Lucy Bartons (»Alles ist möglich«, »Die Unvollkommenheit der Liebe«) Erinnerungen an ihren ersten Ehemann, an Verlust und lebenslange Verbundenheit
Elizabeth Strout ist eine scharfsinnige und mitfühlende Chronistin des Alltags, all der kleinen und großen Dramen, die man Leben nennt. In ihrem neuen Roman erzählt Lucy Barton (die Heldin aus den Romanen »Die Unvollkommenheit der Liebe« und »Alles ist möglich«) von der komplexen und innigen Beziehung zu ihrem ersten Mann William, von den Anfängen, als sie noch studierten, von ihren beiden Töchtern und vom schmerzvollen Ende ihrer Ehe. Doch obwohl sie neue Partner, neue Liebe finden, bleiben sie einander jahrzehntelang verbunden. Und als William Hilfe braucht, ist es Lucy, an die er sich wendet ...
Ungekürzte Lesung mit Gabriele Blum
1 MP3-CD, 5h 43min
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Elizabeth Strout ist eine scharfsinnige und mitfühlende Chronistin des Alltags, all der kleinen und großen Dramen, die man Leben nennt. In ihrem neuen Roman erzählt Lucy Barton (die Heldin aus den Romanen »Die Unvollkommenheit der Liebe« und »Alles ist möglich«) von der komplexen und innigen Beziehung zu ihrem ersten Mann William, von den Anfängen, als sie noch studierten, von ihren beiden Töchtern und vom schmerzvollen Ende ihrer Ehe. Doch obwohl sie neue Partner, neue Liebe finden, bleiben sie einander jahrzehntelang verbunden. Und als William Hilfe braucht, ist es Lucy, an die er sich wendet ...
Ungekürzte Lesung mit Gabriele Blum
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sandra Kegel hört gerne Gabriele Blums Lesung von Elizabeth Strouts "Oh William!" zu. Die 1956 geborene amerikanische Autorin beschreibt, wie der titelgebende William und seine Ex-Frau Lucy, trotz ihrer Trennung stets miteinander verbunden sind und auch in Krisensituationen weiterhin aufeinander zählen, erklärt Kegel. Die von ihren Herkunftsfamilien traumatisierten Figuren kennt die Rezensentin bereits aus vorangegangenen Büchern Strouts, weshalb einige der beschriebenen Szenarien wie zufällig zusammengefügte Erinnerungen und Gespräche eines sich gut kennenden, langjährigen Paares wirken. Aber wie die Rezensentin versichert, lassen sich auch in all der Vertrautheit noch Überraschungen entdecken. Den Stil der Autorin findet Kegel "uneitel subtil", und ebenso die Lesung Blums, in der diese "gewollte Kunstlosigkeit" schön herausgearbeitet und hervorgehoben wird, resümiert die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2021Die Liebe ist eine Zwiebel
Verheiratet, geschieden, vertraut? Elizabeth Strout legt die Schichten einer Jahrzehnte andauernden Zuneigung frei
Am LaGuardia-Flughafen von New York trifft Lucy Barton ihren Ex-Mann William, um mit ihm gemeinsam nach Maine zu fliegen. William, ein Mann von Anfang 70, erscheint in einem etwas merkwürdigen Aufzug: Seine Hosenbeine sind zu kurz, die Socken passen farblich so gar nicht mit der Hose zusammen.
„Ach, William“, seufzt Lucy, die Ich-Erzählerin des Romans, in sich hinein, und das gleich zweimal. In diesem „Ach“, das sich je nach Situation auch in ein „Oh“ verwandeln kann, steckt möglicherweise alles, was die Beziehung der beiden Protagonisten von Elizabeth Strouts neuem Roman ausmacht. Es ist ein Seufzer, der verzweifelt klingen kann, etwas widerwillig, aber auch spöttisch; liebevoll, aber immer gefärbt mit einem Hauch von Nostalgie. Womit auch die Tonlage von „Oh, William!“ charakterisiert wäre.
Elizabeth Strout gilt zurecht als eine menschenfreundliche Schriftstellerin, auch wenn das an sich kein literarisches Qualitätskriterium darstellt. Sie betrachtet ihre Figuren mit scharfem Blick fürs Detail, imprägniert sie aber zugleich mit einem Schutzmantel aus Sympathie. Die Schriftstellerin Lucy Barton hat in Strouts neuem Roman bereits den dritten Auftritt. In „Die Unvollkommenheit der Liebe“ aus dem Jahr 2016 reflektiert Lucy während eines Krankenhausaufenthalts ihr Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen.
