Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang miteinander
Er ist eine Klasse für sich: Thomas Gottschalk. Für seinen spitzen und schlagfertigen Humor wird er vom Publikum geliebt - doch die Zeiten haben sich geändert. Was früher für Lacher sorgte, kann heute Empörung auslösen. Selbstkritisch und selbstironisch zugleich geht er der Frage nach, warum er sich heutzutage manchmal wie aus der Zeit gefallen vorkommt, und er versucht, die Regeln und Fallstricke unserer Gesellschaft zu verstehen: Was hat sich in seinen Augen verändert und warum? Wie kann man sich einen Weg durch das Dickicht an Geboten und Verboten bahnen, auf dem man sich selbst treu bleibt und zugleich anderen mit Respekt begegnet? Wie ticken die unterschiedlichen Generationen und wie kann man zu gegenseitigem Verständnis beitragen? Dafür hat Thomas Gottschalk in seinem Buch auch mit Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas gesprochen.
»Ungefiltert« ist nach seinen autobiografischen Bestsellern »Herbstblond«und »Herbstbunt« erneut eine sehr persönliche Bestandsaufnahme und zugleich ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang miteinander.
Ungekürzte Lesung mit Thomas Gottschalk
2 MP3-CDs, 8h 20min
Er ist eine Klasse für sich: Thomas Gottschalk. Für seinen spitzen und schlagfertigen Humor wird er vom Publikum geliebt - doch die Zeiten haben sich geändert. Was früher für Lacher sorgte, kann heute Empörung auslösen. Selbstkritisch und selbstironisch zugleich geht er der Frage nach, warum er sich heutzutage manchmal wie aus der Zeit gefallen vorkommt, und er versucht, die Regeln und Fallstricke unserer Gesellschaft zu verstehen: Was hat sich in seinen Augen verändert und warum? Wie kann man sich einen Weg durch das Dickicht an Geboten und Verboten bahnen, auf dem man sich selbst treu bleibt und zugleich anderen mit Respekt begegnet? Wie ticken die unterschiedlichen Generationen und wie kann man zu gegenseitigem Verständnis beitragen? Dafür hat Thomas Gottschalk in seinem Buch auch mit Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas gesprochen.
»Ungefiltert« ist nach seinen autobiografischen Bestsellern »Herbstblond«und »Herbstbunt« erneut eine sehr persönliche Bestandsaufnahme und zugleich ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang miteinander.
Ungekürzte Lesung mit Thomas Gottschalk
2 MP3-CDs, 8h 20min
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2024Ansichten eines Clowns
Das Buch kommt noch, die Aufregung ist schon da: In „Ungefiltert“ spürt Thomas Gottschalk
seiner eigenen Heldengeschichte nach. An manchen Stellen tut es fast weh.
VON HILMAR KLUTE
Thomas Gottschalk hat den dritten Teil seiner Erinnerungen geschrieben. Die ersten beiden trugen hübsch ironische Titel, „Herbstblond“ und „Herbstbunt“. Man konnte an ihnen ablesen, dass sich der große Showmaster mit einer Lightversion von Melancholie zumindest von seinem äußeren Glanz verabschieden würde: Der so lange jungenhaft gut gelaunte Thommy ist nun ein älterer Herr, sieht aber immer noch nicht so aus wie der Outdoorschach spielende Rentner im Schatten des Klettergerüsts. Das neue Werk heißt „Ungefiltert“, und da ist man schon auf dem Quivive: Lässt Gottschalk jetzt ungeschminkte Ansichten zur Zeit oder sogar zum Zeitgeist los? Sagt er, was er über Kollegen denkt, über die Jugend und über Oliver Pocher? Die Antwort lautet: Ja, und käme jetzt die Nachfrage, ob an der einen oder anderen Stelle ein kleiner Filter hilfreich gewesen wäre, müsste man wieder Ja sagen.
Wenn das Buch jetzt am Mittwoch erscheint, wird es schon die erste Erregungswelle hinter sich haben: der störrische Gottschalk in der WDR-Talkshow Kölner Treff, der beharrlich auf seiner Redefreiheit besteht, während Moderator Micky Beisenherz vergeblich versucht, ihm zu erklären, dass er Redefreiheit genießt, ein Pro und Contra zu Gottschalk bei den Moralphilosophen von Bild, im Spiegel musste Gottschalk sich über Flirts und Berührungen natürlich besonders hart vernehmen lassen.
