Strategie ist ein Buch über Sex
Moshe liebt Nana und Nana liebt Moshe. Und sie versuchen ihr bestes und alles. Aber das reicht nicht. Dann kommt Anjali hinzu. Und zuerst schaut Moshe nur zu. Irgendwann sind sie zu dritt. Ein raffinierter Roman über die Liebe und ihre Arrangements in der Tradition von Milan Kundera und Woody Allen. Die erste Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts.
Moshe liebt Nana und Nana liebt Moshe. Und sie versuchen ihr bestes und alles. Aber das reicht nicht. Dann kommt Anjali hinzu. Und zuerst schaut Moshe nur zu. Irgendwann sind sie zu dritt. Ein raffinierter Roman über die Liebe und ihre Arrangements in der Tradition von Milan Kundera und Woody Allen. Die erste Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2004Die heilige Nervensäge
Adam Thirlwells erster Roman "Strategie" ist eine kleine Sensation
Schon der Titel ist eine Täuschung, eine Anmaßung, ein genialischer Coup - und der deutsche Verlag sollte einen guten Grund haben, daß er den Titel nicht übernommen hat. "Politics" steht da in dicken roten Buchstaben auf dem Cover von Adam Thirlwells erstem Roman, mit dem er in England im letzten Jahr zu einer kleinen literarischen Berühmtheit wurde; "Strategie" heißt das Buch etwas schwächlich in der deutschen Fassung. Und so geht schon der erste, der umfassende Witz dieses ziemlich verblüffenden und vielleicht allzu witzigen Buches verloren. "Politik", heißt es im englischen Klappentext, "handelt nicht von Politik." Mag ja sein. Aber handelt es deshalb wirklich, wie alle sagen, von Sex?
Das Buch beginnt mit einer präzise geschilderten Szene, in der Moshe seine Freundin Nana mit rosa Handschellen ans Bett kettet; leider sind die Handschellen zu groß; leider ist Moshe sehr damit beschäftigt, seine momentane antisemitische Unterdrückungsphantasie mit dem Bild seines jüdischen Vaters abzugleichen; und leider endet die Szene nicht mit dem von beiden gewünschten Analsex, sondern mit gewöhnlichem heterosexuellen Sex. Und weil Thirlwell auch auf den folgenden Seiten oft und gern von Sexpraktiken und Sexphantasien erzählt und seine Geschichte in einer ménage à trois mündet, könnte man annehmen, daß "Strategie" wirklich von Sex handelt. Aber dann hätte man Adam Thirlwell unterschätzt.
Er schaut ein wenig aus wie ein Hobbit. Er hat einen runden Schädel, seine Backen beulen sich sympathisch nach außen, er hat Glubschaugen und zersauste Haare, und sein Mund ist zu einem Lächeln verzogen, das irgendwo zwischen Ironie und Überheblichkeit seinen Platz sucht. Ist das Bild von Adam Thirlwell also das Bild eines freundlichen jungen Mannes? Ja und nein. Er selbst sagt mit der Stimme des Erzählers, der immer wieder die Geschichte unterbricht und kommentiert, daß er nur nett sein will und daß er seine Figuren sehr mag. Und dann tut er alles dafür, daß man ihn mitsamt seinem Buch aus dem Fenster werfen will. Adam Thirlwell ist eine heilige Nervensäge, und er weiß verdammt genau, was er tut. Jung ist er, gerade mal 25, er arbeitet an der Universität von Oxford, und als er 2003 auf die berühmte Liste der Zeitschrift "Granta" gesetzt wurde, auf der alle zehn Jahre die hoffnungsvollsten Schriftsteller des Landes versammelt werden, da hatte er gerade mal ein Werk von zwölf Seiten vorzuweisen, auf denen es vor allem um Fellatio ging. Da war es also, das neue Schriftstellerwunderkind, irgend etwas zwischen Milan Kundera und Woody Allen, wie er selbst und der Verlag nicht müde werden zu betonen.