In dem zwei Jahre später erschienenen, zu einem Roman verdichteten Erzählungsreigen „Alles ist möglich“ kehrt sie, die es in New York zu Erfolg gebracht hat, nach mehr als zwei Jahrzehnten zu Besuch in die Kleinstadt zurück, aus der sie stammt. All diese Motive nimmt Elizabeth Strout, die in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden ist, nun erneut auf. Im Zentrum allerdings steht eine Ehe, die gescheitert ist, auf den ersten Blick jedenfalls, denn auffällig ist, dass das Verhältnis zwischen Lucy und William nach ihrer Trennung keinesfalls schlechter geworden ist.
Die vermeintlich unwiderlegbaren Fakten resümiert Lucy gleich auf den ersten beiden Seiten des Romans: David, ihr zweiter Mann, ist vor rund einem Jahr gestorben. Zuvor war sie knapp zwanzig Jahre mit William verheiratet, einem Biologen, den sie am College kennengelernt hatte; er war Dozent, sie Studentin. Die beiden haben zwei gemeinsame, mittlerweile erwachsene Töchter. Williams dritte Ehefrau, so stellt sich bald heraus, hat ihn kürzlich verlassen, so wie Lucy ihn seinerzeit auch verlassen hat, angeblich wegen seiner notorischer Untreue. Zumindest stellt Lucy das so dar, vor allem sich selbst.
Elizabeth Strouts Bücher werden gerne als unterhaltsam, klug, aber nicht sonderlich raffiniert charakterisiert. „Oh, William“ jedoch ist weitaus komplexer konstruiert als es uns diese sich eher vorsichtig an die Dinge herantastende Erzählstimme weismachen will. Strout erzählt in einer Art umgekehrtem Zwiebelschalenprinzip, bei dem die Figuren und deren gemeinsame Geschichte durch das beinahe beiläufige Hinzufügen einer nach der anderen Schicht zunehmend an Tief-, aber auch an Abgründigkeit zulegen.
Ganz nebenbei merkt Lucy irgendwann an, dass eben nicht nur William sie während ihrer Ehe hintergangen hat, sondern dass auch sie selbst eine Affäre mit einem kalifornischen Schriftsteller hatte. Die sanfte Melancholie dieser Erzählstimme suggeriert eine Form von Verletztheit, von Duldsamkeit, die nur in eine Richtung denkbar ist. Abgeknickt, so sagt sie es einmal, sei sie nach der Trennung von William wie ein Tulpenstiel, jedoch: „Ab da begann ich, wahrhaftiger zu schreiben.“ Umso frappierender wird es, wenn Elizabeth Strout plötzlich die Perspektive dreht und den Fokus der Außenwelt auf ihre Erzählerin richtet.
„Oh, William!“ ist ein Lebens- und Liebesbilanzbuch, dessen psychologischer Motor die Angst ist. Kaum ein Wort, abgesehen vom „Ach“ und „Oh“, dürfte so oft fallen wie „Angst“. Die Angst vor dem Alleinsein. Die Angst vor dem Verlassenwerden. Die Angst vor dem Verpassen von Lebenschancen. In der ersten Szene des Romans erzählt William Lucy von seinen nächtlichen Angstattacken. Sie empfiehlt ihm spontan ein Schlafmittel. Verankert sind die Ängste der Figuren in ihren jeweiligen Familiengeschichten, die die Ich-Erzählerin Lucy nach und nach offenlegt.
Der Grund für die gemeinsame Reise nach Maine ist Richards Entdeckung, dass er offenbar noch eine Halbschwester hat, von der seine Mutter Catherine ihm niemals erzählt hat. Catherine hat ihren ersten Mann, einen Kartoffelfarmer, Hals über Kopf für Williams Vater verlassen. Der war ein deutscher Kriegsgefangener, der zum Erntedienst in die USA gebracht worden war. Lucys Vater hat als amerikanischer Kriegsveteran, der im Hürtgenwald gegen die Deutschen gekämpft hat, der Tochter die Heirat mit William nicht verzeihen können.
So glaubhaft die Darstellung von Lucys Aufsteigergeschichte aus heillosen und gewalttätigen Verhältnissen ist, so überdeterminiert ist Elizabeth Strouts Erzählung von Williams Traumatisierung mit seinen deutschen Wurzeln, die noch dazu durch einen Besuch des Konzentrationslagers in Dachau verstärkt worden ist. Die Kausalkette von deutscher Herkunft, Schuldgefühl angesichts der Gaskammern und Beziehungsunfähigkeit ist ein etwas effekthascherischer Kurzschluss, der noch dazu als Behauptung im Roman stehen bleibt, ohne tiefer ausgeführt zu werden.
