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»Wir sind, was wir uns selbst über uns erzählen.«
Eine Familie, zwei Generationen und ein tiefes Trauma, das sie miteinander verbindet: Anders als Harry findet Ruth Schönwald nicht, dass jedes Gefühl artikuliert, jedes Problem thematisiert werden muss. Sie hätte Karriere machen können, verzichtete aber wegen der Kinder und zugunsten von Harry. Was sie an jenem Abend auf einem Ball ineinander gesehen haben, ist in den kommenden Jahrzehnten nicht immer beiden klar. Inzwischen sind ihre drei Kinder Chris, Karolin und Benni erwachsen. Als Karolin einen queeren Buchladen eröffnet, kommen alle in…mehr

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Produktbeschreibung
»Wir sind, was wir uns selbst über uns erzählen.«

Eine Familie, zwei Generationen und ein tiefes Trauma, das sie miteinander verbindet: Anders als Harry findet Ruth Schönwald nicht, dass jedes Gefühl artikuliert, jedes Problem thematisiert werden muss. Sie hätte Karriere machen können, verzichtete aber wegen der Kinder und zugunsten von Harry. Was sie an jenem Abend auf einem Ball ineinander gesehen haben, ist in den kommenden Jahrzehnten nicht immer beiden klar. Inzwischen sind ihre drei Kinder Chris, Karolin und Benni erwachsen. Als Karolin einen queeren Buchladen eröffnet, kommen alle in Berlin zusammen, selbst Chris, der Professor in New York ist und damit das, was Ruth sich immer erträumte. Dort bricht der alte Konflikt endgültig auf.

Autorenporträt
Philipp Oehmke, Jahrgang 1974, gilt als einer der besten Reporter seiner Generation. Mit Fokus auf Popkultur, Politik und Literatur schreibt er seit vielen Jahren für den SPIEGEL, zuletzt als Korrespondent in New York. 2014 erschien sein Buch Am Anfang war der Lärm über Die Toten Hosen, das viele Wochen unter den Top 10 der Bestsellerliste stand.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2023

Nicht groß, nur lang
Warum kriegen das die Deutschen nicht hin, epische Familienromane, wie die Amerikaner?
Der Journalist Philipp Oehmke versucht es noch mal. Geht es diesmal gut?
VON CORNELIUS POLLMER
Wollen sich deutsche Bildungsbürger mal wieder richtig spüren, dann schnüren sie ihren Deuter-Rucksack und ziehen los. Sie ziehen los Richtung Westen bis an die Grenze der ureigenen Kulturnation, greifen dort zum Feldstecher und fragen sich beim Blick auf die US-amerikanische Literatur in einem landestypischen Defätismus, den man nicht lernen kann: Warum haben wir das eigentlich nicht?
Nun gibt es beim Blick in die Ferne wirklich beneidenswert viel zu sehen. Für eine überraschend gewaltige Fallhöhe ist entsprechend sofort gesorgt, wenn ein deutscher Verlag einen deutschen Roman über eine deutsche Familie ankündigt und bewirbt als „großen Familien-Roman in der Tradition von Jonathan Franzen“.
Den Spiegel-Autor und Urheber einer erfolgreichen Biografie über Die Toten Hosen, Philipp Oehmke, scheint diese Fallhöhe nicht arg zu schrecken. Jedenfalls sagt er über sein Debüt „Schönwald“, er habe den Roman schreiben wollen, „den ich auf Deutsch immer lesen wollte, aber nur in der amerikanischen Literatur fand“. Wie hat man das zu finden, wenn ein Verlag und sein Autor, ein hauptberuflicher Journalist, für ein literarisches Debüt den Vergleich mit global etablierten Größen regelrecht zu erzwingen versuchen? Vermutlich muss man zu der gewaltigen Unerschrockenheit, die solche Absichtserklärungsprosa ausstrahlt, gratulieren. Eine andere, wiewohl nicht gänzlich nebensächliche Frage ist, ob sich Autor und Verlag damit einen Gefallen tun – oder ob es auf diesem Planeten vereinzelt Menschen geben könnte, die es ein bisschen peinlich finden, wenn wie im vorliegenden Fall bis in die Danksagung hinein bei jeder Gelegenheit auf dicke Hose gemacht wird („Für Unterkunft und Unterstützung … Bret (West Hollywood, CA)“).
