Ein Mädchen, das fast gar nicht lispelt. Ein Junge, der wächst und wächst. Stella und Adrian sind zusammen aufgewachsen, mit Märchen in der Hollywoodschaukel und heißem Kakao, und sind die allerbesten Freunde. Bis zu diesem verflixten Tag, an dem Dato in das geheimnisvolle Dreitotenhaus nebenan einzieht: Zwischen Dato und Stella entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Adrian muss den ersten furchtbaren Liebeskummer überleben - und vielleicht trotzdem schaffen, Stellas Freund zu bleiben.ausgezeichnet von der hr2-Hörbuchbestenliste
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2014Splitter im Auge und im Herz
Wenn sich die beste Freundin in einen schönäugigen Schnösel verliebt, kann man durchaus verzweifeln. Susan Kreller kennt einen Ausweg.
Von Elena Geus
Nicht ein Mal fällt das Wort "Pubertät", diese fiese Zeit, die Heranwachsende wie Eltern gleichermaßen in die Verzweiflung treibt, und doch genau um sie geht es: um die Verunsicherung, die Verletzlichkeit und um die Wirrnisse in Kopf und Gefühl auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Es ist mehr als nur ein beiläufiger Hinweis auf den großen dänischen Dichter, dass in Susan Krellers zweitem Jugendroman die Rede davon ist, Stellas Großmutter, genannt Misses Elderly, eine um die Widrigkeiten des Lebens wissende ältere Dame - in ihrer Klarheit und Zugewandtheit eine der tragenden Figuren des Buchs -, habe ihrer Enkelin und Adrian, dem Nachbarsjungen, über Jahre hinweg "Die Schneekönigin" vorgelesen. Die Autorin gibt preis, bei welchem literarischen Vorbild sie sich bedient hat.
Kreller hat Andersens Märchen von Mystik entstaubt und thematisch wie dramaturgisch kunstvoll in die Jetztzeit übersetzt. Es ist ihr gelungen, einen bekannten Gedanken geschickt zu variieren, eine wirklichkeitsnahe, greifbare Geschichte zu erzählen, die ohne Pathos, ohne Jammerton und ohne Erste-Liebe-Kitsch auskommt, dabei ähnlich vielschichtig, poetisch und phantasievoll ist wie die Motivvorlage.
Die Kinder sind inzwischen Teenager, vierzehn Jahre alt, in unabdingbarer Freundschaft verbunden: das nie um eine Idee verlegene Mädchen und der zu schnell zu hoch gewachsene Junge, für den Stella gern aus ihrem Fundus an Rekorden zitiert, damit sich ihr Freund mit seinen mehr als 1,90 Metern inmitten der größten und längsten Dinge aller Zeiten wie einer unter Gleichen fühlt und nicht wie ein Freak. Wenn da nicht Adrians stärker werdendes Gefühl wäre, Stella müsse - dringend, wie er findet - etwas anderes sein als eine Art Schwester.
Was das ist, unausgesprochen längst war, wird ihm vollends bewusst, als das Teuflische in Gestalt von Dato naht, einem georgischen Jungen, gerade eingezogen im Haus gegenüber, der schönäugige Schnösel, wie Adrian ihn, den unverhofften Konkurrenten um Stellas Gunst, nennt.
Irgendwann ist es raus: Stella hat sich in Dato verliebt und Dato in sie. Als habe er wie Andersens Kay Splitter in Auge und Herz, wird Adrian blind für alles Schöne und unempfänglich für alles Gute. Er führt sich auf, ist zornig, rüpelhaft, verletzend, selbstzerstörerisch. Alles erscheint ihm hässlich, niemanden mag er: sich nicht, seine Eltern nicht - die in ihrer ewigen Besorgnis peinliche Mutter, die ihrem Sohn beharrlich ein Großwüchsigkeitstrauma einreden will; und den Vater, dem man mit nichts kommen muss, weil er sich ohnehin aus allem heraushält -, nicht einmal Misses Elderly dringt noch zu ihm durch.
Das Chaos im Innern, schwankend zwichen Verzweiflung und lächerlichen Allmachtsphantasien - die Qualen der Pubertät eben -, entwickelt sich in einer Sprache, die reich ist an feinsinnigen, nie schiefen Bildern und die eine Fülle an klugen Wortschöpfungen enthält. Auch wenn jede Stimmung treffend eingefangen ist, wünschte man sich einen etwas sparsameren Einsatz, etwas weniger an Wortgewalt. Die Geschichte ist zu schön und zu fein erzählt, um sich vom Lauern auf das nächste kreative Wortgebilde aus dem Fluss bringen zu lassen.
Adrian wird nicht durch Tränen gerettet, sondern durch Geschichten, vor allem durch jene - ausgerechnet - von Datos Familie, die mit ihrer Flucht aus Swanetien und der Angst vor Abschiebung ihre eigene tragische hat. Schmerz hat viele Facetten, Glück auch. Sogar ein zweifelhafter Rekord tröstet, wenn er von einer Freundin kommt: "Größter Volltrottel der Welt".
Susan Kreller: "Schneeriese".
Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 208 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn sich die beste Freundin in einen schönäugigen Schnösel verliebt, kann man durchaus verzweifeln. Susan Kreller kennt einen Ausweg.
