CD 1 | |||
1 | Ankommen, um abzureisen | 00:13:25 | |
2 | Verfolgungsjagd | 00:07:19 | |
3 | Der fabelhafte Herr Maier | 00:07:53 | |
4 | Gold kann man nicht essen | 00:08:14 | |
5 | Die Draisine | 00:13:36 | |
6 | Der falsche Fuß | 00:11:06 | |
7 | Sitzen geblieben | 00:10:06 | |
CD 2 | |||
1 | Gefährliche Reise | 00:12:49 | |
2 | Geld im Schuh | 00:06:56 | |
3 | Ein gefährlicher Auftrag | 00:16:36 | |
4 | Nichts passiert | 00:05:52 | |
5 | Abreise - einmal anders | 00:20:42 | |
6 | Und weiter? | 00:00:51 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Als der Frieden noch jung war
"Reise gegen den Wind": Peter Härtling erzählt von einem lebenshungrigen Flüchtlingskind
Kriegsende in Laa an der Thaya, nicht weit von der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich: Für die deutschen Flüchtlinge aus Böhmen und Mähren ist das Kaff eine Sackgasse, aus der sie nicht herauskommen. Es fährt kein Zug mehr; die letzten Soldaten der Wehrmacht sind zu Fuß oder mit ihren Fahrzeugen vor den russischen Truppen geflohen. Der Bahnhof bleibt trotzdem die Hoffnungsstation, und der Bahnhofsvorsteher Huber - eine liebenswert komische Figur - ist der einzige in diesem Nest, der einen Rest von Ordnung hochhält, Ratschläge gibt und sogar höflich und ein wenig mitfühlend bleibt. Bernds resolute Tante redet er mit gnädige Frau an.
Der Zwölfjährige, den seine Ersatzmutter Karla zärtlich Primel nennt, ist mit ihr bereits seit Tagen unterwegs, erschöpft, hungrig und ständig auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf. In Laa heißt es zunächst warten, die letzten Habseligkeiten gegen Lebensmittel eintauschen und sich, so gut es geht, vor Übergriffen der Russen schützen.
Der elternlose Junge streunt herum, schließt Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Mann im tadellosen schwarzen Anzug - ein Schieber, Schwindler, vielleicht auch Naziverbrecher -, der gesucht wird. Er beobachtet die Russen, die so ganz anders sind als die Männer, die er kennt, befreundet sich mit zwei einheimischen Kindern, erschrickt vor Toten - ermordeten Wlassow-Soldaten - im Wald und entkommt mit knapper Not einer Schießerei. Ein herrenloser kleiner Hund wird sein Trost und ständiger Begleiter. Eines Tages entdeckt er eine Draisine. Die heimlichen Fahrten auf einem Nebengleis sind für ihn Abenteuer und die Illusion von Freiheit.
Das kleine Dörfchen Laa ist auch in "Zwettl", Peter Härtlings autobiographischer "Nachprüfung einer Erinnerung", eine wichtige Station im Elend der Nachkriegszeit. Wie Bernd hat Peter Härtling vieles erlebt, was heute auch Kindern in Bosnien, in Afrika oder Tschetschenien und vielen anderen Ländern widerfährt, wo Krieg und Terror herrschen: Er litt Hunger, verlor seine Eltern und wurde aus seiner Heimat vertrieben. Es sind traumatische Bilder, die in einigen seiner Bücher immer wieder auftauchen.
In "Krücke", seinem preisgekrönten Kinderbuch, schlägt sich auch ein elternloser Junge durch das Chaos bei Kriegsende und die Zeit danach hindurch. Dieser Thomas, der in dem einbeinigen Invaliden Krücke einen Freund findet, hat viel Ähnlichkeit mit Primel, auch er ist ein Herumtreiber, ein neugieriger Beobachter, der sich vor waghalsigen Abenteuern nicht fürchtet. "Wenn ich heute vom Krieg und aus meiner Kindheit erzähle, versuche ich Menschen so zu schildern, daß meine Kinder dabeisein und deren Angst und Hoffnung teilen können", hat Peter Härtling einmal gesagt. In seinem neuen Roman "Reise gegen den Wind" ist ihm das wieder eindrucksvoll gelungen. Es ist ein realistisches Bild dieser Zeit, unsentimental und so genau, daß der Satz aus dem Brief eines jungen Lesers, auf "Krücke" bezogen, auch hier treffen könnte: "Ihr Buch ist mir zu echt."
Dieses Erinnerungsstück aus dem Leben des zwölf Jahre alten Peter Härtling vermittelt tatsächlich aus der kindlichen Perspektive ein Stück Zeitgeschichte: Die österreichischen Freunde fühlen sich plötzlich als Sieger, und Einheimische nutzen die Stunde, um an Flüchtlingen zu verdienen. Primel und seine Tante Karla erfahren aber auch spontane Hilfsbereitschaft. Absolut gut oder böse ist niemand, und nicht selten darf noch in arger Not grimmig oder befreiend gelacht werden. Fast hätte sich Bernd an das provisorische aufregende Leben in Laa gewöhnen können. Doch die Lokomotive, auf deren Tender die Flüchtlinge - zwar vom Kohlenstaub geschwärzt - endlich weiter in Richtung Wien gelangen, weckt die Hoffnung wieder, daß alles besser wird.
