Produktdetails
- Verlag: Eichborn
- ISBN-13: 9783821851297
- Artikelnr.: 24849781
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.1999Das raue Glück, Max Aub zu lesen
Epos des Spanischen Bürgerkriegs: Aubs Romanzyklus in ersten Bänden · Von Paul Ingendaay
Wer die Mahnung der modernen Literaturtheorie im Ohr hat, nur das geschriebene Wort gelten zu lassen, den Autor dagegen als Störfaktor von eher schwabbeliger Konsistenz zu betrachten, der kann vor den Werken des spanischen Schriftstellers Max Aub (1903 bis 1972) nur mit offenem Mund dasitzen, sich langsam erheben und ratlos davonschleichen. Denn keine Zeile des "Magischen Labyrinths", eines sechsbändigen Romanzyklus über den Spanischen Bürgerkrieg, will als "reiner Text" gelesen werden. Und eine klare Grenze zwischen Fiktion und Geschichte, Epos und Zeugenschaft ist darin nicht auszumachen.
Die Tragik des Künstlers Max Aub lag darin, dass seine Bücher jahrzehntelang in das Vakuum der franquistischen Zensur gehüllt waren und nie das Publikum erreichten, für das sie geschrieben wurden: die Landsleute drinnen und draußen, ob sie nun zu den Siegern des Krieges zählten oder zu den Besiegten. So gingen die Jahrzehnte dahin, und als Franco 1975 starb, hatte Max Aub im mexikanischen Exil längst sein Grab gefunden. Die Wiederentdeckung eines herausragenden Vertreters der spanischen Moderne dauert noch an. Rafael Chirbes hat ihn wiederholt als seinen Lehrmeister bezeichnet, und tatsächlich ist Aubs Handschrift in Chirbes' Roman "Der lange Marsch" (deutsch 1997) unverkennbar. Ein weiterer Vertreter der mittleren Generation, Antonio Muñoz Molina, nutzte seine Antrittsrede in der Spanischen Akademie vor drei Jahren für eine Hommage an den Mann, der erst drei Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkriegs wieder spanischen Boden betrat.
Derweil dürfen wir, solange eine kritische Ausgabe in der Originalsprache auf sich warten lässt, beim Frankfurter Eichborn Verlag ein Muster der Literaturarchäologie bestaunen: Seit 1996 erschienen der Roman "Die besten Absichten", die fiktive Künstlerbiographie "Jusep Torres Campalans" und der Erzählband "Der Mann aus Stroh". In diesem Jahr schließlich folgten die ersten beiden, von Mercedes Figueras verschwenderisch kommentierten Bände des "Magischen Labyrinths".
Die Vita Max Aubs, eines Mannes zwischen alles Stühlen, könnte einem Roman von Eric Ambler entstammen. Geboren in Paris als Sohn eines Deutschen und einer Französin, verschlägt es den Elfjährigen nach Valencia, weil es den jüdischen Eltern beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Frankreich zu gefährlich wird. Max Aub wählt sich das Spanische zur Literatursprache; schon mit zwölf schreibt er seine ersten Gedichte, mit neunzehn avantgardistische Theaterstücke. Statt eines geisteswissenschaftlichen Studiums jedoch ergreift er den Beruf des Vaters und reist in den zwanziger Jahren als Handelsvertreter durchs Land. Die Beobachtungen der spanischen Topographie leuchten wie Lyrik aus seinen späteren Werken heraus.
Befreundet mit Buñuel, García Lorca, Machado und Malraux, wird der Sozialist Max Aub in den Jahren der Zweiten Republik zum Anreger und polyglotten Vermittler unter den Künsten; als Kulturattaché in Paris vergibt er an Picasso den Auftrag, für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung von 1937 ein Wandgemälde zu schaffen. Daraus entsteht "Guernica", die klassische Darstellung der Gräuel des Bürgerkriegs. Kaum zwei Jahre später, am 28. März 1939, ist die Niederlage der Republik mit der Besetzung Madrids durch Franco besiegelt.