Wie aber steht es nun um das eigentliche Ergebnis? Erzählt wird in „Schönwald“ die Implosion einer Familie selben Nachnamens. Die verhinderte Literaturwissenschaftlerin Ruth und der pensionierte Staatsanwalt Hans-Harald bestaunen mit wachsender Anspannung die zuvor jahrzehntelang verdrängten Nöte ihrer Leben und vor allem ihrer Ehe, während auch bei den drei Kindern – das kann man kaum anders als wie folgt brachialelegant umschreiben – die Scheiße in den Ventilator fliegt.
Sie tut es bei Familie Schönwald in unterschiedlicher Weise. Der älteste Sohn Christopher deckt einen sexuellen Übergriff seines akademischen Ziehvaters auf und verliert daraufhin erst seine Anstellung als renommierter Professor in New York und dann auch fast jegliche sonstige Kontrolle über sein Leben, auch weil er von einer speziellen Form des Trumpismus befallen wird. Die mittlere Tochter Karolin lässt die Familie über ihre Homosexualität zwar weiterhin im Unklaren, lädt sie aber ein zur Eröffnung ihres queeren Buchladens in Berlin, auf die dann allerdings von Aktivisten ein Anschlag verübt wird wegen des Verdachts, bei der für den Laden konstitutiven Erbschaft Karolins könnte es sich um „Nazigeld“ handeln. Nur auf den ersten Blick besser dran ist der jüngste Sohn Benni, der zwei Kinder mit der ultrareichen New-Money-Erbin Emilia hat, wobei die Familie trotzdem in einem tendenziell engen skandinavischen Fertighaus in Brandenburg versauert, mutmaßlich weil man sich auch dann für Geld schämen kann, das einem leistungslos zugeht, wenn es nicht von möglichen oder tatsächlichen Nazis stammt.
„Schönwald“ setzt ein mit der Eröffnung von „They/Them. Fachbuchhandlung für Queere Literatur“ und endet mit einem Familienaufstellungsshowdown bei Benni in der Uckermark ein paar Tage später. Auf den knapp 540 Seiten dazwischen erzählt Oehmke in sich teilweise überschneidenden Episoden aus den Leben der einzelnen Schönwalds. Er will dabei deutlichst erkennbar das tun, was beispielsweise Jonathan Franzen schon so oft und zuletzt in „Crossroads“ in faszinierender Weise gelungen ist. In geradezu gebetskranzartigen Selbstbefragungen lässt Franzen darin personal wechselnd erzählt eine Familie auf die unausweichliche Katastrophe ihres Zerfalls zulaufen – und wie nebenbei entsteht ein Kunstwerk, das nicht nur ein Sittenbild dieser Familie ist, sondern ein Porträt der Gesellschaft sowie der Bedingungen ihrer Zeit.
Bei „Schönwald“ nun bekommt man als Leser weniger ein Original überreicht als bestenfalls einen Print. Und so zulässig es gerade in der Literatur ist, die allseits bekannten Methoden Dritter zu kopieren, so stark fällt es dann natürlich auf, wenn ein Nachahmer sich beim Versuch des Nachahmens verhebt, so ambitioniert er dabei auch zur Sache geht und so unbestritten seine Qualitäten als Kulturjournalist weiterhin bleiben.
Wenn aber einer grundsätzlich schreiben kann wie Oehmke, stellt sich umso mehr die Frage, warum er es hier auf sehr vielen Seiten so selten zeigt. Warum er sich in verschachtelten Sätzen verliert, die wie Sperrgepäck schwer in seinem Text herumliegen. Warum er weder eine klare Figurensprache findet noch einen Erzählton wirklich durchhält. Die erste Vermutung kann nur dahin gehen, dass der Autor sein Vorhaben und dessen Gattung etwas unterschätzt hat. Und so bleibt nun einiges unverständlich.