Wie zur vorsorglichen Bestätigung der zu erwartenden Empörung liegt nun eine mühsam gezügelte Wut über den gut 330 Seiten dieser als lässige Plauderei kostümierten Einrede, die schon in der Anrede den Ton anschlägt, der bis zum Ende hält: Liebe Lesende. Natürlich ist das sarkastisch gemeint, denn früher, schreibt Gottschalk, war es Frauen ja gleichgültig, wie sie angeredet werden, sie hätten sich vor allem um Inhalte Gedanken gemacht. Die Zeiten, möchte man dagegen halten, waren aber damals andere, heute sind Anreden nun einmal auch Inhalte, weil sie das Resultat von gesellschaftlichen Diskursen sind. Aber man muss Gottschalk nicht belehren, er tut das schon selbst, indem er sich immer wieder zur Ordnung ruft. Natürlich empfindet er Männer, die das Nein einer Frau nicht so verstehen wollen, wie’s gemeint ist, als Idioten. Selbstverständlich ist ihm jede Form von Chauvinismus fremd. Und einige seiner früheren Leistungen auf dem Gebiet des Herrenwitzes würde er sich heute selbst nicht mehr durchgehen lassen. Wer also wieder einmal vorhat, den Resümierenden „auf dem Marktplatz der öffentlichen Meinung hinzurichten“, sei versichert: Gottschalks Ansichten sind Ansichten eines Clowns, was wiederum der Titel eines Romans von Heinrich Böll sei, den „die Jüngeren vermutlich nicht kennen“.
Die Jungen wissen nichts mehr, wollen mit Clickbaiting reich werden, leisten aber nur noch vergleichsweise wenig: Dieses Motiv bewirtschaftet Thomas Gottschalk durch die knapp dreißig Kapitel seines Buches. Ausgerechnet er, der einmal so jung war wie kein TV-Showmaster vor ihm. Selbst Ilja Richter, den Gottschalk mit dem ZDF-Musikmagazin „Na sowas“ von dessen qualvoller Musiksendung „Disco“ erlöst hatte, war mit Ende zwanzig ein Veteran der UFA-Zeit, die der rührend nostalgische Theo-Lingen-Imitator Richter freilich nie erlebt hat. Eigentlich ist „Ungefiltert“ eine Fehdeschrift gegen die Generation X, die vorrangig um ihre Life-Work-Balance besorgt sei, während Gottschalk nach der paternalistischen Erfolgsformel „Lehrjahre seien keine Herrenjahre“ aufgewachsen ist.
Spätestens hier müsste man als Sympathisant oder Mitglied der Generation Z die Mikros abschalten und „Wir melden uns bei Ihnen“ murmeln. Aber dann würde man ein wichtiges Sozialprojekt den Hasen geben: nämlich den Versuch, die Generation Gottschalk auch mit ihren Idiosynkrasien, ihrer Verstörtheit und ihren Kränkungen ernst zu nehmen und aus ihren Erfahrungen etwas zu lernen. Selbst dann, wenn man zum Ergebnis käme, dass Erfahrungen von anno Asterix heute kaum noch jemandem etwas sagen. Aber das weiß und schreibt Thomas Gottschalk selbst in seinem Buch, das oft sehr eitel daherkommt, aber immer auch von einer bewundernswerten Seelenbarfüßigkeit getragen ist: „Der Alterungsprozess und das zügige Ausgemusterwerden zehren durchaus an meinem Selbstbewusstsein.“ Ein alter Mann sei er, der in den sozialen Medien nicht auf Gnade hoffen könne. Dabei wolle er nur, wie früher auch, sagen, was er denke. Und man kann ja auch hier und da Entwarnung geben: Gottschalk darf es und tut es und sein Buch, das kein Flop werden wird, ist der Beweis dafür. Und ja, auch dies: Wer mit 74 Jahren die Jüngeren und ihre Denkungsart noch irgendwie kapieren möchte, ist ja nun wirklich keiner von den Unsympathischen.
