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Sebastian von Eschburg verliert als Kind durch den Selbstmord seines Vaters den Halt. Er versucht sich durch die Kunst zu retten. Er zeigt mit seinen Fotografien und Videoinstallationen, dass Wirklichkeit und Wahrheit verschiedene Dinge sind. Es geht um Schönheit, Sex und die Einsamkeit des Menschen. Als Eschburg vorgeworfen wird, eine junge Frau getötet zu haben, übernimmt Konrad Biegler die Verteidigung. Der alte Anwalt versucht dem Künstler zu helfen - und damit sich selbst. Schirach schreibt über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, das den Leser zwingt, grundsätzliche Entscheidungen zu…mehr

Produktbeschreibung
Sebastian von Eschburg verliert als Kind durch den Selbstmord seines Vaters den Halt. Er versucht sich durch die Kunst zu retten. Er zeigt mit seinen Fotografien und Videoinstallationen, dass Wirklichkeit und Wahrheit verschiedene Dinge sind. Es geht um Schönheit, Sex und die Einsamkeit des Menschen. Als Eschburg vorgeworfen wird, eine junge Frau getötet zu haben, übernimmt Konrad Biegler die Verteidigung. Der alte Anwalt versucht dem Künstler zu helfen - und damit sich selbst.
Schirach schreibt über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, das den Leser zwingt, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Aber dieses Buch ist viel mehr: Schirach hat den Roman eines Lebens geschrieben, lakonisch, poetisch, berührend.
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Autorenporträt
Ferdinand von Schirach, geb. 1964 in München, arbeitet seit 1994 als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin. Zu seinen Mandanten gehörten das frühere Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der ehemalige BND-Spion Norbert Juretzko, Industrielle, Prominente und Angehörige der Unterwelt.

Matthias Brandt wurde 1961 in Berlin geboren. Er studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und war anschließend an verschiedenen Theatern engagiert. Seit Beginn der 90er Jahre spielte Brandt diverse TV-Rollen. 2009 erhielt er den Adolf-Grimme-Preis für "Die zweite Frau". Matthias Brandt ist Träger des deutschen Hörbuchpreises 2010.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.09.2013

Majas Männer beim Lokaltermin
Die Erzählungen des Anwalts Ferdinand von Schirach erneuerten die Gerichtsreportage – sein Roman „Tabu“ bleibt dahinter zurück
Wer einmal als Gerichtsreporter gearbeitet hat, rieb sich die Augen, als Ferdinand von Schirachs Erzählbände „Verbrechen“ und „Schuld“ herauskamen, Geschichten über Kriminalfälle, die besser sind als das meiste, was professionelle Autoren zuwege bringen. Dem Anwalt war es gelungen, ein totgeglaubtes literarisches Genre auf neue Weise wiederzubeleben: die Gerichtsreportage. Bedeutende Vertreter dieser Kunst gab es viele: Gabriele Tergit schrieb über den ersten Prozess gegen Hitler in Berlin (es ging um Presserechtliches), Siegfried Kracauer über die desperate Stadt der Zwanzigerjahre: „Es wird zur Zeit in Berlin viel gemordet.“
  Ganz zu schweigen von den Literaten, die sich als Gerichtsreporter versuchten: Auf den Zuschauerbänken der Nürnberger Prozesse saßen mehr Schriftsteller als in einem Berufsverband, Alfred Döblin, John Dos Passos, Erich Kästner, Erika Mann, Peter de Mendelssohn, Gregor von Rezzori oder Rebecca West. Thomas Bernhard protokollierte für eine Lokalzeitung Miniaturen über die Gewalt im düsteren Salzburg der Nachkriegszeit. Elfriede Jelinek verfolgte in den 80ern für ein Lifestylemagazin einen Prozess über einen Jugendlichen, der Sartre, Camus und Nietzsche las und eines Tages drei Leute erschoss. Sie nahm dann den Fall zum Ausgangspunkt ihres Romans „Die Ausgesperrten“.
  Was also hat ein Anwalt, was wir Prozessbeobachter nicht haben? Ist es die Lakonie der Aktensprache, die Abgründe umso deutlicher hervortreten lässt? Oder sind es die Fälle aus Schirachs Anwaltskarriere, deren Besonderheit den Reportern auf den Zuschauerbänken entging? Da bringt eine junge drogensüchtige Prostituierte einen Freier um und wird durch eine DNA-Spur überführt – 19 Jahre später, sie hat inzwischen eine Familie und ein Reihenhaus. Da wollen Skinheads auf einem Bahnsteig einen Mann verprügeln, der ist zufälligerweise Berufskiller. Da sind in einem Familienclan alle Männer gewalttätig oder handeln mit Drogen, bis auf einen, der heimlich studiert und im Prozess gegen einen Bruder als Zeuge die Richter verwirrt.
  Seinen Fall als literarisches Phänomen hat Schirach nun selbst aufgeklärt. Indem er sich ganz dem fiktionalen Fach zugewandt und zwei Kriminalromane abgeliefert hat. Eine lückenlosen Indizienkette gewissermaßen, die nun zu einem anderen Urteil über sein Schreiben führen muss. „Der Fall Collini“ hieß 2011 der erste Krimi. Es ging um den Mord an einem ehemaligen SS-Mann, der für eine Erschießung verantwortlich war. Sein Mörder hatte jahrzehntelang versucht, ihn vor ein deutsches Gericht zu bringen, vergeblich. Wie der Rechtsstaat von heute mit den Verbrechern von damals umgeht, ist ein wichtiges Thema, aber so thesenhaft, wie Schirach es aufbereitete, eher etwas für eine juristische Fachzeitschrift.
  Schirachs neuer Roman „Tabu“ handelt von einem Fotografen, der eine junge Frau entführt haben soll. „Soll“ ist wichtig. Nicht nur, weil vor Gericht die Unschuldsvermutung gilt. Sondern, weil nichts so ist, wie es sich darstellt. Beiden Romanen fehlt das „Ich“, der Erzähler, der in den Geschichtenbänden die Fälle aufrollte. Der ist Anwalt wie Schirach, vielleicht ist es Schirach selbst. Als Strafverteidiger vertritt er das Recht und steht von Berufs wegen doch auf Seite derer, die es gebrochen haben. Eine kleine Ambivalenz, die große ethische Fragen aufwirft. So sagt Schirachs Alter Ego, er wolle die Wahrheit nicht kennen. Denn wüsste er, was sein Mandant gemacht habe, dann könnte er von Rechts wegen keinen Zeugen laden, der etwas anderes sagt.
  In Schirachs Erzählungen erscheinen Verbrechen und Schuld in einem anderen Licht. Sie handeln von Gerichtsverfahren, die dazu da sind, die Wahrheit ans Licht zu bringen und in denen (bis auf den Angeklagten) alle unter Wahrheitspflicht stehen. Aber der, der sie erzählt, will die Wahrheit gar nicht kennen. Dennoch sympathisieren wir mit ihm, schlagen uns auf die Seite dieser schillernden Figur mit dem interessanten Dilemma. Auch um den Preis, dass es keine Sühne gibt. Im Zweifel für den Anwalt.
  Der Schriftsteller Wolf Haas hat einmal auf das Lob reagiert, er habe in seinen Krimis einen so originellen Detektiv geschaffen. In Wirklichkeit habe er für seinen Simon Brenner „einfach alle Klischees genommen, wie ein Detektiv zu sein hat, ein Lonely Wolf, ein Trinker, eine verlorene Gestalt“. Der Detektiv sei nur deshalb interessant, „weil er interessant erzählt ist“, sagte Haas. Der Roman „Tabu“ ist das nicht, genauso wenig wie „Der Fall Collini“.
  Weit und breit kein schillernder Ich-Erzähler, wir begleiten stattdessen einen jungen Mann namens Sebastian von Eschburg. Der stammt aus einem adeligen Elternhaus, aber dort geht alles den Bach hinunter. Die Mutter interessiert sich nur für Reitpferde, der Vater erschießt sich. Sebastian kriegt sich trotz schwerer Kindheit prima ein, er wird Künstler. Fotograf, um genau zu sein. Detailgenau beschreibt Schirach, wie Sebastian zu Werk geht, von den Kameraeinstellungen bis zur Postproduction. Das hat etwas unfreiwillig Komisches, weil das fotografische Schaffen (nackte Frau und nackte Männer auf einem Sofa, das einem „Gemälde Goyas nachgebaut“ ist, Titel: „Majas Männer“) so unfassbar dilettantisch wirkt. Mit dem Thema Kunst ist es in Romanen wie mit Sexszenen: Wenn man nicht darüber schreiben kann, soll man es lassen.
  Es gibt noch eine in hölzernen Dialogen erzählte Liebesgeschichte („,Geh nicht’, sagte sie. ‚Es ist kompliziert‘, sagte er.“), und irgendwann kommt das Problem: Kunst allein macht Eschburg nicht glücklich, also begeht er ein Verbrechen, das aber daherkommt wie eine Kunstaktion. Die Geschichte des Vaters spielt eine Rolle, und irgendwann taucht eine Halbschwester auf. Vaterproblem, Geschwisterbeziehung, da soll man wohl an Freud denken, an Totem und Tabu, von dem sich Schirach vermutlich den Titel geborgt hat. Aber so genau will man die Wahrheit nicht wissen, das ist bei kritischen Lesern nicht anders als bei Anwälten.
  „Tabu“ erzählt von Fakten und Fiktion, wobei „erzählen“ das falsche Wort ist, der Roman ist ein Thesengebäude mit blutleeren Figuren. Nicht einmal Eschburgs Verteidiger, die Figur, auf die man den ganzen Roman über wartet, kann einen darüber hinwegtrösten. Anwalt Biegler stolpert
irgendwann in die Handlung, einer muss den Fall ja lösen. Einen Charakter hat Schirach seiner Figur nicht gegeben, nur ein paar Eigenschaften. Klischees, wie ein Anwalt zu sein hat. Ein bisschen lustlos ist er, ein bisschen grantig, ein bisschen abgezockt. Seine Anwaltsweisheiten gibt es immerhin honorarfrei dazu: „,Bei Gericht stellt man keine Fragen, deren Antwort man nicht kennt‘, sagte Biegler.“
  Am Ende kommt Eschburg vor Gericht, und es geht um die ganz großen Themen. Was Kunst ist und was Leben, und wie es die Justiz mit der Folter hält. Eschburg waren von einem Polizeibeamten Schmerzen angedroht worden, damit er das Versteck seines Opfers preisgibt. Eine Anspielung auf den Fall Magnus Gäfgen, in dem Ähnliches passierte.
  Über Seiten werden nun vor Gericht Rechtsfragen diskutiert. Der Polizist ist der Bad Cop, er hält es unter gewissen Umständen für gerechtfertigt, Leute zu foltern. Der Anwalt ist der Good Cop und hält das Foltertabu dagegen, eine der großen Errungenschaften des modernen Rechtsstaats. Das ist ziemlich vorhersehbar und überfrachtet die vollgepackte Handlung zusätzlich. Nicht jeder interessante Fall eignet sich für die Fiktion. Man muss an Patricia Highsmith denken, die sich einmal beklagte, dass ihr im Zug ständig Leute von Kriminalfällen erzählten und sagten: Darüber musst du einen Roman schreiben. Es waren immer sturzlangweilige Geschichten. So wie nun in „Tabu“.
  Je mehr Handlungsstränge Schirach aus dem Robenärmel schüttelt, desto zäher wird der Roman. Wie Rechtsanwalt Biegler fragt man sich irgendwann: „Wozu dieser wahnsinnige Aufwand? Für die Kunst? Für die Wahrheit?“ Darauf hätte nicht mal sein Kollege, der kluge Strafverteidiger aus „Verbrechen“ und „Schuld“, eine Antwort gewusst.
VERENA MAYER
Ferdinand von Schirach: Tabu. Roman. Piper Verlag, München 2013. 254 S., 17,99 Euro.
Ein Fotograf soll eine junge
Frau entführt haben – die
Betonung liegt auf „soll“
„Bei Gericht stellt man
keine Fragen, deren
Antworten man nicht kennt.“
Anwalt und Autor: Ferdinand von Schirach.
FOTO: PIPER VERLAG
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013

Nach altem Rezept

Gemütlichkeit ist sein Geheimnis: Ferdinand von Schirachs neuer Roman "Tabu" bereitet Anwalts liebste Erkenntnisse aus

Eigentlich hätte Sebastian von Eschburg ein Ungeheuer werden können; ein sadistisches, unglückliches, brillantes und mächtiges Ungeheuer der Fiktion. Doch leider ist er dazu bestimmt, unbedingt seelenlos zwischen Pappe, Papier und Druckerschwärze zu geistern, bis er in wenigen Monaten vollkommen vergessen sein wird. Sebastian von Eschburg ist der Protagonist des neuen Romans "Tabu" von Ferdinand von Schirach, der Protagonist einer Geschichte, die ihren Helden alles verwehrt, was ihnen nur ein wenig Seele verleihen könnte.

Seine Biographie beginnt allerdings ziemlich aussichtsreich, zumindest literarisch. Als Sohn verarmter Adliger muss er in einem Kabinett der Herzlosigkeit aufwachsen. Seine Mutter interessiert sich mehr für ihre Pferde als für den eigenen Sohn. Der Vater säuft und tötet sich schließlich selbst. Sebastian findet die Leiche mit dem weggeschossenen Kopf. Seine Mutter verbietet ihm, über den Selbstmord des Vaters zu sprechen. Zur familiären Tragik kommt hinzu, dass Sebastian anders ist: ein Synästhetiker. Er nimmt seine Umwelt in Farbtönen wahr: "Die Hände des Kindermädchens waren Cyan und Amber, seine Haare leuchteten für ihn violett mit einer Spur Ocker, die Haut des Vaters war eine blasse, grünblaue Fläche."

Doch das vergisst man schnell wieder, denn Schirach macht sich nur selten die Mühe, die farbige Welt seines Protagonisten zu beschreiben. Lieber lässt er Sebastian schnell zu einem gefeierten Fotokünstler heranwachsen, ständig mit einer sexy PR-Dame schlafen, später vielleicht ein Verbrechen begehen, um dann auf einer Polizeiwache unter Folterdrohungen jenen Mord zu gestehen. Da es trotz Geständnis keine Leiche gibt, taucht bald der Strafverteidiger Konrad Biegler auf und kämpft für Sebastians Rechte. Dabei gibt Schirach seinen Lesern auch gleich einen langen Exkurs über die Würde des Menschen. Und so gelangt die Handlung ins gewohnte Milieu des schreibenden Strafverteidigers.

Wie fettige Pommes stopft man sich dann die einzelnen Seiten schnell hinein. Nach dem ambitionierten Auftakt erinnert der Roman bald, wie schon die letzten drei Schirach-Bücher, an einen Besuch im Fastfood-Laden, wo es in New York, Berlin oder Moskau gleich schmeckt. Bei Schirach geht es immer nur um die Frage, was Schuld ist. Als Beilage gibt es einen zwiegespaltenen Helden, der es schwer hatte im Leben, und zum Schluss ein paar brillante Gerichtsdialoge zur Erfrischung. Um seine gewohnten Ingredienzien zu garnieren, versucht sich der Autor auch noch an einer Liebesgeschichte. Aber leider ist Schirach zu jenem Zeitpunkt, an dem er Sebastian seine Freundin Sofia endlich lieben lassen will, schon lange nicht mehr an seinen Figuren interessiert und viel zu sehr damit beschäftigt, einen komplexen Krimi zu konstruieren.

Daran mag es auch liegen, dass die Gespräche der Liebenden immer wie ein missglückter Versuch wirken, Gefühle halbwegs glaubhaft zu imitieren: ",Geh nicht', sagt sie. ,Es ist zu kompliziert', sagt er. ,Das ist es immer', sagt sie." Und obwohl das alles so steril ist, legt man das Buch nicht weg. Denn Ferdinand von Schirach ist ein genialer Blender und arbeitet konsequent mit Illusionen. So konstruiert er halbinteressante Weisheiten, lässt seine Protagonisten über Wirklichkeit, Wahrheit, Kunst und Schönheit philosophieren, und plötzlich denkt man: Hier geht es tatsächlich um was! Doch "Tabu" will selbst keine Fragen beantworten, die Fäden aller Gespräche verlaufen ins Leere, nichts ergibt am Ende einen Sinn - da ist bloß die altbekannte und liebste Erkenntnis des Anwalts: "Schuld - das ist der Mensch."

Und wenn man wieder einmal von Schirach gelernt hat, dass Schuld zur menschlichen Existenz gehört, neigt sich der Roman seinem Ende. So ist "Tabu" ebenso schnell gelesen, wie Fastfood gegessen. Sofort legt man sich auf sein Sofa und hat ein schlechtes Gewissen, will morgen früh auf jeden Fall Sport machen, abends in ein Pinzettenkoch-Restaurant gehen und danach ganz viel Suhrkamp-Literatur-Literatur lesen. Doch, weil alle guten Vorsätze mit "morgen" beginnen und es so wahnsinnig gemütlich ist auf der Couch, hat man Zeit nachzudenken, warum Menschen überhaupt Bücher von Ferdinand von Schirach kaufen.

Und bald ahnt man es: Das Gemütliche ist Schirachs Geheimnis. Denn der Anwalt sucht für all seine Themen, Figuren und Handlungen, so grausam sie auch sein mögen, altbekannte und warme Gemeinplätzchen aus. Obwohl die Welt des schreibenden Strafverteidigers eine Welt der Kriminellen, der Zwangskriminellen und die Welt der Tatsächlich-Nichtkriminellen ist, will Schirach für das, was er im Anwaltsalltag erlebt, keine Bilder und keine Sprache erfinden. Anstelle literarischer Sinnlichkeit gibt es Floskeln in Endlosschleife. Die Haare der Alten sind bei Schirach immer "dünn", die Köpfe der Wütenden sowieso "rot", und ab und an "zittert" natürlich die Stimme von irgendwem.

Aber nicht nur Schirachs Sprache, auch seine Figuren leiden an allen denkbaren, bekannten Klischees. So ist Sebastians Gegenspieler, Strafverteidiger Biegler, ein Typ, den man aus abendlichen Krimiserien gut kennt. Am liebsten sitzt Biegler in seinem Berliner Stammcafé am Savignyplatz und liest Zeitung, achtet niemals auf seine Gesundheit, hasst Ferien und ist immerzu mürrisch, dabei dennoch irgendwie liebenswert. Und natürlich ist Biegler auch superschlau, das beweist er in dem finalen Mordprozess der Geschichte. Aber auch ein Pornofilmproduzent, der in der Mitte der Handlung einen kurzen Auftritt ergattert, ist eine Fiktion von der Stange. Er trägt, wie könnte es anders sein, eine Sonnenbrille, die obligatorische schwarze Lederjacke und sieht eben so aus, wie Pornofilmproduzenten im Fernsehen nun mal aussehen.

Auch Sebastian, der anfangs das Zeug zum poetischen Helden hatte, bleibt ein Holzschnitt kleinbürgerlicher Künstlerbilder. So will er "sich mit der Fotografie eine andere Welt erschaffen" und muss deshalb auf jeden Fall in die Nationalgalerie gehen, um sich stundenlang den "Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich anzuschauen. Überhaupt offenbart "Tabu" eine Kunstwelt, die es nur in Gedanken von Menschen gibt, die sich vorstellen, wie es wohl auf einer Ausstellungseröffnung so ist. Auch deshalb erinnert Sebastians eigene Kunst, die Schirach so mühevoll wie ermüdend beschreibt, an Kunstrequisite schlechterer Spielfilme. Alles wirkt albern, gewollt und unbedingt unecht.

Obwohl das alles nun ziemlich abgegriffen und vorhersehbar ist, erzeugen diese Stilmittel immerhin doch die Atmosphäre einer gar nicht so schlechten "Tatort"-Folge. Weil man sich wohl fühlt in all den Klischees, weil man sie kennt, sie bestätigt bekommt, liest man bis zum glücklichen Ende.

Aber glücklich ist man nach der Lektüre überhaupt nicht, und klüger schon gar nicht. Man spürt gar nichts. Alles, was Schirach in "Tabu" aufgeschrieben hat, ist so wenig zwingend und so vollkommen gewöhnlich, dass man das Buch nicht einmal aufrichtig hasst. Es wird einem völlig egal, und so vergisst man den ganzen Roman ebenso schnell, wie man vom billigen und ballaststoffarmen Fastfood wieder Hunger bekommt. Das paradoxe Ergebnis: Da nichts in Erinnerung bleibt, wird man vermutlich auch den nächsten Roman von Ferdinand von Schirach lesen.

ANNA PRIZKAU

Ferdinand von Schirach: "Tabu". Roman. Piper, 256 Seiten, 17,99 Euro

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