»Eines der meisterwarteten Bücher dieses Jahres« The New York Times
Alice trifft Felix. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, er arbeitet entfremdet in einer Lagerhalle. Sie begehren einander, doch können sie einander auch trauen? Alices beste Freundin Eileen hat eine schmerzvolle Trennung hinter sich und fühlt sich aufs Neue zu Simon hingezogen, mit dem sie seit ihrer Kindheit eng verbunden ist. Sie lieben sich, doch ist der Versuch der Liebe den Verlust ihrer Freundschaft wert?
Zwischen Dublin und einem kleinen Ort an der irischen Küste entfaltet Sally Rooney eine Geschichte von vier jungen Menschen, die sich nahe sind, die einander verletzen, die sich austauschen: über Sex, über Ungleichheit und was sie mit Beziehungen macht, über die Welt, in der sie leben. »Schöne Welt, wo bist du« ist eine universelle Geschichte über den Raum zwischen Alleinsein und Einsamkeit und über die Freiheit, sein Leben mit anderen zu teilen - überwältigend klug, voller Klarheit und Trost.
Alice trifft Felix. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, er arbeitet entfremdet in einer Lagerhalle. Sie begehren einander, doch können sie einander auch trauen? Alices beste Freundin Eileen hat eine schmerzvolle Trennung hinter sich und fühlt sich aufs Neue zu Simon hingezogen, mit dem sie seit ihrer Kindheit eng verbunden ist. Sie lieben sich, doch ist der Versuch der Liebe den Verlust ihrer Freundschaft wert?
Zwischen Dublin und einem kleinen Ort an der irischen Küste entfaltet Sally Rooney eine Geschichte von vier jungen Menschen, die sich nahe sind, die einander verletzen, die sich austauschen: über Sex, über Ungleichheit und was sie mit Beziehungen macht, über die Welt, in der sie leben. »Schöne Welt, wo bist du« ist eine universelle Geschichte über den Raum zwischen Alleinsein und Einsamkeit und über die Freiheit, sein Leben mit anderen zu teilen - überwältigend klug, voller Klarheit und Trost.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2021Willkommen, Genossinnen
Sally Rooneys Lifestyle-Marxismus ist kein Kitsch.
Auch nicht in ihrem neuen Roman „Schöne Welt, wo bist du“
VON MIRYAM SCHELLBACH
Das Geheimnis guter Bücher, schreibt Michael Maar in seiner Stilgeschichte der deutschsprachigen Literatur, liegt in ihrem gesunden Maß, im Gleichgewicht von Inhalt und Form. Wird Triviales pathetisch erzählt, ist das Kitsch. Nun haben Regeln bekanntlich ihre Ausnahmen. Eine solche ist die junge irische Schriftstellerin Sally Rooney. In ihren Büchern debattieren ungewöhnlich kluge Frauen auf eine sehr selbstverliebte Weise über Existenzielles genauso wie über Alltagsfragen in hohem Ton. Von Adoleszenz-Kitsch ist das aber weit entfernt.
Sally Rooneys Weg zur Bestsellerautorin war so glamourös wie rasant. Als Studentin wurde sie 2015 von einer Agentin entdeckt und unterschrieb einen Vertrag beim Verlagsschiff Faber & Faber, nachdem bei einer legendären Auktion nicht weniger als sieben Häuser auf ihr Manuskript geboten hatten. Beide Romane, die folgten, wurden zu Bestsellern. Barack Obama führt Rooney auf seiner „must read“-Liste, und die Verfilmung ihres zweiten Romans „Normale Menschen“ gehört zu den am häufigsten gesehenen Serien der BBC überhaupt. „Two under three“ sagt man im Englischen, wenn Mütter ihre Kinder kurz hintereinander bekommen haben. Zu Rooney könnte man sagen, sie habe „zwei unter 31“, zwei Beststeller vor ihrem 31. Lebensjahr. Aller Voraussicht nach werden es mit „Schöne Welt, wo bist du“ bald drei sein.
Ihrer thematischen Mixtur ist sie treu geblieben, ihrem sprachlich unauffälligen, an Dialogen überreichen Stil auch. Wieder steht im Zentrum das intellektuell angestrengte Gespräch zweier junger Irinnen, Eileen und Alice, aus der Post-Crash-Generation. Entsprechend resignativ blicken sie in ihre Zukunft. „Tatsächlich scheint die einzige Idee zu sein, dass wir dabei zusehen, wie sich das gewaltige menschliche Elend vor unseren Augen entfaltet“, schreibt Eileen einmal an Alice, die sich selbst wiederum als dauerhaft desorientiert und müde charakterisiert.
Große Teile des Romans bestehen darin, dass die beiden Freundinnen über dieses menschliche Elend parlieren. Das müssen sie per E-Mail tun, denn die Schriftstellerin Alice ist gerade von Dublin in ein Provinzdörfchen gezogen, um sich von einer Depression zu erholen. Eileen verbleibt als Redaktionsassistentin einer mäßig erfolgreichen Literaturzeitschrift in der Hauptstadt. Da die beiden einander aber E-Mails schreiben wie vor hundertfünfzig Jahren Briefe geschrieben wurden, absichtsvoll, sorgfältig und mit solidem philosophischen Anliegen, irritiert das nicht den Lesefluss, sondern höchstens das Leserinnen-Ego. In welchem Alter haben wir aufgehört, derart sprachverliebte E-Mails zu schreiben?