Für Aub beginnt eine dreijährige Odyssee durch Frankreich, Algerien und Marokko, in deren Verlauf er viermal verhaftet wird, Gefängnisse und Konzentrationslager erduldet und dann auch noch Bücher daraus macht. Nach seiner Flucht aus dem algerischen Lager Djelfa hält er sich drei Monate lang in einer Frauenklinik in Casablanca versteckt, bevor ihm im Herbst 1942 mit der Hilfe des mexikanischen Konsuls in Frankreich die Ausreise nach Mexiko gelingt. Erst vier Jahre später stoßen seine Frau und seine drei Töchter zu ihm. Dreitausend Bände seiner Privatbibliothek lässt der mexikanische Zoll Anfang der fünfziger Jahre passieren, den Rest bekommt Max Aub erst wieder zu Gesicht, als Franco ihm 1969 einen Kurzaufenthalt in Spanien bewilligt. Die spanische Ausgabe seiner Tagebücher enthält ein reiches Sortiment von Hilfsgesuchen, Visa, Identitätsnachweisen, Zollgenehmigungen und polizeilichen Dokumenten: der armselige bürokratische Rest, in dem sich die Demütigungen des Flüchtlings niederschlagen.
Kaum etwas von dieser Stimmung findet sich in "Nichts geht mehr" (Campo cerrado), dem ersten Band des "Magischen Labyrinths". Dabei waren die Eindrücke des Krieges und der Niederlage noch frisch, als Max Aub den Roman in den Sommermonaten des Jahres 1939 in Paris aufs Papier warf - zehn Manuskriptseiten täglich, die erste konzentrierte literarische Arbeit seit Jahren. Der Auftakt: In den abgeriegelten Gassen eines Dorfes der Provinz Castellón wird wie in jedem September der "Feuerstier" losgelassen. "Pfeilschnell rast das Tier vorbei, flieht vor sich selbst, brennender männlicher Fluch, Fleisch und Blut gewordener Mythos, Geruch nach versengtem Horn. Da stürzt er bergan, da kehren der Mond und sein schwacher Schatten auf den frischen Kalk der Gemäuer zurück. Der Stier hat keine Wahl, hetzt weiter im Kreis; das Aufbrausen der Stimmen auf der Plaza kündigt den Zuschauern in den Gassen seine Wiederkehr an."
Nicht nur das Minotaurus-Motiv, auch das Feuer und die sichere Rückkehr ungezähmten Schreckens weisen auf das Morden im Bürgerkrieg voraus. Doch Max Aub raunt nicht und dramatisiert nicht. Er beginnt seinen Zyklus eher wie einen Bildungsroman im Zeitraffer, mit lakonischen Kapiteln über einen mittelmäßigen Helden. Rafael Serrador, einen Bauernburschen ohne größere Aussichten, treibt es mit sechzehn nach Barcelona, wo er als Goldschmiedelehrling und Fabrikarbeiter unterkommt. Bald schon sind die nächtlichen Gesprächsrunden in den Cafés fast das Einzige, was wir von ihm erfahren: Verstiegene politische Ideen dringen an seine unbedarften Ohren, die Rhetorik von Monarchisten, Sozialisten, Anarchosyndikalisten und Falangisten der ersten Stunde. Rafael weiß nicht, wozu er inmitten von so viel ernstem Willen zur Menschheitsbeglückung gut sein soll, und wird es nie erfahren. Er wechselt die Lager nach vager Opportunität, begeht gar einen Mord an einer Prostituierten, dessen Motiv Rache sein könnte, aber auch Langeweile, und tappt im sich radikalisierenden Milieu der Vorkriegsjahre genauso führungslos dahin wie viele andere.
Die Vielen sind Max Aubs Thema: ihre Suche nach der politischen Zauberformel, ihre Verfallstheorien, Rechtfertigungslehren und dazu ein paar bedeutsame Momente wie Triumph, Verrat oder ein anonymer Tod. Vergleichbar den Figurengalerien eines John Dos Passos, bevölkert der Autor sein Universum mit Heerscharen von Sinnsuchern, nennt Namen, Herkunft, Marotten und Profession. Ein Schicksal kann hier mit sieben Zeilen abgehandelt sein, und gerade in der Tragik wird Aub ganz wortkarg. Als wäre über die Antriebskräfte des lebenden Menschen viel nachzudenken, über das Ende mit Schrecken aber nicht. Verblüffenderweise nimmt dieses kalkulierte Ungleichgewicht in der Darstellung von Chaos und Krieg sehr für ihn ein. Man braucht das Zutrauen auch, um das teilweise doch recht zähe Debattenmarathon zu überstehen. "Spanien ist ein ungehobeltes Land", heißt es einmal, "und für nichts töten wir uns lieber als für Sophismen." Das hätte nicht so sein müssen, denkt der Leser sechzig Jahre später, und gar so viel Tresenphilosophie, wie die Wirklichkeit produziert hat, sollte man einem Roman nicht aufbürden.
