Bei Rico ist ziemlich alles bestens. Sein Freund Oskar wohnt jetzt im selben Haus. Sein Hund Porsche ist immer bei ihm und der Bühl wird womöglich bald sein neuer Papa. Aber dann finden Rico und Oskar einen Toten im Treppenhaus. Der Beginn eines neuen Abenteuers, das die beiden Freunde bis an die Ostsee führt.
buecher-magazin.deHerr Fitzke, der Steinezüchter aus dem vierten Stock, ist tot. Ricos Mutter und ihr Neuer fahren nach der Beerdigung nach Sri Lanka, "sieben Tage knutschen". Die Verantwortung trägt nun Oskars Vater Lars, aber damit ist der depressive Intellektuelle genauso überfordert wie mit der Erziehung seines Sohnes und dem Leben im Allgemeinen. Die Steinesammlung des alten Fitzke hat Rico geerbt - sogar den Kalbstein, seinen einzigen Züchtungserfolg. Als dieser gestohlen wird, reisen Rico und Oskar ihm hinterher. Bis an die Ostsee! Ohne Fahrkarte!
Zunächst ein Kompliment an den Geräuschemacher: Der Klang der Bingokugel, die im Kopf des tiefbegabten Rico immer dann losgeht, wenn er nicht mehr weiter weiß, lässt einen Ricos Verwirrung sofort nachempfinden, ohne unangenehm oder penetrant zu sein. Auch das Casting ist geglückt: Anatol Aljinovics Rico ist, wie er sein sollte: emotional und ein bisschen langsam. Nur manchmal erscheint er zu reflektiert, was der Figur ein Stück ihrer unfreiwilligen Komik nimmt. Stasys Musial hat keine leichte Aufgabe, denn Oskar geht es richtig schlecht. Er ist reizbar und traurig, aber ungeheuer tapfer. Musial ist überzeugend.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Zunächst ein Kompliment an den Geräuschemacher: Der Klang der Bingokugel, die im Kopf des tiefbegabten Rico immer dann losgeht, wenn er nicht mehr weiter weiß, lässt einen Ricos Verwirrung sofort nachempfinden, ohne unangenehm oder penetrant zu sein. Auch das Casting ist geglückt: Anatol Aljinovics Rico ist, wie er sein sollte: emotional und ein bisschen langsam. Nur manchmal erscheint er zu reflektiert, was der Figur ein Stück ihrer unfreiwilligen Komik nimmt. Stasys Musial hat keine leichte Aufgabe, denn Oskar geht es richtig schlecht. Er ist reizbar und traurig, aber ungeheuer tapfer. Musial ist überzeugend.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Hier reift ein Poet in eigener Sache heran
Was aus dem Herzen kommt: Andreas Steinhöfel beschert seiner Trilogie um Rico und Oskar ein fulminantes Finale.
Von Eva-Maria Magel
Eine güldne gute Tugend - lüge nie!" Rico liebt diesen Satz nicht nur, weil er ein Vorwärts-rückwärts-Satz ist. Rico sagt, meistens jedenfalls, die Wahrheit. Erstens, weil er weiß, dass er allzu komplizierte Lügengespinste ohnehin nicht beherrschen könnte. Zweitens, weil er nichts leiden kann, das unehrlich ist. Womöglich, würde Rico mit einem seiner Lieblingsworte sagen, käme da noch jemand zu Schaden. Das würde Rico Angst machen - und in seinem Kopf würde es rumoren wie in einer Bingotrommel. Erwachsene nennen Ricos Zustand "Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung". Rico nennt sich "tiefbegabt" und hat natürlich recht.
Wer ihn kennt, seit er zuerst in "Rico, Oskar und die Tieferschatten" (2008) in diesem besonderen Rico-Ton über sich, das Leben in der Berliner Dieffenbachstraße und seine Abenteuer erzählt hat, weiß das. Und kennt Ricos großes Herz. In Andreas Steinhöfels drittem und, so ist es angekündigt, letztem Band "Rico, Oskar und der Diebstahlstein" erleben die Leser, wie auch Rico selbst sich dieser tiefen Begabung bewusst wird.
Unterwegs allerdings müssen eine Leiche gefunden, ein Liebespaar vereint, eine Reise unternommen und vor allem der Diebstahl von Gustav Wilhelm Fitzkes Kalbstein aufgeklärt werden. Es ist ein Finale mit einem "sehr großen Glück", das Steinhöfel seinem Rico gönnt - bisweilen steuert er dabei sogar auf eine Kitschklippe zu. Fast.