Es bleibt unverständlich, ob der Autor auch nur eine einzige seiner Figuren mag oder sie lieber vorführen möchte und warum er nicht tiefer in sie hineinschaut. Gerade Mutter Ruth und Sohn Christopher müssten diesen nicht kurzen Roman tragen – doch wird das große Trauma Ersterer, die beruflichen Ambitionen als Frau in der alten BRD für ein Leben als Mutter gestutzt zu haben, lediglich oberflächlich immer wieder benannt, statt wirklich zu verstehen versucht. Und es bleibt auch Chris fast immer erschreckend blass in seinem Scheitern. Denn da, wo es in existenzieller Weise ans Eingemachte gehen müsste, wird doch wieder nur eine Xanax geworfen oder eine Flasche Wein zu viel getrunken.
An der Oberfläche bleibt dieser Roman auch bei den Themen, die zu verhandeln er in der einleitenden Szene des Anschlags auf die Buchladeneröffnung vorgibt. Oehmke bedient sich hier in umfassender Weise an den realen Vorgängen um die queer-feministische Berliner Buchhandlung „she said“. Die dabei verhandelten Kontroversen bleiben bei Oehmke aber ebenso überschaubare Ansammlungen von Schlagworten wie der von Chris aus den USA importierte und gegen die den Laden angreifenden Aktivisten flugs in Position gebrachte Trumpismus. Sogar das größte Thema von „Schönwald“, die bedrückend übermächtige Sprachlosigkeit der ausnahmslos untertherapierten Familienmitglieder in Bezug sowohl aufeinander als auch alle möglichen Vergangenheiten, bleibt mehr eine konstruktive Idee, als wirklich erlebbar und handlungstreibend zu werden. Dass diese Familienmitglieder keinem Erwerbsdruck unterliegen, dass sie allesamt ein wenig zu viel Geld und viel zu wenig Sex haben, kommt da noch obendrauf.
Gleichwohl gibt es Passagen, in denen Philipp Oehmke zeigt, dass ein Buchvertrag bei ihm grundsätzlich in guten Händen ist. Wenn die aus Köln angereiste Mutter Ruth und ihre für eine zugezogene Berlinerin normal lebensverirrte Tochter einen Stellvertreter- und Generationenstreit darüber führen, ob Gluten des Teufels sei oder nicht: gut. Wenn nach vielen Seiten der Handlungsarmut der große Bruder plötzlich am Krankenbett des kleinen in Islamabad wacht und endlich einmal stärkere Gefühle seine allgemeine Taubheit durchbrechen: sehr gut. Ebenfalls, wenn der Autor sich ab und an mal traut, in grundsätzlicher Weise zu fragen, in welchem Verhältnis Freiheit und Glück für seine Figuren stehen, oder wenn er einen jener Brüche herausarbeitet, ohne die fast jeder Alltag unerträglich sein muss. Im Fall von Benni zum Beispiel ist es die Erfahrung, dass du eine Milliardärstochter heiraten kannst, aber wenn dein Kind die Fahrt wieder nicht vertragen hat, riecht es im Berlingo eben nach Kotze. Und doch fehlt in Summe dann einfach zu viel, um den langen Roman „Schönwald“ zu einem großen zu machen.
Und doch fehlt in Summe
bei diesem Roman
einfach zu viel
Er habe den Roman geschrieben, „den ich auf Deutsch immer lesen wollte, aber nur in der amerikanischen Literatur fand“:Philipp Oehmke.
Foto: K. Rozwadowska/Piper
Philipp Oehmke:
Schönwald. Roman.
Piper, München 2023.
544 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Als "Sensation" bezeichnet Rezensent Peter Huth diesen Roman von Philipp Oehmke, den er mit Freude im Seychellen-Urlaub gelesen hat: Um einen Familienroman handelt es sich, der deshalb so groß(artig) ist, weil er noch viele weitere Themen in sich vereint. Die deutsche Schuld wird ebenso elegant behandelt wie die Frage, ob man mit "Nazigeld" einen queere Buchhandlung eröffnen darf, freut sich Huth. Diese "Kaskade aus Rückblicken" geht bis in die Grundfeste dessen, was Familie ist - das beeindruckt den Kritiker derart, dass er direkt beginnt, selbst bei seinen Urlaubsbekanntschaften nach der Ergründung der wirklich wichtigen Fragen zu suchen, erzählt er abschließend.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein gnadenloser Roman über die lähmende Kraft des schlechten Gewissens.« Zeit Literatur 20231012