Thomas Gottschalk sieht den Sonnenuntergang, möchte aber, dass der sich zumindest für ihn als Sonnenaufgang schminkt. Deshalb begibt sich Gottschalk in die Arena, gibt Kommentare auf Instagram ab und hält es für ein Großereignis, wenn er für seine Kritik am „aufgeplusterten Hinterteil“ von Kim Kardashian Sturm erntet. „Ich traue mich öffentlich nicht mehr zu sagen, was ich im privaten Kreis sagen würde“, lautet eine Zwischenbilanz von Gottschalks Befunden. Nun könnte man einwenden, dass viele Menschen diese Unterscheidung für ganz natürlich halten, aber damit würde man sich den Blick auf ein mediengeschichtliches Phänomen verstellen. Gemeint ist die Nonchalance und Unbekümmertheit jener Epoche, in welcher die Samstagabendshow nicht weniger war als die verbindliche Verabredung zwischen einem weitgehend homogenen Fernsehpublikum und ihrem Conférencier. Und zwar pünktlich um 20.15 Uhr im ZDF, nicht irgendwann mal in der Mediathek. Gottschalk hat mit „Wetten dass ... ?“ etwas geschafft, das kein Hans-Joachim Kulenkampff, kein Hans Rosenthal und kein Joachim „Blacky“ Fuchsberger zuwege gebracht hat. Er hat die deutsche Unterhaltung ironisiert und zugleich internationalisiert, indem er die spießigen Wetten mit Stars wie Grace Jones, Mickey Rourke, Raquel Welch und David Bowie verlinkt hat. Gottschalk erinnert sich, wie Marcel Reich Ranicki, aus dessen eitler Mimoseneinlage beim Deutschen Fernsehpreis Gottschalk eine große Show gemacht hatte, mit Theresa Orlowski über Selbstbefriedigung gefachsimpelt habe. Und Paris Hilton habe Gottschalk ständig an ihr gelbes Kleid fassen müssen, um sie an ihre Werbeverpflichtung für den Stromanbieter Yellow zu erinnern, den sie erwähnen sollte. Damals, das will Gottschalk damit sagen, war der Hedonismus der Zeitgeist, heute ist es die Cancel-Culture.
Die späte Bundesrepublik hat in Thomas Gottschalk den idealen Unterhaltungskünstler gefunden: intelligent, überraschend sarkastisch, gut gelaunt und sympathisch respektlos. Einige dieser Eigenschaften, zumindest scheint es Gottschalk so zu sehen, fliegen ihm heute anders um die Ohren, als es damals der Fall war. In den Achtzigerjahren waren es die verknöcherten Intendanten und Programmchefs, die sich am frechen Jargon und den für damalige Verhältnisse rebellischen Ansichten Gottschalks gestoßen haben. Heute wiederum sehen die ganz Jungen in ihm den übergriffigen Herrenwitz-Erzähler von damals. Er habe eben immer gesagt, was er gedacht habe, schreibt Gottschalk. Dabei habe er schon deswegen Oberwasser gehabt, weil das Publikum hinter ihm stand. Bis es ihm in den Rücken gefallen sei, „aufgehetzt durch die sozialen Medien“. Er sei zum alten Mann geworden, der nicht auf die Gnade seiner jugendlichen Follower hoffen dürfe. Trotzdem möchte er immer noch von ihnen geliebt werden. Es tut fast weh, den immer von sonnigem Gemüt beschienenen Gottschalk derart gequält zu sehen.
Es geht in diesem Buch viel um Schönheit im Alter, um Straffung der Muskelmasse und natürlich, Gottschalk hat eine humanistische Bildung genossen, um Vanitas, die Eitelkeit des Daseins, deren gnadenloser Moderator der herbstblonde Tod ist. Immer wieder aber, und das ist das Helle und Kühne an dieser Lebensbeichte, gelingen Gottschalk dabei grimmig-kluge Frechheiten wie diese: In Sachen Schönheitswahn „stehen heute alle Geschlechter in der Reihe. Die Geschlechter sind zahlreicher und die Reihen länger geworden.“ Ob man nun den Schwarzwald politisch korrekt „Wood of Colour“ nennen muss oder das Argument schlüssig findet, die Königsberger würden sich auch nicht diskriminiert fühlen, wenn man die Klopse nach ihnen benennt, weshalb folglich auch das Zigeunerschnitzel seinen Namen wahren dürfe – geschenkt. Man kann das eben sagen, obwohl es nur vordergründig geistreich klingt – und es regt sich wirklich auch nicht alle Welt darüber auf.