Das Schönste aber ist der Ton des Erzählers Max Aub, wo er wirklich Erzähler ist: lässig, präzis, pointiert, mit reichem Vokabular, dabei ohne einen Hauch von Renommierabsicht, eine Sprache, die mühelos das Ende unseres Jahrhunderts erreicht. Die Übersetzer Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold haben diesen Swing in ein biegsames, variantenreiches Deutsch gebracht. Sie trauen sich auch etwas - verzichten etwa auf die Übertragung einiger Klangspiele, was man gar nicht müsste, und lassen dafür an anderer Stelle die Übersetzung noch etwas mehr pieken als das Original. Das hätte Max Aub, wäre er Deutscher gewesen, vielleicht genauso gemacht.
Wohin der Autor mit seinem Werk will und welche Dimensionen es annimmt, zeigt der zweite, dickere Band "Theater der Hoffnung" (Campo abierto), der zwischen 1948 und 1950 in Mexiko entstand und 1961 schon einmal unter dem Titel "Bittere Tränen" auf Deutsch erschienen ist. Hier fächert Aub sein Personal noch weiter auf und spielt (wie um zu zeigen, dass er's kann) ein paar Varianten erzählerischer Ordnung durch. Zunächst liefert er in sechs Kapiteln sechs Lebensläufe, von denen wir nicht wissen, was sie uns später noch anzugehen haben. Mitglieder einer republikanischen Theatertruppe werden vorgestellt, ein Setzer, der zufällig erschossen wird, ein skrupelloser Geschäftemacher, der schon weniger zufällig erschossen wird. Spätestens jetzt, nach knapp zweihundert Seiten, versucht der Leser nicht mehr, alle Figuren im Auge zu behalten, sondern achtet vor allem auf den großen Karren und sein Gesamtschlingern: Liebende, die getrennt werden, Ehefrauen, die ihre Männer verraten, Söhne, die ihre Väter vor dem Genickschuss bewahren wollen, Gewerkschafter und Literaten, Polizisten und Militärs, alle auf den gegenwärtigen Kriegsmoment fixiert und zwischen den Zähnen ihren ideologischen Proviant, der ihnen im entscheidenden Moment wenig nützt.
Heute wissen wir, dass die meisten Opfer des Bürgerkriegs nicht an der Front, sondern hinter den Linien starben, durch Terror, Erschießungskommandos und die Repressionswelle in den ersten Jahren der Franco-Diktatur. Max Aub schildert diese Willkür mit der Kühle eines Aleksandar Tisma und durchaus mit weniger Parteilichkeit, als von einem Republikaner im Exil zu erwarten gewesen wäre. Ihn interessiert der breitestmögliche Querschnitt durch die Bevölkerung, was nicht für fein individualisierte Helden sorgt, aber doch für ein Panorama, wie es keines der populären Bücher zum Thema, von Hemingway bis Orwell, auch nur annähernd zu bieten hat. Daneben wartet jeder der beiden Romane mit einer großen Schlachtenszene auf, und mit Sicherheit gehören die filmischen Schnitte, die geschmeidige Montagetechnik und die Aufmerksamkeit für das chaotische Nebeneinander zu den interessantesten Beispielen moderner Kriegsbeschreibung.
Im ersten Band ist es der Kampf um Barcelona im August 1936, bei dem Rafael Serrador eher zufällig die Fronten wechselt und dadurch ein paar Tage länger überlebt. Im zweiten ist es der Sturm von Francos nordafrikanischen Bataillonen auf Madrid im November desselben Jahres. Aub erzählt die ungeheuerliche Geschichte der aufgegebenen Hauptstadt in Tagesportionen: Die rechtmäßige Regierung hat sich schon nach Valencia abgesetzt, die renommierten Generäle der Republik sind nicht zur Stelle, im Prado werden die Bilder abgehängt, und nicht etwa Soldaten treten den anrückenden Nationalisten entgegen, sondern eine Schar von vierhundert Friseuren. Zweihundertzwanzig von ihnen, nicht weniger, nennt Max Aub beim Namen, ein ebenso befremdliches wie ergreifendes Denkmal für einen Heroismus aus dem Geist des Rasierpinsels.