Rooneys Protagonistinnen sind ein wenig erwachsener geworden. In ihren frühen Dreißigern sind sie einigermaßen finanziell abgesichert und freundlich desinteressiert an ihren Eltern. „Der Prozess unseres Werdens ist abgeschlossen, wir sind mehr oder weniger so geworden, wie wir eben sind“, sagt die Sprücheklopferin Eileen einmal, und dass der Satz so tautologisch leer ist, liegt daran, dass die beiden natürlich überhaupt nicht wissen, wie sie eben sind, sondern 352 Seiten lang Lebensentwürfe gegeneinanderhalten, um es herauszufinden.
Die stärksten Stellen des Romans sind die, in denen Alice und Eileen ihre etwas kleinkarierte No-Future-Haltung in ihren E-Mails mit geistreichen politischen Analysen und ästhetischen Grundsatzdebatten vermischen und alles so durcheinander schütteln, dass am Ende Sätze entstehen, die sowohl in der Zeitschrift Merkur als auch in der Bravo druckreif wären. Atemlos stürzen sie sich auf die folgenden Themen in immer neu variierter Reihenfolge: die Idee des Konservatismus, Identitätspolitik, wer zur Arbeiterklasse gehört, das Christentum, Umweltschutz, der Einfluss von Antidepressiva auf die Libido. Ideell gerahmt sind ihre Überlegungen von einer Art intuitiver, argumentfreier Grundüberzeugung, dass der Sozialismus die ideale Lebensform ist.
Dass dieser Lifestyle-Marxismus die Dubliner Intelligenzija zunehmend erfasst, belächelt Eileen nur: „Wenn ich früher über Marxismus geredet habe, wurde ich ausgelacht. Jetzt sagen alle, es wäre ihr Ding. Diesen ganzen neuen Leuten, die Kommunismus cool machen möchten, rufe ich zu: Willkommen an Bord, Genossinnen und Genossen“. Das ist ein ironisches Augenzwinkern der Autorin. Rooney erzählt in Interviews gern, dass sie marxistisch erzogen wurde und sich schon früh für die subtile Dynamik von Klassenunterschieden interessiert habe.
Subtil mag sein, wie sich soziale Herkunft im Alltag manifestiert, alles andere als subtil sind Rooneys Schilderungen davon. Wer sich fragt, was in diesem Roman zwischen den E-Mails passiert, dem wird geantwortet: Sex. Und wenn es um Sex geht, geht es immer auch um Macht. Alice, die durch ihre Beststeller ein beachtliches Vermögen angehäuft hat, trifft sich lose mit Felix, einem verschuldeten Lagerarbeiter, den sie bei einem steifen Tinder-Date kennengelernt hat. Eileen, eher prekär, weil Literaturzeitschriften in der Fiktion wie in der Realität selten lukrativ sind, datet Simon, einen älteren und begüterten Politikberater mit Begeisterung für den Katholizismus. Auf der Ebene des Personals ist bei diesem Quartett also alles schön geordnet: Das symbolische und ökonomische Kapital auf der einen Seite, der Sexappeal im jeweils anderen Lager, politisch korrekt einmal bei der Frau, einmal beim Mann.
Dezidiert politisch inkorrekt geht es dann beim Sex zu. Rooneys Schilderungen davon sind frappant explizit, die Rollenspiele der Paare detailreich wiedergegeben. Fast immer begeben sich Alice und Eileen in einen devoten Part, manchmal werden sie erniedrigt, verbal oder physisch. Sie spielen betrogene Ehefrauen, „brave Mädchen“, Kindfrauen und damit Rollen, die sie tagsüber in ihren E-Mails als reaktionär verachten. Rooney hat einmal in einem Interview gesagt, dass sie gern marxistische Romane schreiben würde. Wäre „Schöne Welt, wo bist du“ einer, dann ist seine These die, dass Geschlechterungleichheit kein Neben-, sondern ein Hauptwiderspruch des Kapitalismus ist, weil sich die symbolische Verschränkung von Männlichkeit und Macht nicht mit der ökonomischen Umverteilung auflöst. Kurz: class schlägt nicht gender.
Es ist ein Glück, dass Rooney in diese Konflikt-Nester nur kurz hineinsticht und ihre Protagonistinnen dann zum nächsten Thema stolzieren lässt. Da ist etwa der Ästhetik-Streit zwischen Alice und Eileen. Wann habe, so fragen sich die beiden, die Menschheit aufgehört, Schönheit empfinden zu können. Alices abwegige Antwort: Als 1976 Plastik, „die hässlichste Substanz auf Erden“, das populärste Material auf der Welt wurde, ging auch der Glaube an die Schönheit verloren. Eileen, ebenso willkürlich, dagegen: Als die Berliner Mauer fiel, starben der Menschheit die großen Erzählungen weg – und mit ihnen der Sinn für das Schöne. Ihre steilen Thesen belegen vor allem eines: Alices und Eileens Interesse an überzeitlichen Fragen führt, über Umwege zwar, immer eilig zurück in ihren eigenen Kosmos.
