Ein junger Mann verlässt seine vom Krieg zerstörte Heimat Bosnien. Er landet in Kalifornien, unter einem ewig blauen Himmel. Zurückgelassen hat er seine Eltern, seine erste Liebe, einen Teil von sich. Jemand rät ihm, alles aufzuschreiben, um die Vergangenheit zu ordnen. Die Bilder der Kindheit kommen, süß und schmerzvoll. Tuzla, die belagerte Stadt. Das Sommerhaus. Doch wer ist Mustafa, dessen Geschichte sich in seine drängt? Die Erinnerungen zerfallen wie in tausend Scherben ...
Ein ergreifender Roman über das, was der Krieg im Menschen zerstört.
"Ein beeindruckender, beunruhigender, kraftvoller Roman." The New York Times
Ein ergreifender Roman über das, was der Krieg im Menschen zerstört.
"Ein beeindruckender, beunruhigender, kraftvoller Roman." The New York Times
buecher-magazin.deBosnien in den 1990er Jahren: Ein junger Mann flieht vor dem Krieg in die USA. Sein Name, Ismet Prcic, deutet an, dass der Roman autobiografische Züge trägt. Klar und schnörkellos, emotional zurückgenommen erzählt Prcic von Kindheit, Krieg und Flucht. Doch die Erzählungen sind brüchig, darunter scheint ein Sprengsatz zu liegen. Explodiert er, bleiben nur - Scherben. Den Ton des Erzählers und die Spannung des Textes fängt Jörg Pohl meisterhaft ein. Beim Hören vergisst man, dass hier nicht die Hauptfigur selbst spricht, sondern ein anderer.
Der Text, den Jörg Pohl so authentisch liest, besteht aus mehreren Tagebucheinträgen. Denn jemand hat Ismet Prcic geraten, "alles aufzuschreiben", um sein Kriegstrauma zu verarbeiten. Bilder aus der Kindheit, als sich erste Spannungen zwischen Moslems und Christen abzeichnen, stehen neben den Erinnerungen an die Flucht und an die Familie, die im Krieg auseinanderbricht. Doch zwischen die Tagebuchsequenzen schieben sich Erlebnisse eines anderen: Mustafa, ein junger Mann, erlebt die Grausamkeiten des Krieges als Soldat mit. Mehr und mehr verschwimmen die Geschichten von Mustafa und Ismet ineinander, die eindeutige Realität löst sich auf.
© BÜCHERmagazin, Ann-Kathrin Maar (akm)
Der Text, den Jörg Pohl so authentisch liest, besteht aus mehreren Tagebucheinträgen. Denn jemand hat Ismet Prcic geraten, "alles aufzuschreiben", um sein Kriegstrauma zu verarbeiten. Bilder aus der Kindheit, als sich erste Spannungen zwischen Moslems und Christen abzeichnen, stehen neben den Erinnerungen an die Flucht und an die Familie, die im Krieg auseinanderbricht. Doch zwischen die Tagebuchsequenzen schieben sich Erlebnisse eines anderen: Mustafa, ein junger Mann, erlebt die Grausamkeiten des Krieges als Soldat mit. Mehr und mehr verschwimmen die Geschichten von Mustafa und Ismet ineinander, die eindeutige Realität löst sich auf.
© BÜCHERmagazin, Ann-Kathrin Maar (akm)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2013Imperium zerstörter Seelen
Der Zerfall Jugoslawiens hat eine neue Generation von Autoren hervorgebracht. Wie einige von ihnen schreibt auch Ismet Prcic über Kindheit und Jugend im Krieg.
In den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien zerbarst das kommunistische Vielvölkerreich, selbst eine Art Zerfallsprodukt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Gleichzeitig entstand ein neues, grausames Imperium, eines der Traumata: Hunderttausende wurden vertrieben, Familien zerrissen, Lebensträume zerstört, von den Toten ganz zu schweigen. Die Kinder dieser Kriege, Angehörige der letzten noch im alten sozialistischen Jugoslawien geborenen und aufgewachsenen Generation, melden sich nun mit Vehemenz literarisch zu Wort. Ihre Bücher lassen sich in den Scherbenstücken der einstigen Heimat verorten und in der Unbehaustheit zahlreicher Exile, die scheinbar noch lange nicht zu einer neuen Heimat werden. Eine gewisse Nostalgie für das alte Tito-Imperium verbindet sie ebenso wie die Wut, dass ihnen die Vertrautheit der Kindheitsräume und ein Teil des Kindseins selbst auf brutale, sinnlose Weise genommen wurden.