Doch der Sieg der Kolonne "Figaro" ist nur der Beginn einer zermürbenden Belagerung. Da man weiß, wie die Sache ausgeht, hängt der Geruch der Niederlage über den Helden des Tages. Einige der Figuren werden wir in den nächsten Bänden wieder treffen. Hätte die Geschichte Spaniens in der Nachkriegszeit eine andere Wendung genommen, vielleicht wäre Max Aub als Epiker einer geretteten Republik gefeiert worden. So aber ist sein "Magisches Labyrinth" ein "Guernica" der Literatur, das im Deutschen auf seine vollständige Enthüllung wartet.
Max Aub: "Nichts geht mehr". Das magische Labyrinth, Band 1. Roman. 320 S., geb., 49,80 DM.
Max Aub: "Theater der Hoffnung". Das magische Labyrinth, Band 2. 527 S., geb., 59,80 DM. Beide aus dem Spanischen übersetzt von Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold. Herausgegeben und kommentiert von Mercedes Figueras. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Epos des Spanischen Bürgerkriegs: Aubs Romanzyklus in ersten Bänden · Von Paul Ingendaay
Wer die Mahnung der modernen Literaturtheorie im Ohr hat, nur das geschriebene Wort gelten zu lassen, den Autor dagegen als Störfaktor von eher schwabbeliger Konsistenz zu betrachten, der kann vor den Werken des spanischen Schriftstellers Max Aub (1903 bis 1972) nur mit offenem Mund dasitzen, sich langsam erheben und ratlos davonschleichen. Denn keine Zeile des "Magischen Labyrinths", eines sechsbändigen Romanzyklus über den Spanischen Bürgerkrieg, will als "reiner Text" gelesen werden. Und eine klare Grenze zwischen Fiktion und Geschichte, Epos und Zeugenschaft ist darin nicht auszumachen.
Die Tragik des Künstlers Max Aub lag darin, dass seine Bücher jahrzehntelang in das Vakuum der franquistischen Zensur gehüllt waren und nie das Publikum erreichten, für das sie geschrieben wurden: die Landsleute drinnen und draußen, ob sie nun zu den Siegern des Krieges zählten oder zu den Besiegten. So gingen die Jahrzehnte dahin, und als Franco 1975 starb, hatte Max Aub im mexikanischen Exil längst sein Grab gefunden. Die Wiederentdeckung eines herausragenden Vertreters der spanischen Moderne dauert noch an. Rafael Chirbes hat ihn wiederholt als seinen Lehrmeister bezeichnet, und tatsächlich ist Aubs Handschrift in Chirbes' Roman "Der lange Marsch" (deutsch 1997) unverkennbar. Ein weiterer Vertreter der mittleren Generation, Antonio Muñoz Molina, nutzte seine Antrittsrede in der Spanischen Akademie vor drei Jahren für eine Hommage an den Mann, der erst drei Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkriegs wieder spanischen Boden betrat.
Derweil dürfen wir, solange eine kritische Ausgabe in der Originalsprache auf sich warten lässt, beim Frankfurter Eichborn Verlag ein Muster der Literaturarchäologie bestaunen: Seit 1996 erschienen der Roman "Die besten Absichten", die fiktive Künstlerbiographie "Jusep Torres Campalans" und der Erzählband "Der Mann aus Stroh". In diesem Jahr schließlich folgten die ersten beiden, von Mercedes Figueras verschwenderisch kommentierten Bände des "Magischen Labyrinths".
Die Vita Max Aubs, eines Mannes zwischen alles Stühlen, könnte einem Roman von Eric Ambler entstammen. Geboren in Paris als Sohn eines Deutschen und einer Französin, verschlägt es den Elfjährigen nach Valencia, weil es den jüdischen Eltern beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Frankreich zu gefährlich wird. Max Aub wählt sich das Spanische zur Literatursprache; schon mit zwölf schreibt er seine ersten Gedichte, mit neunzehn avantgardistische Theaterstücke. Statt eines geisteswissenschaftlichen Studiums jedoch ergreift er den Beruf des Vaters und reist in den zwanziger Jahren als Handelsvertreter durchs Land. Die Beobachtungen der spanischen Topographie leuchten wie Lyrik aus seinen späteren Werken heraus.
