Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2001 Hörbücher
Heiter und herzlos
Unser wahrer Held war immer Käpt‘n Hook. Wie er in Walt Disneys Film die eifersüchtige, hübsche Fee Glöckchen um den eisernen Haken wickelte und den dicken Bootsmaat Smee schikanierte, großes Charakterfach! Dagegen blieb Peter Pan blass. Hübsch und frech zwar, doch ohne dramaturgische Tiefe. Das macht Helden zwar anziehend, aber auf Dauer ein bisschen langweilig.
Bei der Hör-Lektüre von James M. Barries Peter Pan wird es nun deutlich: Die seltsame Farblosigkeit ist romangenetisch bedingt. Peter Pan, jener Junge, der nie erwachsen werden wollte, hat keine Geschichte, kein Gedächtnis, kein Alter. Eines Abends erscheint er im Haus der Familie Darling, lehrt die Kinder Wendy, John und Michael das Fliegen und führt sie zum Fenster hinaus ins Nimmerland, auf jene Insel Nirgendwo mit Piraten, Indianern, Elfen, Meerjungfrauen und verlorenen Kindern, dort, wo jeden Tag ein neues Abenteuer wartet. Ein Paradies also, wären die märchenhaften Schrecken nicht in Überfülle vorhanden, wäre der Kampf zwischen Gut und Böse nicht beliebig wiederholbar. Zur wahren Geschichte wird das Leben aber erst, wenn Zeit verstreicht, wenn aus Kindern Erwachsene werden, wenn Abenteuer zu Ende sind. Und so erzählt der Regisseur Leander Haußmann, der hier – in der Rolle des fintenreichen Schauspielers – John M. Barrie seine angenehme Stimme leiht, vom Ende her, aus jener Perspektive, die den Tonfall des Buches bestimmt: romantisch, erregt und mit einem spöttischen Lächeln. Ein wahrer Klassiker, der so selten gelesen wird, wie es sich für einen Klassiker ziemt. „Ach, warum kannst du nicht immer so bleiben, wie du bist?” seufzt Mrs. Darling angesichts ihrer zwei Jahre alten Tochter Wendy und „fortan wusste Wendy, dass sie erwachsen werden musste. Wenn man zwei ist, weiß man Bescheid. Zwei ist der Anfang vom Ende. ” Dieser Klang lässt sich schwer verfilmen, so wenig wie jene lebenslange Kindersehnsucht nach einer Insel, nach dem Land Nirgendwo. Als Mrs. Darling wie üblich abends in den Gedanken ihrer Kinder aufräumt und sie ordentlich zusammenlegt, stößt sie immer häufiger auf den Namen Peter Pan. Und so beginnt diese Geschichte und so sitzen wir Alice-im-Wunderland-verrückte dreieinhalb Stunden lang vor dem CD-Player. 1902 tauchte die Erzählung des Schotten James M. Barrie zum erstenmal unter dem Titel Der kleine weiße Vogel auf, 1904 entwickelte er daraus ein fünfaktiges Theaterstück, das er dann 1911 in das Buch Peter und Wendy verwandelte. Leander Haußmann inszenierte das Stück zu seinem Abschied im Mai 2000 in Bochum, ließ die Rockband „Element Of Crime” ihre Musik dazu spielen und liest nun, im Wechsel mit Peter und Wendy (Annika Kuhl und Steffi Kühnert), die Romanfassung (Arena Verlag) – leicht gekürzt. Auf den langen, etwas ausufernden und zeigefingrigen Schluss verzichtet er dabei ebenso wie auf manch unpassende Nebenbemerkungen über das Wesen der Frau. Man hatte es ja schon geahnt, wie es mit ausgeflogenen und verlorenen Kindern weitergeht, wenn sie wieder zurückkehren, heim zur Mutter. „Nur wer heiter und unschuldig und herzlos ist, kann fliegen”, schreibt James M. Barrie über die wahre Beschaffen-heit der Kinderseele. Die Hörfassung schließt Haußmann mit dem poetischen, geheimnisvollen Kuss von Mrs. Darling, der dann ganz selbstverständlich in ein Lied von „Element Of Crime” übergeht. Ein schöner Anfang für den (Musik-)Geschmack der Jüngeren unter uns Hörern. KONRAD HEIDKAMP
Leander Haußmann liest Peter Pan von James M.Barrie. Indigo/Eichborn 44,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Heiter und herzlos
Unser wahrer Held war immer Käpt‘n Hook. Wie er in Walt Disneys Film die eifersüchtige, hübsche Fee Glöckchen um den eisernen Haken wickelte und den dicken Bootsmaat Smee schikanierte, großes Charakterfach! Dagegen blieb Peter Pan blass. Hübsch und frech zwar, doch ohne dramaturgische Tiefe. Das macht Helden zwar anziehend, aber auf Dauer ein bisschen langweilig.