Der 1977 in Tuzla, im heutigen Bosnien-Hercegovina geborene Ismet Prcic versucht in seinem Romandebüt die malträtierte Seelenlandschaft eines bosnischen Kriegsflüchtlings in den Vereinigten Staaten zu dekontaminieren. Prcic spricht man "Persick" aus, was vielleicht ein Hinweis auf eine entfernte Herkunft des bosnischen Muslims sein könnte, der heute im amerikanischen Bundesstaat Oregon lebt und dort an einem College Theater unterrichtet. Der Held seines Romans ist ein fiktionales Alter Ego, das seinen Namen trägt und dessen Biographie sich in vielem mit der des Autors deckt, den der Krieg als Achtzehnjähriger jäh ans andere Ende der Welt geschleudert hat. Erinnerungen, Briefe und Tagebuchnotizen werden zu einer Art brüchigem Mosaik montiert, über das sich das Schicksal des Erzählers und eines als Soldat in der Heimat gebliebenen Doppelgängers erschließt. Es ist ein zorniges, ein verzweifeltes Buch, dessen nicht immer einfache Erzählstruktur den desolaten Seelenzustand der Charaktere eindrucksvoll spiegelt.
Eine relativ unbeschwerte Kindheit in bescheidenen Verhältnissen, der Vater war Ingenieur, die Mutter Krankenschwester, es gibt einen kleineren Bruder, endet mit dem Ausbruch des Krieges, den die kettenrauchende Mutter einer Kassandra gleich voraussagte. Gleichsam über Nacht werden aus Nachbarn Feinde, über deren Grundstück man nicht mehr wie gewohnt zum Wochenendhäuschen gelangt, bis man es ganz aufgeben muss. Der Krieg rückt näher, so nah, dass man simultan die Bombe im Nachbarhaus und das Einschlagen der Bombe im Nachbarhaus im Fernsehen sehen kann. Die Kriege in Jugoslawien demonstrierten neben vielen anderen Greueln auch das Perfide der neuen Medienwelt: Die Opfer der Gewalt konnten sich medial als Opfer auf dem Bildschirm sehen, nahezu gleichzeitig. Im Abnormen versucht man verzweifelt, Normalität aufrechtzuerhalten, was nur sehr bedingt in dem Hin und Her von Flucht und Rückkehr, Hunger, Zerstörung und Enge gelingen kann. Im Ausnahmezustand des Krieges erlebt Ismet nicht nur die Auswirkungen der Massaker, sondern auch die ersten Pickel, die erste Liebe, den ersten Kuss, den ersten Streit, Teenager-Romantik in den Grenzen von Ausgangssperre und Bombardements. Zum Kampf um Normalität zählt auch sein hartnäckiger Versuch, in einer Theatergruppe mitzuspielen, der es kurz nach seiner Musterung zum Militär wie durch ein Wunder gelingt, zu einem Gastspiel nach Schottland zu reisen, wo sich die meisten Mitstreiter absetzen, um der Rückkehr in die kriegszerrüttete Heimat zu entgehen.
Ismet muss nach Zagreb zurück, um dort seine Ausreise zu einem Verwandten in die Vereinigten Staaten zu betreiben. Während ihm dies nach zermürbendem Warten in der gefährlichen Illegalität in Kroatien gelingt - schließlich ist er Angehöriger einer feindlichen Armee -, erwartet ihn in den Vereinigten Staaten alles andere als das Gelobte Land. Der Krieg verfolgt ihn psychisch und physisch - in einem Vorort in Kalifornien gerät der inzwischen obdachlose Bosnier zufällig auf eine scheinbar harmlose Geburtstagsparty. Die Gastgeber, das stellt sich bald heraus, sind serbische Tschetniks, die ihn für einen der Ihren halten, der möglichst vielen Bosniern mit den eigenen Händen den Hals umgedreht und das Herz aus der Brust gerissen hat. In seine retrospektiven Aufzeichnungen, geschrieben auf Anraten eines amerikanischen Therapeuten, verwebt sich immer stärker eine zweite Figur, die eines Doppelgängers, der zusammen mit ihm in Bosnien gemustert wurde und anders als Ismet in den Krieg ziehen musste, in dem er Grausames erlebt.
