Die Fortsetzung des SPIEGEL-Bestsellers »Das Land der Anderen«
Im Sommer 1968 kehrt Aïcha Belhaj nach vier Jahren Medizinstudium in Straßburg nach Marokko zurück. In Frankreich gehen die Studenten auf die Straße, von den Barrikaden tönt der Ruf nach gesellschaftlicher Veränderung. Doch in ihrer Heimat trifft die angehende Ärztin auf eine erstarrte Welt, die für sie zur Herausforderung wird. Ihre Familie ist zerrissen. Die Farm ihres Vaters floriert, Aïchas Bruder Selim leidet unter den hohen Erwartungen des Vaters und taucht in einer Hippiekommune unter. Wie soll Aïcha sich behaupten in einem Land, in dem bisher nur Männer Ärzte sind und das von einem autoritären König regiert wird, der jede Reform unterdrückt? Dann begegnet sie einem Wirtschaftsstudenten, den alle nur »Karl Marx« nennen. Kann Aïcha mit ihm ihren Traum von einem Leben als unabhängige und selbstständige Frau verwirklichen? Wie viel Wandel ist möglich, wie frei kann sie sein?
Ungekürzte Lesung mit Wiebke Puls
1 MP3-CD, 9h 53min
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Im Sommer 1968 kehrt Aïcha Belhaj nach vier Jahren Medizinstudium in Straßburg nach Marokko zurück. In Frankreich gehen die Studenten auf die Straße, von den Barrikaden tönt der Ruf nach gesellschaftlicher Veränderung. Doch in ihrer Heimat trifft die angehende Ärztin auf eine erstarrte Welt, die für sie zur Herausforderung wird. Ihre Familie ist zerrissen. Die Farm ihres Vaters floriert, Aïchas Bruder Selim leidet unter den hohen Erwartungen des Vaters und taucht in einer Hippiekommune unter. Wie soll Aïcha sich behaupten in einem Land, in dem bisher nur Männer Ärzte sind und das von einem autoritären König regiert wird, der jede Reform unterdrückt? Dann begegnet sie einem Wirtschaftsstudenten, den alle nur »Karl Marx« nennen. Kann Aïcha mit ihm ihren Traum von einem Leben als unabhängige und selbstständige Frau verwirklichen? Wie viel Wandel ist möglich, wie frei kann sie sein?
Ungekürzte Lesung mit Wiebke Puls
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Freiheitsdrang im Dreivierteltakt
Ein Land sucht seine Identität: Leïla Slimani setzt mit "Schaut, wie wir tanzen" die Chronik ihrer Heimat Marokko als epische Familiensaga fort.
Von Sandra Kegel
Dem "New Yorker" erzählte Leïla Slimani einmal anlässlich einer Kurzgeschichte, die sie aus Sicht eines Vergewaltigers verfasst hatte, dass sie über das schreibe, was ihr am meisten Angst mache. Gewiss trifft diese Selbstwahrnehmung auch auf ihren zweiten Roman "Dann schlaf auch du" zu, mit dem die 1981 in Rabat geborene Schriftstellerin berühmt wurde und für den sie 2016 nicht nur den Prix Goncourt erhielt, sondern von Präsident Macron prompt zur Kulturministerin gemacht werden sollte, was sie dankend ablehnte. In dieser Schauergeschichte um die Kinderfrau Louise, die in Paris die ihr anvertrauten Kinder ermordet, drehte Slimani die klassischen Überschneidungen von Klasse und Herkunft auf provozierende Weise um, indem nicht etwa die Hausangestellte aus Nordafrika stammte wie so häufig in Frankreich, sondern die Mutter, in deren Diensten Louise stand. Letztere sollte sich im Rückblick als eine Vorläuferin jener abgehängten Franzosen erweisen, die zwei Jahre später in Paris mit gelben Westen von sich reden machten.
Während diese Erzählung gekennzeichnet ist durch kurze, stoßende Sätze, die ihre Leser durch das Drama regelrecht hindurchquälen, ist die Trilogie, an der Leïla Slimani seit "Das Land der Anderen" (2021) arbeitet, von anderer Art. Aus dem Fundus der eigenen marokkanischen Familiengeschichte und den Erlebnissen dreier Generationen schöpfend, ist soeben der zweite Band "Schaut, wie wir tanzen" erschienen. Gleich auf den ersten Seiten stechen die atmosphärisch dichten Sätze ins Auge, die vielfach geschichtet sind und schillern wie ein orientalischer Teppich. Anders als "Dann schlaf auch du", das sich kammerspielartig in Zeit und Raum beschränkt, geht die Autorin in dieser Saga ferrantehaft sowohl in die Horizontale, indem sie die Geschicke unendlich vieler Personen verfolgt, als auch in die Vergangenheit.
