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Richard Fords berühmteste Figur, Frank Bascombe, ist zurück. Und nun, mit 74, wird seine unangefochtene Meisterschaft, auf lässige Weise den Frieden mit sich und dem Leben zu machen, noch einmal extrem gefordert. Sein Sohn Paul, 47, ist krank, ihm bleibt nicht viel Zeit. Eng waren beide nie, doch jetzt verbindet sie die Bereitschaft, sich mit ungelenker Liebe auf das Kommende einzulassen, und ihr Blick für die Komik des Abseitigen. Für ein letztes Abenteuer mieten sie ein Wohnmobil, einmal von Minnesota bis zum Mount Rushmore - der Weg ist das Ziel.
Ford, der große Chronist des modernen
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Produktbeschreibung
Richard Fords berühmteste Figur, Frank Bascombe, ist zurück. Und nun, mit 74, wird seine unangefochtene Meisterschaft, auf lässige Weise den Frieden mit sich und dem Leben zu machen, noch einmal extrem gefordert. Sein Sohn Paul, 47, ist krank, ihm bleibt nicht viel Zeit. Eng waren beide nie, doch jetzt verbindet sie die Bereitschaft, sich mit ungelenker Liebe auf das Kommende einzulassen, und ihr Blick für die Komik des Abseitigen. Für ein letztes Abenteuer mieten sie ein Wohnmobil, einmal von Minnesota bis zum Mount Rushmore - der Weg ist das Ziel.

Ford, der große Chronist des modernen Amerika, schickt seine Helden auf eine Odyssee durch die scheinbar banalen Attraktionen im Herzen des Landes und zeigt uns mit jeder kleinen Provinzhölle eine neue Facette des amerikanischen Lebens, das wir so gut zu kennen glauben.
Autorenporträt
Richard Ford, wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. 1996 erhielt er für Unabhängigkeitstag den Pulitzer Prize und den PEN/Faulkner Award, 2020 den Library of Congress Prize for American Fiction.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2023

Bye-bye, Frank!

Der Mann, der niemals aufgab: Richard Ford lässt in "Valentinstag" seinen altgedienten Helden Frank Bascombe nach mehr als dreißig Jahren, fünf Büchern und einigen Turbulenzen nun doch in den Ruhestand gehen.

Von Peter Körte

War denn nicht schon alles vorbei? Hatte sich Frank Bascombe nicht verabschiedet von uns, vor fast zehn Jahren, an Heiligabend, auf einer Straße in Haddam, New Jersey? Und hatte nicht auch Richard Ford, Bascombes Erfinder, angedeutet, dass es vorbei sei mit Frank, der über mehr als drei Jahrzehnte und in vier Büchern von einer Art amerikanischem Jedermann zum Rentner geworden war; noch aktiv als Immobilienmakler, noch immer, trotz abnehmender Erfolgswahrscheinlichkeit, keiner Affäre abgeneigt, aber eben auch mit einer überschaubaren Zukunft, wie sie ein Mann von 68 Jahren in der Regel nun mal vor sich hat?

Das war eine Täuschung. Frank ist wieder da. "Valentinstag" heißt der neue Roman. Richard Ford mag diese Konzentration auf Feiertage, Familienfeste, von denen Blicke in die Vergangenheit fallen, wo sich etwas bündelt, die Möglichkeit zunimmt, dass Konflikte eskalieren. In "Sportreporter" (1986) war Ostern, in "Unabhängigkeitstag" (1995) der Fourth of July, "Die Lage des Landes" (2007) spielte an Thanksgiving. Nur "Frank" (2015) - kein Roman, sondern eine Sammlung von vier Novellen - wich davon insofern ab, als hier der Hurrikan Sandy im Oktober 2012 und dessen Folgeschäden das Geschehen prägten.

