Bestsellerautor David Safier erzählt die Geschichte seiner Eltern: Sie führt uns vom Wien des Jahres 1938, als sein Vater Joschi dort studierte, über die Gefängnisse der Gestapo bis nach Palästina, wo er als Barmann und Spion arbeitete und schließlich zur See fuhr.
Waltraud wächst als Tochter eines Werftarbeiters in Bremen auf. Im Krieg wird die Familie ausgebombt, wohnt jahrelang in einem Eisenbahnwagen. Als das Wirtschaftswunder kommt, ergattert Waltraut einen begehrten Ausbildungsplatz zur Verkäuferin.
Bei ihrer ersten Begegnung mit Joschi in einer Eisdiele läßt Waltraut ihn abblitzen. Aber der Matrose schreibt ihr Postkarten aus der ganzen Welt, bis er eines Tages mit einer Schreibmaschine unter dem Arm vor ihrer Tür steht. Und er bleibt. Die Liebe der beiden erlebt steile Höhenflüge und dramatische Schicksalsschläge. Wie muss das Band zwischen zwei Menschen beschaffen sein, um all dem zu trotzen?
Waltraud wächst als Tochter eines Werftarbeiters in Bremen auf. Im Krieg wird die Familie ausgebombt, wohnt jahrelang in einem Eisenbahnwagen. Als das Wirtschaftswunder kommt, ergattert Waltraut einen begehrten Ausbildungsplatz zur Verkäuferin.
Bei ihrer ersten Begegnung mit Joschi in einer Eisdiele läßt Waltraut ihn abblitzen. Aber der Matrose schreibt ihr Postkarten aus der ganzen Welt, bis er eines Tages mit einer Schreibmaschine unter dem Arm vor ihrer Tür steht. Und er bleibt. Die Liebe der beiden erlebt steile Höhenflüge und dramatische Schicksalsschläge. Wie muss das Band zwischen zwei Menschen beschaffen sein, um all dem zu trotzen?
Bestsellerautor David Safier zeigt sich von einer neuen Seite. In "Solange wir leben" erzählt er eine ganz persönliche Geschichte: die seiner Eltern. Spannend und ergreifend. Ungekürzte Fassung, gelesen vom Autor selbst.
Solange wir leben, David Safier
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2023Sie sind halt so, weil sie irre sind
In Deutschland zu leben war nie der Plan: David Safier erzählt in seinem großartigen Roman "Solange wir leben" die Geschichte seiner Eltern
Als Jean Améry Mitte der Sechzigerjahre "sommers" durch das "blühende Land" der Täter reiste, konnte er sich eigentlich nicht beschweren über die Menschen, die ihm freundlich und offen begegneten - und doch schrieb er: "Mir ist nicht wohl in diesem friedlichen, schönen, von tüchtigen und modernen Menschen bewohnten Lande." Wie hätte es einem Überlebenden, einem "Naziopfer" (so sagte man damals), auch wirklich "wohl" sein können in dieser Bundesrepublik, die nicht einmal 20 Jahre nach dem Krieg so selbstbewusst und vor allem so fürchterlich unbelastet daherkam?
Auch Josef "Joschi" Safier, der im Holocaust fast seine gesamte Familie verloren hatte, "hasste zu sehen, wie die Westdeutschen von Jahr zu Jahr reicher wurden. Millionen Verbrecher genossen ungestraft das Leben, während seine Eltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, bis auf eine, für immer ausgelöscht waren." Er will deshalb 1961 nicht durch das Wirtschaftswunderland bis nach Düsseldorf reisen, wo seine Schwester lebt, als er mit seinem Kreuzfahrtschiff in Bremen festmacht. Nur ein wenig durch den Hafen will der Zahlmeister schlendern, "zu schön (ist) das Maiwetter", zu sehr lockt das deutsche Bier. Und überhaupt: "Hier war er, seiner Meinung nach, noch nicht in Deutschland, sahen doch alle Hafenanlagen der Welt ähnlich aus."
Aber es kommt anders, weil Joschi dann doch ein klein wenig aus der Hafengegend hinauswandert und in einer Eisdiele landet. Dort platzt er in das Geburtstagsständchen für die fünfundzwanzigjährige Waltraud, eine junge deutsche Witwe, die es ihm sofort antut. Es ereignet sich hier einer jener unspektakulär anmutenden Momente, die das Leben der Beteiligten für immer verändern wird.
