unvergeßlichen Satz des Tempelhofer Künstlers als Familienmensch: "Ich könnte mehr Geld verdienen. Besser leben könnte ich nicht."
Und weil wir in der Welt des Funny van Dannen sind, paßt am Ende wieder alles zusammen: Die Rechnung für die an diesem langen Vormittag im "Wiener Café" verzehrten Getränke ist derart niedrig, daß man an einen Irrtum glauben muß. Nee, nee, keckert der alte Wirt, das sei schon o.k., und bringt spontan so einen weisen und leichten Spruch, den man, selbst wenn man ihn verstanden hätte, gar nicht mehr hätte aufschreiben mögen. Zu leicht.
NILS MINKMAR
Funny van Dannen. "Neues von Gott". Antje-Kunstmann-Verlag 2004. 14,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Funny van Dannen teilt Deutschland: entweder man liebt ihn, oder man kennt ihn nicht. Jetzt hat er seinen ersten Bestseller geschrieben
Ich war noch nie in diesem Café, aber ich kenne es schon sehr gut. Ich weiß, daß der Wirt ein alter Bulgare ist, daß "Plunder, Ikonen, blaue Püppchen und Madonnen" ("Stuttgarter Zeitung") beziehungsweise "Kunsthandwerk im vergoldeten Rokoko-Rahmen aus Pappmaché" ("Tagesspiegel") an den Wänden hängen, daß aber auch echte Leute hier Kaffee trinken, nicht bloß Künstler. Mindestens vier Kollegen sind schon hierhergepilgert ins "Wiener Café" in Berlin-Tempelhof, um den Liedermacher Funny van Dannen zu treffen.
Für Journalisten natürlich ideal: Wer hier keine Atmo-Eindrücke aufschnappt, keine kleinen Beobachtungen, die den Schlüssel zum komplexen Werk des Künstlers liefern, hat den Job verfehlt. Und die Ausgangslage für so einen Text ist schwer genug: Man kennt sowohl die, die van Dannen und seine Songs ("Als Willy Brandt Bundeskanzler war", "Nana Mouskouri", "Gutes tun") schon seit Jahren in- und auswendig kennen, als auch andere, die den Namen noch nie gehört haben. Funny van Dannen ist Leitkultur in einer Parallelgesellschaft.
Andererseits macht es einem dieses Café auch zu einfach. Kaum hat man Platz genommen, beginnt der womöglich bulgarische Wirt - er trägt dunkle Samtpantoffeln mit einer bunten Stickerei - mit einem alten Mann einen Austausch über das "Lebben", das man eben "lebben müsse", sonst sei es keins. Kein Lebben. Später wird ein Gast in tiefem und vor allem lautem Berliner Brustton verkünden, daß Puten häßlicher sind als Gänse, und daraus wieder seine Schlüsse ziehen.
Und hier, in diesem Café, das selbst schon fast Legende ist, sitzt Funny van Dannen und grinst und scheint das alles nicht zu hören. Er rührt in seiner Schokolade. Später wird er behaupten, es gebe halt kein anderes Café in seiner Nähe, und dabei auf das "Café Fantasie" zeigen, das auf der anderen Straßenseite liegt: "Oder würden Sie lieber in so was gehen?" Man kann auf den ersten Blick gar keinen Unterschied zwischen beiden Lokalen erkennen.
Funny van Dannen wurde durch Auftritte und seine CDs ("Herzscheiße", "Uruguay") mit präzisen, skurrilen und hochpoetischen Songs bekannt. Nun ist er seit einigen Wochen und zum allerersten Mal ein Bestsellerautor. Sein Buch "Neues von Gott" hält sich wacker auf der "Spiegel-Liste", zur Zeit Platz 14, das ist gar nicht schlecht und eine echte Überraschung. Und an diesem Vormittag sogar für ihn: Ach, sei das Buch da immer noch, in der Liste da, fragt er, nicht kokett, aufrichtig interessiert. Gut, einmal, in der ersten Woche, da habe er sich sogar den "Spiegel" gekauft, um mal nachzusehen, weil man ihm schon angekündigt hatte, "Neues von Gott" sei in den Charts. Aber daß es sich da immer noch hält, das wußte er nicht. Es gibt Kollegen, nicht mal die allergierigsten, die Bücher geschrieben haben und ihre Listenplazierung nahezu stündlich abfragen.