Das Motiv der nostalgischen Suche nach dem untergegangenen Schönen, auch den Titel „Schöne Welt, wo bist du“, hat sich Rooney bei keinem anderen als Friedrich Schiller abgeholt. Der träumt 1788 in seinem Gedicht „Die Götter Griechenlands“ von der Antike und imaginiert sie als Gegenepoche zur Leere und Kälte seiner Gegenwart. Schiller glaubt daran, dass das wirklich Schöne sich, wenn nicht im Leben, zumindest noch in der Kunst zeigt.
Der Grund, warum Rooneys Romane nah an der Kitschgrenze manövrieren, ohne sie zu überschreiten, ist, dass in ihnen, vielleicht wie bei Schiller, bei allem Diskurs und aller Theorie Platz für existenzielle Ambiguität und praktische Inkonsequenz bleibt. Während ihre dauerreflektierenden Protagonistinnen den Verlust der Schönheit beklagen, verlieben sie sich, leben intensive Freundschaften, säuseln sich Bekenntnisse ins Ohr und tippen sich Liebesbriefe. „Ich saß im Halbschlaf auf der Rückbank eines Taxis und erinnerte mich auf eigenartige Weise daran, dass du immer bei mir bist, wohin ich auch gehe, und er auch, und solange ihr beide am Leben seid, wird die Welt schön für mich sein“, schreibt Eileen ihrer Freundin.
Für sich genommen sind die Motive dieses Romans nicht zum Aushalten: Lifestyle-Marxistinnen mit dem Wunsch, sexuell dominiert zu werden. Adoleszenter Zukunftspessimismus und spätmoderne Vergangenheitsverklärung. Auch die Sprache kommt da nicht zur Hilfe. Sally Rooneys Bücher sind Easy Reads, literarisch unverdächtig, Gebrauchsmetaphern und Alltagsverben tragen die Handlung.
All das Verstiegene wird aber auf eine typisch Rooney-hafte Weise verdichtet zu der populärrealistischen Erzählung von zwei plastisch gezeichneten Frauen, die sich mit ihren Diskussionen immer wieder ins Existenzielle graben und dort ihren hohen Ton und Ideologiekitsch verlieren, in Durchschnittssorgen und Widersprüchen ankommen. Sally Rooneys Romanen gelingt eine Balance, die in der Literatur eher unwahrscheinlich ist: Pathetisch hervorgebrachte Banalitäten können eine hervorragende Geschichte ergeben.
Sally Rooney hat mit „Normale Menschen“ und „Gespräche mit Freunden“ schon zwei Bestseller geschrieben. Jetzt folgt vermutlich der dritte.
Foto: Erik Voake/Getty
Sally Rooney:
Schöne Welt, wo bist du. Roman. Aus dem
Englischen von Zoë Beck. Claassen, Berlin 2021.
352 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sally Rooneys Lifestyle-Marxismus ist kein Kitsch.
Auch nicht in ihrem neuen Roman „Schöne Welt, wo bist du“
VON MIRYAM SCHELLBACH
Das Geheimnis guter Bücher, schreibt Michael Maar in seiner Stilgeschichte der deutschsprachigen Literatur, liegt in ihrem gesunden Maß, im Gleichgewicht von Inhalt und Form. Wird Triviales pathetisch erzählt, ist das Kitsch. Nun haben Regeln bekanntlich ihre Ausnahmen. Eine solche ist die junge irische Schriftstellerin Sally Rooney. In ihren Büchern debattieren ungewöhnlich kluge Frauen auf eine sehr selbstverliebte Weise über Existenzielles genauso wie über Alltagsfragen in hohem Ton. Von Adoleszenz-Kitsch ist das aber weit entfernt.
Sally Rooneys Weg zur Bestsellerautorin war so glamourös wie rasant. Als Studentin wurde sie 2015 von einer Agentin entdeckt und unterschrieb einen Vertrag beim Verlagsschiff Faber & Faber, nachdem bei einer legendären Auktion nicht weniger als sieben Häuser auf ihr Manuskript geboten hatten. Beide Romane, die folgten, wurden zu Bestsellern. Barack Obama führt Rooney auf seiner „must read“-Liste, und die Verfilmung ihres zweiten Romans „Normale Menschen“ gehört zu den am häufigsten gesehenen Serien der BBC überhaupt. „Two under three“ sagt man im Englischen, wenn Mütter ihre Kinder kurz hintereinander bekommen haben. Zu Rooney könnte man sagen, sie habe „zwei unter 31“, zwei Beststeller vor ihrem 31. Lebensjahr. Aller Voraussicht nach werden es mit „Schöne Welt, wo bist du“ bald drei sein.
Ihrer thematischen Mixtur ist sie treu geblieben, ihrem sprachlich unauffälligen, an Dialogen überreichen Stil auch. Wieder steht im Zentrum das intellektuell angestrengte Gespräch zweier junger Irinnen, Eileen und Alice, aus der Post-Crash-Generation. Entsprechend resignativ blicken sie in ihre Zukunft. „Tatsächlich scheint die einzige Idee zu sein, dass wir dabei zusehen, wie sich das gewaltige menschliche Elend vor unseren Augen entfaltet“, schreibt Eileen einmal an Alice, die sich selbst wiederum als dauerhaft desorientiert und müde charakterisiert.