Fitzke, das ist der Mann, der einst Ricos Fundnudel, die allererste seiner herrlichen Wortneuschöpfungen, einfach wegfraß. Fitzke, der einsame alte Zausel, glaubte bis zu seinem Tod, es sei ihm gelungen, einen Stein zum Kalben zu bringen. Ein Beschädigter war dieser Fitzke, wie es viele Figuren in Steinhöfels Kinderbuch-Universum sind. Steine auf dem Herzen haben diesmal besonders viele der Leute, von denen Rico, wieder in Form eines Tagebuchs, erzählt. "Herzgebreche", der titelgebende Kummer des zweiten Bands, das "graue Gefühl", wie Rico die Depression beschreibt, all das kommt im kindlichen Alltag vor. Steinhöfel findet dafür Bilder, die Kinder verstehen können und die Ältere faszinieren. Denen dürfte zuweilen der Atem stocken, bei Ricos Analysen von schwierigen Kindern, enttäuschten Erwachsenen und einsamen Herzen.
Im Grunde erzählen Ricos Geschichten immer mehr von Freundschaft und Liebe und den Kurven, die das Leben nimmt, als von Abenteuern. Diesmal müssen der hochbegabte Oskar und der tiefbegabte Rico streiten lernen, Oskars Vater muss lernen, dass Eltern weder die besten Freunde noch die Konkurrenten ihrer Kinder sind. Und in Ricos so unglaublich komischen Lexikon-Kästchen gibt es extrem schwierige Wörter zu klären, "spartanisch" oder "Para-Neujahr". In den wundervollen Illustrationen von Peter Schössow, die den großzahnigen bommelmützigen Oskar und den großäugigen struwwelköpfigen Rico zeigen, sehen die beiden noch genauso aus wie im ersten Band. Rico aber kann mittlerweile nicht nur allein zum Supermarkt finden - er büxt mit Oskar sogar aus.
Ricos Entwicklung gibt Steinhöfel, der vor genau 20 Jahren mit dem Geschichtenbuch "Dirk und ich" seine Karriere als Kinderbuchautor begann, alle Gelegenheit, in Naturbeschreibungen zu schwelgen und Rico zu einem Poeten in eigener Sache reifen zu lassen. Auch wenn diesmal die Mischung aus Naivität und Tiefsinn deutlich die Grenzen dieser Fiktion zeigen, in die begeisterte Leser mit dem ersten Band eingewilligt haben: dass Rico, das tiefbegabte Kind, ein präziser, extrem beredter Erzähler ist. Rico entwächst seiner eigenen Erzählhaltung. Und man wünscht sich, dass Steinhöfel auch in einer anderen, neuen Konstellation eine Figur findet, die so wahrhaftig und zugleich humorvoll ist. Denn Ricos Schilderungen funkeln in einer Komik, gegen die der einzig wertvolle Stein in Fitzkes Sammlung ein blasses Etwas ist.
So kann Rico ihn leichtherzig auf Fitzkes Grab legen und den Kalbstein auf das Herz des Toten. Mag sein, dass seine Mama ihn "Frederico" genannt hat. Rico aber, das ahnt er am Ende, kommt vom italienischen "ricordare" - was erinnern bedeutet oder vielmehr: "sich wieder zu Herzen geben".
Andreas Steinhöfel: "Rico, Oskar und der Diebstahlstein".
Bilder von Peter Schössow. Carlsen Verlag, Hamburg 2011. 330 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was aus dem Herzen kommt: Andreas Steinhöfel beschert seiner Trilogie um Rico und Oskar ein fulminantes Finale.
Von Eva-Maria Magel
Eine güldne gute Tugend - lüge nie!" Rico liebt diesen Satz nicht nur, weil er ein Vorwärts-rückwärts-Satz ist. Rico sagt, meistens jedenfalls, die Wahrheit. Erstens, weil er weiß, dass er allzu komplizierte Lügengespinste ohnehin nicht beherrschen könnte. Zweitens, weil er nichts leiden kann, das unehrlich ist. Womöglich, würde Rico mit einem seiner Lieblingsworte sagen, käme da noch jemand zu Schaden. Das würde Rico Angst machen - und in seinem Kopf würde es rumoren wie in einer Bingotrommel. Erwachsene nennen Ricos Zustand "Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung". Rico nennt sich "tiefbegabt" und hat natürlich recht.
Wer ihn kennt, seit er zuerst in "Rico, Oskar und die Tieferschatten" (2008) in diesem besonderen Rico-Ton über sich, das Leben in der Berliner Dieffenbachstraße und seine Abenteuer erzählt hat, weiß das. Und kennt Ricos großes Herz. In Andreas Steinhöfels drittem und, so ist es angekündigt, letztem Band "Rico, Oskar und der Diebstahlstein" erleben die Leser, wie auch Rico selbst sich dieser tiefen Begabung bewusst wird.
Unterwegs allerdings müssen eine Leiche gefunden, ein Liebespaar vereint, eine Reise unternommen und vor allem der Diebstahl von Gustav Wilhelm Fitzkes Kalbstein aufgeklärt werden. Es ist ein Finale mit einem "sehr großen Glück", das Steinhöfel seinem Rico gönnt - bisweilen steuert er dabei sogar auf eine Kitschklippe zu. Fast.