Warum hat er jetzt diesen Erfolg. Es gibt da mehrere denkbare Antworten. Van Dannen selbst sagt, es habe mit seinem Auftritt in der Radio-Bremen-Talkshow "III nach Neun" zu tun, am 24. September. Seitdem sei der Bucherfolg da. Der Erfolg in dieser Sendung, der verdankt sich nicht allein der ansteckenden Begeisterung von Amelie Fried oder den Lachanfällen der Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen nach den van Dannenschen Äußerungen, er beruht, soweit man das im nachhinein beurteilen kann, auf einem Satz, einem Hammer-Satz in Zeiten von Hartz, und, später, einer wohlplazierten Gemeinheit. Es war eine Steigerung: Als Amelie Fried van Dannen fragt, welchen Beruf er angibt, wenn er sich irgendwo anmeldet, sagt er, leicht bedauernd: "Ich hab' keinen Beruf. Eigentlich nicht. Ich wär' gern Wissenschaftler geworden, aber die Schule hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht", und das war keine Pose, sondern einfach die Wahrheit. Aber der entscheidende Satz kommt etwas später, als Antwort auf die Bemerkung, so, wie er sich anstelle, könne er doch kaum darauf hoffen, eines Tages berühmt zu werden. Darauf van Dannen: "Ich will gar nicht berühmt werden. Ich sitz' supergern unterm Apfelbaum und denke nichts."
Heftiger Applaus und anerkennendes Nicken bei den anderen Talkgästen für dieses wohlpazierte anachronistische Statement, mit dem die Alternative klar benannt ist: Es gibt das Deutschland von Dieter Bohlen, Hans-Olaf Henkel und Jürgen Schrempp, und dann gibt es das Land des Funny van Dannen. Und daß er nicht nur weise und milde ist, das zeigte er mit einer Frage zum Film "Der Untergang". Heino Ferch war auch geladen, hatte aber die Talkrunde früher verlassen. "Galt denn Albert Speer nicht immer als Intellektueller? Ich wollt' nichts sagen, weil der ja so nett ist. Aber: Ist denn der Heino Ferch da nicht komplett fehlbesetzt?" Die Heiterkeit im Saal will gar nicht mehr abklingen.
Das war ein lustiger Auftritt, und die Zuschauer mögen es mittlerweile ganz gerne, wenn jemand nicht mehr den Niedergang der ökonomischen Kraft des Landes bejammert, sondern das Leben nach dem beziehungsweise ohne das Geld schon einmal vorlebt und damit sehr gut den Status quo in Berlin repräsentiert, wo nur noch zwanzig Prozent der Einwohner von ihrem Arbeitseinkommen leben.
Aber das allein kann es nicht sein. Das Buch muß auch einen eigenen Reiz entfalten. Es könnte sein, daß die Leute eben gerne mal wieder was "Neues von Gott" hören möchten. Wenn man den Titel wörtlich nimmt, dann hat van Dannen damit das neueste Testament vorgelegt und sich die Rolle eines Propheten angemaßt. Angst vor Blasphemievorwürfen fundamentalistischer Leser hat er nicht: "Ich finde, Gott kommt bei mir sehr gut weg", sagt er und lacht gar nicht.
Es gibt da diese eine Geschichte, in der ein guter Mann namens Karsten Tewes, der sich als Künstler Sven Fowler genannt hatte, nach seinem Ableben vor der Himmelstür steht und abgewiesen wird, weil der Himmel voll ist: zu viele Meerschweinchen. Alle Seelen sind gleich wichtig, und "so liebe Tierchen wie Meerschweinchen müssen natürlich in den Himmel kommen, da gibt es nichts zu kritisieren". Dennoch macht sich langsam Unmut breit unter den Wartenden auf den Goldenen Stufen vor der Himmelspforte, schließlich erscheint Gott. Er ist riesig, die Leute sind ergriffen, denn so riesig hatten sie sich ihn nicht vorgestellt. Gott "trug unzählige Pelz- und Fellmäntel übereinander und sprach über die kosmische Kälte, er verfluchte sie sogar (. . .) Gott beschrieb die kosmische Kälte zwischen den Flüchen unglaublich gut, und irgendwann stimmten die Menschen in die Flüche ein, während sich Gott langsam in Bewegung setzte, und er brachte sie durch einen Hintereingang in den Himmel. Seitdem freuen sie sich über jedes neue Meerschweinchen, auch Sven Fowler."
