Seine Mutter kann man sich nicht aussuchen ... Aber nur wer sich wirklich liebt, kann sich auch maßlos auf die Nerven gehen!Warum um Himmels willen können die Mitglieder ihrer Familie nicht so sein wie alle anderen? Alicja wäre doch am liebsten eine ganz durchschnittliche 15-jährige. Geht aber nicht, weil ihre Mutter Polin ist. Polnische Mütter schaffen es mit absoluter Treffgenauigkeit, zu jeder Gelegenheit das zu tun, was ihren pubertierenden Töchtern wahlweise Scham, Zorn oder Verzweiflung ins Antlitz treibt. Oder alles zusammen. Das fängt beim Essen an und hört bei Alicjas Freunden nicht auf, in alles mischt sich die Mutter ein. Die Schauspielerin Fritzi Haberlandt verkörpert Alicja mit unnachahmlicher Leichtigkeit und viel Witz.
buecher-magazin.deIm Leben der 16-jährigen Alicja prallen Kulturen aufeinander: Ihre Mutter Beata ist Polin und lässt skurril und selbstbewusst öfter Fünfe grade sein. Für die Hochzeit einer ihrer sieben Schwestern macht sie kurzerhand den polnischen Handwerker zum trauenden Pfarrer. Vergammelte Lebensmittel werden regelmäßig zur Delikatesse erklärt. Alicja kommt eher nach ihrem ruhigen schwedischen Vater, der beruflich in den USA weilt. Eigentlich hätte die Teenagerin gerne ein in geordneten Bahnen verlaufendes Leben, doch es geht drunter und drüber.
Fritzi Haberlandt nimmt die chaotische Geschichte dankbar auf und spricht offenbar auch ausgezeichnet Polnisch. Mühelos fährt die Schauspielerin stimmlich auf Alicjas emotionaler Achterbahnfahrt mit. Nur bei dem einen oder anderen Wutausbruch hätte sie noch mehr Tempo forcieren können. Ein Lob geht dazu an Autorin Emmy Abrahamson. Die Schwedin zeigt mit ihrer urkomischen Erzählung, wie man in Zeiten düsterer Fantasy-Liebesstorys mit realen Alltagsgeschichten junges Leserpublikum begeistern kann - wobei natürlich auch Alicja in den Trubel der Liebe gerät. Beifall dafür, oder wie Fritzi Haberlandt öfter so schön sagt "na zdrowie" - Prost!
© BÜCHERmagazin, Olaf Ernst (ole)
Fritzi Haberlandt nimmt die chaotische Geschichte dankbar auf und spricht offenbar auch ausgezeichnet Polnisch. Mühelos fährt die Schauspielerin stimmlich auf Alicjas emotionaler Achterbahnfahrt mit. Nur bei dem einen oder anderen Wutausbruch hätte sie noch mehr Tempo forcieren können. Ein Lob geht dazu an Autorin Emmy Abrahamson. Die Schwedin zeigt mit ihrer urkomischen Erzählung, wie man in Zeiten düsterer Fantasy-Liebesstorys mit realen Alltagsgeschichten junges Leserpublikum begeistern kann - wobei natürlich auch Alicja in den Trubel der Liebe gerät. Beifall dafür, oder wie Fritzi Haberlandt öfter so schön sagt "na zdrowie" - Prost!
© BÜCHERmagazin, Olaf Ernst (ole)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2013Polen treten stets in Horden auf
Ein abgefahrenes Mutter-Tochter-Spektakel aus Schweden, das genussvoll alle möglichen Vorurteile
durchspielt und sie in puren Slapstick verwandelt: „Widerspruch zwecklos“.