Auf diese Weise gelingt es dem Autor, beide Traumata seiner Generation zu erzählen, das des Exils, der Trennung von der inzwischen zerrütteten Familie, der depressiven, suizidgefährdeten Mutter, dem erfolglosen Bruder, der zurückgelassenen Liebe, der Unbehaustheit in der Fremde einerseits und das Trauma der körperlichen und seelischen Qualen jener, die fast noch als Kinder in einen Kampf geschickt wurden, dessen politische Hintergründe sie nur schwer begreifen konnten. Nur eine Armbinde an den alten Uniformen der jugoslawischen Armee unterschied die Kämpfer, die noch bis vor kurzem Schulfreunde, Verwandte, Nachbarn waren. Am Ende verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Figuren, und es bleibt ungewiss, wer von beiden überlebt und wer nicht.
Ismet Prcic schreibt auf Amerikanisch, ähnlich wie seine Schriftstellerkollegen Tea Obreth und Alexander Hemon, die ebenfalls in den neunziger Jahren als Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien in den Vereinigten Staaten strandeten. Anders als sein Held konnte der Autor keinen Therapeuten finanzieren und schrieb sich in einer Pause von der Theaterarbeit seine Dämonen von der Seele. Die sprachliche Distanz zwischen Erlebtem und Erzähltem mag ihm dabei eine Hilfe gewesen sein. Ungeachtet der Sprache, die klar und zuweilen im schnoddrigen Ton eines Teenagers daherkommt, ist er damit Teil einer neuen Welle einer postjugoslawischen Literatur junger Autoren, die in ihren Büchern versuchen, die Verluste der jüngsten Vergangenheit, darunter den der Heimat, die eben auch die Heimat der Kindheit war, zu bewältigen. Die Scherben kleben sie dabei nicht wieder zusammen, sie sammeln sie vielmehr in einer Art Museum der Traumata.
SABINE BERKING
Ismet Prcic: "Scherben". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 440 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Zerfall Jugoslawiens hat eine neue Generation von Autoren hervorgebracht. Wie einige von ihnen schreibt auch Ismet Prcic über Kindheit und Jugend im Krieg.
In den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien zerbarst das kommunistische Vielvölkerreich, selbst eine Art Zerfallsprodukt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Gleichzeitig entstand ein neues, grausames Imperium, eines der Traumata: Hunderttausende wurden vertrieben, Familien zerrissen, Lebensträume zerstört, von den Toten ganz zu schweigen. Die Kinder dieser Kriege, Angehörige der letzten noch im alten sozialistischen Jugoslawien geborenen und aufgewachsenen Generation, melden sich nun mit Vehemenz literarisch zu Wort. Ihre Bücher lassen sich in den Scherbenstücken der einstigen Heimat verorten und in der Unbehaustheit zahlreicher Exile, die scheinbar noch lange nicht zu einer neuen Heimat werden. Eine gewisse Nostalgie für das alte Tito-Imperium verbindet sie ebenso wie die Wut, dass ihnen die Vertrautheit der Kindheitsräume und ein Teil des Kindseins selbst auf brutale, sinnlose Weise genommen wurden.
Der 1977 in Tuzla, im heutigen Bosnien-Hercegovina geborene Ismet Prcic versucht in seinem Romandebüt die malträtierte Seelenlandschaft eines bosnischen Kriegsflüchtlings in den Vereinigten Staaten zu dekontaminieren. Prcic spricht man "Persick" aus, was vielleicht ein Hinweis auf eine entfernte Herkunft des bosnischen Muslims sein könnte, der heute im amerikanischen Bundesstaat Oregon lebt und dort an einem College Theater unterrichtet. Der Held seines Romans ist ein fiktionales Alter Ego, das seinen Namen trägt und dessen Biographie sich in vielem mit der des Autors deckt, den der Krieg als Achtzehnjähriger jäh ans andere Ende der Welt geschleudert hat. Erinnerungen, Briefe und Tagebuchnotizen werden zu einer Art brüchigem Mosaik montiert, über das sich das Schicksal des Erzählers und eines als Soldat in der Heimat gebliebenen Doppelgängers erschließt. Es ist ein zorniges, ein verzweifeltes Buch, dessen nicht immer einfache Erzählstruktur den desolaten Seelenzustand der Charaktere eindrucksvoll spiegelt.
