Arkadi Renko ist bekannt seit "Gorki Park". Jetzt ist der Ermittler im Moskau des Raubtierkapitalismus angekommen. Ein Anruf, den Renko zufällig auf dem Apparat eines Kollegen annimmt, entpuppt sich als Mordauftrag. Dies bringt ihn auf die Spur der Spezialeinheit OMON, die im Tschetschenien-Krieg berüchtigt war. Ein doppelbödiger Thriller aus dem Moskauer Winter, in dem die Geister der Vergangenheit ihre Opfer holen. Ein Arkadi-Renko-Roman um verlorene Hoffnung, schmutzige Geschäfte und eine große Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2007Schlechte Zeiten für Lyrik
War das nicht eben Stalin? Martin Cruz Smith lässt seinen Ermittler Arkadi Renko in Moskau und in der Provinz nach Leichen graben, über die andere gegangen sind.
In den sechsundzwanzig Jahren, seit "Gorki Park", der erste Band mit dem Ermittler Arkadi Renko, erschienen ist, hat sich Martin Cruz Smith zu einem ernsthaften Chronisten der russischen Gegenwart gemausert. Für einen amerikanischen Journalisten, der kein Russisch spricht, keine üble Leistung; zumal diese auf dem Gebiet des Unterhaltungsromans geglückt ist, eines Genres, das sich bezüglich literarischer Ambition oft allzu gern selbst Schreibverbot erteilt. "Stalins Geist", soeben in deutscher Übersetzung erschienen, ist erst der sechste Auftritt Renkos - für das unersättliche Thriller-Publikum ein seltener Gast. Das Warten hat sich gelohnt, denn Smith ist erneut ein atmosphärisch dichter Roman gelungen.
Am Ende von "Gorki Park" hätte Arkadi Renko die Chance gehabt, Russland zu verlassen. Da er insgeheim Patriot ist, ist er geblieben. Aber nun geht es dem ewigen Gegen-den-Strom-Schwimmer schlecht in seiner Heimat. Seine Beziehung zur Kinderärztin Eva zittert am Rande des Abgrunds; deren zwölfjähriger Sohn Shenja, den Renko wie seinen eigenen zu behandeln versucht, ist durchgebrannt und lebt als genialer Blitzschachspieler im Untergrund. Korrupte Vorgesetzte wollen Renko längst loswerden: Er passt nicht mehr ins neue Russland.
Das bietet vor allem eine ununterbrochene Kette von Grausamkeiten. Gerade hat man etwa unter dem Obersten Gerichtshof ein Massengrab ausgehoben, mitten in der Stadt. Die Leichen stammen aus den vierziger oder fünfziger Jahren, Opfer von Stalin. Ein Alkoholiker wird mit einem Hackmesser im Nacken gefunden - eine ganz normale Beziehungstat oder doch eher eine präzise Hinrichtung?
Da neuerdings ehemalige Mitglieder der Schwarzen Barette als Polizeiermittler im Einsatz sind, gehen sie auch mit den gleichen Methoden zur Sache, mit denen sie ihren Einsatz bei der Omon-Eliteeinheit im Tschetschenien-Krieg überlebt haben. Und während Moskau im Schnee versinkt, feiert die Oligarchie in Luxusclubs menschenverachtende Partys oder veranstaltet Autorennen durch die nächtliche Stadt. Die Halbwelt ist das neue Establishment, und Arkadi Renko macht sich seine Gedanken über deren neuen Konservatismus - in fünfzig Jahren, glaubt er, wenn die Neureichen bürgerlich geworden sind, werde ein goldenes Zeitalter für Lyrik anbrechen.
Dann taucht zu allem Überfluss Stalin wieder auf. Beziehungsweise Stalins Geist. Den wollen einige U-Bahn-Reisende lang nach Mitternacht am Bahnsteig der Station Tschistyje Prudi gesehen haben. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn man nicht längst wieder mit dem Diktator prächtige ideologische Schlachten schlagen könnte. Genau das hat der charismatische Isakow, ein vermeintlicher Held des Tschetschenien-Kriegs, vor. Für seine ultranationalistische Bewegung nutzt er Stalin als Wahlkampf-Vehikel - unterstützt von amerikanischen Politikberatern. Isakow ist es auch, der Renkos Geliebte erfolgreich umgarnt, was dessen Lage noch aussichtsloser macht: Denn ausgerechnet ihm hat man den Befehl gegeben, im Fall der Stalin-Erscheinung zu ermitteln.
Renkos Vater war einer von Stalins Lieblingsgenerälen, ein harter Hund und brutaler Erzieher, dessen Schatten der Sohn nicht zu entkommen vermag, auch wenn er als Ermittler vordergründig damit beschäftigt ist, seine Laufbahn und sein nacktes Leben im Exil der verschlammten Provinzstadt Twer zu retten. In einer wahrlich gruseligen Schlussszene wird auch dort nach Leichen gegraben - und damit in jener Geschichte gewühlt, die nie vergehen will.
Ein Roman also auch über Väter und Söhne: der die Sonne überstrahlende Stalin als Übervater, der den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat; Stalin als Identifikationsfigur, die heute wieder von mehr als der Hälfte der Bevölkerung verehrt wird, ungeachtet der Tatsache, dass Millionen von Ermordeten auf sein Konto gehen. "Die russische Geschichte besteht aus Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen und Stalin - und seitdem aus lauter Würstchen", sagt Schenjas Lehrer, der Schachgroßmeiser und gläubige Kommunist Platonow. Früher, sagt er, seien Millionäre aus Prinzip erschossen worden. Im Russland Putins, das Martin Cruz Smith wie mit einem Stroboskoplicht grell ausleucht, geschieht das neuerdings aus niedrigeren Motiven.