In "Valentinstag" umfasst die erzählte Zeit ein paar Tage im Februar 2019, bis zum Fest der Liebenden. 74 Jahre alt ist Bascombe inzwischen, er führt ein "einsames Seniorenleben", hat eine Menge hinter sich, ist so redselig wie immer, ein Hobbyphilosoph, der Heidegger liest und ab und zu ein paar Textbrocken zitiert, aber das sollte man nicht zu ernst nehmen. So wie man auch keine Zeit mit der Frage verschwenden sollte, ob Frank nun ein Alter Ego von Richard Ford ist, bloß weil der im nächsten Jahr 80 wird und sich vor vielen Jahren auch mal als Sportreporter versucht hatte, bevor er Romane schrieb.

Auch wer den Ich-Erzähler Frank noch nicht kennt, erfährt schnell seine Passionsgeschichte, hört von überstandenem Prostatakrebs, einem Loch im Herzen, was nicht metaphorisch gemeint ist, einem kleinen Schlaganfall, zwei gescheiterten Ehen, einem früh verstorbenen Sohn. Und, das ist der Kern des Romans, von einem anderen Sohn, der bald sterben wird, weil er unter ALS, der degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, leidet.

Paul ist 47 Jahre, er hat ein "Irgendwie-Leben" gehabt. Hat zuletzt in "Human-Resources-Logistics" gearbeitet, wohinter sich eine Art Security-Job verbirgt, zuvor als Kartentexter bei Hallmark und in einem Laden für Gartenbedarf in Kansas City. Steile Karrieren sehen anders aus. Er ist unverheiratet und kinderlos. Frank sinniert derweil über das Glück, ganz zu Beginn und in einer Art Epilog. Es ist sein altes Motiv, Ford-Leser kennen es, die Frage nach dem guten Leben und warum es nie so richtig geklappt hat damit. Frank war auch nie ein besonders engagierter Vater; wenn es hart wurde, hat seine erste Frau die Dinge in die Hand genommen. Es ist typisch, dass Franks Tochter aus Arizona ihm am Telefon von Pauls Diagnose erzählt, obwohl der mittlerweile in Haddam gestrandete Paul um die Ecke wohnt. Und es ist ziemlich bemerkenswert, wie Frank dann beschließt, sich um Paul zu kümmern.

Es ist also eine Vater-Sohn-Geschichte, nur dass hier die Lebenszeit des Jüngeren abläuft. Und es ist die Geschichte einer letzten Reise, zur womöglich amerikanischsten aller Gedenkstätten, zum Mount Rushmore in South Dakota, zu den monumentalen, in den Fels gesprengten vier Präsidentenköpfen. "Mount Rushmore sehen und sterben", kalauert sich Paul sein Motto zusammen. Überhaupt reden Vater und Sohn viel, vor allem blödeln sie dabei, ergehen sich in kleinen Sprachspielen und verbalen Scharmützeln, hinter denen trotz manchen Einverständnisses und Vertrautheit eine große Sprachlosigkeit lauert.

Ihre Reise beginnt in einer Mayo-Klinik in Minnesota, sie brechen auf in einem Wohnmobil, das "Warmer Wind" heißt und unbewohnbar ist wegen der klirrenden Kälte. Wir treiben dahin in Franks Bewusstseinsstrom, der weitschweifig ist wie gewohnt, auch wenn dieser Roman mit weniger als 400 Seiten deutlich kürzer ausfällt als seine Vorgänger. Neben dem Alltag mit dem hilfsbedürftigen Paul checkt Frank unterwegs immer wieder seine Chancen bei den Frauen.

Er ist gut darin, sich etwas vorzumachen, kalkuliert wie ein Zocker, der trotz aller Rückschläge noch immer an den großen Coup glaubt, ist auch atemberaubend schnell beim Heiratsantrag, weil Betty in ihrem vietnamesischen Massagesalon für 200 Dollar die Sitzung immer so zugewandt war. Da hat sich über die Jahre nicht viel verändert bei ihm.