Große Teile des Romans bestehen darin, dass die beiden Freundinnen über dieses menschliche Elend parlieren. Das müssen sie per E-Mail tun, denn die Schriftstellerin Alice ist gerade von Dublin in ein Provinzdörfchen gezogen, um sich von einer Depression zu erholen. Eileen verbleibt als Redaktionsassistentin einer mäßig erfolgreichen Literaturzeitschrift in der Hauptstadt. Da die beiden einander aber E-Mails schreiben wie vor hundertfünfzig Jahren Briefe geschrieben wurden, absichtsvoll, sorgfältig und mit solidem philosophischen Anliegen, irritiert das nicht den Lesefluss, sondern höchstens das Leserinnen-Ego. In welchem Alter haben wir aufgehört, derart sprachverliebte E-Mails zu schreiben?
Rooneys Protagonistinnen sind ein wenig erwachsener geworden. In ihren frühen Dreißigern sind sie einigermaßen finanziell abgesichert und freundlich desinteressiert an ihren Eltern. „Der Prozess unseres Werdens ist abgeschlossen, wir sind mehr oder weniger so geworden, wie wir eben sind“, sagt die Sprücheklopferin Eileen einmal, und dass der Satz so tautologisch leer ist, liegt daran, dass die beiden natürlich überhaupt nicht wissen, wie sie eben sind, sondern 352 Seiten lang Lebensentwürfe gegeneinanderhalten, um es herauszufinden.
Die stärksten Stellen des Romans sind die, in denen Alice und Eileen ihre etwas kleinkarierte No-Future-Haltung in ihren E-Mails mit geistreichen politischen Analysen und ästhetischen Grundsatzdebatten vermischen und alles so durcheinander schütteln, dass am Ende Sätze entstehen, die sowohl in der Zeitschrift Merkur als auch in der Bravo druckreif wären. Atemlos stürzen sie sich auf die folgenden Themen in immer neu variierter Reihenfolge: die Idee des Konservatismus, Identitätspolitik, wer zur Arbeiterklasse gehört, das Christentum, Umweltschutz, der Einfluss von Antidepressiva auf die Libido. Ideell gerahmt sind ihre Überlegungen von einer Art intuitiver, argumentfreier Grundüberzeugung, dass der Sozialismus die ideale Lebensform ist.
Dass dieser Lifestyle-Marxismus die Dubliner Intelligenzija zunehmend erfasst, belächelt Eileen nur: „Wenn ich früher über Marxismus geredet habe, wurde ich ausgelacht. Jetzt sagen alle, es wäre ihr Ding. Diesen ganzen neuen Leuten, die Kommunismus cool machen möchten, rufe ich zu: Willkommen an Bord, Genossinnen und Genossen“. Das ist ein ironisches Augenzwinkern der Autorin. Rooney erzählt in Interviews gern, dass sie marxistisch erzogen wurde und sich schon früh für die subtile Dynamik von Klassenunterschieden interessiert habe.
Subtil mag sein, wie sich soziale Herkunft im Alltag manifestiert, alles andere als subtil sind Rooneys Schilderungen davon. Wer sich fragt, was in diesem Roman zwischen den E-Mails passiert, dem wird geantwortet: Sex. Und wenn es um Sex geht, geht es immer auch um Macht. Alice, die durch ihre Beststeller ein beachtliches Vermögen angehäuft hat, trifft sich lose mit Felix, einem verschuldeten Lagerarbeiter, den sie bei einem steifen Tinder-Date kennengelernt hat. Eileen, eher prekär, weil Literaturzeitschriften in der Fiktion wie in der Realität selten lukrativ sind, datet Simon, einen älteren und begüterten Politikberater mit Begeisterung für den Katholizismus. Auf der Ebene des Personals ist bei diesem Quartett also alles schön geordnet: Das symbolische und ökonomische Kapital auf der einen Seite, der Sexappeal im jeweils anderen Lager, politisch korrekt einmal bei der Frau, einmal beim Mann.
Dezidiert politisch inkorrekt geht es dann beim Sex zu. Rooneys Schilderungen davon sind frappant explizit, die Rollenspiele der Paare detailreich wiedergegeben. Fast immer begeben sich Alice und Eileen in einen devoten Part, manchmal werden sie erniedrigt, verbal oder physisch. Sie spielen betrogene Ehefrauen, „brave Mädchen“, Kindfrauen und damit Rollen, die sie tagsüber in ihren E-Mails als reaktionär verachten. Rooney hat einmal in einem Interview gesagt, dass sie gern marxistische Romane schreiben würde. Wäre „Schöne Welt, wo bist du“ einer, dann ist seine These die, dass Geschlechterungleichheit kein Neben-, sondern ein Hauptwiderspruch des Kapitalismus ist, weil sich die symbolische Verschränkung von Männlichkeit und Macht nicht mit der ökonomischen Umverteilung auflöst. Kurz: class schlägt nicht gender.