Fitzke, das ist der Mann, der einst Ricos Fundnudel, die allererste seiner herrlichen Wortneuschöpfungen, einfach wegfraß. Fitzke, der einsame alte Zausel, glaubte bis zu seinem Tod, es sei ihm gelungen, einen Stein zum Kalben zu bringen. Ein Beschädigter war dieser Fitzke, wie es viele Figuren in Steinhöfels Kinderbuch-Universum sind. Steine auf dem Herzen haben diesmal besonders viele der Leute, von denen Rico, wieder in Form eines Tagebuchs, erzählt. "Herzgebreche", der titelgebende Kummer des zweiten Bands, das "graue Gefühl", wie Rico die Depression beschreibt, all das kommt im kindlichen Alltag vor. Steinhöfel findet dafür Bilder, die Kinder verstehen können und die Ältere faszinieren. Denen dürfte zuweilen der Atem stocken, bei Ricos Analysen von schwierigen Kindern, enttäuschten Erwachsenen und einsamen Herzen.
Im Grunde erzählen Ricos Geschichten immer mehr von Freundschaft und Liebe und den Kurven, die das Leben nimmt, als von Abenteuern. Diesmal müssen der hochbegabte Oskar und der tiefbegabte Rico streiten lernen, Oskars Vater muss lernen, dass Eltern weder die besten Freunde noch die Konkurrenten ihrer Kinder sind. Und in Ricos so unglaublich komischen Lexikon-Kästchen gibt es extrem schwierige Wörter zu klären, "spartanisch" oder "Para-Neujahr". In den wundervollen Illustrationen von Peter Schössow, die den großzahnigen bommelmützigen Oskar und den großäugigen struwwelköpfigen Rico zeigen, sehen die beiden noch genauso aus wie im ersten Band. Rico aber kann mittlerweile nicht nur allein zum Supermarkt finden - er büxt mit Oskar sogar aus.
Ricos Entwicklung gibt Steinhöfel, der vor genau 20 Jahren mit dem Geschichtenbuch "Dirk und ich" seine Karriere als Kinderbuchautor begann, alle Gelegenheit, in Naturbeschreibungen zu schwelgen und Rico zu einem Poeten in eigener Sache reifen zu lassen. Auch wenn diesmal die Mischung aus Naivität und Tiefsinn deutlich die Grenzen dieser Fiktion zeigen, in die begeisterte Leser mit dem ersten Band eingewilligt haben: dass Rico, das tiefbegabte Kind, ein präziser, extrem beredter Erzähler ist. Rico entwächst seiner eigenen Erzählhaltung. Und man wünscht sich, dass Steinhöfel auch in einer anderen, neuen Konstellation eine Figur findet, die so wahrhaftig und zugleich humorvoll ist. Denn Ricos Schilderungen funkeln in einer Komik, gegen die der einzig wertvolle Stein in Fitzkes Sammlung ein blasses Etwas ist.
So kann Rico ihn leichtherzig auf Fitzkes Grab legen und den Kalbstein auf das Herz des Toten. Mag sein, dass seine Mama ihn "Frederico" genannt hat. Rico aber, das ahnt er am Ende, kommt vom italienischen "ricordare" - was erinnern bedeutet oder vielmehr: "sich wieder zu Herzen geben".
Andreas Steinhöfel: "Rico, Oskar und der Diebstahlstein".
Bilder von Peter Schössow. Carlsen Verlag, Hamburg 2011. 330 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Trauer darüber, dass dies der letzte Rico-Oskar-Band von Andreas Steinhöfel sein wird, hat bei Eva-Maria Magel keine Chance gegen die Freude an diesem Band, der die beiden Kreuzberger Lausejungs auf Reisen schickt, dem Diebstahlstein hinterherzujagen. Kitschklippen knapp umschifft, meint Magel und liest Ricos Tagebucheintragungen wieder mit Begeisterung für Steinhöfels besonderes Händchen dafür, einen Rotzlöffel mit ADS über Depression und den Tiefsinn des Lebens schwadronieren zu lassen, ohne dass es unglaubwürdig klingt. Alte und Junge, verspricht Magel, kommen dabei voll auf ihre Kosten. Und wenn die Figur mit diesem Band ihrer Rolle entwachsen ist, so bleibt der Rezensentin immerhin die Hoffnung, Steinhöfel möge die Muse wieder küssen für Neues.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Die lustigsten, weisesten, herzwärmsten Bücher übers Kindsein in Berlin!« Berliner Zeitung
"Witzig und eine gute Dosis Impfstoff gegen Höher- oder Minderwertigkeitsgefühle gegenüber anderen Menschen" Nora Knappe Magdeburger Volksstimme 20161230