Der "Zitrangenbaum" im Garten der Familie Belhaj, die in Meknès im Norden Marokkos eine Farm betreibt, ist die zentrale Metapher des ersten Bandes. Sie seien wie dieser Baum, halb Zitrone, halb Orange, hatte Amine, der mit der Französin Mathilde verheiratet ist, gesagt, um ihre multiple Identität zu beschreiben. Von dieser Zerrissenheit im großen politischen Gefüge wie im Privaten erzählt der neue Roman. Zum Auftakt im April 1968 wird als Erstes das Mischlingsgewächs gefällt. Es muss einem Swimmingpool weichen.
Der Garten mit seinen Lavendel- und Rosmarinbüschen, den Lilien und Dahlien war stets ein Schutzraum für Mathilde, und doch ist sie es, die auf den Pool besteht, weil er für Wohlstand steht, für Modernität und eine strahlende Zukunft. Dabei wird es nicht lange dauern, bis Amine, der sich mit aller Kraft dagegen gewehrt hatte, inzwischen aber vor Geld und Selbstgefälligkeit platzt, ebendort die pompösesten Feste feiert und seine Frau betrügt.
Seit zehn Jahren steht Marokko nicht mehr unter französischem Protektorat, und der Pariser Mai 1968 hat nicht nur Begriffe wie Autonomie und Emanzipation über das Mittelmeer nach Nordafrika gebracht, sondern auch Hippies in blumenbemalten VW-Bussen, die sich in Essaouira niederlassen, und Fernsehgeräte, auf denen die Menschen staunend die Mondlandung verfolgen. Marokko lebt in zwei Geschwindigkeiten. Für die Jüngeren wie das Liebespaar Mehdi und Aïcha mag in den Städten das Leben freier geworden sein, sie tanzen in Lokalen, in denen fünfzehn Jahre zuvor noch Schilder verkündeten: "Für Marokkaner kein Zutritt". Auch Jimi Hendrix, Jacques Brel und Roland Barthes kann man dort begegnen. In der Provinz aber herrschen nach wie vor die ehernen Gesetze. Das Land ist bitterarm und wird von einem reichen Königshaus mit harter Hand regiert. Frauen haben kaum Rechte, Studentenrevolten werden niedergeschlagen, und die junge Generation, die nicht nur leben, sondern auch lernen will, wird vom König verhöhnt: "Es wäre besser gewesen, ihr wärt alle Analphabeten."
Die Mitglieder der Familie Belhaj, die Kinder Aïcha und Selim, die Tanten und Onkel, Cousinen wie auch die Angestellten der Farm suchen auf je eigene Weise sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Mathilde und Amine sind längst Teil jener Schicht, in der sich wohlhabende Marokkaner und jene Franzosen mischen, die nach der Unabhängigkeit geblieben sind. Zuweilen bricht sich die Verachtung der einstigen Kolonialherren gegenüber den Einheimischen Bahn, aber auch die Selbstzweifel der Marokkaner, die den Vermögenden unter ihnen bescheinigen, auch nicht anders zu leben als russische Großgrundbesitzer. Die Jugend liest derweil in Cafés "Le Monde" oder wettet auf Pferderennen in Paris: "Wann wird man begreifen, dass wir unsere eigene Persönlichkeit entwickeln, unsere eigene Kultur kennenlernen, unser Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen müssen?"
Wie die Mechanismen von Unterdrückung und Identitätssuche nicht nur das Bewusstsein prägen, sondern die Körper beschädigen, beschreibt Leïla Slimani ein ums andere Mal, wenn sie Gesichter in den Blick nimmt, die aufquellen oder von Ekzemen befallen sind. Wenn Frauen sich aus Enttäuschung die Bäuche vollstopfen mit Süßigkeiten und Kinder tot geboren werden. Selim, der Außenseiter der Familie, ringt mit seiner Sexualität, während seine Schwester Aïcha, die in Straßburg Medizin studiert hat, professionell mit Körpern befasst ist.
Hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne legt Slimani in dieser Chronik des postkolonialen Marokkos die Erzählfäden immer neu aus. Das ist aufwendig recherchiert, leidet aber bisweilen darunter, dass zu viele Bilder gemalt und zu viele Figuren bemüht werden, um all die Entwicklungen zu schultern. Umso stärker tritt die Präsenz der Frauen hervor. Sie halten den Clan zusammen und verteidigen ihn im Krisenfall. Das führt zu dem Paradox, dass in dieser patriarchalen Gesellschaft der späten Sechziger-und frühen Siebzigerjahre die Frauen sogar freier erscheinen als die Männer, die sich an überkommene Werte klammern und gegen diese irritierende weibliche Souveränität ankämpfen. Das macht den Männern Angst und führt Leïla Slimani zugleich zurück zu ihrem ureigenen Thema.
Leïla Slimani: "Schaut, wie wir tanzen". Roman.
Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2022. 384 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Land sucht seine Identität: Leïla Slimani setzt mit "Schaut, wie wir tanzen" die Chronik ihrer Heimat Marokko als epische Familiensaga fort.
Von Sandra Kegel
Dem "New Yorker" erzählte Leïla Slimani einmal anlässlich einer Kurzgeschichte, die sie aus Sicht eines Vergewaltigers verfasst hatte, dass sie über das schreibe, was ihr am meisten Angst mache. Gewiss trifft diese Selbstwahrnehmung auch auf ihren zweiten Roman "Dann schlaf auch du" zu, mit dem die 1981 in Rabat geborene Schriftstellerin berühmt wurde und für den sie 2016 nicht nur den Prix Goncourt erhielt, sondern von Präsident Macron prompt zur Kulturministerin gemacht werden sollte, was sie dankend ablehnte. In dieser Schauergeschichte um die Kinderfrau Louise, die in Paris die ihr anvertrauten Kinder ermordet, drehte Slimani die klassischen Überschneidungen von Klasse und Herkunft auf provozierende Weise um, indem nicht etwa die Hausangestellte aus Nordafrika stammte wie so häufig in Frankreich, sondern die Mutter, in deren Diensten Louise stand. Letztere sollte sich im Rückblick als eine Vorläuferin jener abgehängten Franzosen erweisen, die zwei Jahre später in Paris mit gelben Westen von sich reden machten.
Während diese Erzählung gekennzeichnet ist durch kurze, stoßende Sätze, die ihre Leser durch das Drama regelrecht hindurchquälen, ist die Trilogie, an der Leïla Slimani seit "Das Land der Anderen" (2021) arbeitet, von anderer Art. Aus dem Fundus der eigenen marokkanischen Familiengeschichte und den Erlebnissen dreier Generationen schöpfend, ist soeben der zweite Band "Schaut, wie wir tanzen" erschienen. Gleich auf den ersten Seiten stechen die atmosphärisch dichten Sätze ins Auge, die vielfach geschichtet sind und schillern wie ein orientalischer Teppich. Anders als "Dann schlaf auch du", das sich kammerspielartig in Zeit und Raum beschränkt, geht die Autorin in dieser Saga ferrantehaft sowohl in die Horizontale, indem sie die Geschicke unendlich vieler Personen verfolgt, als auch in die Vergangenheit.
Der "Zitrangenbaum" im Garten der Familie Belhaj, die in Meknès im Norden Marokkos eine Farm betreibt, ist die zentrale Metapher des ersten Bandes. Sie seien wie dieser Baum, halb Zitrone, halb Orange, hatte Amine, der mit der Französin Mathilde verheiratet ist, gesagt, um ihre multiple Identität zu beschreiben. Von dieser Zerrissenheit im großen politischen Gefüge wie im Privaten erzählt der neue Roman. Zum Auftakt im April 1968 wird als Erstes das Mischlingsgewächs gefällt. Es muss einem Swimmingpool weichen.
Der Garten mit seinen Lavendel- und Rosmarinbüschen, den Lilien und Dahlien war stets ein Schutzraum für Mathilde, und doch ist sie es, die auf den Pool besteht, weil er für Wohlstand steht, für Modernität und eine strahlende Zukunft. Dabei wird es nicht lange dauern, bis Amine, der sich mit aller Kraft dagegen gewehrt hatte, inzwischen aber vor Geld und Selbstgefälligkeit platzt, ebendort die pompösesten Feste feiert und seine Frau betrügt.