HANNES HINTERMEIER.
Martin Cruz Smith: "Stalins Geist". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann, München 2007. 365 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
War das nicht eben Stalin? Martin Cruz Smith lässt seinen Ermittler Arkadi Renko in Moskau und in der Provinz nach Leichen graben, über die andere gegangen sind.
In den sechsundzwanzig Jahren, seit "Gorki Park", der erste Band mit dem Ermittler Arkadi Renko, erschienen ist, hat sich Martin Cruz Smith zu einem ernsthaften Chronisten der russischen Gegenwart gemausert. Für einen amerikanischen Journalisten, der kein Russisch spricht, keine üble Leistung; zumal diese auf dem Gebiet des Unterhaltungsromans geglückt ist, eines Genres, das sich bezüglich literarischer Ambition oft allzu gern selbst Schreibverbot erteilt. "Stalins Geist", soeben in deutscher Übersetzung erschienen, ist erst der sechste Auftritt Renkos - für das unersättliche Thriller-Publikum ein seltener Gast. Das Warten hat sich gelohnt, denn Smith ist erneut ein atmosphärisch dichter Roman gelungen.
Am Ende von "Gorki Park" hätte Arkadi Renko die Chance gehabt, Russland zu verlassen. Da er insgeheim Patriot ist, ist er geblieben. Aber nun geht es dem ewigen Gegen-den-Strom-Schwimmer schlecht in seiner Heimat. Seine Beziehung zur Kinderärztin Eva zittert am Rande des Abgrunds; deren zwölfjähriger Sohn Shenja, den Renko wie seinen eigenen zu behandeln versucht, ist durchgebrannt und lebt als genialer Blitzschachspieler im Untergrund. Korrupte Vorgesetzte wollen Renko längst loswerden: Er passt nicht mehr ins neue Russland.
Das bietet vor allem eine ununterbrochene Kette von Grausamkeiten. Gerade hat man etwa unter dem Obersten Gerichtshof ein Massengrab ausgehoben, mitten in der Stadt. Die Leichen stammen aus den vierziger oder fünfziger Jahren, Opfer von Stalin. Ein Alkoholiker wird mit einem Hackmesser im Nacken gefunden - eine ganz normale Beziehungstat oder doch eher eine präzise Hinrichtung?
Da neuerdings ehemalige Mitglieder der Schwarzen Barette als Polizeiermittler im Einsatz sind, gehen sie auch mit den gleichen Methoden zur Sache, mit denen sie ihren Einsatz bei der Omon-Eliteeinheit im Tschetschenien-Krieg überlebt haben. Und während Moskau im Schnee versinkt, feiert die Oligarchie in Luxusclubs menschenverachtende Partys oder veranstaltet Autorennen durch die nächtliche Stadt. Die Halbwelt ist das neue Establishment, und Arkadi Renko macht sich seine Gedanken über deren neuen Konservatismus - in fünfzig Jahren, glaubt er, wenn die Neureichen bürgerlich geworden sind, werde ein goldenes Zeitalter für Lyrik anbrechen.
Dann taucht zu allem Überfluss Stalin wieder auf. Beziehungsweise Stalins Geist. Den wollen einige U-Bahn-Reisende lang nach Mitternacht am Bahnsteig der Station Tschistyje Prudi gesehen haben. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn man nicht längst wieder mit dem Diktator prächtige ideologische Schlachten schlagen könnte. Genau das hat der charismatische Isakow, ein vermeintlicher Held des Tschetschenien-Kriegs, vor. Für seine ultranationalistische Bewegung nutzt er Stalin als Wahlkampf-Vehikel - unterstützt von amerikanischen Politikberatern. Isakow ist es auch, der Renkos Geliebte erfolgreich umgarnt, was dessen Lage noch aussichtsloser macht: Denn ausgerechnet ihm hat man den Befehl gegeben, im Fall der Stalin-Erscheinung zu ermitteln.
Renkos Vater war einer von Stalins Lieblingsgenerälen, ein harter Hund und brutaler Erzieher, dessen Schatten der Sohn nicht zu entkommen vermag, auch wenn er als Ermittler vordergründig damit beschäftigt ist, seine Laufbahn und sein nacktes Leben im Exil der verschlammten Provinzstadt Twer zu retten. In einer wahrlich gruseligen Schlussszene wird auch dort nach Leichen gegraben - und damit in jener Geschichte gewühlt, die nie vergehen will.
Ein Roman also auch über Väter und Söhne: der die Sonne überstrahlende Stalin als Übervater, der den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat; Stalin als Identifikationsfigur, die heute wieder von mehr als der Hälfte der Bevölkerung verehrt wird, ungeachtet der Tatsache, dass Millionen von Ermordeten auf sein Konto gehen. "Die russische Geschichte besteht aus Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen und Stalin - und seitdem aus lauter Würstchen", sagt Schenjas Lehrer, der Schachgroßmeiser und gläubige Kommunist Platonow. Früher, sagt er, seien Millionäre aus Prinzip erschossen worden. Im Russland Putins, das Martin Cruz Smith wie mit einem Stroboskoplicht grell ausleucht, geschieht das neuerdings aus niedrigeren Motiven.
HANNES HINTERMEIER.
Martin Cruz Smith: "Stalins Geist". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann, München 2007. 365 S., geb., 19,95 [Euro].
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"Martin Cruz Smith und der Detektiv Arkadi Renko sind unwiderstehlich." (Time Magazine)