»In der Musik einer Flughafen-Wartehalle in Timbuktu, einem Werbefoto, einem Fernsehbild, das einen Berliner Bären im Plüschkostüm tanzend zeigt, gesehen irgendwo auf der Welt, bin ich vielleicht mehr zu Hause als auf einem deutschen Bahnhof.« Roger Willemsen
Roger Willemsen war sein Leben lang Reisender. In diesem Live-Mitschnitt erzählt er, begleitet von der WDR Big Band, davon, was Reisen ihm bedeutet, erzählt von seinen Begegnungen mit dem Fremden und den zwei Polen, die die Bewegung des Reisens im Wesentlichen bestimmen: dem Widerstand gegen das eigene Zuhause und der Sehnsucht nach dem fremden Ort.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Roger Willemsen war sein Leben lang Reisender. In diesem Live-Mitschnitt erzählt er, begleitet von der WDR Big Band, davon, was Reisen ihm bedeutet, erzählt von seinen Begegnungen mit dem Fremden und den zwei Polen, die die Bewegung des Reisens im Wesentlichen bestimmen: dem Widerstand gegen das eigene Zuhause und der Sehnsucht nach dem fremden Ort.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2021Ein Ei und eine Tafel Schokolade
Alles im stets gepackten Koffer unterm Bett: Roger Willemsen als Reisender
"Wollen wir Karten legen? Und ob!" Der Fremde folgt seinen drei einheimischen Führerinnen durch die Nacht bis zum einzigen Wahrsager weit und breit, der frei ist. Der spricht leider kein Englisch, aber eine der Frauen, die sich "Crazy but smart" nennt, bietet an, das zu übersetzen, "was ich verstehe, und den Rest darfst du sowieso nur maximal zur Hälfte glauben". Also mischt der Fremde die Karten, und was er zieht, legt ihm der Wahrsager aus, übersetzt von allen drei Frauen. Die Karten verheißen große Liebe und schwere Arbeit, sie raten ihm außerdem, alles etwas langsamer angehen zu lassen und dergleichen mehr. Dann kommt der dritte Kartenwurf. Wieder keine Hiobsbotschaften. "Allerdings fällt die Übersetzung durch die drei Frauen so kryptisch aus, als handele es sich dabei um ein Orakel, das es zu lösen gelte, sollte ich mein Schicksal kennen wollen. So bildet sich meine Zukunft unscharf erst in den Karten, dann, noch unschärfer, in der Fremdsprache ab."
So steht es in Roger Willemsens Reisebuch "Bangkok Noir" von 2009, das auf einen dreimonatigen Aufenthalt in Thailands Hauptstadt zurückgeht und durchzogen ist vom Bewusstsein, hier ganz und gar fremd zu sein, und zugleich vom Willen, aus dieser Situation das Beste für die daraus erwachsende Schilderung zu machen. Es sind beiläufige Beobachtungen wie die des Kartenorakels, die das Fremdsein immer neu reflektieren: Was bedeutet es für das Durchdringen der fremden Stadt, wenn die "Unschärfe" der Sprache die der bildlichen Kartenbotschaft übertrifft?
Willemsen, der vor exakt fünf Jahren mit sechzig Jahren gestorben ist, hat in die Lebenszeit, die ihm vergönnt war, ungeheuer viel hineingepackt. Er war Fernsehmoderator und Filmemacher, Autor und humanitärer Aktivist, er war ein glänzender Musikkenner und als Literaturwissenschaftler Honorarprofessor an der Humboldt-Universität. Nun ist in seinem Hausverlag S. Fischer ein Taschenbuch erschienen, das sich auf einen Aspekt dieses Lebens konzentriert. Der Band "Unterwegs", herausgegeben von Insa Wilke, widmet sich den Spuren, die das Reisen in Willemsens Werk hinterlassen hat (192 S., br., 10,- [Euro]). Er enthält Reisereportagen wie die einer versuchten Begegnung mit der Jazzmusikerin Hoki Tokuda, der letzten Ehefrau Henry Millers, in Tokio, Berichte aus Afghanistan und Kinshasa, aber auch Unveröffentlichtes und Texte über das Reisen an sich, die jene Überlegungen, von denen Willemsens Reportagen und Bücher durchzogen sind, noch einmal bündeln und fortführen; sie machen einen großen Teil des Reizes dieser Sammlung aus.
Etwa der schöne Essay, der den Norden als Reiseziel feiert und sich in eine Begeisterung hineinschreibt, die man geradezu hitzig nennen möchte. Oder die Berliner Antrittsvorlesung aus dem Herbst 2010, in der Willemsen, ausgestattet mit den Früchten profunder Belesenheit und der Bereitschaft, für eine These über all das hinauszugehen, in staunenswerter Frische über das Verhältnis von Erleben und Beschreiben spricht.
"Als Kind hatte ich unter meinem Bett ein kleines Köfferchen, weil ich immer bereit sein wollte aufzubrechen. Darin waren eine Schokolade, ein gekochtes Ei, das ich von Zeit zu Zeit erneuerte, ein Taschenmesser und eine Badehose", heißt es in einer hier aus dem Nachlass abgedruckten autobiographischen Skizze. Mit den Jahren, so scheint es, ist noch einiges in Willemsens Reisegepäck gekommen, das ihn dazu befähigte, der Überwältigung durch das Fremde etwas entgegenzusetzen, um die Eindrücke zu ordnen. Die Aufbruchsbereitschaft des Kindes aber scheint ihn nicht verlassen zu haben. Wahrscheinlich zeugt davon sein gesamtes Werk.
