José Saramago hat sein lyrisches Frühwerk als Übung in der Kunst der Vergänglichkeit konzipiert. Entstanden ist es in den sechziger und siebziger Jahren, lange vor dem Weltruhm als Romancier. Nun ist es nach Jahrzehnten erstmals auf Deutsch übersetzt. Jedoch: Wäre Saramago kein Nobelpreisträger und ließe sein Tod nicht nach Unveröffentlichtem suchen, hätte die Flut des Vergessens seine Verse wohl hinweggespült. Der Erosion durch die Zeit setzen diese poetischen Sandburgen wenig entgegen. Formal traditionelle Gedicht- und Versformen, wie das Sonett, in gewissen Freiheiten variierend, setzt Saramago auch inhaltlich auf Bewährtes. Wie im Titel versprochen, bietet der schmale Band vorrangig Gedanken "Über die Liebe und das Meer", vermengt Anrufungen griechischer Götter und portugiesischer Monarchen, Verweise auf Ovids "Liebeskunst" und petrarkistische Versatzstücke. In ihrer Übersüße wissen der "Honig deiner Augen", die "Monde deiner Brust" den illustren Vorbildern lediglich ein Element hinzuzufügen: eine Kanonade von Kitsch, die in ihrer Naivität geradezu rührend ist; garniert mit einer Portion altväterlicher Schlüpfrigkeit. Übertragen ins Deutsche in schiefen Reimen, klappriger Metrik und staksend-anachronistischer Syntax ergibt das einen klebrigen Cocktail, der kaum genießbar ist. (José Saramago: "Über die Liebe und das Meer". Gedichte. Aus dem Portugiesischen von Niki Graça. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2011. 96 S., geb., 15,- [Euro].) fbor
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"berührende, zarte Formulierungen und einen ganz neuen Einblick in Werk und Welt des Nobelpreisträgers." Aachener Zeitung, 28.05.2011