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Produktdetails
  • Verlag: Blackstone Publishing
  • Gesamtlaufzeit: 999 Min.
  • Erscheinungstermin: 2. April 2013
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-13: 9781470840099
  • Artikelnr.: 36655146
  • Herstellerkennzeichnung
  • Libri GmbH
  • Europaallee 1
  • 36244 Bad Hersfeld
  • 06621 890
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2014

Land ohne Kapitalismus
David Stockman kritisiert die amerikanische Politik

Wenn ein Buchtitel die Begriffe Deformation, Korruption und Kapitalismus enthält, erwartet man eine altbekannte Litanei. David Stockman erzählt eine ganz andere über 700 Seiten lange, aber keineswegs langweilige Geschichte, in der die Rollen einmal anders verteilt sind. Nicht der Kapitalismus korrumpiert die Verhältnisse, sondern diese verunstalten ihn. Es geht um das Drängen nach billigem Geld, das nicht nur die Preissignale unterdrückt und damit verhindert, dass wir aus Rückkopplungen lernen, sondern auch das politische System deformiert, indem es Markt und Demokratie zur organisierten Kumpanei ("crony capitalism") verkommen lässt.

Stockman, der unter Ronald Reagan Haushaltsdirektor des Weißen Hauses war und nach einem Zwischenspiel bei der Investmentbank Salomon Brothers seine eigene Beteiligungsgesellschaft gründete, polemisiert in dem Buch lustvoll. Er attackiert die Mythen der Demokraten wie auch die der Republikaner und präsentiert eine Galerie seiner Helden und seiner Lieblingsgegner.

Zwar beginnt er im Jahr 2008, doch verfolgt er die Geschichte der großen Deformation des Geldes und der Politik zurück bis 1913 zur Einrichtung der als "Bankers Bank" gedachten Federal Reserve, die aber schon bald dazu gedrängt wurde, sich durch den Kauf von Regierungsanleihen an der Finanzierung des Krieges zu beteiligen. Stockman lässt mit dem Ersten Weltkrieg auch eine Erklärung der späteren großen Krise beginnen, die dem üblichen Mythos widerspricht.

Er erinnert daran, dass die Vereinigten Staaten mit ihren Krediten an die Entente zugleich die eigene Landwirtschaft subventionierten. Die Steigerung der Agrarexporte auf das Vierfache verlieh der Mechanisierung der Farmen zusätzlichen Schwung und die explosionsartige Vermehrung der Traktoren und Lastwagen beruhte wiederum auf der Großzügigkeit unzähliger kleiner Banken. Als die Kriegsdarlehen ebenso abrupt endeten wie die Agrarexporte, saßen besonders diese ländlichen Banken auf notleidenden Krediten und die verfallenden Lebensmittelpreise führten zu "New Deal"-Programmen, die zum Beispiel durch Stilllegung von Ackerflächen der Deflation entgegenwirken sollten. Die große Krise folgte laut Stockman nicht aus restriktiver Geldpolitik. Die mangelnde Geldversorgung war nicht etwa die vermeidbare Ursache der Großen Depression, sondern die unvermeidliche Folge schlechter Schulden.

Schon der "New Deal" erweckte, ob nun wirklich von Keynes inspiriert oder nicht, die Hoffnung, die Wellen der Konjunktur glätten zu können, doch dem Anspruch einer umfassenden Steuerung stand noch immer der Goldstandard im Weg. Außerdem bewirkten zwei von Stockmans Helden zunächst einmal eine glückliche Ausnahmezeit. Präsident Eisenhower, der als ehemaliger General dem Militär misstraute, und William McChesney Martin, der ab 1951 neunzehn Jahre lang als Chef der Fed allen Wünschen nach geldpolitischer Intervention widerstand, brachten vorübergehend die "Old Time Religion" zurück. Sie sorgten dafür, dass Uncle Sam seine Rechnungen aus Einnahmen bezahlte und Eisenhower reduzierte sogar die Staatsausgaben. Sein Vizepräsident Nixon aber glaubte, er habe 1961 wegen McChesney Martin die Wahl verloren. Kennedy erhöhte durch außenpolitische Verpflichtungen die Ausgaben, hielt aber an McChesney Martin und der Geldpolitik seiner Vorgänger fest.

Als Nixon aber schließlich doch an die Macht kam, befreite er die Politik von der Fessel des Goldstandards, was Stockman nur insofern erstaunlich findet, als der Präsident dabei von Milton Friedman unterstützt wurde, der die Geldmenge innerhalb bestimmter Eckwerte wachsen lassen wollte. Dass ein Ökonom, der sonst nicht auf die Politik setzte, so etwas vorschlug, ist nach Stockman nur damit zu erklären, dass auch Friedman die Geldverknappung für die Ursache der großen Krise hielt. Mit dem naiven Glauben, die Fed könne sich der Politik und Wall Street widersetzen, sei jedenfalls der Politik der schuldenfinanzierten Ausgaben Tür und Tor geöffnet worden. So habe auch Greenspan gegen die Monetarisierung der Schulden keinen Widerstand mehr geleistet und dem Druck nachgegeben, Wall Street stets mit frischem Geld zu versorgen und gleichzeitig die Zinsen künstlich zu unterdrücken. Nur auf diese Weise sei es möglich gewesen, dass der Wertzuwachs der jeweils fünf größten Investmentbanken und Geschäftsbanken in dem Jahrzehnt vor 2008 das Wachstum der Gesamtwirtschaft um das Zehnfache übertraf.

Erweckt die Politik erst einmal den Anschein, das wirtschaftliche Geschehen im Ganzen steuern zu können, so kann sie Ansprüche, die sich als systemrelevant bezeichnen, kaum noch abwehren. Zu welchen Formen des Lobbyismus dies führt, zeigt Stockman, indem er die Bail-outs der vergangenen Jahre durchleuchtet. Immer wieder erweist sich dabei die Bedrohlichkeit als Popanz. Der Untergang der AIG, einer Versicherungsholding, hätte die Lebensversicherungen der "kleinen Leute" nicht berührt, da diese mitsamt ihren Rücklagen rechtlich unabhängig organisiert waren. Wäre eine der Wall-Street-Großbanken wegen schlechter Immobilienpapiere in Konkurs gegangen, hätte das die kleinen Banken im ganzen Land und deren Kunden nicht bedroht, weil die Großbanken ja mit Hilfe der halbstaatlichen Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac eigene Betriebswege für solche toxischen Papiere geschaffen und ihre kleinen Konkurrenten aus dem Geschäft verdrängt hatten.

Die Hilfe für General Motors habe keineswegs Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gerettet, sondern verhindert, dass sie aus den veralteten Fabriken Michigans und Ohios nach Alabama und South Carolina wanderten. Stockman bietet eine schier unendliche Fülle ebenso unterhaltsamer wie deprimierender Geschichten, die in einem übereinstimmen: Im Kapitalismus haben selbst die Vereinigten Staaten schon lange nicht mehr gelebt.

MICHAEL ZÖLLER

David Stockman: The Great Deformation. Public Affairs. New York 2013. 768 Seiten. 35 Dollar

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