Und falls doch, dann gilt der Unmut bei Gottschalks etwas eitler Furcht vor Sprachzensur einem dummen Spruch und nicht einer kulturellen Leistung, wie es im Streit um die gegenwärtige Rezeption von Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ von 1951 der Fall war. Dort kommt – für einige heutige Leser unbotmäßig häufig – das N-Wort vor, weshalb das Buch von Schülern ferngehalten werden soll. Etwa, weil Koeppen einen Mohrenkopf-Humor pflegte? Im Gegenteil: Der große Schriftsteller hatte zeigen wollen, wie gewebetief Rassismus und Menschenverachtung in den Köpfen der Nachkriegsdeutschen verklebt waren. Koeppens Werk aus dem literarischen Kanon nehmen zu wollen, wäre also infam, geschichtsvergessen und ein sehr ernst zu nehmender Eingriff in die Kunstfreiheit. Aber darum geht es Gottschalk nicht. Ihm ist nur wichtig, zu betonen, dass er der letzte Kämpfer gegen die politische Stubenreinheit ist, die ihn hindert, so zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
So ganz ohne Filter kommt aber auch „Ungefiltert“ nicht aus: Irgendwann scheint dem schreibenden Moderator seine Arbeit an der voll digitalisierten Jugend zu anspruchsvoll geworden zu sein. Gottschalk holt sich Hilfe in Gestalt des Generationenforschers Rüdiger Maas, der in einem ausführlichen Interview interessante Einordnungen vornimmt und Gottschalk unter anderem erklärt, dass es auch zu den Eigenschaften der Jugend gehört, unvernünftige Dinge zu tun und zu sagen. Und man liest nicht ohne Rührung, wie der 74-jährige Gottschalk den 45-jährigen Maas fragt, ob der ihn ermuntern würde, „weiterzuschreiben und zu sagen, was ich denke“.
In „Ungefiltert“ ist Gottschalk zwei Phänomenen auf der Spur: seiner eigenen Heldengeschichte und deren angeblicher nachträglichen Auslöschung durch die sozialen Medien. „Ich wollte Everybody’s Darling sein und habe es damit weit gebracht“, schreibt er folgerichtig und, wer wollte das bestreiten. Als dialektische Gegenparabel hat sich Gottschalk eine Art fiktive Verlierergeschichte auf höherem Niveau ausgedacht, in welcher er in seinem Heimatort Kulmbach geblieben und dort Mitarbeiter und schließlich, soviel Karriere muss sein, Chefredakteur der Bayerischen Rundschau geworden wäre, die ihm irgendwann kündigt, woraufhin das Blatt verkauft wird. Die Geschichte ist hübsch, hat aber keine Pointe, außer der, dass aus Thommy zum Glück dann doch Thomas Gottschalk geworden ist. Und der bitteren Lehre, dass Medien, an deren Erfolg Gottschalk nicht mehr mitwirkt, dem Untergang geweiht sind, denn: „Auch das klassische Fernsehen ist am Ende seiner Bedeutung.“
Gottschalks Zwischenbilanz: Eigentlich ist das Leben gut gelebt, aber solange die Jüngeren nicht begreifen, dass der sogenannte Mohrenkopf ein Freiheitsrecht ist, kann man die Zügel nicht lockerlassen. Outdoorschach müssen derweil die eher mutlosen Alten im Schatten des Klettergerüsts spielen. „Ich behaupte“, schreibt Thomas Gottschalk, „zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihren früheren Ruhm genießen können, ohne zu beklagen, dass kein neuer nachkommt.“ Cool, wenn es so wäre. Aber man glaubt es nicht, wenn man „Ungefiltert“ gelesen hat.
Ein alter Mann sei er, der in
den sozialen Medien nicht
auf Gnade hoffen könne
„Ich wollte Everybody’s
Darling sein und habe es
damit weit gebracht.“
„Ich behaupte, zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihren früheren Ruhm genießen können, ohne zu beklagen, dass kein neuer nachkommt“: Thomas Gottschalk, hier bei der WDR-Talkshow „Kölner Treff“ am vergangenen Freitag.