Von Elena Geus
Nicht ein Mal fällt das Wort "Pubertät", diese fiese Zeit, die Heranwachsende wie Eltern gleichermaßen in die Verzweiflung treibt, und doch genau um sie geht es: um die Verunsicherung, die Verletzlichkeit und um die Wirrnisse in Kopf und Gefühl auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Es ist mehr als nur ein beiläufiger Hinweis auf den großen dänischen Dichter, dass in Susan Krellers zweitem Jugendroman die Rede davon ist, Stellas Großmutter, genannt Misses Elderly, eine um die Widrigkeiten des Lebens wissende ältere Dame - in ihrer Klarheit und Zugewandtheit eine der tragenden Figuren des Buchs -, habe ihrer Enkelin und Adrian, dem Nachbarsjungen, über Jahre hinweg "Die Schneekönigin" vorgelesen. Die Autorin gibt preis, bei welchem literarischen Vorbild sie sich bedient hat.
Kreller hat Andersens Märchen von Mystik entstaubt und thematisch wie dramaturgisch kunstvoll in die Jetztzeit übersetzt. Es ist ihr gelungen, einen bekannten Gedanken geschickt zu variieren, eine wirklichkeitsnahe, greifbare Geschichte zu erzählen, die ohne Pathos, ohne Jammerton und ohne Erste-Liebe-Kitsch auskommt, dabei ähnlich vielschichtig, poetisch und phantasievoll ist wie die Motivvorlage.
Die Kinder sind inzwischen Teenager, vierzehn Jahre alt, in unabdingbarer Freundschaft verbunden: das nie um eine Idee verlegene Mädchen und der zu schnell zu hoch gewachsene Junge, für den Stella gern aus ihrem Fundus an Rekorden zitiert, damit sich ihr Freund mit seinen mehr als 1,90 Metern inmitten der größten und längsten Dinge aller Zeiten wie einer unter Gleichen fühlt und nicht wie ein Freak. Wenn da nicht Adrians stärker werdendes Gefühl wäre, Stella müsse - dringend, wie er findet - etwas anderes sein als eine Art Schwester.
Was das ist, unausgesprochen längst war, wird ihm vollends bewusst, als das Teuflische in Gestalt von Dato naht, einem georgischen Jungen, gerade eingezogen im Haus gegenüber, der schönäugige Schnösel, wie Adrian ihn, den unverhofften Konkurrenten um Stellas Gunst, nennt.
Irgendwann ist es raus: Stella hat sich in Dato verliebt und Dato in sie. Als habe er wie Andersens Kay Splitter in Auge und Herz, wird Adrian blind für alles Schöne und unempfänglich für alles Gute. Er führt sich auf, ist zornig, rüpelhaft, verletzend, selbstzerstörerisch. Alles erscheint ihm hässlich, niemanden mag er: sich nicht, seine Eltern nicht - die in ihrer ewigen Besorgnis peinliche Mutter, die ihrem Sohn beharrlich ein Großwüchsigkeitstrauma einreden will; und den Vater, dem man mit nichts kommen muss, weil er sich ohnehin aus allem heraushält -, nicht einmal Misses Elderly dringt noch zu ihm durch.
Das Chaos im Innern, schwankend zwichen Verzweiflung und lächerlichen Allmachtsphantasien - die Qualen der Pubertät eben -, entwickelt sich in einer Sprache, die reich ist an feinsinnigen, nie schiefen Bildern und die eine Fülle an klugen Wortschöpfungen enthält. Auch wenn jede Stimmung treffend eingefangen ist, wünschte man sich einen etwas sparsameren Einsatz, etwas weniger an Wortgewalt. Die Geschichte ist zu schön und zu fein erzählt, um sich vom Lauern auf das nächste kreative Wortgebilde aus dem Fluss bringen zu lassen.
Adrian wird nicht durch Tränen gerettet, sondern durch Geschichten, vor allem durch jene - ausgerechnet - von Datos Familie, die mit ihrer Flucht aus Swanetien und der Angst vor Abschiebung ihre eigene tragische hat. Schmerz hat viele Facetten, Glück auch. Sogar ein zweifelhafter Rekord tröstet, wenn er von einer Freundin kommt: "Größter Volltrottel der Welt".
Susan Kreller: "Schneeriese".
Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 208 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 12 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Susan Krellers neuem Buch "Schneeriese" hat Rezensentin Hilde Elisabeth Menzel eine sehr bewegende und poetische Liebesgeschichte gelesen. Ihr begegnen hier Adrian und Stella, die gemeinsam in "siamesischen Häusern" aufwachsen, eine berührende Kinderliebe erleben, Stellas Großmutter lauschen, wenn sie ihnen aus Andersens "Schneekönigin" vorliest - bis Adrian mit 14 Jahren schließlich 1,90 groß ist und Stella sich in den Georgier Dato verliebt. Bewundernd vermerkt die Kritikerin, wie es der Autorin gelingt, eine lyrische und bildgewaltige Geschichte ohne Happy End zu erzählen, die zugleich das Schicksal einer georgischen Familie mit dem Märchen Andersens verbindet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein Roman voller Wortakrobatik, zeitlos und gleichzeitig politisch ganz aktuell." Katrin Hörnlein DIE ZEIT 20150205