Funny van Dannen spricht viel von seiner Kindheit und Jugend in Tüddern, ganz im westlichsten Westen der Republik, der sich in den Beschreibungen allerdings schon wieder anhört wie ein kultureller Osten. Eine katholische Enklave an der Grenze zu den Niederlanden ist das, wo man einen eigenen Dialekt pflegt und früher viel zur Gitarre sang. Volksmusik, weder Folk noch Stadl. So richtig nach ländlicher Idylle hört es sich aber nicht an, wenn er davon erzählt, wie es in seiner Kindheit war. Asthma habe er gehabt und Neurodermitis, daher freut er sich heute über einen Tag, an dem er ohne Schmerzen atmen kann.
Die Erzähltechniken der biblischen Geschichten sind ihm vertraut, und er nutzt sie: Tiere sprechen, Autos verwandeln sich in Oleandersträucher, und gelbe Astern sind gar nicht so nett, wie man immer glaubt, "Hau ab Du braune Trauersau" rufen sie etwa dem Herbst hinterher. Religiös kann man sein Werk dennoch nicht wirklich nennen, es ist eher kosmologisch, weil selbst Küchenmesser dort eine Seele und eine Stimme haben. Es ist romantisch, weil es vom poetischen Blick auf das Detail im Alltag lebt. Und es ist existentialistisch, weil hier das Subjekt etwas ist, dem etwas zustößt. Und sei es ein Anruf des Bundeskanzlers, der im Hinterhof zelten möchte, wenn nicht, in einer anderen Geschichte, der Erzähler überraschend selbst zum Kanzler gewählt wird. Erst erschrickt er, resümiert aber später: "Ich bin mit Hilfe meiner Frau an der Aufgabe gewachsen, und ich kann andere nur ermutigen: Falls es sie auch mal trifft, nur zu, so eine Chance kriegt man selten zweimal!"
Die spezifische van Dannensche Art, sich in der Welt zu bewegen, setzt etwas voraus, es ist eine seiner Lieblingseigenschaften: Leichtigkeit. Er hat eine Ode an Kartons verfaßt, in der er den Wunsch äußert, mal in einem solchen bestattet zu werden, im Gedenken an die "geliebte Leichtigkeit". Und es gibt ein Lied, in dem er sich ein Haus aus Styropor baut, das ihm zwar auch nicht so toll gefällt, aber es ist eben so schön leicht.
Doch man muß es auch verstehen, das Leben mit leichten Stoffen auszukleiden, und daß man gerade das, das Wichtigste also, in der Schule nicht lernt und auch sonst zu wenig für die viele Zeit, die man noch verbringen wird, darüber kann sich der Vater von vier Söhnen schwer erregen. Funny van Dannens Werk lebt vom Ausblenden des Mainstreams und der autonomen Neuordnung des Verhältnisses von Alltagswelt und Transzendenz in der Suche nach Leichtigkeit, aber auch das ist eine Kulturtechnik, die vermittelt werden kann, in einer postindustriellen Gesellschaft dringender denn je. Eines freilich kommt dabei zu kurz, das Geldverdienen. Aber auch dazu gibt es einen unvergeßlichen Satz des Tempelhofer Künstlers als Familienmensch: "Ich könnte mehr Geld verdienen. Besser leben könnte ich nicht."
Und weil wir in der Welt des Funny van Dannen sind, paßt am Ende wieder alles zusammen: Die Rechnung für die an diesem langen Vormittag im "Wiener Café" verzehrten Getränke ist derart niedrig, daß man an einen Irrtum glauben muß. Nee, nee, keckert der alte Wirt, das sei schon o.k., und bringt spontan so einen weisen und leichten Spruch, den man, selbst wenn man ihn verstanden hätte, gar nicht mehr hätte aufschreiben mögen. Zu leicht.
NILS MINKMAR
Funny van Dannen. "Neues von Gott". Antje-Kunstmann-Verlag 2004. 14,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main