Während real nichts passiert, läuft seine Vorstellungskraft auf Hochtouren. Und man weiß nie ganz genau, ob er einem leidtun soll, weil ihm die Aussichtslosigkeit so hartnäckig entgeht; oder ob es nervt, weil haltlose kontrafaktische Annahmen ab einem bestimmten Punkt nur noch ermüden.

Richard Ford ist nun auch ein obsessiver Beschreibungskünstler, seine Szenerien sind fotografisch genau, doch es liegt in dieser Plastizität und Detailfreude zugleich eine Ambivalenz. Nicht weil diese Schilderungen nicht gekonnt oder prägnant wären, sondern eher weil sie es manchmal zu sehr sind, weil dann Frank auf einmal wie der Autor eines populärkulturellen Essays redet und gar nicht mehr aufhören will.

Es sind vor allem öffentliche Räume ungehemmten Konsums und umfassender Fürsorge, die der kulturkritische Blick erfasst. Die Mall mit ihren akribisch aufgeführten Kettenläden, in der Frank und Paul an einem Kinobesuch scheitern; die Mayo-Klinik, eine Gesundheitsfabrik, fast ein Themenpark für Patienten, wo Organisation und Service den Tod auszusperren versuchen. Dort hat man sich den "Rätseln des Heilens wie dem Herumbefördern von Menschen verschrieben, was für einen Äther aus keimfreiem Positivismus sorgt, den wir alle inhalieren können". Das klingt wuchtig - aber redet ernsthaft so ein Immobilienmakler im Ruhestand, der gelegentlich Heidegger liest?

Ähnlich geht es zu, wenn die beiden unterwegs in Mitchell, South Dakota den einzigen "Maispalast" dieser Welt besuchen, ein bizarres Gebäude, dem innen wie außen ein Maiskolbendesign aufgezwungen wurde. Eine "kremlartige Hommage an Demeter" nennt Frank das. Nun ja. Und kurz darauf stehen sie dann schon in einem Hotel namens Fawning Buffalo mit einem von Indigenen betriebenen Casino. Noch so eine Mischform aus Mittelstandsvorhölle und Konsumentenparadies, ohne dass sich daraus neue ethnologische Einsichten in seltsame Sitten und Bräuche des Inlands ergäben.

Diese ausladenden Passagen sind nicht ganz ungefährlich, weil sich in ihnen Figurenrede und Autorenhaltung unverkennbar mischen. Weil ein Schwadroneur wie Bascombe auf Dauer dann doch ein bisschen anstrengend wird, müsste sein Erfinder ihn eigentlich eher bremsen. Er tut es aber nicht. Dieser Hang zur Redundanz mag auch damit zu tun haben, dass Frank als Rentner nun eher vom Rand her auf ein Amerika blickt, dessen gesellschaftlichem und ökonomischem Leben er früher durch das Immobiliengeschäft den Puls fühlen konnte.

Die Beobachtungen des Chronisten jedenfalls haben im Vergleich zu den früheren Romanen deutlich an Schärfe verloren. "The Great American Novel", diese hartnäckige und inzwischen ein wenig überlebte Kritikerchimäre, ist "Valentinstag" nun sicher nicht - nachdem Richard Fords Bücher lange Jahre immer wieder als Kandidaten für diesen Titel gehandelt wurden.

Was nun nicht heißt, es fehle diesem Roman an pointierten Einfällen, denkwürdigen Sätzen und gelungenen Szenen. Dazu gehört sicher nicht die detailliert geschilderte Selfiemeute am Mount Rushmore, sondern das, was Paul angesichts der steinernen Präsidenten durch den Kopf geht: "Es ist komplett sinnlos und lächerlich, und es ist super." Oder die Gespräche zwischen Vater und Sohn, dieses permanente uneigentliche Reden, diese Versuche, in der Nähe des Todes etwas miteinander zu klären. "Du bist mein Lieblings-Arschloch, Frank. Weißt du das nicht?" Und Paul sagt in diesem Moment eben nicht wie sonst "Lawrence" zu seinem Vater, sehr frei (und nicht so wahnsinnig lustig) nach Florence Nightingale.