Seit zehn Jahren steht Marokko nicht mehr unter französischem Protektorat, und der Pariser Mai 1968 hat nicht nur Begriffe wie Autonomie und Emanzipation über das Mittelmeer nach Nordafrika gebracht, sondern auch Hippies in blumenbemalten VW-Bussen, die sich in Essaouira niederlassen, und Fernsehgeräte, auf denen die Menschen staunend die Mondlandung verfolgen. Marokko lebt in zwei Geschwindigkeiten. Für die Jüngeren wie das Liebespaar Mehdi und Aïcha mag in den Städten das Leben freier geworden sein, sie tanzen in Lokalen, in denen fünfzehn Jahre zuvor noch Schilder verkündeten: "Für Marokkaner kein Zutritt". Auch Jimi Hendrix, Jacques Brel und Roland Barthes kann man dort begegnen. In der Provinz aber herrschen nach wie vor die ehernen Gesetze. Das Land ist bitterarm und wird von einem reichen Königshaus mit harter Hand regiert. Frauen haben kaum Rechte, Studentenrevolten werden niedergeschlagen, und die junge Generation, die nicht nur leben, sondern auch lernen will, wird vom König verhöhnt: "Es wäre besser gewesen, ihr wärt alle Analphabeten."
Die Mitglieder der Familie Belhaj, die Kinder Aïcha und Selim, die Tanten und Onkel, Cousinen wie auch die Angestellten der Farm suchen auf je eigene Weise sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Mathilde und Amine sind längst Teil jener Schicht, in der sich wohlhabende Marokkaner und jene Franzosen mischen, die nach der Unabhängigkeit geblieben sind. Zuweilen bricht sich die Verachtung der einstigen Kolonialherren gegenüber den Einheimischen Bahn, aber auch die Selbstzweifel der Marokkaner, die den Vermögenden unter ihnen bescheinigen, auch nicht anders zu leben als russische Großgrundbesitzer. Die Jugend liest derweil in Cafés "Le Monde" oder wettet auf Pferderennen in Paris: "Wann wird man begreifen, dass wir unsere eigene Persönlichkeit entwickeln, unsere eigene Kultur kennenlernen, unser Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen müssen?"
Wie die Mechanismen von Unterdrückung und Identitätssuche nicht nur das Bewusstsein prägen, sondern die Körper beschädigen, beschreibt Leïla Slimani ein ums andere Mal, wenn sie Gesichter in den Blick nimmt, die aufquellen oder von Ekzemen befallen sind. Wenn Frauen sich aus Enttäuschung die Bäuche vollstopfen mit Süßigkeiten und Kinder tot geboren werden. Selim, der Außenseiter der Familie, ringt mit seiner Sexualität, während seine Schwester Aïcha, die in Straßburg Medizin studiert hat, professionell mit Körpern befasst ist.
Hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne legt Slimani in dieser Chronik des postkolonialen Marokkos die Erzählfäden immer neu aus. Das ist aufwendig recherchiert, leidet aber bisweilen darunter, dass zu viele Bilder gemalt und zu viele Figuren bemüht werden, um all die Entwicklungen zu schultern. Umso stärker tritt die Präsenz der Frauen hervor. Sie halten den Clan zusammen und verteidigen ihn im Krisenfall. Das führt zu dem Paradox, dass in dieser patriarchalen Gesellschaft der späten Sechziger-und frühen Siebzigerjahre die Frauen sogar freier erscheinen als die Männer, die sich an überkommene Werte klammern und gegen diese irritierende weibliche Souveränität ankämpfen. Das macht den Männern Angst und führt Leïla Slimani zugleich zurück zu ihrem ureigenen Thema.
Leïla Slimani: "Schaut, wie wir tanzen". Roman.
Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2022. 384 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Ursula März spürt den Bezug zur Gegenwart in Leila Slimanis zweitem Band ihrer Familiensaga. Die Erlebnisse einer Elsässerin im Marokko des Jahres 1968 geben laut März den Blick frei auf die kulturellen Verwerfungen der Epoche zwischen Moderne und Tradition. Mit der Tochter der im ersten Band eingeführten Figur rückt das bürgerliche Aufsteigerglück der Eltern in den Hintergrund und Ideen der Revolution werden thematisiert, erläutert März. Elemente des Familienromans wie ein großes Figurenensemble und eine Fülle von Episoden und Milieus handhabt die Autorin laut März souverän und legt für die Leserin einen gut sichtbaren roten Faden durch die Geschichte: die weibliche Genealogie in postkolonialen Verhältnissen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Schon der erste Teil hat mich so mitgenommen und so begeistert. Am Ende dieses Teils brach ich in Tränen aus, weil es so versöhnlich ist - aber auf eine ganz realistische, unaufgeregte Weise, in der so viel gelebtes Leben steckt.« Daniel Schreiber / Süddeutsche Zeitung