1818: Franz Wercker, dessen Traum es immer war, Schriftsteller zu sein, flieht vor einer unseligen Familiengeschichte. Als ihn am Gardasee die Kräfte verlassen, will er seinem Leben ein Ende setzen. Die zufällige Begegnung mit dem jungen Dichter Cornelius Lohwaldt, der mit einem Stipendium des bayerischen Königs auf dem Weg nach Rom ist, ändert alles: Franz nimmt seine Identität an. In Rom taucht er ein in die Gemeinschaft deutscher Künstler - junger, begeisterter Enthusiasten, die fern der Heimat hart arbeiten und glücklich leben. Franz findet Freunde, erlebt amouröse Abenteuer - und verliebt sich in eine junge Malerin. Doch als sich Lohwaldts Schwester Isolde auf den Weg nach Rom macht, um ihren Bruder zu suchen, droht das mühsam errichtete Lügenkonstrukt einzustürzen. Als ein Mord geschieht, zieht sich die Schlinge um Franz zusammen...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2018Gruppenbild mit Goethe
Auch Franz war in Arkadien: Christian Schnalke erzählt in "Römisches Fieber" vom Künstlerleben im auswärtigen Dienst
Das Caffè Greco war schon zu Winckelmanns und Goethes Zeiten das Kulturzentrum der deutschen Künstler in Rom. 1818 malte Carl Philipp Fohr das bunte Völkchen im Greco: Maler und Schriftsteller, Klassizisten und Nazarener. Sein Gruppenbildnis blieb unvollendet, Fohr ertrank beim Schwimmen im Tiber. Eine der 47 Figurenstudien, behauptet jedenfalls Christian Schnalke im Vorwort seines Romans, zeigt einen Mann, der bislang nicht identifiziert werden konnte und dessen Leerstelle er jetzt ausgemalt hat. Der große Unbekannte ist Franz Wercker, Zimmermann, Dichter und Vatermörder aus Memmingen.
Wie so viele deutsche Künstler seit Dürer zog es den romantischen Taugenichts nach Rom, in die Arme der "schlafenden Schöne" am Tiber. Aber Franz hatte noch andere Gründe, das Weite zu suchen: Er erschlug im Affekt seinen Vater, einen brutalen Schläger, der ihn sogar einmal zu erzieherischen Zwecken lebendig begrub. Auf der Flucht gen Süden nimmt Wercker nach einem gescheiterten Selbstmordversuch die Identität eines anderen Dichters an, der gerade beim Pinkeln im Gardasee ertrank: Cornelius Lohwaldt, Autor einer patriotischen Hymne auf Germania, reich, arrogant, homosexuell. Franz erbt nicht nur seinen Namen und sein Stipendium, sondern auch seine Schwester. Isolde ist eine böse Hexe, schwindsüchtig, falsch, morbide; in ihrem Schlepptau führt sie eine sadistische Gesellschafterin und ein buckliges Monster mit Herz mit sich. Potzblitz! Lebendig begrabene Doppelgänger, Giftmord, Drogen, Hurerei, eine Domina, die den Glöckner von Notre-Dame auspeitscht, dekadente Wagenrennen im Circus maximus: Schnalke bemüht sich sichtlich um die Erneuerung des schon leicht angegammelten romantischen Künstler-Liebes-Schauerromans in E. T. A. Hoffmanns Manier. Das "römische Fieber" war schon für Henry James die Malariakrankheit verbotener Liebe. Der homosexuelle Vielschreiber Richard Voss schrieb 1901 unter dem nämlichen Titel einen morbid-pikanten Schmachtfetzen über eine deutsch-römische Malerin zwischen Mutterkomplex und Männerliebe. Voss' Prisca war ungefähr so weiblich wie Prousts Albertine.