Denn Joschi, in Israel verheiratet mit einer anderen hochtraumatisierten Überlebenden und irgendwie gerade auf der Flucht vor sich selbst und seiner Vergangenheit, wird schließlich bleiben, wo er nie hinwollte: in Deutschland, dort, wo jederzeit die "Schuldvermutung" gilt, wo er beständig die ihm begegnenden Menschen einschätzen muss ("Nazi. Kein Nazi. Nazi. Nazi. Keiner. Der auch nicht? Nein, sieht doch aus wie einer"). Und er wird Waltraud schon bald heiraten, nachdem er sich von seiner ersten Ehefrau Dora ziemlich ruppig getrennt hat. Mit seiner großen Liebe wird er auch einen Sohn haben, David, der jetzt, über sechzig Jahre nachdem sein Vater in Bremen vor Anker ging, die bewegende Geschichte seiner Eltern aus deren Perspektiven erzählt.
David Safier, der Sprössling, ist natürlich kein Unbekannter, denn seit Jahren belegt er regelmäßig mit seinen humoristischen Romanen wie "Mieses Karma" oder "Miss Merkel" vordere Plätze auf den Bestsellerlisten. Auch als Drehbuchautor ist der gelernte Journalist überaus erfolgreich gewesen, nicht zuletzt die Serie "Berlin, Berlin" machte ihn bekannt. Doch Safier beherrscht auch die ernsteren Töne meisterhaft: 2014 legte er den All-Age-Roman "28 Tage lang" vor, der den Aufstand im Ghetto Warschau mit einer Adoleszenzgeschichte verband und von Lesern, Kritikern und Pädagogen gleichermaßen gefeiert wurde.
In "Solange wir leben" betritt er nun neues Terrain; so persönlich und schonungslos hat er noch nie erzählt. Von Wien führt ihn die Geschichte dabei unter anderem nach Palästina, Israel und Bremen. Vieles von dem, was er erzählt, dürfte Safier nicht leichtgefallen sein, denn er macht auch vor den Abgründen seiner Eltern nicht halt: Beide verfallen zu unterschiedlichen Zeiten dem Alkohol, erweisen sich immer wieder als wenig erfolgreiche Geschäftsleute und enden schließlich tragisch. Joschi bringt sich im hohen Alter um, als er meint, durch seine körperlichen Gebrechen allen - vor allem seiner Frau - zur Last zu fallen, und Waltraud überwindet den Alkoholismus nur, weil sie durch einen Schlaganfall in den kalten Entzug gezwungen wird. Weitere Hirnschläge fesseln sie, gelähmt am ganzen Körper, zwei Jahre lang ans Bett, bevor sie stirbt.
Und doch erzählt der Roman auch die Geschichte einer enormen Resilienz, denn Joschi und Waltraud meistern immer wieder heftige Schicksalsschläge, stemmen sich gegen die Ungerechtigkeiten, die sich nicht nur aus Krieg und Holocaust für ihr Leben ergeben haben, und trotzen den Menschen, die es nicht gut mit ihnen meinen. Dabei haben sie die Kraft, auch für andere da zu sein: Joschi würde alles für seine Waltraud tun - und seine Ehefrau pflegt gleich drei Menschen aufopferungsvoll bis zu deren Tod.
Natürlich leiden sie auch aneinander: Joschi, weil Waltrauds Liebe doch nicht so bedingungslos ist wie seine, und Waltraud, weil ihr zwanzig Jahre älterer Mann ihr immer wieder unverständlich bleibt. Einmal fragt sie ihren Schwager Charlie, der mit Joschis Schwester Rosl verheiratet ist: "Sind sie so, weil sie beide überlebt haben?" Er antwortet: "Sie sind so, weil sie irre sind." Erstaunlicherweise ist es aber nicht der Holocaust-Überlebende Joschi, der gezeichneter durch das Leben wirkt. Waltraud ist es, die im Roman ihre bittere Erkenntnis formuliert: "Leben heißt leiden." Diese gibt sie auch Gabi, ihrer Tochter aus erster Ehe, mit und prägt die junge Frau dadurch nachhaltig.
David Safier erzählt von alldem liebevoll, aber nie sentimental, und führt mit großem erzählerischen Geschick zwei durchaus typische Lebensläufe aus dem zwanzigsten Jahrhundert vor, die sich gegen alle Wahrscheinlichkeit kreuzten. Dass er dafür die Form des Romans gewählt hat und nicht etwa die des Sachbuchs, hat nicht nur mit Safiers herausragenden literarischen Fähigkeiten zu tun, sondern auch mit der bruchstückhaften Überlieferung der Geschichte: Vieles erfuhr der Autor nur aus knappen Gesprächen mit den Eltern, anderes musste er aus Dokumenten rekonstruieren, Fotos halfen seiner visuellen Vorstellung auf. Doch das Wichtigste, die Gefühle der Protagonisten, musste David Safier erfinden. Und das hat er mit so beeindruckender Empathie und Plausibilität getan, dass ihm ein wirklich großer Roman gelungen ist. SASCHA FEUCHERT
David Safier: "Solange
wir leben". Roman.