Foto: Christoph Hardt / IMAGO / Panama Pictures
Thomas Gottschalk:
Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann.
Heyne Verlag,
München 2024.
320 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Das Buch kommt noch, die Aufregung ist schon da: In „Ungefiltert“ spürt Thomas Gottschalk
seiner eigenen Heldengeschichte nach. An manchen Stellen tut es fast weh.
VON HILMAR KLUTE
Thomas Gottschalk hat den dritten Teil seiner Erinnerungen geschrieben. Die ersten beiden trugen hübsch ironische Titel, „Herbstblond“ und „Herbstbunt“. Man konnte an ihnen ablesen, dass sich der große Showmaster mit einer Lightversion von Melancholie zumindest von seinem äußeren Glanz verabschieden würde: Der so lange jungenhaft gut gelaunte Thommy ist nun ein älterer Herr, sieht aber immer noch nicht so aus wie der Outdoorschach spielende Rentner im Schatten des Klettergerüsts. Das neue Werk heißt „Ungefiltert“, und da ist man schon auf dem Quivive: Lässt Gottschalk jetzt ungeschminkte Ansichten zur Zeit oder sogar zum Zeitgeist los? Sagt er, was er über Kollegen denkt, über die Jugend und über Oliver Pocher? Die Antwort lautet: Ja, und käme jetzt die Nachfrage, ob an der einen oder anderen Stelle ein kleiner Filter hilfreich gewesen wäre, müsste man wieder Ja sagen.
Wenn das Buch jetzt am Mittwoch erscheint, wird es schon die erste Erregungswelle hinter sich haben: der störrische Gottschalk in der WDR-Talkshow Kölner Treff, der beharrlich auf seiner Redefreiheit besteht, während Moderator Micky Beisenherz vergeblich versucht, ihm zu erklären, dass er Redefreiheit genießt, ein Pro und Contra zu Gottschalk bei den Moralphilosophen von Bild, im Spiegel musste Gottschalk sich über Flirts und Berührungen natürlich besonders hart vernehmen lassen.
Wie zur vorsorglichen Bestätigung der zu erwartenden Empörung liegt nun eine mühsam gezügelte Wut über den gut 330 Seiten dieser als lässige Plauderei kostümierten Einrede, die schon in der Anrede den Ton anschlägt, der bis zum Ende hält: Liebe Lesende. Natürlich ist das sarkastisch gemeint, denn früher, schreibt Gottschalk, war es Frauen ja gleichgültig, wie sie angeredet werden, sie hätten sich vor allem um Inhalte Gedanken gemacht. Die Zeiten, möchte man dagegen halten, waren aber damals andere, heute sind Anreden nun einmal auch Inhalte, weil sie das Resultat von gesellschaftlichen Diskursen sind. Aber man muss Gottschalk nicht belehren, er tut das schon selbst, indem er sich immer wieder zur Ordnung ruft. Natürlich empfindet er Männer, die das Nein einer Frau nicht so verstehen wollen, wie’s gemeint ist, als Idioten. Selbstverständlich ist ihm jede Form von Chauvinismus fremd. Und einige seiner früheren Leistungen auf dem Gebiet des Herrenwitzes würde er sich heute selbst nicht mehr durchgehen lassen. Wer also wieder einmal vorhat, den Resümierenden „auf dem Marktplatz der öffentlichen Meinung hinzurichten“, sei versichert: Gottschalks Ansichten sind Ansichten eines Clowns, was wiederum der Titel eines Romans von Heinrich Böll sei, den „die Jüngeren vermutlich nicht kennen“.