Befreundet mit Buñuel, García Lorca, Machado und Malraux, wird der Sozialist Max Aub in den Jahren der Zweiten Republik zum Anreger und polyglotten Vermittler unter den Künsten; als Kulturattaché in Paris vergibt er an Picasso den Auftrag, für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung von 1937 ein Wandgemälde zu schaffen. Daraus entsteht "Guernica", die klassische Darstellung der Gräuel des Bürgerkriegs. Kaum zwei Jahre später, am 28. März 1939, ist die Niederlage der Republik mit der Besetzung Madrids durch Franco besiegelt.
Für Aub beginnt eine dreijährige Odyssee durch Frankreich, Algerien und Marokko, in deren Verlauf er viermal verhaftet wird, Gefängnisse und Konzentrationslager erduldet und dann auch noch Bücher daraus macht. Nach seiner Flucht aus dem algerischen Lager Djelfa hält er sich drei Monate lang in einer Frauenklinik in Casablanca versteckt, bevor ihm im Herbst 1942 mit der Hilfe des mexikanischen Konsuls in Frankreich die Ausreise nach Mexiko gelingt. Erst vier Jahre später stoßen seine Frau und seine drei Töchter zu ihm. Dreitausend Bände seiner Privatbibliothek lässt der mexikanische Zoll Anfang der fünfziger Jahre passieren, den Rest bekommt Max Aub erst wieder zu Gesicht, als Franco ihm 1969 einen Kurzaufenthalt in Spanien bewilligt. Die spanische Ausgabe seiner Tagebücher enthält ein reiches Sortiment von Hilfsgesuchen, Visa, Identitätsnachweisen, Zollgenehmigungen und polizeilichen Dokumenten: der armselige bürokratische Rest, in dem sich die Demütigungen des Flüchtlings niederschlagen.
Kaum etwas von dieser Stimmung findet sich in "Nichts geht mehr" (Campo cerrado), dem ersten Band des "Magischen Labyrinths". Dabei waren die Eindrücke des Krieges und der Niederlage noch frisch, als Max Aub den Roman in den Sommermonaten des Jahres 1939 in Paris aufs Papier warf - zehn Manuskriptseiten täglich, die erste konzentrierte literarische Arbeit seit Jahren. Der Auftakt: In den abgeriegelten Gassen eines Dorfes der Provinz Castellón wird wie in jedem September der "Feuerstier" losgelassen. "Pfeilschnell rast das Tier vorbei, flieht vor sich selbst, brennender männlicher Fluch, Fleisch und Blut gewordener Mythos, Geruch nach versengtem Horn. Da stürzt er bergan, da kehren der Mond und sein schwacher Schatten auf den frischen Kalk der Gemäuer zurück. Der Stier hat keine Wahl, hetzt weiter im Kreis; das Aufbrausen der Stimmen auf der Plaza kündigt den Zuschauern in den Gassen seine Wiederkehr an."
Nicht nur das Minotaurus-Motiv, auch das Feuer und die sichere Rückkehr ungezähmten Schreckens weisen auf das Morden im Bürgerkrieg voraus. Doch Max Aub raunt nicht und dramatisiert nicht. Er beginnt seinen Zyklus eher wie einen Bildungsroman im Zeitraffer, mit lakonischen Kapiteln über einen mittelmäßigen Helden. Rafael Serrador, einen Bauernburschen ohne größere Aussichten, treibt es mit sechzehn nach Barcelona, wo er als Goldschmiedelehrling und Fabrikarbeiter unterkommt. Bald schon sind die nächtlichen Gesprächsrunden in den Cafés fast das Einzige, was wir von ihm erfahren: Verstiegene politische Ideen dringen an seine unbedarften Ohren, die Rhetorik von Monarchisten, Sozialisten, Anarchosyndikalisten und Falangisten der ersten Stunde. Rafael weiß nicht, wozu er inmitten von so viel ernstem Willen zur Menschheitsbeglückung gut sein soll, und wird es nie erfahren. Er wechselt die Lager nach vager Opportunität, begeht gar einen Mord an einer Prostituierten, dessen Motiv Rache sein könnte, aber auch Langeweile, und tappt im sich radikalisierenden Milieu der Vorkriegsjahre genauso führungslos dahin wie viele andere.