VON CRISTINE KNÖDLER
Normalerweise fängt jeder bei eins an zu zählen, aber Alicja, 16, aus Ystad in Schweden, ist nicht jede, und ihr Leben ist alles andere als normal. Ihr Problem: Sie hat eine polnische Mutter. Dass ihr schwedischer Vater sich auf eine längere Reise abgesetzt hat, macht die Sache nicht einfacher, und so wappnet sich die Tochter mit „Akzeptiere“-Regeln. Die starten mit Nr. 235 – schon sind wir mittendrin in einem abgefahrenen Mutter-Tochter-Spektakel mit interkultureller Brisanz, ach was: Großzügigkeit, das zugleich Familien-, Liebes-, Entwicklungsroman ist. „Akzeptiere“, fordert Regel Nr. 235, „dass man alles, was es lecker und günstig im Restaurant gibt, genauso gut selbst zubereiten kann, sofern man nur ein paar Dinge im Haus hat, mit denen sich das Original simulieren lässt, zum Beispiel zwei Fässer Bratöl und einen alten Fleischwolf.“ Regel Nr. 236 ist genauso wenig von schlechten Eltern: „Akzeptiere, dass nicht nur deine gesamte polnische Verwandtschaft, sondern auch die Polizei von Ystad über deine Hautprobleme informiert sein sollte“, heißt es da, und die bange Frage stellt sich, wie wohl die Regeln eins bis 234 lauten mögen? Kein Wunder, rüstet sich eine mit Regeln zur Rebellion, sammelt Pointen gegen Peinlichkeiten. Kurz: Es hat sich ausakzeptiert! Nun ist das Motiv der Loslösung von übergriffigen Übermüttern gerade in der Jugendliteratur nichts Neues. Die erste Liebe gehört ebenfalls in fast jeden Adoleszenzroman, die innere und interkulturelle Zerreißprobe zwischen Polen und Schweden, Mutter und Vater bietet weiteres Potential auf dem pickligen Weg der Pubertät hin zum Erwachsenwerden. Aber so? In dem Ton? Das ist neu – und einfach umwerfend.
Eine Slapstick-Einlage jagt die nächste Panne, maßlose Übertreibung hat und ist System (von Anu Stohner glänzend und mit allen Eskapaden übersetzt). Kein Klischee, kein Vorurteil wird ausgelassen, ob das die Polen, die Mütter, die Männer, die Katholiken, die Therapeuten betrifft. Überbedient und also ironisiert werden sie vielmehr mit einem souveränen „Na und?!“ an die zurückgegeben, die sie einmal in die Welt projiziert haben. Zum Beispiel so: Da flieht eine der vielen Tanten (Polen treten stets in Horden auf!) mit ihrer Tochter Celestyna (eine kleine Presswurst, denn genau: Polen futtern viel und fett!) vorm prügelnden Gatten zu Alicjas Mutter, um, ganz „Frau sucht Bauer“, ihr großes Glück in Schweden zu machen. Zum Dank stalkt Celestyna Alicjas Herzbuben Ola, was Alicja wiederum eine filmreife Verhaftung beschert (der Therapeut hat seinen großen Auftritt!), bis alles in einem riesigen Besäufnis (Polen verwechseln Wodka mit Wasser!) gipfelt. Also in einer Hochzeit.
Das ist wahnsinnig komisch, aber an keiner Stelle denunzierend. Es versteht sich von selbst, dass alle politischen und sonstigen Korrektheiten bei einem solchen Husarenritt auf der Strecke bleiben, schließlich ist dieses Debüt selbst ein außerordentlicher Überflug über Erwartungen, Normen, Prinzipien, über Grenzen der Kulturen und Konventionen, um zu guter Letzt zerzaust, aber glücklich bei etwas Neuem zu landen: bei sich selbst nämlich. Und so wundert es nicht, dass die vermeintliche Abrechnung das Zeug zur ganz großen Liebes- und Lebenserklärung hat. Denn eines ist klar und darauf kommt es an: Hier wird geliebt, dass sich die Balken biegen, hier findet jeder seinen Platz. Alicja bekommt ihren Ola, die Tante ihren Bauern. Und die polnische Mutter? Die ist und bleibt, was sie von Anfang an war: Kochana. Und das heißt auf Polnisch: meine Liebste. (ab 13 Jahre)
Emmy Abrahamson : Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt. Aus dem Schwedischen von Anu Stohner. dtv Reihe Hanser 2013. 220 Seiten, 12,95 Euro.
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Ein abgefahrenes Mutter-Tochter-Spektakel aus Schweden, das genussvoll alle möglichen Vorurteile
durchspielt und sie in puren Slapstick verwandelt: „Widerspruch zwecklos“.