Es ist ein Glück, dass Rooney in diese Konflikt-Nester nur kurz hineinsticht und ihre Protagonistinnen dann zum nächsten Thema stolzieren lässt. Da ist etwa der Ästhetik-Streit zwischen Alice und Eileen. Wann habe, so fragen sich die beiden, die Menschheit aufgehört, Schönheit empfinden zu können. Alices abwegige Antwort: Als 1976 Plastik, „die hässlichste Substanz auf Erden“, das populärste Material auf der Welt wurde, ging auch der Glaube an die Schönheit verloren. Eileen, ebenso willkürlich, dagegen: Als die Berliner Mauer fiel, starben der Menschheit die großen Erzählungen weg – und mit ihnen der Sinn für das Schöne. Ihre steilen Thesen belegen vor allem eines: Alices und Eileens Interesse an überzeitlichen Fragen führt, über Umwege zwar, immer eilig zurück in ihren eigenen Kosmos.
Das Motiv der nostalgischen Suche nach dem untergegangenen Schönen, auch den Titel „Schöne Welt, wo bist du“, hat sich Rooney bei keinem anderen als Friedrich Schiller abgeholt. Der träumt 1788 in seinem Gedicht „Die Götter Griechenlands“ von der Antike und imaginiert sie als Gegenepoche zur Leere und Kälte seiner Gegenwart. Schiller glaubt daran, dass das wirklich Schöne sich, wenn nicht im Leben, zumindest noch in der Kunst zeigt.
Der Grund, warum Rooneys Romane nah an der Kitschgrenze manövrieren, ohne sie zu überschreiten, ist, dass in ihnen, vielleicht wie bei Schiller, bei allem Diskurs und aller Theorie Platz für existenzielle Ambiguität und praktische Inkonsequenz bleibt. Während ihre dauerreflektierenden Protagonistinnen den Verlust der Schönheit beklagen, verlieben sie sich, leben intensive Freundschaften, säuseln sich Bekenntnisse ins Ohr und tippen sich Liebesbriefe. „Ich saß im Halbschlaf auf der Rückbank eines Taxis und erinnerte mich auf eigenartige Weise daran, dass du immer bei mir bist, wohin ich auch gehe, und er auch, und solange ihr beide am Leben seid, wird die Welt schön für mich sein“, schreibt Eileen ihrer Freundin.
Für sich genommen sind die Motive dieses Romans nicht zum Aushalten: Lifestyle-Marxistinnen mit dem Wunsch, sexuell dominiert zu werden. Adoleszenter Zukunftspessimismus und spätmoderne Vergangenheitsverklärung. Auch die Sprache kommt da nicht zur Hilfe. Sally Rooneys Bücher sind Easy Reads, literarisch unverdächtig, Gebrauchsmetaphern und Alltagsverben tragen die Handlung.
All das Verstiegene wird aber auf eine typisch Rooney-hafte Weise verdichtet zu der populärrealistischen Erzählung von zwei plastisch gezeichneten Frauen, die sich mit ihren Diskussionen immer wieder ins Existenzielle graben und dort ihren hohen Ton und Ideologiekitsch verlieren, in Durchschnittssorgen und Widersprüchen ankommen. Sally Rooneys Romanen gelingt eine Balance, die in der Literatur eher unwahrscheinlich ist: Pathetisch hervorgebrachte Banalitäten können eine hervorragende Geschichte ergeben.
Sally Rooney hat mit „Normale Menschen“ und „Gespräche mit Freunden“ schon zwei Bestseller geschrieben. Jetzt folgt vermutlich der dritte.
Foto: Erik Voake/Getty
Sally Rooney:
Schöne Welt, wo bist du. Roman. Aus dem
Englischen von Zoë Beck. Claassen, Berlin 2021.
352 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2021Austen, Marx, Joyce und ich
"Schöne Welt, wo bist du", der neue Roman der gefeierten Autorin Sally Rooney
Sally Rooney hat einen neuen Roman geschrieben. Es gibt nicht viele Schriftstellerinnen oder Schriftsteller um die dreißig, über die man diesen Satz sagen und damit eine heftige Reaktion hervorrufen kann. Bei Sally Rooney aber, 1991 in Irland geboren, ist das so. Ihr Debüt, "Gespräche mit Freunden", wird gerade verfilmt. Ihr zweiter Roman, "Normale Menschen", ist schon eine erfolgreiche Serie und wurde mehr als eine Million Mal verkauft. Und am kommenden Dienstag erscheint also ihr dritter Roman, "Schöne Welt, wo bist du" - für den Rooneys Verlag Faber & Faber extra einen Pop-up-Bookshop im Londoner Stadtteil Shoreditch aufmachen wird, der nicht nur diesen neuen Roman, sondern auch Lieblingsbücher der Autorin verkaufen wird. Viele Buchhandlungen werden an diesem Dienstag früher öffnen, um den Ansturm zu bewältigen. Es ist wie damals bei Harry Potter.
Man wüsste natürlich gern, wie die Autorin über all das denkt, aber für Interviews, hat der Verlag vorsorglich mitgeteilt, stehe Sally Rooney nicht zur Verfügung - nur mit der britischen Vogue hat sie geredet, und die berichtet nun darüber, wie die Autorin mit ihrem Ruhm zurechtkommt und dass sie sich die Haare vom Bob bis auf Schulterlänge hat wachsen lassen. Gegenwartsliteratur als Hype: Wer hatte noch einmal behauptet, dass das gar nicht mehr möglich ist?