MARIA FRISÉ
Peter Härtling: "Reise gegen den Wind - Wie Primel das Ende des Krieges erlebt". Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2000. 146 S., geb., 24,80 DM. Ab 11 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Reise gegen den Wind": Peter Härtling erzählt von einem lebenshungrigen Flüchtlingskind
Kriegsende in Laa an der Thaya, nicht weit von der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich: Für die deutschen Flüchtlinge aus Böhmen und Mähren ist das Kaff eine Sackgasse, aus der sie nicht herauskommen. Es fährt kein Zug mehr; die letzten Soldaten der Wehrmacht sind zu Fuß oder mit ihren Fahrzeugen vor den russischen Truppen geflohen. Der Bahnhof bleibt trotzdem die Hoffnungsstation, und der Bahnhofsvorsteher Huber - eine liebenswert komische Figur - ist der einzige in diesem Nest, der einen Rest von Ordnung hochhält, Ratschläge gibt und sogar höflich und ein wenig mitfühlend bleibt. Bernds resolute Tante redet er mit gnädige Frau an.
Der Zwölfjährige, den seine Ersatzmutter Karla zärtlich Primel nennt, ist mit ihr bereits seit Tagen unterwegs, erschöpft, hungrig und ständig auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf. In Laa heißt es zunächst warten, die letzten Habseligkeiten gegen Lebensmittel eintauschen und sich, so gut es geht, vor Übergriffen der Russen schützen.
Der elternlose Junge streunt herum, schließt Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Mann im tadellosen schwarzen Anzug - ein Schieber, Schwindler, vielleicht auch Naziverbrecher -, der gesucht wird. Er beobachtet die Russen, die so ganz anders sind als die Männer, die er kennt, befreundet sich mit zwei einheimischen Kindern, erschrickt vor Toten - ermordeten Wlassow-Soldaten - im Wald und entkommt mit knapper Not einer Schießerei. Ein herrenloser kleiner Hund wird sein Trost und ständiger Begleiter. Eines Tages entdeckt er eine Draisine. Die heimlichen Fahrten auf einem Nebengleis sind für ihn Abenteuer und die Illusion von Freiheit.
Das kleine Dörfchen Laa ist auch in "Zwettl", Peter Härtlings autobiographischer "Nachprüfung einer Erinnerung", eine wichtige Station im Elend der Nachkriegszeit. Wie Bernd hat Peter Härtling vieles erlebt, was heute auch Kindern in Bosnien, in Afrika oder Tschetschenien und vielen anderen Ländern widerfährt, wo Krieg und Terror herrschen: Er litt Hunger, verlor seine Eltern und wurde aus seiner Heimat vertrieben. Es sind traumatische Bilder, die in einigen seiner Bücher immer wieder auftauchen.
In "Krücke", seinem preisgekrönten Kinderbuch, schlägt sich auch ein elternloser Junge durch das Chaos bei Kriegsende und die Zeit danach hindurch. Dieser Thomas, der in dem einbeinigen Invaliden Krücke einen Freund findet, hat viel Ähnlichkeit mit Primel, auch er ist ein Herumtreiber, ein neugieriger Beobachter, der sich vor waghalsigen Abenteuern nicht fürchtet. "Wenn ich heute vom Krieg und aus meiner Kindheit erzähle, versuche ich Menschen so zu schildern, daß meine Kinder dabeisein und deren Angst und Hoffnung teilen können", hat Peter Härtling einmal gesagt. In seinem neuen Roman "Reise gegen den Wind" ist ihm das wieder eindrucksvoll gelungen. Es ist ein realistisches Bild dieser Zeit, unsentimental und so genau, daß der Satz aus dem Brief eines jungen Lesers, auf "Krücke" bezogen, auch hier treffen könnte: "Ihr Buch ist mir zu echt."
Dieses Erinnerungsstück aus dem Leben des zwölf Jahre alten Peter Härtling vermittelt tatsächlich aus der kindlichen Perspektive ein Stück Zeitgeschichte: Die österreichischen Freunde fühlen sich plötzlich als Sieger, und Einheimische nutzen die Stunde, um an Flüchtlingen zu verdienen. Primel und seine Tante Karla erfahren aber auch spontane Hilfsbereitschaft. Absolut gut oder böse ist niemand, und nicht selten darf noch in arger Not grimmig oder befreiend gelacht werden. Fast hätte sich Bernd an das provisorische aufregende Leben in Laa gewöhnen können. Doch die Lokomotive, auf deren Tender die Flüchtlinge - zwar vom Kohlenstaub geschwärzt - endlich weiter in Richtung Wien gelangen, weckt die Hoffnung wieder, daß alles besser wird.
MARIA FRISÉ
Peter Härtling: "Reise gegen den Wind - Wie Primel das Ende des Krieges erlebt". Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim 2000. 146 S., geb., 24,80 DM. Ab 11 J.
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