Schnalke, Autor von Fernseh-Events wie "Krupp", "Katharina Luther" und "Afrika, mon amour", wollte aber keine schwüle Romanze schreiben, sondern einen schön eskapistischen Roman über Künstlerglück und Künstlerpech unter der milden Sonne Roms. Er hält sich meist an die realen Vorbilder, gibt aber im Zweifel "der Poesie vor der Historie den Vorrang". So porträtiert er den polyglotten Friedrich Rückert, den eitlen Kunstkritiker und Feinschmecker Freiherr von Rumohr, die Diplomaten Niebuhr und Häffelin, den bayrischen Kronprinzen Ludwig, Maler Fohr und seinen Hund Grimsel, Griechenmüller, Dichtermüller und die elitär-frömmlerischen Nazarener. Zum Gruppenbild der Deutschrömer gehören auch ein paar Damen, darunter die liebenswürdige Caroline von Humboldt, Aura Kauffmann, eine mondän-frivole Doppelgängerin von Angelika Kauffmann, das unbegabte Fräulein Sturmfeder und die himmelblaue, stets hilfsbereite Clara Seidler, für die Louise Seidler Pate stand.
Schnalke lässt seine Figuren an schon zu Goethes Zeiten touristischen gut erschlossenen Schauplätzen promenieren: Priscilla-Katakomben, Tasso-Eiche, Celsius-Pyramide, Trevi-Brunnen. Der - fiktive - Plot ist eine mit Herzschmerz geladene Räuberpistole, die den fernseherfahrenen Serienautor verrät. Franz zappelt lange in seinem Lügengespinst und Isoldes Krallen, wird fälschlich der Männerliebe bezichtigt, zum Tod verurteilt und von einem reitenden Boten des Kardinals begnadigt. Das kulturelle Sabbatjahr in Rom, die erotisch-künstlerische Auszeit in Arkadien, geht zu Ende. Franz tritt in eine Beamtenlaufbahn ein, Clara in die Dienste des Weimarer Herzogs. Das alles ist sorgfältig recherchiert und mit gepflegter Morbidezza beschrieben, ohne Scheu vor Pathos, Kitsch und dem fiebrigen "Knurren der Panik". Franz, am "warmen Busen" Auras liegend, wird von der Raucherin mit einem Carpe diem bedacht, wie es Goethe nicht schöner hätte formulieren können: "Kurz ist das Leben und hauchdünn die Sphäre des Lebendigen auf dem kalten Felsen unter unseren Füßen." Kann man heute noch so schreiben, unbeleckt von jeder Frauenbewegung und allen Zweifeln der Moderne? "Aufgrund ihrer Schönheit sah er über ihr zänkisches Wesen hinweg, denn er war gewiss, dass sie weicher werden würde, wenn sie erst für eine Schar Kinder sorgte."
Schnalke hat sich, beraten von der Casa di Goethe in Rom, durch die Erinnerungsbücher der deutschen Künstler in Rom gewühlt und auch eigene Erfahrungen in Tokio sowie als Rom-Liebhaber und Amateurkünstler verarbeitet. Das Künstlerleben im auswärtigen Dienst ist ein schönes Privileg, aber kein ewiger Sonntag. Beim Treffen in verschwiegenen Osterias und beim Picknick in kampanischen Gefilden, einzeln goetheanisch dahingelagert wie auf Tischbeins Gemälde oder übermütig scherzend im Kollektiv wie auf Fohrs Skizzen: Immer gibt es neben Wein, Weib und Wohlbehagen auch Missgunst, Intrigen und Eifersucht, aber auch Solidarität und Liebe. Das Caffé Greco ist für Schnalke ein Schlachtfeld der Ambitionen, ein Labor deutscher Befindlichkeiten, das Modell einer gelingenden Künstlerrepublik. Isolde, die ehrgeizige Krämertochter, will unbedingt einen Salon führen, Aura Männer vernaschen, Clara nur idealisch malen, helfen, lieben. Der eine ist Modeautor und hat ein königliches Stipendium zu verlieren, der andere ist genial, bettelarm und todkrank. Dieser malt und schreibt als Spitzel Metternichs, jener hält es mit der Sache der Freiheit. Aber wenn Not am Manne oder die Kunst in Gefahr ist, halten alle zusammen.
Im Caffé Greco ging es vor zweihundert Jahren offenbar nicht anders zu als in der Villa Massimo heute. Allerdings trifft man dort heute eher selten Künstler, die schon mal lebendig begraben waren, oder Sadomaso-Zofen, die den Kutscher zum Vergnügen auspeitschen. So wenig übrigens wie zeitgenössische Schriftsteller, die noch wie Schnalke "reine Lust", ja "Herzklopfen und Sehnsucht" verspüren, wenn sie in Rom an den romantisch verruchten Elixieren des Teufels schnuppern. Freiherr von Rumohr kanzelt Franz' ersten Roman, das im Fieberrausch zu Papier gebrachte "Römische Fieber", übrigens als "belanglosen Schauerroman" ab. Caroline, Goethe und Verleger Cotta urteilen wohlwollender, und so wird das Buch ein Riesenerfolg.
