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Autorenporträt
Jon Fosse, geboren 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund. Lebt seit Mitte der siebziger Jahre in Bergen. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und war Dozent an der Akademie für kreatives Schreiben in Hordaland. Seit Anfang der neunziger Jahre ist er freier Schriftsteller. Er schreibt Romane, Theaterstücke, Gedichtsammlungen, Essays und Kinderbüchern. Fosse erhielt den Ibsen-Preis sowie 2000 den österreichischen Theaterpreis "Nestroy". 2000 wurde Fosse außerdem der Nordische Theaterpreis verliehen. 2003 wurde er mit dem Ehrenpreis des Norwegischen Kulturrats sowie mit dem norwegischen Amanda-Ehrenpreis ausgezeichent und in Frankreich als "Chevalier de l'Ordre National du Mérite" geehrt.

Christian Brückner, geboren 1943, arbeitet als Schauspieler und Sprecher. Er hat viele herausragende Hörspiele und Lesungen produziert. Als Synchronsprecher leiht er seine Stimme u.a. Robert de Niro. Christian Brückner erhielt 1990 den "Adolf-Grimme-Preis", 2012 wurde er mit dem "Deutschen Hörbuchpreis" für sein Lebenswerk ausgezeichnet und 2017 erhielt er den Ehrenpreis des "Preises der deutschen Schallplattenkritik" .
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Die tödlichen menschlichen Kümmernisse
Jon Fosses kalte Liebes-Parabel / Von Pia Reinacher

Alles könnte auch nur ein Traumspiel sein. Ob es eine reale Geschichte ist, die uns der Norweger Jon Fosse erzählt, ist jedenfalls bis zum Schluss nicht klar. Alles könnte auch ein inszeniertes inneres Geschehen sein, in den unübersichtlichen Räumen des Unbewussten spielend, ein archetypisches Bühnenszenario, das die Grundnöte menschlicher Existenz variiert: Verlorenheit, Einsamkeit, Hartherzigkeit, Hoffnungslosigkeit und der zum Scheitern verurteilte Versuch, den Abgrund durch die Kraft der Liebe zu überwinden. Ob real oder geträumt: Das Oszillieren zwischen beiden Ebenen ist einer der großen Vorzüge dieser kleinen Erzählung "Schlaflos".

Der erfolgreiche Dramatiker leistet dabei auch als Schriftsteller Beachtliches. Das Signal zur Doppelwertigkeit der Geschichte ist schon im Titel angelegt. Todmüde sind nämlich die beiden jungen Leute Alida und Asle, die durch den norwegischen Küstenort ihrer Heimat irren, wo man sie verstößt, dann mit dem Boot durch die Fjorde flüchten und jetzt durch ein fremdes Dorf taumeln. Sie suchen eine Unterkunft. Die hochschwangere Alida wird schon bald niederkommen. Tatsächlich hält das blutjunge Paar ständig Ausschau nach einem Bett, einer Bank, einer ruhigen Stelle oder auch nur einem schwankenden Schiff, wo man ausschlafen könnte. Beide halluzinieren zwischen Schlaf und Traum, so erschöpft, dass jede Rast die Möglichkeit des Abgleitens in einen unwirklichen Dämmerzustand in sich birgt. Die abgeschiedene Landschaft, durch die sie sich bewegen, scheint ständig ins Halbdunkle getaucht. Es ist kalt. Meistens regnet es, eine quälend melancholische Stimmung liegt über allem und spiegelt das düstere Wesen der Menschen.

An diesen Stellen zeigt sich im Schriftsteller der Dramatiker, der weiß, wie man suggestive Stimmungen erzeugt. Holzschnittartig sind seine wenigen Figuren, wortkarg die Dialoge, verstörend die Tableaus, die er aufbaut. Der leicht altertümelnde, der Zeit entzogene Ton seiner Sprache verleiht dem Geschehen eine allgemeingültige Dimension. Es geht ihm mehr um das Erzeugen eines Klangs als um den wortreichen Effekt. Die Repetition ähnlicher, oft völlig schmuckloser Versatzstücke erzeugt dabei eine hypnotische Wirkung, der man sich schwer entziehen kann. Gezielt arbeitet Fosse dabei mit Anspielungen auf Mythen und Märchen, mehr noch, er brennt sein Bild auf die Folie der biblischen Geschichte von Josef und Maria ein.

Einsam sind Alida und Asle in der Welt. Niemand will sie. Das Mädchen wurde von der Mutter nie geliebt. Sie zog ihm die Schwester Oline vor und sieht in Alida die Schlampe, die nach dem Vorbild des Vaters geraten ist. Dieser hat die Familie verlassen, als das Mädchen erst drei Jahre alt war. Er ist nicht mehr wiedergekommen. Die Erinnerung an die Stimme von Aslak, der dem Kind Lieder vorsang, ist das Einzige, woran es sich erinnert. Ihn meint sie zu hören, als sie Asle kennenlernt, der dem Mädchen auf der Fiedel vorspielt. Er ist Waise, auch er mutterseelenallein. Sein Vater, der Geiger, hat sich sein Geld als Fischer verdient und ist bei einem Herbststurm ertrunken.

Die Mutter, durch so viel Kummer geknickt, wird kränklich, ihre Augen werden immer größer, dann stirbt auch sie. Was dem Sechzehnjährigen bleibt, ist die Fiedel, die er vom Vater erbte - und Alida. Sein einziger Gedanke, als er die Mutter tot und verloren daliegen sieht, gilt dem Mädchen mit dem schwarzen Haar und den schwarzen Augen. Wie vorbestimmt sind die beiden füreinander, vorbestimmt durch die Fatalität des Schicksals, und Fosse symbolisiert dies in den sprechenden Namen Alida und Asle, die wie zwei symmetrische Hälften des einen Ganzen zueinander passen.

Die tödliche Zwangsläufigkeit menschlicher Kümmernisse, das ist Jon Fosses Thema, das er in der Odyssee der beiden Verlorenen abbildet. Nirgends finden sie Hilfe. Es ist, wie wenn ihr Verhängnis unvermeidlich, der Untergang unausweichlich wäre. Ihr Schicksal ist vorbestimmt, aber unverschuldet, ihr Unglück unabwendbar, aber Folge der versteinerten Herzen der Menschen. Diese Erkenntnis wird uns aufgezwungen durch die Kraft der minimalistischen Erzählbewegungen. Der ausschweifende Ausbau einer Fabel ist nicht Jon Fosses Sache. Seine Wirkung erzielt er vielmehr durch die Variation weniger Motive, die er gleichsam zu einer Partitur des stampfenden Unglücks komponiert. Im Schlussbild präsentiert er kommentarlos sein Modell der Welt - ein ewiger Kreislauf des Bösen, des Schreckens, der Gleichgültigkeit. Wir sehen Alida und Asle mit dem eben geborenen Kind, das den Namen des im Meer ertrunkenen Vaters trägt. "Jetzt sind nur noch wir da, sagt Alida, du und ich und der kleine Sigvald." Das Ende dieser poetisch aufgeladenen, meditativen Parabel über die Bedingungen menschlicher Existenz kommt abrupt und bleibt unversöhnlich.

Jon Fosse: "Schlaflos". Eine Erzählung. Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 80 S., geb., 14, 90 [Euro].

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