Die Vielen sind Max Aubs Thema: ihre Suche nach der politischen Zauberformel, ihre Verfallstheorien, Rechtfertigungslehren und dazu ein paar bedeutsame Momente wie Triumph, Verrat oder ein anonymer Tod. Vergleichbar den Figurengalerien eines John Dos Passos, bevölkert der Autor sein Universum mit Heerscharen von Sinnsuchern, nennt Namen, Herkunft, Marotten und Profession. Ein Schicksal kann hier mit sieben Zeilen abgehandelt sein, und gerade in der Tragik wird Aub ganz wortkarg. Als wäre über die Antriebskräfte des lebenden Menschen viel nachzudenken, über das Ende mit Schrecken aber nicht. Verblüffenderweise nimmt dieses kalkulierte Ungleichgewicht in der Darstellung von Chaos und Krieg sehr für ihn ein. Man braucht das Zutrauen auch, um das teilweise doch recht zähe Debattenmarathon zu überstehen. "Spanien ist ein ungehobeltes Land", heißt es einmal, "und für nichts töten wir uns lieber als für Sophismen." Das hätte nicht so sein müssen, denkt der Leser sechzig Jahre später, und gar so viel Tresenphilosophie, wie die Wirklichkeit produziert hat, sollte man einem Roman nicht aufbürden.
Das Schönste aber ist der Ton des Erzählers Max Aub, wo er wirklich Erzähler ist: lässig, präzis, pointiert, mit reichem Vokabular, dabei ohne einen Hauch von Renommierabsicht, eine Sprache, die mühelos das Ende unseres Jahrhunderts erreicht. Die Übersetzer Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold haben diesen Swing in ein biegsames, variantenreiches Deutsch gebracht. Sie trauen sich auch etwas - verzichten etwa auf die Übertragung einiger Klangspiele, was man gar nicht müsste, und lassen dafür an anderer Stelle die Übersetzung noch etwas mehr pieken als das Original. Das hätte Max Aub, wäre er Deutscher gewesen, vielleicht genauso gemacht.
Wohin der Autor mit seinem Werk will und welche Dimensionen es annimmt, zeigt der zweite, dickere Band "Theater der Hoffnung" (Campo abierto), der zwischen 1948 und 1950 in Mexiko entstand und 1961 schon einmal unter dem Titel "Bittere Tränen" auf Deutsch erschienen ist. Hier fächert Aub sein Personal noch weiter auf und spielt (wie um zu zeigen, dass er's kann) ein paar Varianten erzählerischer Ordnung durch. Zunächst liefert er in sechs Kapiteln sechs Lebensläufe, von denen wir nicht wissen, was sie uns später noch anzugehen haben. Mitglieder einer republikanischen Theatertruppe werden vorgestellt, ein Setzer, der zufällig erschossen wird, ein skrupelloser Geschäftemacher, der schon weniger zufällig erschossen wird. Spätestens jetzt, nach knapp zweihundert Seiten, versucht der Leser nicht mehr, alle Figuren im Auge zu behalten, sondern achtet vor allem auf den großen Karren und sein Gesamtschlingern: Liebende, die getrennt werden, Ehefrauen, die ihre Männer verraten, Söhne, die ihre Väter vor dem Genickschuss bewahren wollen, Gewerkschafter und Literaten, Polizisten und Militärs, alle auf den gegenwärtigen Kriegsmoment fixiert und zwischen den Zähnen ihren ideologischen Proviant, der ihnen im entscheidenden Moment wenig nützt.