Das ändert allerdings nichts an dem grundsätzlichen Befund, dass „Oh, William!“ ein reifes Buch ist, das die Frage stellt, aus welchen emotionalen Bestandteilen sich über Jahrzehnte hinweg eine Liebe zusammensetzt, die bleibt, auch wenn sie scheitert.
Lucy Barton hat eine Autorität gesucht und bemerkt spät, dass sie sich geirrt hat, jedenfalls in William. „Unsere Vertrautheit“, so sagt sie, „wurde zu etwas Schauerlichem.“ Trotzdem ist sie da, und Strout ist an dieser Stelle klug genug, nicht expliziter zu werden. Noch eine Erkenntnis Lucys: „William, du hast deine Mutter geheiratet.“ Das haben die Leser dieses Romans früher geahnt als seine Erzählerin. Ach!
CHRISTOPH SCHRÖDER
Kaum ein Wort, abgesehen
vom „Ach“ und „Oh“, dürfte
so oft fallen wie „Angst“
Elizabeth Strout:
Oh, William! Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Roth.
Luchterhand, München 2021. 224 Seiten,
20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Verheiratet, geschieden, vertraut? Elizabeth Strout legt die Schichten einer Jahrzehnte andauernden Zuneigung frei
Am LaGuardia-Flughafen von New York trifft Lucy Barton ihren Ex-Mann William, um mit ihm gemeinsam nach Maine zu fliegen. William, ein Mann von Anfang 70, erscheint in einem etwas merkwürdigen Aufzug: Seine Hosenbeine sind zu kurz, die Socken passen farblich so gar nicht mit der Hose zusammen.
„Ach, William“, seufzt Lucy, die Ich-Erzählerin des Romans, in sich hinein, und das gleich zweimal. In diesem „Ach“, das sich je nach Situation auch in ein „Oh“ verwandeln kann, steckt möglicherweise alles, was die Beziehung der beiden Protagonisten von Elizabeth Strouts neuem Roman ausmacht. Es ist ein Seufzer, der verzweifelt klingen kann, etwas widerwillig, aber auch spöttisch; liebevoll, aber immer gefärbt mit einem Hauch von Nostalgie. Womit auch die Tonlage von „Oh, William!“ charakterisiert wäre.
Elizabeth Strout gilt zurecht als eine menschenfreundliche Schriftstellerin, auch wenn das an sich kein literarisches Qualitätskriterium darstellt. Sie betrachtet ihre Figuren mit scharfem Blick fürs Detail, imprägniert sie aber zugleich mit einem Schutzmantel aus Sympathie. Die Schriftstellerin Lucy Barton hat in Strouts neuem Roman bereits den dritten Auftritt. In „Die Unvollkommenheit der Liebe“ aus dem Jahr 2016 reflektiert Lucy während eines Krankenhausaufenthalts ihr Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen.
In dem zwei Jahre später erschienenen, zu einem Roman verdichteten Erzählungsreigen „Alles ist möglich“ kehrt sie, die es in New York zu Erfolg gebracht hat, nach mehr als zwei Jahrzehnten zu Besuch in die Kleinstadt zurück, aus der sie stammt. All diese Motive nimmt Elizabeth Strout, die in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden ist, nun erneut auf. Im Zentrum allerdings steht eine Ehe, die gescheitert ist, auf den ersten Blick jedenfalls, denn auffällig ist, dass das Verhältnis zwischen Lucy und William nach ihrer Trennung keinesfalls schlechter geworden ist.
Die vermeintlich unwiderlegbaren Fakten resümiert Lucy gleich auf den ersten beiden Seiten des Romans: David, ihr zweiter Mann, ist vor rund einem Jahr gestorben. Zuvor war sie knapp zwanzig Jahre mit William verheiratet, einem Biologen, den sie am College kennengelernt hatte; er war Dozent, sie Studentin. Die beiden haben zwei gemeinsame, mittlerweile erwachsene Töchter. Williams dritte Ehefrau, so stellt sich bald heraus, hat ihn kürzlich verlassen, so wie Lucy ihn seinerzeit auch verlassen hat, angeblich wegen seiner notorischer Untreue. Zumindest stellt Lucy das so dar, vor allem sich selbst.