Kindler Verlag, Hamburg 2023. 464 S., geb., 24,- Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Deutschland zu leben war nie der Plan: David Safier erzählt in seinem großartigen Roman "Solange wir leben" die Geschichte seiner Eltern
Als Jean Améry Mitte der Sechzigerjahre "sommers" durch das "blühende Land" der Täter reiste, konnte er sich eigentlich nicht beschweren über die Menschen, die ihm freundlich und offen begegneten - und doch schrieb er: "Mir ist nicht wohl in diesem friedlichen, schönen, von tüchtigen und modernen Menschen bewohnten Lande." Wie hätte es einem Überlebenden, einem "Naziopfer" (so sagte man damals), auch wirklich "wohl" sein können in dieser Bundesrepublik, die nicht einmal 20 Jahre nach dem Krieg so selbstbewusst und vor allem so fürchterlich unbelastet daherkam?
Auch Josef "Joschi" Safier, der im Holocaust fast seine gesamte Familie verloren hatte, "hasste zu sehen, wie die Westdeutschen von Jahr zu Jahr reicher wurden. Millionen Verbrecher genossen ungestraft das Leben, während seine Eltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, bis auf eine, für immer ausgelöscht waren." Er will deshalb 1961 nicht durch das Wirtschaftswunderland bis nach Düsseldorf reisen, wo seine Schwester lebt, als er mit seinem Kreuzfahrtschiff in Bremen festmacht. Nur ein wenig durch den Hafen will der Zahlmeister schlendern, "zu schön (ist) das Maiwetter", zu sehr lockt das deutsche Bier. Und überhaupt: "Hier war er, seiner Meinung nach, noch nicht in Deutschland, sahen doch alle Hafenanlagen der Welt ähnlich aus."
Aber es kommt anders, weil Joschi dann doch ein klein wenig aus der Hafengegend hinauswandert und in einer Eisdiele landet. Dort platzt er in das Geburtstagsständchen für die fünfundzwanzigjährige Waltraud, eine junge deutsche Witwe, die es ihm sofort antut. Es ereignet sich hier einer jener unspektakulär anmutenden Momente, die das Leben der Beteiligten für immer verändern wird.
Denn Joschi, in Israel verheiratet mit einer anderen hochtraumatisierten Überlebenden und irgendwie gerade auf der Flucht vor sich selbst und seiner Vergangenheit, wird schließlich bleiben, wo er nie hinwollte: in Deutschland, dort, wo jederzeit die "Schuldvermutung" gilt, wo er beständig die ihm begegnenden Menschen einschätzen muss ("Nazi. Kein Nazi. Nazi. Nazi. Keiner. Der auch nicht? Nein, sieht doch aus wie einer"). Und er wird Waltraud schon bald heiraten, nachdem er sich von seiner ersten Ehefrau Dora ziemlich ruppig getrennt hat. Mit seiner großen Liebe wird er auch einen Sohn haben, David, der jetzt, über sechzig Jahre nachdem sein Vater in Bremen vor Anker ging, die bewegende Geschichte seiner Eltern aus deren Perspektiven erzählt.
David Safier, der Sprössling, ist natürlich kein Unbekannter, denn seit Jahren belegt er regelmäßig mit seinen humoristischen Romanen wie "Mieses Karma" oder "Miss Merkel" vordere Plätze auf den Bestsellerlisten. Auch als Drehbuchautor ist der gelernte Journalist überaus erfolgreich gewesen, nicht zuletzt die Serie "Berlin, Berlin" machte ihn bekannt. Doch Safier beherrscht auch die ernsteren Töne meisterhaft: 2014 legte er den All-Age-Roman "28 Tage lang" vor, der den Aufstand im Ghetto Warschau mit einer Adoleszenzgeschichte verband und von Lesern, Kritikern und Pädagogen gleichermaßen gefeiert wurde.