Heute wissen wir, dass die meisten Opfer des Bürgerkriegs nicht an der Front, sondern hinter den Linien starben, durch Terror, Erschießungskommandos und die Repressionswelle in den ersten Jahren der Franco-Diktatur. Max Aub schildert diese Willkür mit der Kühle eines Aleksandar Tisma und durchaus mit weniger Parteilichkeit, als von einem Republikaner im Exil zu erwarten gewesen wäre. Ihn interessiert der breitestmögliche Querschnitt durch die Bevölkerung, was nicht für fein individualisierte Helden sorgt, aber doch für ein Panorama, wie es keines der populären Bücher zum Thema, von Hemingway bis Orwell, auch nur annähernd zu bieten hat. Daneben wartet jeder der beiden Romane mit einer großen Schlachtenszene auf, und mit Sicherheit gehören die filmischen Schnitte, die geschmeidige Montagetechnik und die Aufmerksamkeit für das chaotische Nebeneinander zu den interessantesten Beispielen moderner Kriegsbeschreibung.
Im ersten Band ist es der Kampf um Barcelona im August 1936, bei dem Rafael Serrador eher zufällig die Fronten wechselt und dadurch ein paar Tage länger überlebt. Im zweiten ist es der Sturm von Francos nordafrikanischen Bataillonen auf Madrid im November desselben Jahres. Aub erzählt die ungeheuerliche Geschichte der aufgegebenen Hauptstadt in Tagesportionen: Die rechtmäßige Regierung hat sich schon nach Valencia abgesetzt, die renommierten Generäle der Republik sind nicht zur Stelle, im Prado werden die Bilder abgehängt, und nicht etwa Soldaten treten den anrückenden Nationalisten entgegen, sondern eine Schar von vierhundert Friseuren. Zweihundertzwanzig von ihnen, nicht weniger, nennt Max Aub beim Namen, ein ebenso befremdliches wie ergreifendes Denkmal für einen Heroismus aus dem Geist des Rasierpinsels.
Doch der Sieg der Kolonne "Figaro" ist nur der Beginn einer zermürbenden Belagerung. Da man weiß, wie die Sache ausgeht, hängt der Geruch der Niederlage über den Helden des Tages. Einige der Figuren werden wir in den nächsten Bänden wieder treffen. Hätte die Geschichte Spaniens in der Nachkriegszeit eine andere Wendung genommen, vielleicht wäre Max Aub als Epiker einer geretteten Republik gefeiert worden. So aber ist sein "Magisches Labyrinth" ein "Guernica" der Literatur, das im Deutschen auf seine vollständige Enthüllung wartet.
Max Aub: "Nichts geht mehr". Das magische Labyrinth, Band 1. Roman. 320 S., geb., 49,80 DM.
Max Aub: "Theater der Hoffnung". Das magische Labyrinth, Band 2. 527 S., geb., 59,80 DM. Beide aus dem Spanischen übersetzt von Albrecht Buschmann und Stefanie Gerhold. Herausgegeben und kommentiert von Mercedes Figueras. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "Triumph der Regie und der Stimmen" bejubelt Rezensent Paul Ingendaay diese Hörbuchfassung von Max Aubs "Romanfresko" über den spanischen Bürgerkrieg, "Das magische Labyrinth". Überzeugend findet er, wie die drängende Atmosphäre, das Gehetzte des ideologischen Chaos der frühen Bürgerkriegszeit abgebildet sei: zwei Erzählstimmen lösten sich ab, "als feilschten sie um Erzählzeit", aus der Rezensent Ingendaay dann die handelnden Personen so klar heraustreten sieht, dass er ihnen mühelos durch Aubs Erzähldickicht folgen kann. Teil eins der Edition (Titel: "Nichts geht mehr") beleuchte Stationen im Leben eines Provinzjungen, Teil zwei (Titel: "Theater der Hoffnung") konzentriere sich auf den "ewig zaudernden Jorge Mustieles". Rolf Boysen verwandelt in den Augen beziehungsweise Ohren Ingendaays den dritten Teil (Titel: "Blutiges Spiel") in einen Soloabend: mit einem wahnhaft gelehrten Essay über Spanien, gemurmelt und fantasiert von einem schwer verwundeten Archivar. Im vierten Teil (Titel: "Die Stunde des Verrats"), der "raunenden Selbstzerfleischung der Republikaner", ist der Rezensent besonders von der exzellenten Aussprache der spanischen Eigennamen beeindruckt. Gleichermaßen für Anfänger wie für Kenner geeignet, findet er die vier jetzt vorliegenden, der auf insgesamt sechs CDs angelegten Edition, die dazu beitragen könnte, dass Aubs Werk endlich die verdiente Verbreitung findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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