Elizabeth Strouts Bücher werden gerne als unterhaltsam, klug, aber nicht sonderlich raffiniert charakterisiert. „Oh, William“ jedoch ist weitaus komplexer konstruiert als es uns diese sich eher vorsichtig an die Dinge herantastende Erzählstimme weismachen will. Strout erzählt in einer Art umgekehrtem Zwiebelschalenprinzip, bei dem die Figuren und deren gemeinsame Geschichte durch das beinahe beiläufige Hinzufügen einer nach der anderen Schicht zunehmend an Tief-, aber auch an Abgründigkeit zulegen.
Ganz nebenbei merkt Lucy irgendwann an, dass eben nicht nur William sie während ihrer Ehe hintergangen hat, sondern dass auch sie selbst eine Affäre mit einem kalifornischen Schriftsteller hatte. Die sanfte Melancholie dieser Erzählstimme suggeriert eine Form von Verletztheit, von Duldsamkeit, die nur in eine Richtung denkbar ist. Abgeknickt, so sagt sie es einmal, sei sie nach der Trennung von William wie ein Tulpenstiel, jedoch: „Ab da begann ich, wahrhaftiger zu schreiben.“ Umso frappierender wird es, wenn Elizabeth Strout plötzlich die Perspektive dreht und den Fokus der Außenwelt auf ihre Erzählerin richtet.
„Oh, William!“ ist ein Lebens- und Liebesbilanzbuch, dessen psychologischer Motor die Angst ist. Kaum ein Wort, abgesehen vom „Ach“ und „Oh“, dürfte so oft fallen wie „Angst“. Die Angst vor dem Alleinsein. Die Angst vor dem Verlassenwerden. Die Angst vor dem Verpassen von Lebenschancen. In der ersten Szene des Romans erzählt William Lucy von seinen nächtlichen Angstattacken. Sie empfiehlt ihm spontan ein Schlafmittel. Verankert sind die Ängste der Figuren in ihren jeweiligen Familiengeschichten, die die Ich-Erzählerin Lucy nach und nach offenlegt.
Der Grund für die gemeinsame Reise nach Maine ist Richards Entdeckung, dass er offenbar noch eine Halbschwester hat, von der seine Mutter Catherine ihm niemals erzählt hat. Catherine hat ihren ersten Mann, einen Kartoffelfarmer, Hals über Kopf für Williams Vater verlassen. Der war ein deutscher Kriegsgefangener, der zum Erntedienst in die USA gebracht worden war. Lucys Vater hat als amerikanischer Kriegsveteran, der im Hürtgenwald gegen die Deutschen gekämpft hat, der Tochter die Heirat mit William nicht verzeihen können.
So glaubhaft die Darstellung von Lucys Aufsteigergeschichte aus heillosen und gewalttätigen Verhältnissen ist, so überdeterminiert ist Elizabeth Strouts Erzählung von Williams Traumatisierung mit seinen deutschen Wurzeln, die noch dazu durch einen Besuch des Konzentrationslagers in Dachau verstärkt worden ist. Die Kausalkette von deutscher Herkunft, Schuldgefühl angesichts der Gaskammern und Beziehungsunfähigkeit ist ein etwas effekthascherischer Kurzschluss, der noch dazu als Behauptung im Roman stehen bleibt, ohne tiefer ausgeführt zu werden.
Das ändert allerdings nichts an dem grundsätzlichen Befund, dass „Oh, William!“ ein reifes Buch ist, das die Frage stellt, aus welchen emotionalen Bestandteilen sich über Jahrzehnte hinweg eine Liebe zusammensetzt, die bleibt, auch wenn sie scheitert.
Lucy Barton hat eine Autorität gesucht und bemerkt spät, dass sie sich geirrt hat, jedenfalls in William. „Unsere Vertrautheit“, so sagt sie, „wurde zu etwas Schauerlichem.“ Trotzdem ist sie da, und Strout ist an dieser Stelle klug genug, nicht expliziter zu werden. Noch eine Erkenntnis Lucys: „William, du hast deine Mutter geheiratet.“ Das haben die Leser dieses Romans früher geahnt als seine Erzählerin. Ach!
CHRISTOPH SCHRÖDER
Kaum ein Wort, abgesehen
vom „Ach“ und „Oh“, dürfte
so oft fallen wie „Angst“
Elizabeth Strout:
Oh, William! Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Roth.
Luchterhand, München 2021. 224 Seiten,
20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Elizabeth Strout ist einfach eine großartige Erzählerin.« Anja Brockert / SWR2