Was Sally Rooney selbst zu diesem Thema zu sagen hat, teilt sie in ihrem neuen Roman durch eine der vier Hauptfiguren mit, Alice, eine junge, sehr erfolgreiche Schriftstellerin: "Habe ich dir erzählt, dass ich keine zeitgenössischen Romane mehr lesen kann? Ich glaube, es liegt daran, dass ich zu viele der Leute kenne, die sie schreiben. Ich sehe sie die ganze Zeit auf Festivals, wie sie Rotwein trinken und darüber reden, wer wen in New York publiziert . . . Und dann sind sie wieder weg und schreiben ihre sensiblen kleinen Romane über das 'echte Leben'." Alice fragt sich auch, worin eigentlich die Beziehung einer berühmten Autorin zu ihren berühmten Büchern besteht: "Hätte ich schlechte Manieren und wäre ich ein unangenehmer Mensch und spräche ich mit einem nervigen Akzent, was meiner Meinung nach vermutlich der Fall ist, hätte das irgendwas mit meinen Romanen zu tun?"
Nach einem Zusammenbruch hat diese Alice gerade einige Monate in der Psychiatrie verbracht. Und nun in einem kleinen Ort ein altes, abgelegenes Pfarrhaus an der Küste gemietet, ein paar Stunden von Dublin entfernt. Über Tinder lernt sie dort Felix kennen, der in einem Warenlager arbeitet. Es geht außerdem um Eileen und Simon, die in Dublin leben, mit denen Alice seit dem College eng befreundet ist, die vielleicht füreinander bestimmt sind. Um die Gespräche und Konflikte und Zukunftsängste dieser vier Menschen um die dreißig. Um die Relevanz dieser Konflikte und Ängste.
Sally Rooney ist in ihrem dritten Roman zwar weiterhin eine Meisterin psychologisch genauen, realistischen Erzählens, emotional effektiv und analytisch genau. Sie wagt aber auch ein erzählerisches Experiment: "Schöne Welt, wo bist du" wechselt zwischen zwei verschiedenen Erzählweisen. Der eine Strang hält sich an den Plot und schildert in der dritten Person, was passiert. In jedem zweiten Kapitel wechselt sich dieser Strang dann aber ab mit einem anderen, der aus der Ich-Perspektive berichtet. So wird die Geschichte um Alice, Eileen, Felix und Simon gewissermaßen doppelt erzählt: einmal von außen, einmal von innen. In der dritten Person erhält man konsequent nur die Informationen, die auch der Perspektive eines aufmerksamen Beobachters zugänglich wären: Gesichtsausdrücke, Handlungen, Dialoge. Was die Figuren denken, erfährt man nur in jedem zweiten Kapitel: aus den E-Mails, die sich die Hauptfiguren schreiben.
"Ich bin aus gutem Grund keine Malerin oder Musikerin, aber ich bin Schriftstellerin, und ich versuche wirklich, die Gattung Roman ernst zu nehmen", lässt Rooney Alice an einer Stelle sagen. Spricht hier wieder die Autorin aus ihrer Figur? Die vielen Referenzen auf den literaturgeschichtlichen Kanon, von Jane Austen über Marcel Proust und James Joyce bis zu Annie Ernaux, sind in diesem neuem Roman jedenfalls nicht bloß Koketterie. Der formale Ehrgeiz lässt sich auch als eine Entgegnung verstehen. Auf all jene Kritiker, die der große Erfolg der jungen Autorin Sally Rooney misstrauisch machte und die sie deshalb unbedingt oberflächlich finden wollten. Das klappt mit diesem neuen Buch nun wirklich nicht mehr. In "Schöne Welt, wo bist du" beweist Rooney, dass sie noch mehr will und es auch kann.
Die Konstruktion ist geschickt: anspruchsvoll, aber nicht verkopft. Beides geht hier zusammen, Liebesgeschichte und Weltgeschichte, das kleine Glück und Unglück und die große Reflexion. Man folgt den Liebesgeschichten so gierig wie in den Büchern Rooneys davor. In den anderen Kapiteln geht es dann um Ethik, Ästhetik, Politik und Religion. Sie sind so etwas wie das Gewissen des Romans. "Wen würde es interessieren, was die Romanfigur erlebt, wenn sich dieses Erleben im Kontext einer zunehmend schnelleren, zunehmend brutaleren Ausbeutung des größten Teils der menschlichen Spezies ereignet?", fragt sich Alice dort zum Beispiel.
In ihrem neuen Roman entwickelt Rooney so etwas wie ihre eigene literarische Ethik - und es zeigt sich aber auch ihr wacher, zeitgemäßer Realismus: Natürlich wissen wir, dass es auf der Welt unfassbar viel Unglück gibt. Und doch bricht unsere eigene Welt zusammen, wenn wir verlassen werden, und scheint wieder heil, wenn wir uns verlieben. Einige wenige Stellen wirken überambitioniert, wenn die Erzählung immer wieder aus Szenen herauszoomt bis zu einer Art gottgleicher Vogelperspektive: "Langsam verließ der Atem ihren Körper und kehrte in den Raum zurück, vermischte sich mit der Luft, bewegte sich voran und löste sich auf, Tröpfchen und mikroskopisch kleine Aerosole zerstreuten sich im Raum und sanken langsam, ganz langsam zu Boden." Aber vielleicht ist das auch ein komisches Spiel mit dem traditionellen Konzept des allwissenden Erzählers.
