"Gothic Thriller" prangt auf dem Titelbild - aber in meinen Augen ist das Buch weniger ein Thriller als ein ungewöhnlicher, atmosphärisch dichter Schauerroman, der sich mit existentiellen Fragen beschäftigt: Wenn wir unsere letzte Reise antreten, was erwartet uns auf der anderen Seite, Himmel oder
Hölle? Existiert eine höhere Macht, und falls ja, ist es ein liebender Gott oder ein gleichgültiger,…mehr"Gothic Thriller" prangt auf dem Titelbild - aber in meinen Augen ist das Buch weniger ein Thriller als ein ungewöhnlicher, atmosphärisch dichter Schauerroman, der sich mit existentiellen Fragen beschäftigt: Wenn wir unsere letzte Reise antreten, was erwartet uns auf der anderen Seite, Himmel oder Hölle? Existiert eine höhere Macht, und falls ja, ist es ein liebender Gott oder ein gleichgültiger, vielleicht sogar rachsüchtiger? Am Ende schließt sich der Kreis und die drei Schlüsselfiguren beantworten diese Fragen für sich.
Im Grunde geht es also um den Tod, und Marcus Sedgwich verlegt seine Geschichte passenderweise in einen dem Untergang geweihten Ort: das fiktive Örtchen Winterfold, das mit jedem Sturm ein wenig mehr vom Meer verschlungen wird. So unglaublich es scheint: Winterfold beruht auf einem realen Ort, nämlich der Stadt Dunwich, die buchstäblich weggespült wurde, Haus für Haus! Auch die blutigen Experimente des Dorfpfarrers haben eine reale Grundlage, über die ich hier noch nichts verraten will, um nicht zu viel vorwegzunehmen.
In vielen Szenen spürt man sie geradezu, die Unausweichlichkeit von Winterfolds langsamen Sterben - und genauso unausweichlich entfaltet sich die Geschichte, auf zwei Zeitebenen und aus drei grundverschiedenen Blickwinkeln erzählt. Diese Erzählweise fand ich sehr originell und passend, denn sie erlaubt es dem Leser, verschiedene Ebenen der Geschehnisse zu erforschen.
Die Tagebucheinträge des Dorfpfarrers erzählen den Teil der Geschichte, der im Jahr 1789 spielt. Er denkt viel über die Hölle nach und fragt sich, was es zu bedeuten hat, dass er sich die Hölle so viel besser vorstellen kann als den Himmel... Genau das bewegt ihn dann auch dazu, sich an Experimenten des neu zugezogenen Artes zu beteiligen. So sehr mich seine Gedanken auch verstörten und abstießen, so wenig konnte ich mich ihrem Sog entziehen. Beim Lesen empfand ich eine Art leisen, schleichenden Horror.
Ferelith ist ein hochintelligentes Mädchen, das nach dem tragischen Ende seiner Kindheit schon viel zu früh auf eigenen Beinen stehen musste. Sie ist ein wankelmütiger Charakter, wirkt manchmal von einer Idee besessen oder sogar wahnsinnig, aber sie findet in ihrer Erzählung auch poetische Worte voll dunkler Schönheit. Sie macht es dem Leser nicht einfach. Ich habe mir oft den Kopf über ihr Verhalten zerbrochen, aber gerade das macht sie auch so interessant.
Der Pfarrer und Ferelith sind Suchende - sie wollen ergründen, ob es die "weiße Krähe" gibt, den Beweis eines Lebens nach dem Tode. Rebecca aber sucht nicht, sondern hat verloren, was sie glaubte, schon sicher gefunden zu haben. Ihr Vater muss sich für etwas sehr Gravierendes verantworten und hat sich daher mit seiner Tochter nach Winterfold zurückgezogen, wo er erwartet, die nötige Ruhe zu finden. Entwurzelt von diesem Umzug, im Stich gelassen von ihrem Freund, fühlt sich Rebecca zutiefst einsam und lässt sich daher auch auf die Freundschaft mit Ferelith ein, obwohl ihre Instinkte ihr von Anfang an sagen, dass diese etwas Seltsames an sich hat. Rebecca war für mich in diesem Buch der Anker, denn die beiden anderen Hauptfiguren sind oft sehr extrem, sie aber ist ein ganz normales, sympathisches Mädchen mit Wünschen und Zielen, die ich nachvollziehen konnte.
Wie schon gesagt, für mich ist das Buch eigentlich kein Thriller. Ich fand es sehr spannend, aber auf eher hintergründige, leise Art und Weise. Vor allem aber besticht das Buch durch seine eindringliche, düstere Atmosphäre. Den Schreibstil fand ich wunderbar - meist eher einfach, aber mit ausdrucksstarken Bildern. Obwohl die Handlung recht gradlinig ist und das Erzähltempo eher langsam, konnte ich das Buch einfach nicht weglegen.