Die Jungen wissen nichts mehr, wollen mit Clickbaiting reich werden, leisten aber nur noch vergleichsweise wenig: Dieses Motiv bewirtschaftet Thomas Gottschalk durch die knapp dreißig Kapitel seines Buches. Ausgerechnet er, der einmal so jung war wie kein TV-Showmaster vor ihm. Selbst Ilja Richter, den Gottschalk mit dem ZDF-Musikmagazin „Na sowas“ von dessen qualvoller Musiksendung „Disco“ erlöst hatte, war mit Ende zwanzig ein Veteran der UFA-Zeit, die der rührend nostalgische Theo-Lingen-Imitator Richter freilich nie erlebt hat. Eigentlich ist „Ungefiltert“ eine Fehdeschrift gegen die Generation X, die vorrangig um ihre Life-Work-Balance besorgt sei, während Gottschalk nach der paternalistischen Erfolgsformel „Lehrjahre seien keine Herrenjahre“ aufgewachsen ist.
Spätestens hier müsste man als Sympathisant oder Mitglied der Generation Z die Mikros abschalten und „Wir melden uns bei Ihnen“ murmeln. Aber dann würde man ein wichtiges Sozialprojekt den Hasen geben: nämlich den Versuch, die Generation Gottschalk auch mit ihren Idiosynkrasien, ihrer Verstörtheit und ihren Kränkungen ernst zu nehmen und aus ihren Erfahrungen etwas zu lernen. Selbst dann, wenn man zum Ergebnis käme, dass Erfahrungen von anno Asterix heute kaum noch jemandem etwas sagen. Aber das weiß und schreibt Thomas Gottschalk selbst in seinem Buch, das oft sehr eitel daherkommt, aber immer auch von einer bewundernswerten Seelenbarfüßigkeit getragen ist: „Der Alterungsprozess und das zügige Ausgemusterwerden zehren durchaus an meinem Selbstbewusstsein.“ Ein alter Mann sei er, der in den sozialen Medien nicht auf Gnade hoffen könne. Dabei wolle er nur, wie früher auch, sagen, was er denke. Und man kann ja auch hier und da Entwarnung geben: Gottschalk darf es und tut es und sein Buch, das kein Flop werden wird, ist der Beweis dafür. Und ja, auch dies: Wer mit 74 Jahren die Jüngeren und ihre Denkungsart noch irgendwie kapieren möchte, ist ja nun wirklich keiner von den Unsympathischen.
Thomas Gottschalk sieht den Sonnenuntergang, möchte aber, dass der sich zumindest für ihn als Sonnenaufgang schminkt. Deshalb begibt sich Gottschalk in die Arena, gibt Kommentare auf Instagram ab und hält es für ein Großereignis, wenn er für seine Kritik am „aufgeplusterten Hinterteil“ von Kim Kardashian Sturm erntet. „Ich traue mich öffentlich nicht mehr zu sagen, was ich im privaten Kreis sagen würde“, lautet eine Zwischenbilanz von Gottschalks Befunden. Nun könnte man einwenden, dass viele Menschen diese Unterscheidung für ganz natürlich halten, aber damit würde man sich den Blick auf ein mediengeschichtliches Phänomen verstellen. Gemeint ist die Nonchalance und Unbekümmertheit jener Epoche, in welcher die Samstagabendshow nicht weniger war als die verbindliche Verabredung zwischen einem weitgehend homogenen Fernsehpublikum und ihrem Conférencier. Und zwar pünktlich um 20.15 Uhr im ZDF, nicht irgendwann mal in der Mediathek. Gottschalk hat mit „Wetten dass ... ?“ etwas geschafft, das kein Hans-Joachim Kulenkampff, kein Hans Rosenthal und kein Joachim „Blacky“ Fuchsberger zuwege gebracht hat. Er hat die deutsche Unterhaltung ironisiert und zugleich internationalisiert, indem er die spießigen Wetten mit Stars wie Grace Jones, Mickey Rourke, Raquel Welch und David Bowie verlinkt hat. Gottschalk erinnert sich, wie Marcel Reich Ranicki, aus dessen eitler Mimoseneinlage beim Deutschen Fernsehpreis Gottschalk eine große Show gemacht hatte, mit Theresa Orlowski über Selbstbefriedigung gefachsimpelt habe. Und Paris Hilton habe Gottschalk ständig an ihr gelbes Kleid fassen müssen, um sie an ihre Werbeverpflichtung für den Stromanbieter Yellow zu erinnern, den sie erwähnen sollte. Damals, das will Gottschalk damit sagen, war der Hedonismus der Zeitgeist, heute ist es die Cancel-Culture.