"Zärtlich, fast schon schmerzlich lächelten sie sich an, sie sagten nichts, und ihre Fragen waren dieselben, denkst du an mich, warst du glücklich, als wir miteinander schliefen, habe ich dir wehgetan, liebst du mich, wirst du mich immer lieben." Solche Stellen kann man kitschig finden. Jane Austen, Karl Marx und James Joyce zugleich sein wollen - auch das kann man viel zu viel finden. Aber das ist Sally Rooney. JULIA DETTKE.
Sally Rooney, "Schöne Welt, wo bist du". Aus dem Englischen von Zoë Beck. Claassen, 352 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Schöne Welt, wo bist du", der neue Roman der gefeierten Autorin Sally Rooney
Sally Rooney hat einen neuen Roman geschrieben. Es gibt nicht viele Schriftstellerinnen oder Schriftsteller um die dreißig, über die man diesen Satz sagen und damit eine heftige Reaktion hervorrufen kann. Bei Sally Rooney aber, 1991 in Irland geboren, ist das so. Ihr Debüt, "Gespräche mit Freunden", wird gerade verfilmt. Ihr zweiter Roman, "Normale Menschen", ist schon eine erfolgreiche Serie und wurde mehr als eine Million Mal verkauft. Und am kommenden Dienstag erscheint also ihr dritter Roman, "Schöne Welt, wo bist du" - für den Rooneys Verlag Faber & Faber extra einen Pop-up-Bookshop im Londoner Stadtteil Shoreditch aufmachen wird, der nicht nur diesen neuen Roman, sondern auch Lieblingsbücher der Autorin verkaufen wird. Viele Buchhandlungen werden an diesem Dienstag früher öffnen, um den Ansturm zu bewältigen. Es ist wie damals bei Harry Potter.
Man wüsste natürlich gern, wie die Autorin über all das denkt, aber für Interviews, hat der Verlag vorsorglich mitgeteilt, stehe Sally Rooney nicht zur Verfügung - nur mit der britischen Vogue hat sie geredet, und die berichtet nun darüber, wie die Autorin mit ihrem Ruhm zurechtkommt und dass sie sich die Haare vom Bob bis auf Schulterlänge hat wachsen lassen. Gegenwartsliteratur als Hype: Wer hatte noch einmal behauptet, dass das gar nicht mehr möglich ist?
Was Sally Rooney selbst zu diesem Thema zu sagen hat, teilt sie in ihrem neuen Roman durch eine der vier Hauptfiguren mit, Alice, eine junge, sehr erfolgreiche Schriftstellerin: "Habe ich dir erzählt, dass ich keine zeitgenössischen Romane mehr lesen kann? Ich glaube, es liegt daran, dass ich zu viele der Leute kenne, die sie schreiben. Ich sehe sie die ganze Zeit auf Festivals, wie sie Rotwein trinken und darüber reden, wer wen in New York publiziert . . . Und dann sind sie wieder weg und schreiben ihre sensiblen kleinen Romane über das 'echte Leben'." Alice fragt sich auch, worin eigentlich die Beziehung einer berühmten Autorin zu ihren berühmten Büchern besteht: "Hätte ich schlechte Manieren und wäre ich ein unangenehmer Mensch und spräche ich mit einem nervigen Akzent, was meiner Meinung nach vermutlich der Fall ist, hätte das irgendwas mit meinen Romanen zu tun?"
Nach einem Zusammenbruch hat diese Alice gerade einige Monate in der Psychiatrie verbracht. Und nun in einem kleinen Ort ein altes, abgelegenes Pfarrhaus an der Küste gemietet, ein paar Stunden von Dublin entfernt. Über Tinder lernt sie dort Felix kennen, der in einem Warenlager arbeitet. Es geht außerdem um Eileen und Simon, die in Dublin leben, mit denen Alice seit dem College eng befreundet ist, die vielleicht füreinander bestimmt sind. Um die Gespräche und Konflikte und Zukunftsängste dieser vier Menschen um die dreißig. Um die Relevanz dieser Konflikte und Ängste.
Sally Rooney ist in ihrem dritten Roman zwar weiterhin eine Meisterin psychologisch genauen, realistischen Erzählens, emotional effektiv und analytisch genau. Sie wagt aber auch ein erzählerisches Experiment: "Schöne Welt, wo bist du" wechselt zwischen zwei verschiedenen Erzählweisen. Der eine Strang hält sich an den Plot und schildert in der dritten Person, was passiert. In jedem zweiten Kapitel wechselt sich dieser Strang dann aber ab mit einem anderen, der aus der Ich-Perspektive berichtet. So wird die Geschichte um Alice, Eileen, Felix und Simon gewissermaßen doppelt erzählt: einmal von außen, einmal von innen. In der dritten Person erhält man konsequent nur die Informationen, die auch der Perspektive eines aufmerksamen Beobachters zugänglich wären: Gesichtsausdrücke, Handlungen, Dialoge. Was die Figuren denken, erfährt man nur in jedem zweiten Kapitel: aus den E-Mails, die sich die Hauptfiguren schreiben.