MARTIN HALTER
Christian Schnalke: "Römisches Fieber". Roman.
Piper Verlag, München 2018. 394 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch Franz war in Arkadien: Christian Schnalke erzählt in "Römisches Fieber" vom Künstlerleben im auswärtigen Dienst
Das Caffè Greco war schon zu Winckelmanns und Goethes Zeiten das Kulturzentrum der deutschen Künstler in Rom. 1818 malte Carl Philipp Fohr das bunte Völkchen im Greco: Maler und Schriftsteller, Klassizisten und Nazarener. Sein Gruppenbildnis blieb unvollendet, Fohr ertrank beim Schwimmen im Tiber. Eine der 47 Figurenstudien, behauptet jedenfalls Christian Schnalke im Vorwort seines Romans, zeigt einen Mann, der bislang nicht identifiziert werden konnte und dessen Leerstelle er jetzt ausgemalt hat. Der große Unbekannte ist Franz Wercker, Zimmermann, Dichter und Vatermörder aus Memmingen.
Wie so viele deutsche Künstler seit Dürer zog es den romantischen Taugenichts nach Rom, in die Arme der "schlafenden Schöne" am Tiber. Aber Franz hatte noch andere Gründe, das Weite zu suchen: Er erschlug im Affekt seinen Vater, einen brutalen Schläger, der ihn sogar einmal zu erzieherischen Zwecken lebendig begrub. Auf der Flucht gen Süden nimmt Wercker nach einem gescheiterten Selbstmordversuch die Identität eines anderen Dichters an, der gerade beim Pinkeln im Gardasee ertrank: Cornelius Lohwaldt, Autor einer patriotischen Hymne auf Germania, reich, arrogant, homosexuell. Franz erbt nicht nur seinen Namen und sein Stipendium, sondern auch seine Schwester. Isolde ist eine böse Hexe, schwindsüchtig, falsch, morbide; in ihrem Schlepptau führt sie eine sadistische Gesellschafterin und ein buckliges Monster mit Herz mit sich. Potzblitz! Lebendig begrabene Doppelgänger, Giftmord, Drogen, Hurerei, eine Domina, die den Glöckner von Notre-Dame auspeitscht, dekadente Wagenrennen im Circus maximus: Schnalke bemüht sich sichtlich um die Erneuerung des schon leicht angegammelten romantischen Künstler-Liebes-Schauerromans in E. T. A. Hoffmanns Manier. Das "römische Fieber" war schon für Henry James die Malariakrankheit verbotener Liebe. Der homosexuelle Vielschreiber Richard Voss schrieb 1901 unter dem nämlichen Titel einen morbid-pikanten Schmachtfetzen über eine deutsch-römische Malerin zwischen Mutterkomplex und Männerliebe. Voss' Prisca war ungefähr so weiblich wie Prousts Albertine.
Schnalke, Autor von Fernseh-Events wie "Krupp", "Katharina Luther" und "Afrika, mon amour", wollte aber keine schwüle Romanze schreiben, sondern einen schön eskapistischen Roman über Künstlerglück und Künstlerpech unter der milden Sonne Roms. Er hält sich meist an die realen Vorbilder, gibt aber im Zweifel "der Poesie vor der Historie den Vorrang". So porträtiert er den polyglotten Friedrich Rückert, den eitlen Kunstkritiker und Feinschmecker Freiherr von Rumohr, die Diplomaten Niebuhr und Häffelin, den bayrischen Kronprinzen Ludwig, Maler Fohr und seinen Hund Grimsel, Griechenmüller, Dichtermüller und die elitär-frömmlerischen Nazarener. Zum Gruppenbild der Deutschrömer gehören auch ein paar Damen, darunter die liebenswürdige Caroline von Humboldt, Aura Kauffmann, eine mondän-frivole Doppelgängerin von Angelika Kauffmann, das unbegabte Fräulein Sturmfeder und die himmelblaue, stets hilfsbereite Clara Seidler, für die Louise Seidler Pate stand.