TILMAN SPRECKELSEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles im stets gepackten Koffer unterm Bett: Roger Willemsen als Reisender
"Wollen wir Karten legen? Und ob!" Der Fremde folgt seinen drei einheimischen Führerinnen durch die Nacht bis zum einzigen Wahrsager weit und breit, der frei ist. Der spricht leider kein Englisch, aber eine der Frauen, die sich "Crazy but smart" nennt, bietet an, das zu übersetzen, "was ich verstehe, und den Rest darfst du sowieso nur maximal zur Hälfte glauben". Also mischt der Fremde die Karten, und was er zieht, legt ihm der Wahrsager aus, übersetzt von allen drei Frauen. Die Karten verheißen große Liebe und schwere Arbeit, sie raten ihm außerdem, alles etwas langsamer angehen zu lassen und dergleichen mehr. Dann kommt der dritte Kartenwurf. Wieder keine Hiobsbotschaften. "Allerdings fällt die Übersetzung durch die drei Frauen so kryptisch aus, als handele es sich dabei um ein Orakel, das es zu lösen gelte, sollte ich mein Schicksal kennen wollen. So bildet sich meine Zukunft unscharf erst in den Karten, dann, noch unschärfer, in der Fremdsprache ab."
So steht es in Roger Willemsens Reisebuch "Bangkok Noir" von 2009, das auf einen dreimonatigen Aufenthalt in Thailands Hauptstadt zurückgeht und durchzogen ist vom Bewusstsein, hier ganz und gar fremd zu sein, und zugleich vom Willen, aus dieser Situation das Beste für die daraus erwachsende Schilderung zu machen. Es sind beiläufige Beobachtungen wie die des Kartenorakels, die das Fremdsein immer neu reflektieren: Was bedeutet es für das Durchdringen der fremden Stadt, wenn die "Unschärfe" der Sprache die der bildlichen Kartenbotschaft übertrifft?
Willemsen, der vor exakt fünf Jahren mit sechzig Jahren gestorben ist, hat in die Lebenszeit, die ihm vergönnt war, ungeheuer viel hineingepackt. Er war Fernsehmoderator und Filmemacher, Autor und humanitärer Aktivist, er war ein glänzender Musikkenner und als Literaturwissenschaftler Honorarprofessor an der Humboldt-Universität. Nun ist in seinem Hausverlag S. Fischer ein Taschenbuch erschienen, das sich auf einen Aspekt dieses Lebens konzentriert. Der Band "Unterwegs", herausgegeben von Insa Wilke, widmet sich den Spuren, die das Reisen in Willemsens Werk hinterlassen hat (192 S., br., 10,- [Euro]). Er enthält Reisereportagen wie die einer versuchten Begegnung mit der Jazzmusikerin Hoki Tokuda, der letzten Ehefrau Henry Millers, in Tokio, Berichte aus Afghanistan und Kinshasa, aber auch Unveröffentlichtes und Texte über das Reisen an sich, die jene Überlegungen, von denen Willemsens Reportagen und Bücher durchzogen sind, noch einmal bündeln und fortführen; sie machen einen großen Teil des Reizes dieser Sammlung aus.
Etwa der schöne Essay, der den Norden als Reiseziel feiert und sich in eine Begeisterung hineinschreibt, die man geradezu hitzig nennen möchte. Oder die Berliner Antrittsvorlesung aus dem Herbst 2010, in der Willemsen, ausgestattet mit den Früchten profunder Belesenheit und der Bereitschaft, für eine These über all das hinauszugehen, in staunenswerter Frische über das Verhältnis von Erleben und Beschreiben spricht.
"Als Kind hatte ich unter meinem Bett ein kleines Köfferchen, weil ich immer bereit sein wollte aufzubrechen. Darin waren eine Schokolade, ein gekochtes Ei, das ich von Zeit zu Zeit erneuerte, ein Taschenmesser und eine Badehose", heißt es in einer hier aus dem Nachlass abgedruckten autobiographischen Skizze. Mit den Jahren, so scheint es, ist noch einiges in Willemsens Reisegepäck gekommen, das ihn dazu befähigte, der Überwältigung durch das Fremde etwas entgegenzusetzen, um die Eindrücke zu ordnen. Die Aufbruchsbereitschaft des Kindes aber scheint ihn nicht verlassen zu haben. Wahrscheinlich zeugt davon sein gesamtes Werk.
TILMAN SPRECKELSEN
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieser Band widmet sich den Spuren, die das Reisen in Roger Willemsens Werk hinterlassen hat, erklärt Rezensent Tilman Spreckelsen: Reportagen über verschiedenste Länder und Orte, aber auch Essays zum Thema allgemein und Unveröffentlichtes sind hier versammelt, erfahren wir, darunter etwa eine Feier des Nordens als Reiseziel, deren Begeisterung den Kritiker regelrecht angesteckt hat. Sein Fazit: Das Buch zeugt aufs Schönste von der beeindruckenden Aufbruchsbereitschaft, die Willemsens gesamtes Werk kennzeichnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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