Eine relativ unbeschwerte Kindheit in bescheidenen Verhältnissen, der Vater war Ingenieur, die Mutter Krankenschwester, es gibt einen kleineren Bruder, endet mit dem Ausbruch des Krieges, den die kettenrauchende Mutter einer Kassandra gleich voraussagte. Gleichsam über Nacht werden aus Nachbarn Feinde, über deren Grundstück man nicht mehr wie gewohnt zum Wochenendhäuschen gelangt, bis man es ganz aufgeben muss. Der Krieg rückt näher, so nah, dass man simultan die Bombe im Nachbarhaus und das Einschlagen der Bombe im Nachbarhaus im Fernsehen sehen kann. Die Kriege in Jugoslawien demonstrierten neben vielen anderen Greueln auch das Perfide der neuen Medienwelt: Die Opfer der Gewalt konnten sich medial als Opfer auf dem Bildschirm sehen, nahezu gleichzeitig. Im Abnormen versucht man verzweifelt, Normalität aufrechtzuerhalten, was nur sehr bedingt in dem Hin und Her von Flucht und Rückkehr, Hunger, Zerstörung und Enge gelingen kann. Im Ausnahmezustand des Krieges erlebt Ismet nicht nur die Auswirkungen der Massaker, sondern auch die ersten Pickel, die erste Liebe, den ersten Kuss, den ersten Streit, Teenager-Romantik in den Grenzen von Ausgangssperre und Bombardements. Zum Kampf um Normalität zählt auch sein hartnäckiger Versuch, in einer Theatergruppe mitzuspielen, der es kurz nach seiner Musterung zum Militär wie durch ein Wunder gelingt, zu einem Gastspiel nach Schottland zu reisen, wo sich die meisten Mitstreiter absetzen, um der Rückkehr in die kriegszerrüttete Heimat zu entgehen.
Ismet muss nach Zagreb zurück, um dort seine Ausreise zu einem Verwandten in die Vereinigten Staaten zu betreiben. Während ihm dies nach zermürbendem Warten in der gefährlichen Illegalität in Kroatien gelingt - schließlich ist er Angehöriger einer feindlichen Armee -, erwartet ihn in den Vereinigten Staaten alles andere als das Gelobte Land. Der Krieg verfolgt ihn psychisch und physisch - in einem Vorort in Kalifornien gerät der inzwischen obdachlose Bosnier zufällig auf eine scheinbar harmlose Geburtstagsparty. Die Gastgeber, das stellt sich bald heraus, sind serbische Tschetniks, die ihn für einen der Ihren halten, der möglichst vielen Bosniern mit den eigenen Händen den Hals umgedreht und das Herz aus der Brust gerissen hat. In seine retrospektiven Aufzeichnungen, geschrieben auf Anraten eines amerikanischen Therapeuten, verwebt sich immer stärker eine zweite Figur, die eines Doppelgängers, der zusammen mit ihm in Bosnien gemustert wurde und anders als Ismet in den Krieg ziehen musste, in dem er Grausames erlebt.
Auf diese Weise gelingt es dem Autor, beide Traumata seiner Generation zu erzählen, das des Exils, der Trennung von der inzwischen zerrütteten Familie, der depressiven, suizidgefährdeten Mutter, dem erfolglosen Bruder, der zurückgelassenen Liebe, der Unbehaustheit in der Fremde einerseits und das Trauma der körperlichen und seelischen Qualen jener, die fast noch als Kinder in einen Kampf geschickt wurden, dessen politische Hintergründe sie nur schwer begreifen konnten. Nur eine Armbinde an den alten Uniformen der jugoslawischen Armee unterschied die Kämpfer, die noch bis vor kurzem Schulfreunde, Verwandte, Nachbarn waren. Am Ende verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Figuren, und es bleibt ungewiss, wer von beiden überlebt und wer nicht.
Ismet Prcic schreibt auf Amerikanisch, ähnlich wie seine Schriftstellerkollegen Tea Obreth und Alexander Hemon, die ebenfalls in den neunziger Jahren als Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien in den Vereinigten Staaten strandeten. Anders als sein Held konnte der Autor keinen Therapeuten finanzieren und schrieb sich in einer Pause von der Theaterarbeit seine Dämonen von der Seele. Die sprachliche Distanz zwischen Erlebtem und Erzähltem mag ihm dabei eine Hilfe gewesen sein. Ungeachtet der Sprache, die klar und zuweilen im schnoddrigen Ton eines Teenagers daherkommt, ist er damit Teil einer neuen Welle einer postjugoslawischen Literatur junger Autoren, die in ihren Büchern versuchen, die Verluste der jüngsten Vergangenheit, darunter den der Heimat, die eben auch die Heimat der Kindheit war, zu bewältigen. Die Scherben kleben sie dabei nicht wieder zusammen, sie sammeln sie vielmehr in einer Art Museum der Traumata.
SABINE BERKING
Ismet Prcic: "Scherben". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 440 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main