Schnalke lässt seine Figuren an schon zu Goethes Zeiten touristischen gut erschlossenen Schauplätzen promenieren: Priscilla-Katakomben, Tasso-Eiche, Celsius-Pyramide, Trevi-Brunnen. Der - fiktive - Plot ist eine mit Herzschmerz geladene Räuberpistole, die den fernseherfahrenen Serienautor verrät. Franz zappelt lange in seinem Lügengespinst und Isoldes Krallen, wird fälschlich der Männerliebe bezichtigt, zum Tod verurteilt und von einem reitenden Boten des Kardinals begnadigt. Das kulturelle Sabbatjahr in Rom, die erotisch-künstlerische Auszeit in Arkadien, geht zu Ende. Franz tritt in eine Beamtenlaufbahn ein, Clara in die Dienste des Weimarer Herzogs. Das alles ist sorgfältig recherchiert und mit gepflegter Morbidezza beschrieben, ohne Scheu vor Pathos, Kitsch und dem fiebrigen "Knurren der Panik". Franz, am "warmen Busen" Auras liegend, wird von der Raucherin mit einem Carpe diem bedacht, wie es Goethe nicht schöner hätte formulieren können: "Kurz ist das Leben und hauchdünn die Sphäre des Lebendigen auf dem kalten Felsen unter unseren Füßen." Kann man heute noch so schreiben, unbeleckt von jeder Frauenbewegung und allen Zweifeln der Moderne? "Aufgrund ihrer Schönheit sah er über ihr zänkisches Wesen hinweg, denn er war gewiss, dass sie weicher werden würde, wenn sie erst für eine Schar Kinder sorgte."
Schnalke hat sich, beraten von der Casa di Goethe in Rom, durch die Erinnerungsbücher der deutschen Künstler in Rom gewühlt und auch eigene Erfahrungen in Tokio sowie als Rom-Liebhaber und Amateurkünstler verarbeitet. Das Künstlerleben im auswärtigen Dienst ist ein schönes Privileg, aber kein ewiger Sonntag. Beim Treffen in verschwiegenen Osterias und beim Picknick in kampanischen Gefilden, einzeln goetheanisch dahingelagert wie auf Tischbeins Gemälde oder übermütig scherzend im Kollektiv wie auf Fohrs Skizzen: Immer gibt es neben Wein, Weib und Wohlbehagen auch Missgunst, Intrigen und Eifersucht, aber auch Solidarität und Liebe. Das Caffé Greco ist für Schnalke ein Schlachtfeld der Ambitionen, ein Labor deutscher Befindlichkeiten, das Modell einer gelingenden Künstlerrepublik. Isolde, die ehrgeizige Krämertochter, will unbedingt einen Salon führen, Aura Männer vernaschen, Clara nur idealisch malen, helfen, lieben. Der eine ist Modeautor und hat ein königliches Stipendium zu verlieren, der andere ist genial, bettelarm und todkrank. Dieser malt und schreibt als Spitzel Metternichs, jener hält es mit der Sache der Freiheit. Aber wenn Not am Manne oder die Kunst in Gefahr ist, halten alle zusammen.
Im Caffé Greco ging es vor zweihundert Jahren offenbar nicht anders zu als in der Villa Massimo heute. Allerdings trifft man dort heute eher selten Künstler, die schon mal lebendig begraben waren, oder Sadomaso-Zofen, die den Kutscher zum Vergnügen auspeitschen. So wenig übrigens wie zeitgenössische Schriftsteller, die noch wie Schnalke "reine Lust", ja "Herzklopfen und Sehnsucht" verspüren, wenn sie in Rom an den romantisch verruchten Elixieren des Teufels schnuppern. Freiherr von Rumohr kanzelt Franz' ersten Roman, das im Fieberrausch zu Papier gebrachte "Römische Fieber", übrigens als "belanglosen Schauerroman" ab. Caroline, Goethe und Verleger Cotta urteilen wohlwollender, und so wird das Buch ein Riesenerfolg.
MARTIN HALTER
Christian Schnalke: "Römisches Fieber". Roman.
Piper Verlag, München 2018. 394 S., geb., 22,- [Euro].
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»(Eine) anregende, spannungsvolle, aber auch bildungssatte Lektüre.« Badische Neueste Nachrichten 20190130