Und da ist umgekehrt der Blick von Frank, der nach einem dreifachen Wodka und ein paar Schuldgefühlen denkt: "Wie kann dieser Mann mein Sohn sein?" Der sich aber sehr bemüht, wenn dieser Sohn sagt: "'Ein tolles Leben hab ich nicht hingelegt, oder, Frank?' Er sieht mich nicht an. 'Nein. Aber du hast dich ordentlich geschlagen.'" Es ist, für beide, alles, was sie miteinander erreichen können, und in diesen Momenten zeigt sich dann auch Fords ganze literarische Größe: zu wissen, was zu viel wäre, was nicht zu seinen Figuren passte, die er über Jahrzehnte so sorgfältig gezeichnet hat und nicht für ein paar sentimentale Effekte verraten wird.

Am Ende, das ist bei einer Krankheit wie ALS kein Spoiler, wird Paul sterben. Da sind wir schon im Epilog, der im Gegensatz zu den elf Kapiteln zuvor im Präteritum erzählt ist. Ein drängendes Präsens am Sterbebett, das passte nicht zu Frank Bascombe. Er war auch gar nicht dabei, aber er hat noch auf Pauls Wunsch einen Zettel geschrieben, den man dem Moribunden vorgelesen hat, mit einer Liste, was gut sei im Leben. Was Glück ist, hat Frank dabei nicht herausgefunden, seine Lebensphilosophie kreist eher um die Abwesenheit von Unglück und die Frage, warum man bestimmte Dinge im Leben nicht getan hat.

Frank Bascombe, wie wir ihn nun über mehr als dreißig Jahre erlebt haben, könnte, wenn der Titel nicht längst für Clint Eastwood reserviert wäre, der Mann sein, der niemals aufgibt. Nicht weil er so mutig, hart und rücksichtslos wäre. Sondern wegen seiner Nehmerqualitäten, wegen dieser Indifferenz tief im Herzen. "Mein Geist schottet sich gegen zu viel Schlechtes ebenso ab wie gegen zu viel Gutes - das war immer mein Problem", sagt er in einem Moment der Selbsterkenntnis, den er als solchen gar nicht begreift.

Es hätte ihm, statt sich mit dem "Laber Rhabarber" von Heidegger zu quälen, vermutlich mehr geholfen, mal den einen oder anderen alten und sehr verständlichen Stoiker zu lesen. Auch mit 74 Jahren ist es dafür nicht zu spät. Er muss uns ja nicht auch noch die Ergebnisse seiner Lektüre mitteilen. Bye-bye, Frank!

Richard Ford: "Valentinstag". Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, 384 Seiten, 28 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2023