VON CRISTINE KNÖDLER
Normalerweise fängt jeder bei eins an zu zählen, aber Alicja, 16, aus Ystad in Schweden, ist nicht jede, und ihr Leben ist alles andere als normal. Ihr Problem: Sie hat eine polnische Mutter. Dass ihr schwedischer Vater sich auf eine längere Reise abgesetzt hat, macht die Sache nicht einfacher, und so wappnet sich die Tochter mit „Akzeptiere“-Regeln. Die starten mit Nr. 235 – schon sind wir mittendrin in einem abgefahrenen Mutter-Tochter-Spektakel mit interkultureller Brisanz, ach was: Großzügigkeit, das zugleich Familien-, Liebes-, Entwicklungsroman ist. „Akzeptiere“, fordert Regel Nr. 235, „dass man alles, was es lecker und günstig im Restaurant gibt, genauso gut selbst zubereiten kann, sofern man nur ein paar Dinge im Haus hat, mit denen sich das Original simulieren lässt, zum Beispiel zwei Fässer Bratöl und einen alten Fleischwolf.“ Regel Nr. 236 ist genauso wenig von schlechten Eltern: „Akzeptiere, dass nicht nur deine gesamte polnische Verwandtschaft, sondern auch die Polizei von Ystad über deine Hautprobleme informiert sein sollte“, heißt es da, und die bange Frage stellt sich, wie wohl die Regeln eins bis 234 lauten mögen? Kein Wunder, rüstet sich eine mit Regeln zur Rebellion, sammelt Pointen gegen Peinlichkeiten. Kurz: Es hat sich ausakzeptiert! Nun ist das Motiv der Loslösung von übergriffigen Übermüttern gerade in der Jugendliteratur nichts Neues. Die erste Liebe gehört ebenfalls in fast jeden Adoleszenzroman, die innere und interkulturelle Zerreißprobe zwischen Polen und Schweden, Mutter und Vater bietet weiteres Potential auf dem pickligen Weg der Pubertät hin zum Erwachsenwerden. Aber so? In dem Ton? Das ist neu – und einfach umwerfend.
Eine Slapstick-Einlage jagt die nächste Panne, maßlose Übertreibung hat und ist System (von Anu Stohner glänzend und mit allen Eskapaden übersetzt). Kein Klischee, kein Vorurteil wird ausgelassen, ob das die Polen, die Mütter, die Männer, die Katholiken, die Therapeuten betrifft. Überbedient und also ironisiert werden sie vielmehr mit einem souveränen „Na und?!“ an die zurückgegeben, die sie einmal in die Welt projiziert haben. Zum Beispiel so: Da flieht eine der vielen Tanten (Polen treten stets in Horden auf!) mit ihrer Tochter Celestyna (eine kleine Presswurst, denn genau: Polen futtern viel und fett!) vorm prügelnden Gatten zu Alicjas Mutter, um, ganz „Frau sucht Bauer“, ihr großes Glück in Schweden zu machen. Zum Dank stalkt Celestyna Alicjas Herzbuben Ola, was Alicja wiederum eine filmreife Verhaftung beschert (der Therapeut hat seinen großen Auftritt!), bis alles in einem riesigen Besäufnis (Polen verwechseln Wodka mit Wasser!) gipfelt. Also in einer Hochzeit.
Das ist wahnsinnig komisch, aber an keiner Stelle denunzierend. Es versteht sich von selbst, dass alle politischen und sonstigen Korrektheiten bei einem solchen Husarenritt auf der Strecke bleiben, schließlich ist dieses Debüt selbst ein außerordentlicher Überflug über Erwartungen, Normen, Prinzipien, über Grenzen der Kulturen und Konventionen, um zu guter Letzt zerzaust, aber glücklich bei etwas Neuem zu landen: bei sich selbst nämlich. Und so wundert es nicht, dass die vermeintliche Abrechnung das Zeug zur ganz großen Liebes- und Lebenserklärung hat. Denn eines ist klar und darauf kommt es an: Hier wird geliebt, dass sich die Balken biegen, hier findet jeder seinen Platz. Alicja bekommt ihren Ola, die Tante ihren Bauern. Und die polnische Mutter? Die ist und bleibt, was sie von Anfang an war: Kochana. Und das heißt auf Polnisch: meine Liebste. (ab 13 Jahre)
Emmy Abrahamson : Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt. Aus dem Schwedischen von Anu Stohner. dtv Reihe Hanser 2013. 220 Seiten, 12,95 Euro.
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