Die späte Bundesrepublik hat in Thomas Gottschalk den idealen Unterhaltungskünstler gefunden: intelligent, überraschend sarkastisch, gut gelaunt und sympathisch respektlos. Einige dieser Eigenschaften, zumindest scheint es Gottschalk so zu sehen, fliegen ihm heute anders um die Ohren, als es damals der Fall war. In den Achtzigerjahren waren es die verknöcherten Intendanten und Programmchefs, die sich am frechen Jargon und den für damalige Verhältnisse rebellischen Ansichten Gottschalks gestoßen haben. Heute wiederum sehen die ganz Jungen in ihm den übergriffigen Herrenwitz-Erzähler von damals. Er habe eben immer gesagt, was er gedacht habe, schreibt Gottschalk. Dabei habe er schon deswegen Oberwasser gehabt, weil das Publikum hinter ihm stand. Bis es ihm in den Rücken gefallen sei, „aufgehetzt durch die sozialen Medien“. Er sei zum alten Mann geworden, der nicht auf die Gnade seiner jugendlichen Follower hoffen dürfe. Trotzdem möchte er immer noch von ihnen geliebt werden. Es tut fast weh, den immer von sonnigem Gemüt beschienenen Gottschalk derart gequält zu sehen.
Es geht in diesem Buch viel um Schönheit im Alter, um Straffung der Muskelmasse und natürlich, Gottschalk hat eine humanistische Bildung genossen, um Vanitas, die Eitelkeit des Daseins, deren gnadenloser Moderator der herbstblonde Tod ist. Immer wieder aber, und das ist das Helle und Kühne an dieser Lebensbeichte, gelingen Gottschalk dabei grimmig-kluge Frechheiten wie diese: In Sachen Schönheitswahn „stehen heute alle Geschlechter in der Reihe. Die Geschlechter sind zahlreicher und die Reihen länger geworden.“ Ob man nun den Schwarzwald politisch korrekt „Wood of Colour“ nennen muss oder das Argument schlüssig findet, die Königsberger würden sich auch nicht diskriminiert fühlen, wenn man die Klopse nach ihnen benennt, weshalb folglich auch das Zigeunerschnitzel seinen Namen wahren dürfe – geschenkt. Man kann das eben sagen, obwohl es nur vordergründig geistreich klingt – und es regt sich wirklich auch nicht alle Welt darüber auf.
Und falls doch, dann gilt der Unmut bei Gottschalks etwas eitler Furcht vor Sprachzensur einem dummen Spruch und nicht einer kulturellen Leistung, wie es im Streit um die gegenwärtige Rezeption von Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ von 1951 der Fall war. Dort kommt – für einige heutige Leser unbotmäßig häufig – das N-Wort vor, weshalb das Buch von Schülern ferngehalten werden soll. Etwa, weil Koeppen einen Mohrenkopf-Humor pflegte? Im Gegenteil: Der große Schriftsteller hatte zeigen wollen, wie gewebetief Rassismus und Menschenverachtung in den Köpfen der Nachkriegsdeutschen verklebt waren. Koeppens Werk aus dem literarischen Kanon nehmen zu wollen, wäre also infam, geschichtsvergessen und ein sehr ernst zu nehmender Eingriff in die Kunstfreiheit. Aber darum geht es Gottschalk nicht. Ihm ist nur wichtig, zu betonen, dass er der letzte Kämpfer gegen die politische Stubenreinheit ist, die ihn hindert, so zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
So ganz ohne Filter kommt aber auch „Ungefiltert“ nicht aus: Irgendwann scheint dem schreibenden Moderator seine Arbeit an der voll digitalisierten Jugend zu anspruchsvoll geworden zu sein. Gottschalk holt sich Hilfe in Gestalt des Generationenforschers Rüdiger Maas, der in einem ausführlichen Interview interessante Einordnungen vornimmt und Gottschalk unter anderem erklärt, dass es auch zu den Eigenschaften der Jugend gehört, unvernünftige Dinge zu tun und zu sagen. Und man liest nicht ohne Rührung, wie der 74-jährige Gottschalk den 45-jährigen Maas fragt, ob der ihn ermuntern würde, „weiterzuschreiben und zu sagen, was ich denke“.
