Gibt es ein glückliches Leben ohne Garten? Für Marc Hamer sicher nicht! Monat für Monat und in leuchtenden Momentaufnahmen erzählt er von seiner Arbeit als Gärtner auf dem britischen Anwesen der alten Lady Miss Cashmere. Anschaulich und literarisch-philosophisch beschreibt er die kleinen und großen Wunder der Natur, zwischen Rosen und Magnolien, Käfern, Würmern und Bienen. Dabei kombiniert er Achtsamkeit und Wissen über die Natur mit der Freude am Gärtnern. So blickt er mit poetischer Weisheit und einer lebensbejahenden Haltung auf den ewigen Kreislauf vom Werden und Vergehen.Ungekürzte Lesung mit Heikko Deutschmann1 mp3-CD ca. 10 h 40 min
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2022Den Garten betrachten
Mit Rolleiflex: Marc Hamer berichtet von Pflanzen und Menschen
Ja, natürlich geht es in diesem Buch über "ein Gärtnerleben" auch um den Garten und um Pflanzen und die Tiere, die in Gärten wohnen. Aber eben auch um ganz andere Dinge, ums Älterwerden, darum, dass man sich im Leben manches Mal neu orientieren muss, und darum, wie man nach Ansicht des Autors gut und zufrieden lebt. In dieser Hinsicht kann man einiges von Marc Hamer lernen. "Vom Blühen und Vergehen" ist immer dann besonders interessant, wenn er von seinem eigenen Leben erzählt und davon, welche Umwege ihn als Gärtner auf das große Anwesen von Mrs. Cashmere geführt haben. Denn ein Gärtnerleben führte er nicht von Beginn an.
Das war nämlich noch nicht abzusehen, als er in einer Bergbaustadt in Englands Norden auf die Welt kam und sich für Kunst und Poesie interessierte. Die Männer waren "ausgebildet, um Krieg zu führen, bereit, wenn nötig gegen eine fremde Macht zu kämpfen, und wenn kein Bedarf bestand, hatten wir Fußball oder Rugby und schwere körperliche Arbeit, um uns fit und einsatzbereit zu halten, bis wir verschlissen waren und durch jüngere Versionen unserer selbst ersetzt wurden". Diese Männer arbeiteten in der Grube oder im Stahlwerk, die Frauen in der Baumwollfabrik oder an den stinkenden Wannen der Bleicherei. Den jungen Marc hielten sie für schwul.
Seine Mutter starb früh an ihrer zerstörten Lunge, dem Vater war der Junge mit einem Sinn für Schönheit nicht geheuer, und so setzte er ihn vor die Tür, da war er gerade sechzehn Jahre alt. Hamer schlug sich als Landstreicher und Maulwurfsjäger durch, arbeitete bei der Bahn, studierte später Kunst, las Lyrik, unterrichtete Creative Writing in Gefängnissen, heiratete die Schriftstellerin Kate Hamer, genannt Peggy, und gründete im walisischen Cardiff eine Familie. Dort leben sie bis heute. Peggy schreibt, Marc gärtnert und postet Schwarzweißfotos auf Instagram, die er mit einer alten Rolleiflex aufnimmt. Es ist ein langsames, genügsames Leben. Und gleichzeitig ein Gegenentwurf gegen moderne Slow-Life-Achtsamkeitstrends, denn Alkohol, gelegentliche Albernheit und ein kritischer Geist sind weiterhin erlaubt.
"Ein Garten gehört immer dem jeweiligen Betrachter", schreibt Hamer, und in diesem Sinne gehört der Garten von Mrs. Cashmere mindestens zum Teil auch ihm. Zumal er ihn seit vielen Jahren bewirtschaftet und gestaltet. Mrs. Cashmere ist eine hochbetagte Witwe mit festen Gewohnheiten. Die Wortwechsel mit ihrem Gärtner bleiben meist professionell, nur selten erlaubt sie sich eine persönlichere Ansprache. Als Hamer sie einmal ermutigt, barfuß über die taunasse Wiese zu laufen, und ihr die Schuhe hinterherträgt, ist das für ihre Verhältnisse der Gipfel der Ausgelassenheit. Und da tut sie einem dann doch leid in ihrem Oberschicht-Habitus, den sie auch dann nicht ablegt, wenn niemand zuschaut. Sie kann einfach nicht anders. Und reiht sich damit ein in die Bewohner des Gartens, die Schnecken, die Dahlien, die Möwen, die Gras rupfen, sie alle können nicht anders.
Nur der Gärtner kann anders. Hamer gehört zu der Sorte, die ihrem Instinkt folgt und wenig von Anleitungsbüchern hält. Er tut, was er für richtig befindet, sät Schmuckkörbchen und schneidet die Rosen äußerst zaghaft, damit sie üppiger wachsen. Und am Ende trifft er eine radikale Entscheidung. "Es tut mir leid, ich bin mit dem Herzen nicht mehr bei der Sache", schreibt er auf eine Seite seines Notizbuches, reißt sie heraus, wickelt sie um den Schlüssel und wirft ihn in Mrs. Cashmeres Briefkasten. Wieder einmal muss er sich neu orientieren, Das braucht ein wenig Mut, aber was soll jemanden, der in seiner Jugend auf den Landstraßen tingelte, noch schrecken? Ganz ohne Garten wird er sein weiteres Leben jedenfalls nicht verbringen. Gerade legt er einen neuen an - einen, der noch ein wenig mehr ihm gehört als der vorherige. ANDREA DIENER
Marc Hamer:
"Vom Blühen und
Vergehen". Ein
Gärtnerleben.