Der Verlag meint es womöglich ernst. Adam Thirlwell eher nicht. Überhaupt ist es schwer herauszufinden, was er ernst meint. Er wollte ein komisches Buch schreiben, sagte Thirlwell, nachdem "Politics" erschienen war, weil er dachte, daß das leichter sein würde. Er habe sich getäuscht. Was natürlich auch wieder nur ein Teil der Wahrheit ist, denn er hat ein sehr komisches Buch geschrieben, das sich mit dem gebührenden Ernst und allergrößter Leichtigkeit den Grundfragen des Lebens widmet. Die Dreiecksbeziehung zwischen dem Schauspieler Moshe, der Studentin Nana und dem Werbemodel Anjali, die wechselnden Macht- und Liebesverhältnisse zwischen diesen lose skizzierten Londoner Mittzwanzigern - das ist nicht das, was Thirlwell interessiert. Es geht ihm nicht sonderlich um das Wesen der Liebe und auch nicht um Moral, gerade weil er das so oft sagt. Ihm geht es darum, wie wir über Menschen reden und denken, wie wir die Welt sehen und welche Elemente sich dabei zu einem Bild formen. Er ist ein konstruktivistischer Baukastenzauberer. Und er ist ein Spieler, ein Trickser und damit schon in seiner Inszenierung ein literarisches Phänomen. So ist die irritierendste und auffälligste Figur des Romans der Erzähler selbst, der da in Abschweifungen, achterbahnhaften historischen Exkursen und lustvoll vorgeführtem literarischen Strebertum spricht. Mit seinen Sätzen sucht er eine Klarheit, die fast weh tut, weil sie so smart ist und so schlicht - eine Klarheit, die Verwirrung anstrebt und den Zustand, in dem sich Thirlwell oder zumindest der Erzähler am wohlsten fühlt: die Ambiguität. Und wie Thirlwell von dieser Ambiguität nicht erzählt, sondern sie erzeugt; wie er einen Sound schafft, einen Sog, der die Dinge in der Schwebe hält, gerade weil er sie festnagelt; wie er mit den Mitteln eines Kindes, das sich aus Klötzen eine Welt baut, über die es dann staunt, diese Welt zugleich enträtselt und verzaubert: das alles rechtfertigt es, dieses Buch als eine kleine literarische Sensation zu behandeln. Auch wenn es nervt.
Außer Moshe und Nana, die sich lieben und sich im Sex verlieren, treten noch auf: Anjali und die lesbische Liebe; Papa und die väterliche Liebe, die am Ende siegen wird; ein Gehirntumor; Milan Kundera; Stalin; Mao; Hitler; Ossip Mandelstam; Antonio Gramsci; Michail Bulgakow; Rudolf Höß; André Breton und der Rest seiner über Orgasmus räsonierenden Surrealisten. Diese Auftritte sind das Provozierende dieses Buches - und das Grotesk-Genialische. Die Ungeheuer des 20. Jahrhunderts und deren Opfer werden von Thirlwell benutzt, um seine Vorstellungen von Sex zu erklären, auf beiläufige Art, in einem freundlichen, unironischen Ton. Aber genau dieser Ton, diese Beiläufigkeit und diese Anmaßung, sie sind der eigentliche Gegenstand dieses Romans, der im dauernden Singsang zwischen Erzähler und Leser ins Feuilletonistische abrutscht und sich dann wieder mit einem Kunststück aus diesem Schlamm zieht. Es geht ihm um Moral, sagt Thirlwell, und doch ist die Geschichte ihm nur eine Wundertüte, aus der er sich bedient. Scheinbar. Tatsächlich hat in den letzten Jahren kein Schriftsteller so radikal und dabei so spielerisch darüber nachgedacht, was die Vermischung des Privaten und des Politischen bedeuten könnte. "Strategie" ist tatsächlich, wie der Verlag vollmundig meint, aus dem 21. Jahrhundert. Aber nicht als Liebesroman, sondern als Reflexion über das, was von der Geschichte des 20. Jahrhunderts bleiben wird - und vor allem, wie wir uns daran erinnern und wie wir darüber reden werden.
Der Sex, von dem Thirlwell erzählt, interessiert ihn also nicht besonders; hätte er seinen Roman "Sex" genannt, dann hätte man sagen können, daß "Sex" nicht von Sex handelt. Sondern von Politik.