In „Ungefiltert“ ist Gottschalk zwei Phänomenen auf der Spur: seiner eigenen Heldengeschichte und deren angeblicher nachträglichen Auslöschung durch die sozialen Medien. „Ich wollte Everybody’s Darling sein und habe es damit weit gebracht“, schreibt er folgerichtig und, wer wollte das bestreiten. Als dialektische Gegenparabel hat sich Gottschalk eine Art fiktive Verlierergeschichte auf höherem Niveau ausgedacht, in welcher er in seinem Heimatort Kulmbach geblieben und dort Mitarbeiter und schließlich, soviel Karriere muss sein, Chefredakteur der Bayerischen Rundschau geworden wäre, die ihm irgendwann kündigt, woraufhin das Blatt verkauft wird. Die Geschichte ist hübsch, hat aber keine Pointe, außer der, dass aus Thommy zum Glück dann doch Thomas Gottschalk geworden ist. Und der bitteren Lehre, dass Medien, an deren Erfolg Gottschalk nicht mehr mitwirkt, dem Untergang geweiht sind, denn: „Auch das klassische Fernsehen ist am Ende seiner Bedeutung.“
Gottschalks Zwischenbilanz: Eigentlich ist das Leben gut gelebt, aber solange die Jüngeren nicht begreifen, dass der sogenannte Mohrenkopf ein Freiheitsrecht ist, kann man die Zügel nicht lockerlassen. Outdoorschach müssen derweil die eher mutlosen Alten im Schatten des Klettergerüsts spielen. „Ich behaupte“, schreibt Thomas Gottschalk, „zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihren früheren Ruhm genießen können, ohne zu beklagen, dass kein neuer nachkommt.“ Cool, wenn es so wäre. Aber man glaubt es nicht, wenn man „Ungefiltert“ gelesen hat.
Ein alter Mann sei er, der in
den sozialen Medien nicht
auf Gnade hoffen könne
„Ich wollte Everybody’s
Darling sein und habe es
damit weit gebracht.“
„Ich behaupte, zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihren früheren Ruhm genießen können, ohne zu beklagen, dass kein neuer nachkommt“: Thomas Gottschalk, hier bei der WDR-Talkshow „Kölner Treff“ am vergangenen Freitag.
Foto: Christoph Hardt / IMAGO / Panama Pictures
Thomas Gottschalk:
Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann.
Heyne Verlag,
München 2024.
320 Seiten, 24 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etwas mehr Filtrierung hätte dieses Buch schon vertragen, findet Rezensent Hilmar Klute. Thomas Gottschalk beschwert sich darin, erfahren wir, darüber, dass er von vielen Jüngeren als ein Herrenwitze erzählender Typ von Gestern betrachtet wird. Tenor des Buches ist laut Klute, dass die jüngere Generation nichts weiß und ungern arbeitet. Muss man sich mit so etwas überhaupt beschäftigen, wenn man da nicht mitgeht? Ja schon, findet Klute, schließlich ist es wichtig, auch Gottschalks Generation zu verstehen und sei es nur, um aus ihren Fehlern zu lernen. Die Besprechung ist auch nicht rundum negativ, Klute gefällt durchaus, wie ehrlich Gottschalk hier seinen Seelenzustand entblößt, die Verwunderung darüber, dass er, der ewige Berufsjugendliche, plötzlich zum alten Eisen zählen soll. Gottschalk sehnt sich, lernen wir von Klute, nach einer verlorenen Unbekümmertheit, und das ist insofern interessant, als diese Sehnsucht tatsächlich etwas erzählt über die einstige Form der hegemonialen Fernsehunterhaltung, für die Gottschalk, der ja in der Tat das deutsche Fernsehen internationalisiert hat, steht. Auch über Alter und Schönheit steht viel in diesem Buch, fährt Klute fort, außerdem um N-Wörter bei Wolfgang Koeppens, und schließlich bringt Gottschalk auch noch ein Interview mit dem Generationenforscher Rüdiger Maas unter. Insgesamt ein Buch, das Gottschalks eigenen Anspruch, mit dem Schwinden des eigenen Ruhms gut klar zu kommen, definitiv nicht einlöst, so das Resümee.
© Perlentaucher Medien GmbH
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