Heiter bleiben, trotz allem
In Richard Fords neuem Roman „Valentinstag“
geht es um die Möglichkeit, ein gelungenes Leben zu führen.
Ein Spaziergang mit dem Autor durch den New Yorker Central Park
VON CHRISTIAN ZASCHKE
Richard Ford ist pünktlich am Treffpunkt, dem Maine Monument am südwestlichen Eingang des Central Parks, er telefoniert noch mit seiner Ehefrau Kristina Hensley. Die beiden sind seit fast 60 Jahren ein Paar, und im Verlauf des Nachmittags wird Ford später den schönen Satz sagen: „Wenn sie den Raum betritt, weiß ich nie, was sie sagen wird. Aber ich brenne jedes Mal darauf, es zu hören.“
Am Telefon erzählt er ihr nun, dass er in Midtown mit einem alten Freund zum Mittagessen war, und dass er jetzt zu einem Spaziergang durch den Park aufbrechen werde. Seine Frau erwidert etwas. „Jaja, genau, bei 35 Grad“, sagt Ford vergnügt. Er sagt nicht, dass es sich um einen dieser berüchtigten New Yorker Sommertage handelt, an denen sich 35 Grad wie 40 Grad anfühlen und man wegen der brutalen Schwüle das Gefühl hat, dass eine unsichtbare Hand ausnahmslos allen Menschen im Freien ein ofenwarmes, feuchtes Putztuch ins Gesicht drückt.
Ford beendet das Telefonat mit einer Liebeserklärung, wie sie viele Paare schon nach einem halben gemeinsamen Jahr nicht mehr rausbringen. Trotz der Hitze trägt er ein Seersucker-Jackett, dessen Formalität er mit einem Paar sehr bunter Turnschuhe elegant untergräbt. Auf den Hinweis, man könne sich auch in ein Café setzen, falls es ihm zu heiß zum Spazieren sei, lacht er kurz auf und sagt: „Ich wohne in New Orleans. Das hier ist nichts dagegen.“
Wenn er nach New York kommt, wohnt er im University Club, einem ausgesprochen vornehmen Etablissement, in dem für die Herren die Krawatte zwar nicht absolut zwingend vorgeschrieben ist, aber sehr, sehr gern gesehen wird. Ford ignoriert diesen Wunsch, das Jackett muss reichen. Doch in seiner braunen Ledertasche hat er ein zweites Paar Schuhe verstaut, weil sie im University Club selbst ihn nicht reinlassen würden in den bunten Turnschuhen.
Vor einigen Wochen ist sein neuer Roman „Be Mine“ in den USA erschienen. Nun wird er unter dem Titel „Valentinstag“ auf Deutsch im Hanser-Verlag veröffentlicht. Es ist das fünfte Buch, in dem Frank Bascombe die Hauptrolle spielt, der sich im Jahr 1986 der Leserschaft mit zwei Sätzen vorstellte: „Ich heiße Frank Bascombe. Ich bin Sportreporter.“ Der Roman trug den Titel „Der Sportreporter“ und machte Ford weltberühmt. Die Kritiker feierten das Buch für seinen eindringlichen Ton, der tief in die Seele greift, für die Weisheit und den Witz. Wobei: nicht alle Kritiker. Die Schriftstellerin Alice Hoffman verriss es in der New York Times.
In den vergangenen Jahren war immer wieder einmal die Geschichte zu lesen, dass Ford daraufhin in seinem Garten mit einer Pistole auf ein Buch von Hoffman geschossen habe. „Ist absolut nicht wahr“, sagt er nun im Central Park. Auf den Heckscher Ballfields spielen ein paar Jugendliche in der prallen Sonne Baseball. „America’s pastime“ wird der Sport genannt, Amerikas Zeitvertreib, und wer ihn bei diesen Temperaturen freiwillig ausübt, muss eine besonders große Liebe für dieses rätselhafte Spiel empfinden. Ford schlägt vor, sich auf eine Bank im Schatten zu setzen und den Jugendlichen ein wenig zuzusehen. Dann sagt er: „Kristina hat auf das Buch geschossen.“
Die Geschichte geht laut Ford so: Hoffmans Verlag habe ihm damals deren neuen Roman zur Ansicht geschickt. Seine Frau hatte aber unmittelbar zuvor die Rezension in der Times entdeckt und habe das Buch daraufhin mit in den Garten genommen. Und es erschossen. „Das Eintrittsloch war klein“, sagt Ford, „aber das Austrittsloch war beträchtlich.“ Anschließend habe Kristina das Buch zurück an den Verlag geschickt.