GEORG DIEZ
Adam Thirlwell: "Strategie". Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. S. Fischer, Frankfurt 2004. 320 S., 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adam Thirlwells erster Roman "Strategie" ist eine kleine Sensation
Schon der Titel ist eine Täuschung, eine Anmaßung, ein genialischer Coup - und der deutsche Verlag sollte einen guten Grund haben, daß er den Titel nicht übernommen hat. "Politics" steht da in dicken roten Buchstaben auf dem Cover von Adam Thirlwells erstem Roman, mit dem er in England im letzten Jahr zu einer kleinen literarischen Berühmtheit wurde; "Strategie" heißt das Buch etwas schwächlich in der deutschen Fassung. Und so geht schon der erste, der umfassende Witz dieses ziemlich verblüffenden und vielleicht allzu witzigen Buches verloren. "Politik", heißt es im englischen Klappentext, "handelt nicht von Politik." Mag ja sein. Aber handelt es deshalb wirklich, wie alle sagen, von Sex?
Das Buch beginnt mit einer präzise geschilderten Szene, in der Moshe seine Freundin Nana mit rosa Handschellen ans Bett kettet; leider sind die Handschellen zu groß; leider ist Moshe sehr damit beschäftigt, seine momentane antisemitische Unterdrückungsphantasie mit dem Bild seines jüdischen Vaters abzugleichen; und leider endet die Szene nicht mit dem von beiden gewünschten Analsex, sondern mit gewöhnlichem heterosexuellen Sex. Und weil Thirlwell auch auf den folgenden Seiten oft und gern von Sexpraktiken und Sexphantasien erzählt und seine Geschichte in einer ménage à trois mündet, könnte man annehmen, daß "Strategie" wirklich von Sex handelt. Aber dann hätte man Adam Thirlwell unterschätzt.
Er schaut ein wenig aus wie ein Hobbit. Er hat einen runden Schädel, seine Backen beulen sich sympathisch nach außen, er hat Glubschaugen und zersauste Haare, und sein Mund ist zu einem Lächeln verzogen, das irgendwo zwischen Ironie und Überheblichkeit seinen Platz sucht. Ist das Bild von Adam Thirlwell also das Bild eines freundlichen jungen Mannes? Ja und nein. Er selbst sagt mit der Stimme des Erzählers, der immer wieder die Geschichte unterbricht und kommentiert, daß er nur nett sein will und daß er seine Figuren sehr mag. Und dann tut er alles dafür, daß man ihn mitsamt seinem Buch aus dem Fenster werfen will. Adam Thirlwell ist eine heilige Nervensäge, und er weiß verdammt genau, was er tut. Jung ist er, gerade mal 25, er arbeitet an der Universität von Oxford, und als er 2003 auf die berühmte Liste der Zeitschrift "Granta" gesetzt wurde, auf der alle zehn Jahre die hoffnungsvollsten Schriftsteller des Landes versammelt werden, da hatte er gerade mal ein Werk von zwölf Seiten vorzuweisen, auf denen es vor allem um Fellatio ging. Da war es also, das neue Schriftstellerwunderkind, irgend etwas zwischen Milan Kundera und Woody Allen, wie er selbst und der Verlag nicht müde werden zu betonen.
Der Verlag meint es womöglich ernst. Adam Thirlwell eher nicht. Überhaupt ist es schwer herauszufinden, was er ernst meint. Er wollte ein komisches Buch schreiben, sagte Thirlwell, nachdem "Politics" erschienen war, weil er dachte, daß das leichter sein würde. Er habe sich getäuscht. Was natürlich auch wieder nur ein Teil der Wahrheit ist, denn er hat ein sehr komisches Buch geschrieben, das sich mit dem gebührenden Ernst und allergrößter Leichtigkeit den Grundfragen des Lebens widmet. Die Dreiecksbeziehung zwischen dem Schauspieler Moshe, der Studentin Nana und dem Werbemodel Anjali, die wechselnden Macht- und Liebesverhältnisse zwischen diesen lose skizzierten Londoner Mittzwanzigern - das ist nicht das, was Thirlwell interessiert. Es geht ihm nicht sonderlich um das Wesen der Liebe und auch nicht um Moral, gerade weil er das so oft sagt. Ihm geht es darum, wie wir über Menschen reden und denken, wie wir die Welt sehen und welche Elemente sich dabei zu einem Bild formen. Er ist ein konstruktivistischer Baukastenzauberer. Und er ist ein Spieler, ein Trickser und damit schon in seiner Inszenierung ein literarisches Phänomen. So ist die irritierendste und auffälligste Figur des Romans der Erzähler selbst, der da in Abschweifungen, achterbahnhaften historischen Exkursen und lustvoll vorgeführtem literarischen Strebertum spricht. Mit seinen Sätzen sucht er eine Klarheit, die fast weh tut, weil sie so smart ist und so schlicht - eine Klarheit, die Verwirrung anstrebt und den Zustand, in dem sich Thirlwell oder zumindest der Erzähler am wohlsten fühlt: die Ambiguität. Und wie Thirlwell von dieser Ambiguität nicht erzählt, sondern sie erzeugt; wie er einen Sound schafft, einen Sog, der die Dinge in der Schwebe hält, gerade weil er sie festnagelt; wie er mit den Mitteln eines Kindes, das sich aus Klötzen eine Welt baut, über die es dann staunt, diese Welt zugleich enträtselt und verzaubert: das alles rechtfertigt es, dieses Buch als eine kleine literarische Sensation zu behandeln. Auch wenn es nervt.