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Berlin 2022. 415 S., Abb., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Rolleiflex: Marc Hamer berichtet von Pflanzen und Menschen
Ja, natürlich geht es in diesem Buch über "ein Gärtnerleben" auch um den Garten und um Pflanzen und die Tiere, die in Gärten wohnen. Aber eben auch um ganz andere Dinge, ums Älterwerden, darum, dass man sich im Leben manches Mal neu orientieren muss, und darum, wie man nach Ansicht des Autors gut und zufrieden lebt. In dieser Hinsicht kann man einiges von Marc Hamer lernen. "Vom Blühen und Vergehen" ist immer dann besonders interessant, wenn er von seinem eigenen Leben erzählt und davon, welche Umwege ihn als Gärtner auf das große Anwesen von Mrs. Cashmere geführt haben. Denn ein Gärtnerleben führte er nicht von Beginn an.
Das war nämlich noch nicht abzusehen, als er in einer Bergbaustadt in Englands Norden auf die Welt kam und sich für Kunst und Poesie interessierte. Die Männer waren "ausgebildet, um Krieg zu führen, bereit, wenn nötig gegen eine fremde Macht zu kämpfen, und wenn kein Bedarf bestand, hatten wir Fußball oder Rugby und schwere körperliche Arbeit, um uns fit und einsatzbereit zu halten, bis wir verschlissen waren und durch jüngere Versionen unserer selbst ersetzt wurden". Diese Männer arbeiteten in der Grube oder im Stahlwerk, die Frauen in der Baumwollfabrik oder an den stinkenden Wannen der Bleicherei. Den jungen Marc hielten sie für schwul.
Seine Mutter starb früh an ihrer zerstörten Lunge, dem Vater war der Junge mit einem Sinn für Schönheit nicht geheuer, und so setzte er ihn vor die Tür, da war er gerade sechzehn Jahre alt. Hamer schlug sich als Landstreicher und Maulwurfsjäger durch, arbeitete bei der Bahn, studierte später Kunst, las Lyrik, unterrichtete Creative Writing in Gefängnissen, heiratete die Schriftstellerin Kate Hamer, genannt Peggy, und gründete im walisischen Cardiff eine Familie. Dort leben sie bis heute. Peggy schreibt, Marc gärtnert und postet Schwarzweißfotos auf Instagram, die er mit einer alten Rolleiflex aufnimmt. Es ist ein langsames, genügsames Leben. Und gleichzeitig ein Gegenentwurf gegen moderne Slow-Life-Achtsamkeitstrends, denn Alkohol, gelegentliche Albernheit und ein kritischer Geist sind weiterhin erlaubt.
"Ein Garten gehört immer dem jeweiligen Betrachter", schreibt Hamer, und in diesem Sinne gehört der Garten von Mrs. Cashmere mindestens zum Teil auch ihm. Zumal er ihn seit vielen Jahren bewirtschaftet und gestaltet. Mrs. Cashmere ist eine hochbetagte Witwe mit festen Gewohnheiten. Die Wortwechsel mit ihrem Gärtner bleiben meist professionell, nur selten erlaubt sie sich eine persönlichere Ansprache. Als Hamer sie einmal ermutigt, barfuß über die taunasse Wiese zu laufen, und ihr die Schuhe hinterherträgt, ist das für ihre Verhältnisse der Gipfel der Ausgelassenheit. Und da tut sie einem dann doch leid in ihrem Oberschicht-Habitus, den sie auch dann nicht ablegt, wenn niemand zuschaut. Sie kann einfach nicht anders. Und reiht sich damit ein in die Bewohner des Gartens, die Schnecken, die Dahlien, die Möwen, die Gras rupfen, sie alle können nicht anders.
Nur der Gärtner kann anders. Hamer gehört zu der Sorte, die ihrem Instinkt folgt und wenig von Anleitungsbüchern hält. Er tut, was er für richtig befindet, sät Schmuckkörbchen und schneidet die Rosen äußerst zaghaft, damit sie üppiger wachsen. Und am Ende trifft er eine radikale Entscheidung. "Es tut mir leid, ich bin mit dem Herzen nicht mehr bei der Sache", schreibt er auf eine Seite seines Notizbuches, reißt sie heraus, wickelt sie um den Schlüssel und wirft ihn in Mrs. Cashmeres Briefkasten. Wieder einmal muss er sich neu orientieren, Das braucht ein wenig Mut, aber was soll jemanden, der in seiner Jugend auf den Landstraßen tingelte, noch schrecken? Ganz ohne Garten wird er sein weiteres Leben jedenfalls nicht verbringen. Gerade legt er einen neuen an - einen, der noch ein wenig mehr ihm gehört als der vorherige. ANDREA DIENER
Marc Hamer:
"Vom Blühen und
Vergehen". Ein
Gärtnerleben.
Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Insel Verlag, Berlin 2022. 415 S., Abb., geb., 24,- Euro.
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