Ford sagt, er habe diesen Verriss nie gelesen. Man erzählt ihm also, dass Alice Hoffman vor allem kritisierte, dass Frank Bascombe insofern ein typisch amerikanischer Mann sei, als er versuche, seine vielen Probleme zu verdrängen, statt sie zu verarbeiten. Ford nickt. „Das stimmt vollkommen“, sagt er, „Frank verdrängt vieles. Aber das ist ja nicht unbedingt eine Schwäche. Er tut es auch, damit er weiterleben kann.“ Die Figur Frank Bascombe verdrängt, um nur einiges zu nennen: den Tod des ersten Kindes, die gescheiterte Ehe, sein Scheitern als Vater, sein Scheitern als Schriftsteller.
Sollte Hoffman Fords jüngsten Roman lesen, wird sie feststellen, dass das Thema Verdrängung erneut ein zentrales Motiv ist. Bascombes Sohn Paul leidet an einer unheilbaren Nervenkrankheit, er wird bald sterben. Vater und Sohn unternehmen daher in einem Wohnmobil einen Roadtrip von Minnesota nach South Dakota zum Mount Rushmore, in den die Köpfe von vier US-Präsidenten gemeißelt sind.
Sie müssten über den Tod sprechen, aber das tun sie nicht. Stattdessen reißen sie Witze, oder sie reden über Banalitäten. Die große Aussprache von Vater und Sohn über das Leben und den Tod findet einfach nicht statt, und wenn Hoffman das bemängeln würde, müsste man ihr sagen: Darum geht es doch gerade. Und exakt darum geht es auch zu einem großen Teil in den anderen vier Bascombe-Romanen: Wie es trotz aller Beschädigungen gelingen kann, ein immerhin halbwegs, was immer das sein mag, gelungenes Leben zu führen.
Die US-Kritik hat das neue Buch überwiegend wohlwollend aufgenommen. Gibt also vermutlich keinen Grund zum neuerlichen Waffeneinsatz. Die Times fand, es sei ein gutes Buch, aber nicht sein bestes. Was stimmt, denn um diesen Ehrentitel streiten sich das erwähnte „Der Sportreporter“ und der Roman „Unabhängigkeitstag“ von 1995, in dem Frank Bascombe zum Immobilienmakler umschult.
Anlässlich des Erscheinens dieses Buches vor 28 Jahren trafen sich Ford und der Reporter schon einmal. Aus nicht mehr ganz nachvollziehbaren Gründen schweifte das Gespräch damals ab vom neuen Roman zu Fords engem Freund Raymond Carver, der vor allem für Kurzgeschichten bekannt ist, die sich lesen, als habe er sie nicht mit dem Stift, sondern mit dem Skalpell geschrieben. Carver starb 1988 im Alter von 50 Jahren an Lungenkrebs, und Ford ging dessen Tod auch sieben Jahre später noch extrem nahe. Es wurde daher ein ausführliches Gespräch über Tod und Verlust, über Freundschaft und Liebe, und, ja, auch über Verdrängung.
An diesem Nachmittag im Central Park stellen Ford und der Reporter fest, dass ihr Altersunterschied 28 Jahre beträgt, und dass also der eine nun exakt so alt ist, wie es der andere bei der ersten Begegnung war. Beste Voraussetzungen eigentlich für eine Fortsetzung des Gesprächs über Tod und Verlust, doch vielleicht ist es der auf beiden Seiten hinzugewonnenen Lebenserfahrung geschuldet, dass es überwiegend heiter bleibt. Wie zum Beispiel bei der Chris-Christie-Geschichte.
Christie war mal Gouverneur von New Jersey, dem Bundesstaat, in dem Frank Bascombe lebt. New Jerseys berühmtester Sohn ist Bruce Springsteen, und Christie wollte sich als republikanischer Gouverneur mit der Nähe zu Springsteen schmücken. Nur: Das wollte Springsteen sowas von ganz und gar nicht. Ford sagt: „Bruce hat mir erzählt, dass bei Konzerten damals immer eine Art Laufsteg ins Publikum gebaut wurde. Und bei Konzerten in New Jersey stand am Ende dieses Laufstegs immer und immer Chris Christie im Publikum, 500 Pfund schwer, in einem weißen Hemd so groß wie ein Zelt, unübersehbar. Aber Bruce hat ihn jedes Mal ignoriert.“