Bei der Hör-Lektüre von James M. Barries Peter Pan wird es nun deutlich: Die seltsame Farblosigkeit ist romangenetisch bedingt. Peter Pan, jener Junge, der nie erwachsen werden wollte, hat keine Geschichte, kein Gedächtnis, kein Alter. Eines Abends erscheint er im Haus der Familie Darling, lehrt die Kinder Wendy, John und Michael das Fliegen und führt sie zum Fenster hinaus ins Nimmerland, auf jene Insel Nirgendwo mit Piraten, Indianern, Elfen, Meerjungfrauen und verlorenen Kindern, dort, wo jeden Tag ein neues Abenteuer wartet. Ein Paradies also, wären die märchenhaften Schrecken nicht in Überfülle vorhanden, wäre der Kampf zwischen Gut und Böse nicht beliebig wiederholbar. Zur wahren Geschichte wird das Leben aber erst, wenn Zeit verstreicht, wenn aus Kindern Erwachsene werden, wenn Abenteuer zu Ende sind. Und so erzählt der Regisseur Leander Haußmann, der hier – in der Rolle des fintenreichen Schauspielers – John M. Barrie seine angenehme Stimme leiht, vom Ende her, aus jener Perspektive, die den Tonfall des Buches bestimmt: romantisch, erregt und mit einem spöttischen Lächeln. Ein wahrer Klassiker, der so selten gelesen wird, wie es sich für einen Klassiker ziemt. „Ach, warum kannst du nicht immer so bleiben, wie du bist?” seufzt Mrs. Darling angesichts ihrer zwei Jahre alten Tochter Wendy und „fortan wusste Wendy, dass sie erwachsen werden musste. Wenn man zwei ist, weiß man Bescheid. Zwei ist der Anfang vom Ende. ” Dieser Klang lässt sich schwer verfilmen, so wenig wie jene lebenslange Kindersehnsucht nach einer Insel, nach dem Land Nirgendwo. Als Mrs. Darling wie üblich abends in den Gedanken ihrer Kinder aufräumt und sie ordentlich zusammenlegt, stößt sie immer häufiger auf den Namen Peter Pan. Und so beginnt diese Geschichte und so sitzen wir Alice-im-Wunderland-verrückte dreieinhalb Stunden lang vor dem CD-Player. 1902 tauchte die Erzählung des Schotten James M. Barrie zum erstenmal unter dem Titel Der kleine weiße Vogel auf, 1904 entwickelte er daraus ein fünfaktiges Theaterstück, das er dann 1911 in das Buch Peter und Wendy verwandelte. Leander Haußmann inszenierte das Stück zu seinem Abschied im Mai 2000 in Bochum, ließ die Rockband „Element Of Crime” ihre Musik dazu spielen und liest nun, im Wechsel mit Peter und Wendy (Annika Kuhl und Steffi Kühnert), die Romanfassung (Arena Verlag) – leicht gekürzt. Auf den langen, etwas ausufernden und zeigefingrigen Schluss verzichtet er dabei ebenso wie auf manch unpassende Nebenbemerkungen über das Wesen der Frau. Man hatte es ja schon geahnt, wie es mit ausgeflogenen und verlorenen Kindern weitergeht, wenn sie wieder zurückkehren, heim zur Mutter. „Nur wer heiter und unschuldig und herzlos ist, kann fliegen”, schreibt James M. Barrie über die wahre Beschaffen-heit der Kinderseele. Die Hörfassung schließt Haußmann mit dem poetischen, geheimnisvollen Kuss von Mrs. Darling, der dann ganz selbstverständlich in ein Lied von „Element Of Crime” übergeht. Ein schöner Anfang für den (Musik-)Geschmack der Jüngeren unter uns Hörern. KONRAD HEIDKAMP
Leander Haußmann liest Peter Pan von James M.Barrie. Indigo/Eichborn 44,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nimmt man Konrad Heidkamp wörtlich, so saß er bei der "Hör-Lektüre" des Peter Pan "Alice-im-Wunderland-verrückte dreieinhalb Stunden" vor dem CD-Spieler und hörte eine Geschichte, die von der "lebenslangen Kindersehnsucht nach einer Insel, nach dem Land Nirgendwo" erzählt. Leander Haussmann sei mit der rückblickenden Erzählperspektive und der Segnung seiner angenehmen Stimme ein Hörbuch gelungen, das im Tonfall "romantisch, erregt und mit einem spöttischen Lächeln" sei. In seiner kleinen Chronologie der Peter-Pan-Geschichte, von der ersten Erzählung 1902 des Schotten James M. Barrie mit dem Titel "Der kleine weiße Vogel" langt Heidkamp bei der Romanfassung des Jahres 2000 aus dem Arena Verlag an: Diese diente Haussmann als Vorlage, die klug redigiert worden sei. Auf den "zeigefingrigen Schluss, . . . unpassende Nebenbemerkungen über das Wesen der Frau" sei verzichtet worden. Heidkamp freut sich mit und für die "Jüngeren unter uns Hörern" über diesen "schönen Anfang für den Geschmack".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH