Produktdetails
- Verlag: Brilliance Audio
- Gesamtlaufzeit: 720 Min.
- Erscheinungstermin: 5. Mai 2020
- Sprache: Englisch
- ISBN-13: 9781713524656
- Artikelnr.: 59182515
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2020Der Ghostwriter, den keiner kannte
Wer will schon die Wahrheit, wenn die Legende so viel besser klingt? Der amerikanische Publizist Sam Wasson hat ein hochinteressantes Buch über Roman Polanskis Film "Chinatown" geschrieben.
Mag sein, dass alles schon gesagt ist über "Chinatown", und das gleich mehrfach; dass jede Einstellung des Films durchleuchtet ist und alle, die an ihm beteiligt waren, befragt wurden. Was soll da noch ein Buch, das auch nicht die Wahrheit erzählen wird, sondern bloß eine weitere Lesart?
Es kommt darauf an, wie viel man weiß. Für alle, die nur den Film kennen, hat das Buch von Sam Wasson einen großen Vorteil. "The Big Goodbye. Chinatown and the Last Years of Hollywood" kompiliert die vielen Geschichten, Anekdoten und Gespräche, die sich seit 1974 angesammelt haben. Wasson hat zusätzliche Interviews geführt und das Ganze aufgeschrieben, als sei er selbst dabei gewesen. Was mitunter zu Pomp, Pathos und Stilblüten führt und zur Generalthese, dass der Film nie gemacht worden wäre, wenn nicht jeder der vier Hauptakteure - Drehbuchautor Robert Towne, Produzent Robert Evans, Regisseur Roman Polanski und Hauptdarsteller Jack Nicholson - eine schwere Kindheit gehabt hätte. Neben der Küchenpsychologie gibt es die guten alten Storys: Wie Polanski und Towne aufhörten, miteinander zu reden, wie Faye Dunaway alle zur Weißglut brachte und warum der Film so heißt, obwohl nur eine Szene in Chinatown spielt: Weil er keinen Ort benennt, sondern einen Gemütszustand.
Aber auch, wenn man sich ein wenig auskennt, gibt es einiges zu entdecken. Wasson hat zum Beispiel mit Julie Payne, Townes damaliger Lebensgefährtin, gesprochen, und es gibt einen Geist, der durch das Buch spukt: Edward Taylor, mit dem Towne auf dem College das Zimmer teilte, der ihm mehr als vierzig Jahre lang als eine Art Ghostwriter zur Seite stand. Ein Mann, von dem kaum einer wusste, den Towne bezahlte (schlecht, sagt die Familie), der keine Credits wollte, der nie kritisierte, der nur Vorschläge machte. Wasson ist zufällig bei den Nachforschungen auf diese Spur gestoßen.
Ob das nun alles "wahr" ist oder nur eine weitere, ziemlich interessante Legende - wie wollte man das als Leser entscheiden? Towne bestreitet ja auch, dass man von einer Trilogie geträumt habe, obwohl im Buch zwei (verschiedene) schwärmerische Pläne vorkommen. Und wer weiß, ob Polanski ihm damals wirklich ein Buch übers Drehbuchschreiben mit der Widmung schenkte: "To my partner, with hope"?
Der Blick auf Roman Polanski gehört zu den interessantesten Aspekten des Buches. Wasson argumentiert mit guten Gründen (und nicht als Erster), dass Polanskis drastische Eingriffe ins Drehbuch und vor allem der düstere, resignierte Schluss "Chinatown" erst zu dem gemacht haben, was der Film heute ist. Das ist insofern keine leichte Mission, als auch die Vergewaltigung aus dem Jahr 1977, deretwegen Polanski bis heute nicht in die Vereinigten Staaten einreisen könnte, ohne dass man ihn verhaften würde, in diese goldenen Jahre der Partys und Promiskuität fällt. Schon während der Arbeiten am Drehbuch wurde ständig in Polanskis Haus gefeiert. Alle waren sie dabei - auch Mädchen, die nur so aussahen, als wären sie älter als 15 Jahre. Gestört zu haben scheint das niemanden.
Wassons Haltung ist hier auffällig schwankend. Er hat für sein Buch mit Polanski gesprochen, ebenso wie mit dem 2019 verstorbenen Robert Evans, wogegen Towne und Nicholson nicht reden wollten. Seine Sympathie ist so groß, dass die Grenze zwischen Verstehen und Verzeihen verschwimmt, bis er doch noch die Kurve kriegt und von der "Monstrosität der Vergewaltigung" spricht, die eben mehr als nur eine sogenannte "Unzucht mit Abhängigen" war und die Polanski bis heute nicht öffentlich einräumen mag (oder kann).
Das ändert jedoch nichts an Wassons Argumenten. Wie jeder Film ist "Chinatown" eine gemeinschaftliche Anstrengung, für die wenige die Anerkennung bekommen. "Chinatown" ist, wenn man ihn jetzt zum wiederholten Mal sieht, im Übrigen gut gealtert. Amerikanische Kritiker behaupten sogar, der desillusionierte Blick aus dem Amerika der siebziger auf das der späten dreißiger Jahre lasse sich heute besser begreifen als damals - obwohl während der Dreharbeiten im Herbst 1973 die Watergate-Anhörungen im Fernsehen liefen und von einigen der am Film Beteiligten verfolgt wurden. "Chinatown" bleibt "einzigartig verstörend als eine amerikanische Metapher", schreibt Wasson daher. Und es war der letzte Studiofilm, der noch mal aufs Ganze ging, bevor die Ära der Blockbuster begann. Insofern ist dies auch ein melancholisches Buch, so wie Townes Drehbuchentwurf ein Los Angeles beschwor, das schon Anfang der vierziger Jahre verschwunden war.
Heute sind die Helden von damals jenseits der achtzig, der Wunsch nach einer Trilogie ist längst begraben, auch wenn Ende letzten Jahres verkündet wurde, Netflix plane eine Serie über die Vorgeschichte von Nicholsons Detektiv J. J. Gittes - mit Robert Towne als Autor und David Fincher als Produzent.
Wenn man auf der DVD zum vierzigsten Jubiläum hört, wie begeistert, kenntnisreich und klug Fincher sich mit Towne unterhält, fragt man sich, wie er sich auf ein Prequel einlassen konnte, nachdem das Sequel "The Two Jakes" 1990 eine ziemliche Havarie erlitten hatte. Als wüsste einer wie Fincher nicht, dass "Chinatown" den Gemütszustand bezeichnet, in dem man alles zu durchschauen glaubt und nicht die geringste Ahnung hat; dass der Film, wie Towne einmal sagte, von der "Vergeblichkeit guter Absichten" erzählt. Man möchte Fincher daher zurufen: "Vergiss es, David, das ist ,Chinatown'!"
PETER KÖRTE
Sam Wasson: "The Big Goodbye. Chinatown and the Last Years of Hollywood". Faber & Faber, 398 Seiten, circa 23 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer will schon die Wahrheit, wenn die Legende so viel besser klingt? Der amerikanische Publizist Sam Wasson hat ein hochinteressantes Buch über Roman Polanskis Film "Chinatown" geschrieben.
Mag sein, dass alles schon gesagt ist über "Chinatown", und das gleich mehrfach; dass jede Einstellung des Films durchleuchtet ist und alle, die an ihm beteiligt waren, befragt wurden. Was soll da noch ein Buch, das auch nicht die Wahrheit erzählen wird, sondern bloß eine weitere Lesart?
Es kommt darauf an, wie viel man weiß. Für alle, die nur den Film kennen, hat das Buch von Sam Wasson einen großen Vorteil. "The Big Goodbye. Chinatown and the Last Years of Hollywood" kompiliert die vielen Geschichten, Anekdoten und Gespräche, die sich seit 1974 angesammelt haben. Wasson hat zusätzliche Interviews geführt und das Ganze aufgeschrieben, als sei er selbst dabei gewesen. Was mitunter zu Pomp, Pathos und Stilblüten führt und zur Generalthese, dass der Film nie gemacht worden wäre, wenn nicht jeder der vier Hauptakteure - Drehbuchautor Robert Towne, Produzent Robert Evans, Regisseur Roman Polanski und Hauptdarsteller Jack Nicholson - eine schwere Kindheit gehabt hätte. Neben der Küchenpsychologie gibt es die guten alten Storys: Wie Polanski und Towne aufhörten, miteinander zu reden, wie Faye Dunaway alle zur Weißglut brachte und warum der Film so heißt, obwohl nur eine Szene in Chinatown spielt: Weil er keinen Ort benennt, sondern einen Gemütszustand.
Aber auch, wenn man sich ein wenig auskennt, gibt es einiges zu entdecken. Wasson hat zum Beispiel mit Julie Payne, Townes damaliger Lebensgefährtin, gesprochen, und es gibt einen Geist, der durch das Buch spukt: Edward Taylor, mit dem Towne auf dem College das Zimmer teilte, der ihm mehr als vierzig Jahre lang als eine Art Ghostwriter zur Seite stand. Ein Mann, von dem kaum einer wusste, den Towne bezahlte (schlecht, sagt die Familie), der keine Credits wollte, der nie kritisierte, der nur Vorschläge machte. Wasson ist zufällig bei den Nachforschungen auf diese Spur gestoßen.
Ob das nun alles "wahr" ist oder nur eine weitere, ziemlich interessante Legende - wie wollte man das als Leser entscheiden? Towne bestreitet ja auch, dass man von einer Trilogie geträumt habe, obwohl im Buch zwei (verschiedene) schwärmerische Pläne vorkommen. Und wer weiß, ob Polanski ihm damals wirklich ein Buch übers Drehbuchschreiben mit der Widmung schenkte: "To my partner, with hope"?
Der Blick auf Roman Polanski gehört zu den interessantesten Aspekten des Buches. Wasson argumentiert mit guten Gründen (und nicht als Erster), dass Polanskis drastische Eingriffe ins Drehbuch und vor allem der düstere, resignierte Schluss "Chinatown" erst zu dem gemacht haben, was der Film heute ist. Das ist insofern keine leichte Mission, als auch die Vergewaltigung aus dem Jahr 1977, deretwegen Polanski bis heute nicht in die Vereinigten Staaten einreisen könnte, ohne dass man ihn verhaften würde, in diese goldenen Jahre der Partys und Promiskuität fällt. Schon während der Arbeiten am Drehbuch wurde ständig in Polanskis Haus gefeiert. Alle waren sie dabei - auch Mädchen, die nur so aussahen, als wären sie älter als 15 Jahre. Gestört zu haben scheint das niemanden.
Wassons Haltung ist hier auffällig schwankend. Er hat für sein Buch mit Polanski gesprochen, ebenso wie mit dem 2019 verstorbenen Robert Evans, wogegen Towne und Nicholson nicht reden wollten. Seine Sympathie ist so groß, dass die Grenze zwischen Verstehen und Verzeihen verschwimmt, bis er doch noch die Kurve kriegt und von der "Monstrosität der Vergewaltigung" spricht, die eben mehr als nur eine sogenannte "Unzucht mit Abhängigen" war und die Polanski bis heute nicht öffentlich einräumen mag (oder kann).
Das ändert jedoch nichts an Wassons Argumenten. Wie jeder Film ist "Chinatown" eine gemeinschaftliche Anstrengung, für die wenige die Anerkennung bekommen. "Chinatown" ist, wenn man ihn jetzt zum wiederholten Mal sieht, im Übrigen gut gealtert. Amerikanische Kritiker behaupten sogar, der desillusionierte Blick aus dem Amerika der siebziger auf das der späten dreißiger Jahre lasse sich heute besser begreifen als damals - obwohl während der Dreharbeiten im Herbst 1973 die Watergate-Anhörungen im Fernsehen liefen und von einigen der am Film Beteiligten verfolgt wurden. "Chinatown" bleibt "einzigartig verstörend als eine amerikanische Metapher", schreibt Wasson daher. Und es war der letzte Studiofilm, der noch mal aufs Ganze ging, bevor die Ära der Blockbuster begann. Insofern ist dies auch ein melancholisches Buch, so wie Townes Drehbuchentwurf ein Los Angeles beschwor, das schon Anfang der vierziger Jahre verschwunden war.
Heute sind die Helden von damals jenseits der achtzig, der Wunsch nach einer Trilogie ist längst begraben, auch wenn Ende letzten Jahres verkündet wurde, Netflix plane eine Serie über die Vorgeschichte von Nicholsons Detektiv J. J. Gittes - mit Robert Towne als Autor und David Fincher als Produzent.
Wenn man auf der DVD zum vierzigsten Jubiläum hört, wie begeistert, kenntnisreich und klug Fincher sich mit Towne unterhält, fragt man sich, wie er sich auf ein Prequel einlassen konnte, nachdem das Sequel "The Two Jakes" 1990 eine ziemliche Havarie erlitten hatte. Als wüsste einer wie Fincher nicht, dass "Chinatown" den Gemütszustand bezeichnet, in dem man alles zu durchschauen glaubt und nicht die geringste Ahnung hat; dass der Film, wie Towne einmal sagte, von der "Vergeblichkeit guter Absichten" erzählt. Man möchte Fincher daher zurufen: "Vergiss es, David, das ist ,Chinatown'!"
PETER KÖRTE
Sam Wasson: "The Big Goodbye. Chinatown and the Last Years of Hollywood". Faber & Faber, 398 Seiten, circa 23 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main