Wie gut er Springsteen kennt? „Wir sind nicht eng befreundet“, sagt Ford, „aber wir kennen uns eben. Er liest meine Bücher. Und ich bin ein großer Fan seiner Musik.“ Kennt er ihn gut genug, dass er ihn zum Beispiel während der immer ausverkauften Konzertreihe „Springsteen on Broadway“ anrufen konnte, um an Tickets zu kommen? „Lustig, dass Sie das fragen“, sagt Ford, „denn genau das habe ich getan. Sogar zweimal.“
Um ein Haar wäre Springsteen im Roman „Unabhängigkeitstag“ gelandet. Es gibt darin eine turbulente Szene, in der Ford eine Nebenfigur zunächst als Frau beschrieb, die ein Bruce-Springsteen-T-Shirt trägt. „Ich habe das erst relativ spät geändert, weil ich gemerkt habe, dass mit diesem Detail zu viel verbunden ist, dass sich da ein ganzer Kosmos auftut, obwohl es nur eine Nebenfigur ist. Springsteen hätte die Szene dominiert, obwohl er nur auf dem T-Shirt auftaucht“, sagt er. Was die Frau jetzt anhat? Ford überlegt. Und überlegt. Dann sagt er: „Ich weiß es nicht mehr, und genau so muss es sein. Ich habe Bruce die Geschichte mal erzählt. Fand er ganz gut.“
Zeit für den Rückweg. Die Sonne brennt nicht mehr ganz so erbarmungslos. Ford hat während der gesamten Zeit nichts getrunken, obwohl der Reporter zwei Liter Wasser mitgebracht hatte. Die staubtrocken vorgetragene Anmerkung, dass ÄLTERE Herrschaften es ja gern mal vergäßen, ausreichend zu trinken, quittiert er mit einem grimmigen Grinsen. Ford ist 79 Jahre alt, und er weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dass es in noch einmal 28 Jahren zu einem dritten Treffen kommt. Aber daran mag er nicht denken, denn wenn man eines mit gutem Recht verdrängen kann, dann doch wohl den Gedanken an den eigenen Tod.
Als die Ampel an der Kreuzung von 5th Avenue und 59th Street auf Grün springt, hält Ford den Reporter zurück. „Alte New-Orleans-Regel“, sagt er: „Bei Grün für die Fußgänger drei Sekunden warten, bis auch die Autos durch sind, die bei Rot noch schnell über die Kreuzung brettern.“ Beim Überqueren der Straßen bückt er sich und hebt eine Münze auf. „Sehen Sie“, sagt er, „das sagt Ihnen alles darüber, was für eine Person ich bin: Jemand, der Pennys von der Straße aufliest. Und warum tue ich das?“ Ford beantwortet die Frage selbst: „Weil Pennys Glück bringen“, sagt er und übergibt die rostige Straßenmünze mit diesen Worten als Geschenk zum Abschied.
Seine Figuren
müssten über den
Tod sprechen, doch
sie reißen Witze
Er liest Geldstücke
von der Straße auf:
„Weil Pennys
Glück bringen.“
Hat Richard Ford auf das Buch jener Kritikerin geschossen, die einst „Der Sportreporter“ in der New York Times verriss?
Foto: Peter Hassiepen
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»Themen wie Altern, Pflege, Trauer und der gesellschaftliche Zustand der USA werden [im Hörbuch] mit trockenem Humor gewürzt, den Christian Brückner in seiner Lesung wunderbar aufgreift.« hr2 Hörbuchbestenliste 20230928

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Judith von Sternburg ist komplett begeistert von Richard Fords neuem Roman, der die Geschichte des ehemaligen Sportreporters, Schriftstellers und Immobilienagenten und jetzigen Rentners Frank Bascombe und seiner Familie erzählt. Zeit ist die Trump-Ära Beginn 2020, erläutert Sternburg, und Franks Sohn Paul wird sterben. Frank liest weiter Heidegger (und schläft dabei ein) und unternimmt mit dem sterbenden Sohn einen Roadtrip nach Westen zum Mount Rushmore. Bestechend findet Sternburg nicht nur den Ton, den Frank Heibert gekonnt überträgt, sondern auch die vielen Details, die die Spaltung der US-Gesellschaft und den alltäglichen Wahnsinn gut einfangen, wie sie meint.

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