Außer Moshe und Nana, die sich lieben und sich im Sex verlieren, treten noch auf: Anjali und die lesbische Liebe; Papa und die väterliche Liebe, die am Ende siegen wird; ein Gehirntumor; Milan Kundera; Stalin; Mao; Hitler; Ossip Mandelstam; Antonio Gramsci; Michail Bulgakow; Rudolf Höß; André Breton und der Rest seiner über Orgasmus räsonierenden Surrealisten. Diese Auftritte sind das Provozierende dieses Buches - und das Grotesk-Genialische. Die Ungeheuer des 20. Jahrhunderts und deren Opfer werden von Thirlwell benutzt, um seine Vorstellungen von Sex zu erklären, auf beiläufige Art, in einem freundlichen, unironischen Ton. Aber genau dieser Ton, diese Beiläufigkeit und diese Anmaßung, sie sind der eigentliche Gegenstand dieses Romans, der im dauernden Singsang zwischen Erzähler und Leser ins Feuilletonistische abrutscht und sich dann wieder mit einem Kunststück aus diesem Schlamm zieht. Es geht ihm um Moral, sagt Thirlwell, und doch ist die Geschichte ihm nur eine Wundertüte, aus der er sich bedient. Scheinbar. Tatsächlich hat in den letzten Jahren kein Schriftsteller so radikal und dabei so spielerisch darüber nachgedacht, was die Vermischung des Privaten und des Politischen bedeuten könnte. "Strategie" ist tatsächlich, wie der Verlag vollmundig meint, aus dem 21. Jahrhundert. Aber nicht als Liebesroman, sondern als Reflexion über das, was von der Geschichte des 20. Jahrhunderts bleiben wird - und vor allem, wie wir uns daran erinnern und wie wir darüber reden werden.
Der Sex, von dem Thirlwell erzählt, interessiert ihn also nicht besonders; hätte er seinen Roman "Sex" genannt, dann hätte man sagen können, daß "Sex" nicht von Sex handelt. Sondern von Politik.
GEORG DIEZ
Adam Thirlwell: "Strategie". Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. S. Fischer, Frankfurt 2004. 320 S., 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Konrad Heidkamp zeigt sich in seiner Besprechung dieser Hörbuchversion von Adam Thirlwells "Strategie" nicht besonders begeistert. Findet er die Aussicht auf "lüsterne Details" zunächst noch ganz "vielversprechend", erweisen sich ihm die auf den CDs vorgetragenen sexuellen Abenteuer schließlich doch als ermüdend. Hier stößt man auf die "alte Porno-Frage", was man zwischen dem Akt als solchem erzählen soll, meint der Rezensent, der es überaus bedauerlich findet, dass man bei einem Hörbuch nicht einfach Stellen "überblättern" kann. Heidkamp ist sich keineswegs sicher, ob es sich bei dem vorliegenden Text eher um ein pornografisches "Alibi für Zeitgeist-Plaudereien" handelt oder umgekehrt. Jedenfalls wäre es ihm lieber, wenn es denn sein muss, "reine Pornografie ohne auktoriales Mäntelchen und Du-und-deine-Welt-Kommentare" vor sich zu haben, wie er freimütig gesteht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Thirlwell vereint die essayistische Klarheit eines Montaigne mit dem trockenen Humor eines Buston Keaton." (The Times)
"Ein faszinierender Roman, der Ihre sofortige Aufmerksamkeit verdient." (The Independent)
"Ein faszinierender Roman, der Ihre sofortige Aufmerksamkeit verdient." (The Independent)