In "Solange wir leben" betritt er nun neues Terrain; so persönlich und schonungslos hat er noch nie erzählt. Von Wien führt ihn die Geschichte dabei unter anderem nach Palästina, Israel und Bremen. Vieles von dem, was er erzählt, dürfte Safier nicht leichtgefallen sein, denn er macht auch vor den Abgründen seiner Eltern nicht halt: Beide verfallen zu unterschiedlichen Zeiten dem Alkohol, erweisen sich immer wieder als wenig erfolgreiche Geschäftsleute und enden schließlich tragisch. Joschi bringt sich im hohen Alter um, als er meint, durch seine körperlichen Gebrechen allen - vor allem seiner Frau - zur Last zu fallen, und Waltraud überwindet den Alkoholismus nur, weil sie durch einen Schlaganfall in den kalten Entzug gezwungen wird. Weitere Hirnschläge fesseln sie, gelähmt am ganzen Körper, zwei Jahre lang ans Bett, bevor sie stirbt.
Und doch erzählt der Roman auch die Geschichte einer enormen Resilienz, denn Joschi und Waltraud meistern immer wieder heftige Schicksalsschläge, stemmen sich gegen die Ungerechtigkeiten, die sich nicht nur aus Krieg und Holocaust für ihr Leben ergeben haben, und trotzen den Menschen, die es nicht gut mit ihnen meinen. Dabei haben sie die Kraft, auch für andere da zu sein: Joschi würde alles für seine Waltraud tun - und seine Ehefrau pflegt gleich drei Menschen aufopferungsvoll bis zu deren Tod.
Natürlich leiden sie auch aneinander: Joschi, weil Waltrauds Liebe doch nicht so bedingungslos ist wie seine, und Waltraud, weil ihr zwanzig Jahre älterer Mann ihr immer wieder unverständlich bleibt. Einmal fragt sie ihren Schwager Charlie, der mit Joschis Schwester Rosl verheiratet ist: "Sind sie so, weil sie beide überlebt haben?" Er antwortet: "Sie sind so, weil sie irre sind." Erstaunlicherweise ist es aber nicht der Holocaust-Überlebende Joschi, der gezeichneter durch das Leben wirkt. Waltraud ist es, die im Roman ihre bittere Erkenntnis formuliert: "Leben heißt leiden." Diese gibt sie auch Gabi, ihrer Tochter aus erster Ehe, mit und prägt die junge Frau dadurch nachhaltig.
David Safier erzählt von alldem liebevoll, aber nie sentimental, und führt mit großem erzählerischen Geschick zwei durchaus typische Lebensläufe aus dem zwanzigsten Jahrhundert vor, die sich gegen alle Wahrscheinlichkeit kreuzten. Dass er dafür die Form des Romans gewählt hat und nicht etwa die des Sachbuchs, hat nicht nur mit Safiers herausragenden literarischen Fähigkeiten zu tun, sondern auch mit der bruchstückhaften Überlieferung der Geschichte: Vieles erfuhr der Autor nur aus knappen Gesprächen mit den Eltern, anderes musste er aus Dokumenten rekonstruieren, Fotos halfen seiner visuellen Vorstellung auf. Doch das Wichtigste, die Gefühle der Protagonisten, musste David Safier erfinden. Und das hat er mit so beeindruckender Empathie und Plausibilität getan, dass ihm ein wirklich großer Roman gelungen ist. SASCHA FEUCHERT
David Safier: "Solange
wir leben". Roman.
Kindler Verlag, Hamburg 2023. 464 S., geb., 24,- Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Trotz ernsten Stoffs und tragischen Potenzials muss Rezensent Carsten Hueck David Safiers Buch einen Hang zur Oberflächlichkeit attestieren. Der Roman wolle vom Schicksal von Safiers Eltern erzählen, die dem Autor gegenüber aber nie über die Vergangenheit sprachen - weshalb die Geschichte um den in Wien geborenen, jüdischen Vater, der seine Familie im Nationalsozialismus verlor und eine junge, verwitwete Bremerin heiratete, größtenteils imaginiert ist, weiß der Kritiker. Und das sei vielleicht auch das Problem des Romans, der viel mit "Zeitkolorit", Klischees, "pittoresken" Beschreibungen und "großen Gefühlen" arbeite. So entsteht beim Kritiker eher der Eindruck von Figuren wie "Klebebildern im Sammelbuch der Dekaden" und einer bloßen Aneinanderreihung von Szenen und historischen (teils auch verdrehten) Fakten. Die Tragik des unwahrscheinlichen Liebespaars, dessen Ehe unter finanziellen Schwierigkeiten und Alkoholismus zerbrach, werde so von Safier zwar aufgerufen, aber literarisch nicht überzeugend umgesetzt, bedauert Hueck.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Bewegende Liebesgeschichte. Sibylle Peine Mindener Tageblatt 20230513