"Ich bin aus gutem Grund keine Malerin oder Musikerin, aber ich bin Schriftstellerin, und ich versuche wirklich, die Gattung Roman ernst zu nehmen", lässt Rooney Alice an einer Stelle sagen. Spricht hier wieder die Autorin aus ihrer Figur? Die vielen Referenzen auf den literaturgeschichtlichen Kanon, von Jane Austen über Marcel Proust und James Joyce bis zu Annie Ernaux, sind in diesem neuem Roman jedenfalls nicht bloß Koketterie. Der formale Ehrgeiz lässt sich auch als eine Entgegnung verstehen. Auf all jene Kritiker, die der große Erfolg der jungen Autorin Sally Rooney misstrauisch machte und die sie deshalb unbedingt oberflächlich finden wollten. Das klappt mit diesem neuen Buch nun wirklich nicht mehr. In "Schöne Welt, wo bist du" beweist Rooney, dass sie noch mehr will und es auch kann.
Die Konstruktion ist geschickt: anspruchsvoll, aber nicht verkopft. Beides geht hier zusammen, Liebesgeschichte und Weltgeschichte, das kleine Glück und Unglück und die große Reflexion. Man folgt den Liebesgeschichten so gierig wie in den Büchern Rooneys davor. In den anderen Kapiteln geht es dann um Ethik, Ästhetik, Politik und Religion. Sie sind so etwas wie das Gewissen des Romans. "Wen würde es interessieren, was die Romanfigur erlebt, wenn sich dieses Erleben im Kontext einer zunehmend schnelleren, zunehmend brutaleren Ausbeutung des größten Teils der menschlichen Spezies ereignet?", fragt sich Alice dort zum Beispiel.
In ihrem neuen Roman entwickelt Rooney so etwas wie ihre eigene literarische Ethik - und es zeigt sich aber auch ihr wacher, zeitgemäßer Realismus: Natürlich wissen wir, dass es auf der Welt unfassbar viel Unglück gibt. Und doch bricht unsere eigene Welt zusammen, wenn wir verlassen werden, und scheint wieder heil, wenn wir uns verlieben. Einige wenige Stellen wirken überambitioniert, wenn die Erzählung immer wieder aus Szenen herauszoomt bis zu einer Art gottgleicher Vogelperspektive: "Langsam verließ der Atem ihren Körper und kehrte in den Raum zurück, vermischte sich mit der Luft, bewegte sich voran und löste sich auf, Tröpfchen und mikroskopisch kleine Aerosole zerstreuten sich im Raum und sanken langsam, ganz langsam zu Boden." Aber vielleicht ist das auch ein komisches Spiel mit dem traditionellen Konzept des allwissenden Erzählers.
"Zärtlich, fast schon schmerzlich lächelten sie sich an, sie sagten nichts, und ihre Fragen waren dieselben, denkst du an mich, warst du glücklich, als wir miteinander schliefen, habe ich dir wehgetan, liebst du mich, wirst du mich immer lieben." Solche Stellen kann man kitschig finden. Jane Austen, Karl Marx und James Joyce zugleich sein wollen - auch das kann man viel zu viel finden. Aber das ist Sally Rooney. JULIA DETTKE.
Sally Rooney, "Schöne Welt, wo bist du". Aus dem Englischen von Zoë Beck. Claassen, 352 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Julia Nachtmann liest dieses Millenial-Kammerspiel so weich, als streifte sie mit Rooneys Wörtern über die Haut der Zuhörer." Elisa von Hof SPIEGEL Bestseller 20211016
Rezensentin Susanne Mayer ist der Ansicht, dass Sally Rooneys neuer Roman durchaus auch als Zeitporträt gesehen werden kann. Die 1991 geborene irische Autorin beschreibt darin in auktorialer Erzählform die verschiedenen Lebens- und Liebesmodelle von Alice, Eileen, Felix und Simon, mal in "brillanten Dialogen" und mal in Form von intimen E-Mails zwischen den Frauen, erklärt Mayer. Die Kritik an dem Buch versteht die Rezensentin nicht so ganz, ihr zufolge ist es ein eine interessante Beschreibung der Millenials, die eigentlich tapferer sind, als man ihnen nachsagt, meint Mayer angesichts der "globalen Anerkennungskultur", in der sich die Jungen heute bewegen. Nur das Happy End hat die Kritikerin nicht überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensentin Susanne Mayer ist der Ansicht, dass Sally Rooneys neuer Roman durchaus auch als Zeitporträt gesehen werden kann. Die 1991 geborene irische Autorin beschreibt darin in auktorialer Erzählform die verschiedenen Lebens- und Liebesmodelle von Alice, Eileen, Felix und Simon, mal in "brillanten Dialogen" und mal in Form von intimen E-Mails zwischen den Frauen, erklärt Mayer. Die Kritik an dem Buch versteht die Rezensentin nicht so ganz, ihr zufolge ist es ein eine interessante Beschreibung der Millenials, die eigentlich tapferer sind, als man ihnen nachsagt, meint Mayer angesichts der "globalen Anerkennungskultur", in der sich die Jungen heute bewegen. Nur das Happy End hat die Kritikerin nicht überzeugt.
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»Ein Roman, der mich mehr als einmal zu Tränen gerührt hat. Rooneys bester Roman.« The Times 20210908